Entscheidungsstichwort (Thema)

Nichtzulassungsbeschwerde. Divergenz. Fehlende Übereinstimmung im Grundsätzlichen. Verfahrensmangel. Beweisantrag

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Nicht die - behauptete - Unrichtigkeit der Entscheidung im Einzelfall, sondern die fehlende Übereinstimmung im Grundsätzlichen kann die Zulassung wegen Abweichung begründen.

2. Unterstellt ein Gericht eine Tatsache als wahr, kann es den hierauf bezogenen Beweisantrag aber ablehnen.

 

Normenkette

SGG §§ 67, 103, 109, 128 Abs. 1 S. 1, § 160 Abs. 2 Nrn. 2-3, § 160a Abs. 2 S. 3, Abs. 4 S. 1

 

Verfahrensgang

Bayerisches LSG (Urteil vom 26.10.2021; Aktenzeichen L 10 AL 154/20)

SG Nürnberg (Urteil vom 22.10.2020; Aktenzeichen S 17 AL 178/20)

 

Tenor

Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 26. Oktober 2021 wird als unzulässig verworfen, ohne dass es einer Entscheidung über den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand bedarf.

Außergerichtliche Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.

 

Gründe

1. Die Nichtzulassungsbeschwerde ist unzulässig, weil weder die als Zulassungsgrund behauptete Divergenz (§ 160 Abs 2 Nr 2 SGG) noch der als Zulassungsgrund geltend gemachte Verfahrensmangel (§ 160 Abs 2 Nr 3 SGG) in der erforderlichen Weise bezeichnet worden sind (§ 160a Abs 2 Satz 3 SGG). Auf den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (§ 67 SGG) in die verlängerte Beschwerdebegründungsfrist (§ 160a Abs 2 Satz 2 SGG) kommt es daher nicht an. Die Beschwerde ist ohne Zuziehung ehrenamtlicher Richter zu verwerfen (§ 160a Abs 4 Satz 1 Halbsatz 2 SGG, § 169 SGG).

a) Eine Abweichung (Divergenz) iS von § 160 Abs 2 Nr 2 SGG ist nur dann hinreichend dargelegt, wenn aufgezeigt wird, mit welcher genau bestimmten entscheidungserheblichen rechtlichen Aussage die angegriffene Entscheidung des LSG von welcher ebenfalls genau bezeichneten rechtlichen Aussage des BSG, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes (GmSOGB) oder des BVerfG abweicht. Eine Abweichung liegt nicht schon vor, wenn die angefochtene Entscheidung nicht den Kriterien entsprechen sollte, die das BSG, der GmSOGB oder das BVerfG aufgestellt haben, weil die Unrichtigkeit einer Entscheidung im Einzelfall nicht die Zulassung einer Revision wegen Abweichung rechtfertigt. Erforderlich ist vielmehr, dass das LSG diesen Kriterien widersprochen und über den Einzelfall hinausgehende andere rechtliche Maßstäbe entwickelt hat. Nicht die - behauptete - Unrichtigkeit der Entscheidung im Einzelfall, sondern die fehlende Übereinstimmung im Grundsätzlichen kann die Zulassung wegen Abweichung begründen (stRspr; vgl etwa BSG vom 25.9.2002 - B 7 AL 142/02 B - SozR 3-1500 § 160a Nr 34; Voelzke in Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGG, 2017, § 160 RdNr 119).

Eine solche Divergenz hat der Kläger nicht aufgezeigt. Er hat jedenfalls keinen Rechtssatz im vorbeschriebenen Sinne des LSG bezeichnet. Vielmehr lässt sich der Beschwerdebegründung lediglich entnehmen, dass er die Amtsermittlung des LSG - auch gemessen an der Rechtsprechung des BSG - für unzureichend und die Würdigung des Sachverhaltes durch das LSG für fehlerhaft erachtet. Der Kläger rügt damit allenfalls, dass das LSG die Rechtsprechung des BSG nicht beachtet habe. Damit ist aber keine Abweichung im Grundsätzlichen dargelegt. Mögliche Fehler der Rechtsanwendung im Einzelfall können jedoch die Zulassung einer Revision nicht rechtfertigen (BSG vom 11.5.2020 - B 4 AS 2/20 B - juris RdNr 11; BSG vom 21.1.2022 - B 4 AS 272/21 B - juris RdNr 6; BSG vom 2.2.2022 - B 11 AL 49/21 B - juris RdNr 6).

b) Nach § 160 Abs 2 Nr 3 SGG ist die Revision zuzulassen, wenn ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann; der geltend gemachte Verfahrensmangel kann nicht auf eine Verletzung der §§ 109 (Anhörung eines bestimmten Arztes) und 128 Abs 1 Satz 1 SGG (freie richterliche Beweiswürdigung) und auf eine Verletzung des § 103 SGG (Aufklärung des Sachverhalts von Amts wegen) nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist. Wer eine Nichtzulassungsbeschwerde auf diesen Zulassungsgrund stützt, muss zu seiner Bezeichnung (§ 160a Abs 2 Satz 3 SGG) die diesen Verfahrensmangel des LSG (vermeintlich) begründenden Tatsachen substantiiert dartun, also die Umstände schlüssig darlegen, die den entscheidungserheblichen Mangel ergeben sollen (stRspr; BSG vom 29.9.1975 - 8 BU 64/75 - SozR 1500 § 160a Nr 14; Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 13. Aufl 2020, § 160a RdNr 16 mwN). Darüber hinaus ist aufzuzeigen, dass und warum die Entscheidung - ausgehend von der Rechtsansicht des LSG - auf dem Mangel beruhen kann, also die Möglichkeit der Beeinflussung des Urteils besteht (stRspr; vgl bereits BSG vom 18.2.1980 - 10 BV 109/79 - SozR 1500 § 160a Nr 36).

Diese Voraussetzungen sind hier nicht erfüllt. Der Kläger rügt, dass das LSG seinem in der mündlichen Verhandlung gestellten Beweisantrag, den Zeugen B zum Beweis der Tatsache zu hören, dass der Kläger auch noch im November/Dezember 2019 die feste Absicht gehabt habe, zum 1.5.2020 unter Inkaufnahme von Rentenabschlägen einen Rentenantrag zu stellen, ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt sei. Der Kläger legt aber nicht dar, warum die Entscheidung des LSG hierauf beruhen kann. Er trägt - im Rahmen der Divergenzrüge - vielmehr selbst vor, dass das LSG die unter Beweis gestellte Tatsache als wahr unterstellt und seiner Entscheidung zugrunde gelegt hat. Unterstellt ein Gericht eine Tatsache als wahr, kann es den hierauf bezogenen Beweisantrag aber ablehnen (vgl BSG vom 26.11.2019 - B 2 U 122/19 B - juris RdNr 6 mwN; BSG vom 18.5.2021 - B 1 KR 91/20 B - juris RdNr 10 mwN).

2. Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 Abs 1 Satz 1, Abs 4 SGG.

Meßling                             Söhngen                                      Burkiczak

 

Fundstellen

Dokument-Index HI15148890

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