Verfahrensgang
SG Mannheim (Urteil vom 15.08.1991) |
Tenor
Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgericht Mannheim vom 15. August 1991 wird als unzulässig verworfen.
Außergerichtliche Kosten auch des Revisionsverfahrens sind nicht zu erstatten.
Tatbestand
I
Der Prozeßbevollmächtigte der 1916 geborenen Klägerin, die in der Hauptsache die Gewährung einer Leistung für Kindererziehung (iS von Art 2 § 61 des Angestelltenversicherungs-Neuregelungsgesetzes ≪AnVNG≫) begehrt, hat mit einem am 5. Februar 1992 beim Bundessozialgericht (BSG) eingegangenen Schriftsatz vom 4. Februar 1992 die vom Sozialgericht (SG) Mannheim in dessen Urteil vom 15. August 1991 zugelassene (Sprung-)Revision eingelegt. Mit Schriftsatz vom 5. Februar 1992, beim BSG am 6. Februar 1992 eingegangen, hat er darauf hingewiesen, der Bevollmächtigte der beklagten Bundesversicherungsanstalt für Angestellte (BfA) habe in der mündlichen Verhandlung vor dem SG der Einlegung der Sprungrevision zugestimmt „(vgl Sitzungsprotokoll vom 15. August 1991)”. Diesem Schreiben hat er eine unbeglaubigte Durchschrift/Kopie der Sitzungsniederschrift des SG vom 15. August 1991 beigefügt. Das Urteil des SG war dem Prozeßbevollmächtigten der Klägerin mit einem am 9. Januar 1992 beim Aufgabepostamt I Mannheim aufgegebenen Einschreiben zugestellt worden; es gilt daher als am 12. Januar 1992 zugestellt (§ 63 Abs 2 des Sozialgerichtsgesetzes ≪SGG≫ iVm §§ 1 Abs 2, 4 Abs 1 des Verwaltungszustellungsgesetzes des Bundes). Die vom BSG mit Schreiben vom 6. Februar 1992, abgesandt am 7. Februar 1992, angeforderten Akten des SG sind am 18. Februar 1992 beim BSG eingegangen. Sie enthalten ua die Urschrift der Sitzungsniederschrift des SG vom 15. August 1991, in der die Erklärung des Bevollmächtigten der Beklagten protokolliert ist, er stimme der Einlegung der Sprungrevision zu.
Die Beteiligten sind darauf hingewiesen worden, daß bis zum Ablauf der Revisionseinlegungsfrist iS von § 164 Abs 1 Satz 1 SGG, die mit dem 12. Februar 1992 geendet hat, weder die Urschrift des Sitzungsprotokolls des SG noch eine gerichtlich oder notariell beglaubigte Abschrift hiervon dem BSG vorgelegt worden ist.
Der Prozeßbevollmächtigte der Klägerin hat hierzu vorgetragen, eine besondere schriftliche Zustimmungserklärung der BfA sei entbehrlich gewesen, weil diese ihre Zustimmung bereits zur Niederschrift des SG erklärt habe. Gleichwohl sei ihm zusammen mit dem Urteil des SG nur eine einfache Ausfertigung (Fotokopie) der Sitzungsniederschrift zugestellt worden. Er habe im Schriftsatz vom 5. Februar 1992 ausdrücklich darauf hingewiesen, daß sich die Zustimmungserklärung in den Akten des SG befinde. Das BSG müsse deshalb die besondere Eilbedürftigkeit erkannt und die Akten sofort beim SG angefordert haben. Der Eingang dieser Akten erst am 18. Februar 1992 beim BSG sei entweder auf einen verzögerten Postlauf oder auf eine verzögerte Absendung durch das SG zurückzuführen. Mit einer derartigen Verzögerung habe er nicht rechnen müssen. Falls er beim SG eine beglaubigte Ausfertigung des Sitzungsprotokolls angefordert hätte, wäre ihm diese mit Sicherheit gleichfalls erst verspätet zugegangen. Die vom BSG (SozR 1500 § 161 Nr 2) gebilligte Möglichkeit der Fristwahrung durch den Akteneingang dürfe nicht dadurch unterlaufen werden, daß das Gericht den normalen Behördengang einschalte.
Der Prozeßbevollmächtigte der Klägerin beantragt „vorsorglich”, der Klägerin Wiedereinsetzung in den vorigen Stand „wegen des verspäteten Akteneingangs bzw des verspäteten Eingangs der Zustimmungserklärung der Beklagten” zu gewähren.
Entscheidungsgründe
II
Die (Sprung-)Revision der Klägerin ist gemäß § 169 Satz 2 und 3 SGG als unzulässig zu verwerfen. Sie hat entgegen § 161 Abs 1 Satz 1 und 3, § 164 Abs 1 Satz 1 SGG der Revisionsschrift die „schriftliche Zustimmung” des Gegners, dh der BfA, nicht „beigefügt” und auch nicht bewirkt, daß die schriftliche Zustimmung oder der Nachweis einer gerichtlich oder notariell beurkundeten Einwilligungserklärung bis zum Ablauf der Revisionseinlegungsfrist dem BSG vorlag.
Gemäß § 161 Abs 1 Satz 1 und 3 iVm § 164 Abs 1 Satz 1 SGG ist, wenn die (Sprung-)Revision im Urteil des SG zugelassen ist, die schriftliche Zustimmung des Gegners zur Einlegung der Revision, die gemäß § 161 Abs 5 SGG als Rechtsmittelverzicht – Verzicht auf die Berufung – gilt, der Revisionsschrift beizufügen, die innerhalb eines Monats nach Zustellung des Urteils, hier also bis zum Ablauf des 12. Februar 1992, beim BSG eingehen muß. Der Große Senat des BSG hat geklärt (BSGE 12, 230, 233f = SozR Nr 14 zu § 161 SGG), daß dem Zweck des § 161 Abs 1 SGG nur Genüge getan ist, wenn bis zum Ablauf der Revisionsfrist eine schriftliche Einwilligungserklärung oder aber der Beweis für eine gerichtlich oder notariell beurkundete Einwilligungserklärung vorliegt. Eine Einwilligungserklärung, die der Schriftform des hier anzuwendenden § 126 Abs 1 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) genügt, hat der Prozeßbevollmächtigte der Klägerin bis zum Ablauf der Revisionsfrist nicht vorgelegt. Die von ihm eingereichte Kopie der Sitzungsniederschrift des SG vom 15. August 1991 ist keine Urkunde, die von dem Aussteller eigenhändig durch Namensunterschrift oder mittels gerichtlich oder notariell beglaubigten Handzeichens unterzeichnet ist. Ebensowenig ist diese Kopie gerichtlich oder notariell beurkundet worden (vgl § 126 Abs 3 BGB).
Der Prozeßbevollmächtigte der Klägerin hat bis zum Ende der Revisionseinlegungsfrist ferner keinen Beweis für eine gerichtlich oder notariell beurkundete Einwilligungserklärung vorgelegt. Hierbei ist – wie der Große Senat des BSG (aaO) ausgeführt hat – notwendig, daß dieser Beweis als ausreichend angesehen werden kann, der Verpflichtung des Revisionsklägers, zu entsprechen, die beurkundete Erklärung der Revisionsschrift beizufügen oder sie wenigstens bis zum Ablauf der Revisionsfrist vorzulegen (vgl BSG SozR Nr 6 zu § 161 SGG). Die – vom Prozeßbevollmächtigten der Klägerin im Schriftsatz vom 5. Februar 1992 abgegebene – bloße Erklärung, daß der Rechtsmittelgegner vor dem Gericht und von diesem beurkundet die notwendige Einwilligungserklärung abgegeben habe, bietet nach dieser Rechtsprechung keine, die Vorlage einer einfachen Abschrift des Sitzungsprotokolls keine genügende Sicherheit (vgl auch BSG SozR Nr 12 zu § 161 SGG). Ausreichend ist, wenn das Sitzungsprotokoll in einer beglaubigten Abschrift vorgelegt worden ist, die hinsichtlich der Beglaubigung die Merkmale einer öffentlichen Urkunde trägt (vgl § 435 der Zivilprozeßordnung ≪ZPO≫). Das ist nicht geschehen.
Nach der Rechtsprechung des BSG (SozR 1500 § 161 Nr 2) kann sich das Revisionsgericht die hinreichende Gewißheit davon, daß der Revisionsgegner der Einlegung der Sprungrevision zugestimmt hat, vor Ablauf der Revisionseinlegungsfrist auch dann verschaffen, wenn der Revisionskläger (wie im vorliegenden Fall) innerhalb der Revisionsfrist auf die erteilte Zustimmungserklärung hinweist und (anders als hier) die Akten des SG mit der Urschrift des Protokolls, in dem die Zustimmungserklärung festgehalten ist, noch während der Revisionsfrist beim BSG eingehen. Die Akten des SG Mannheim sind jedoch erst am 18. Februar 1992 beim BSG eingetroffen.
Daß die Frist zur Revisionseinlegung (oder gar die Revisionsbegründungsfrist) durch das Erfordernis, der Revisionsschrift die schriftliche Zustimmungserklärung beizufügen, nicht eingeschränkt (oder gar – wie der Prozeßbevollmächtigte der Klägerin vorträgt – halbiert) wird, bedarf keiner Darlegung. Das Gesetz räumt vielmehr einem Kläger, der Sprungrevision einlegen will, nach Zustellung des Urteils des SG einen Monat ein, der ausreicht, die schriftliche Zustimmung des Gegners einzuholen oder – was ebenfalls genügt – diesen zu veranlassen, seine Erklärung dem Revisionsgericht zu übersenden. Da es nach § 161 Abs 1 SGG eine Pflicht des Revisionsklägers ist, den rechtzeitigen Eingang der schriftlichen Zustimmungserklärung beim Revisionsgericht zu bewirken, kommt es auf das Vorbringen nicht an, die Akten des SG seien infolge einer angeblich verzögerten Postbeförderung oder aufgrund der „Einschaltung des normalen Behördenganges” erst nach Ablauf der Revisionsfrist beim BSG eingegangen.
Zugunsten der Klägerin greift nicht ein, daß es der 3. Senat des BSG (BSGE 20, 154, 155f = SozR Nr 17 zu § 161 SGG = SozR Nr 43 zu § 165 RVO) für ausreichend erachtet hat, wenn der Revisionsschrift nur eine Fotokopie der Einwilligungserklärung beigelegen hat, das Urstück dieser Erklärung aber erst nach Ablauf der Revisionsfrist beim BSG eingegangen ist. Der 3. Senat hat in einem Fall entschieden, in dem die Zustimmungserklärung – anders als im vorliegenden und in dem vom Großen Senat des BSG entschiedenen Fall – nicht zur Niederschrift des SG erklärt worden war. Schon deshalb ist nicht darauf einzugehen, daß der Entscheidung des Großen Senats des BSG ungeachtet der hiervon uU abweichenden Entscheidung des 3. Senats des BSG ohne erneute Anrufung des Großen Senats des BSG zu folgen ist (vgl Meyer-Ladewig, SGG, 4. Aufl 1991, § 42 Rz 7, § 44 Rz 4 mwN; auch BSGE 34, 269, 271f = SozR Nr 4 zu § 42 SGG; ferner BSG SozR 1500 § 42 Nr 1 und BSG SozR 1500 § 161 Nr 31).
Der Antrag der Klägerin, ihr im Blick auf den verspäteten Eingang der Zustimmungserklärung beim Revisionsgericht Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren (§ 67 SGG), ist abzulehnen. Nach der Rechtsprechung des BSG (SozR 1500 § 67 Nr 11) kann Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht gewährt werden, wenn die Zustimmungserklärung des Gegners erst nach Ablauf der Revisionsfrist vorgelegt wird. Der Senat läßt dahingestellt, ob an dieser Rechtsprechung festzuhalten ist. Der Prozeßbevollmächtigte der Klägerin war nämlich entgegen § 67 Abs 1 SGG nicht „ohne Verschulden” verhindert, eine schriftliche Zustimmungserklärung der Beklagten bis zum Ablauf des 12. Februar 1992 vorzulegen. Da die Beklagte bereits am 15. August 1991 in Anwesenheit des Prozeßbevollmächtigten der Klägerin erklärt hatte, sie stimme der Einlegung der Sprungrevision zu, ist auch unter Würdigung des Vorbringens zum Wiedereinsetzungsantrag nicht ersichtlich, weshalb es einem sorgfältigen Prozeßbeteiligten nicht möglich gewesen wäre, innerhalb von nahezu fünf Monaten eine gerichtlich beglaubigte Abschrift der Sitzungsniederschrift vom 15. August 1991 oder – wie nach § 161 Abs 1 SGG gleichfalls zulässig – eine neue schriftliche Zustimmungserklärung der Beklagten zu erhalten und dem Revisionsgericht zuzuleiten.
Nach alledem war die unzulässige (Sprung-)Revision der Klägerin zu verwerfen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs 1 SGG.
Fundstellen