Entscheidungsstichwort (Thema)

Revisionsnichtzulassungsbeschwerde. Klärungsbedürftigkeit. Verfahrensfehler. Befangenheitsgesuch gegen LSG-Richter. Unterlassen einer Entscheidung über die Zulassung der Revision

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Eine Rechtsfrage ist regelmäßig nicht mehr klärungsbedürftig, wenn sie bereits höchstrichterlich entschieden ist (BSG SozR 1500 § 160a Nr. 13 u. 65) oder wenn die Antwort unmittelbar aus dem Gesetz zu ersehen ist (BSG SozR 1300 § 13 Nr. 1), wenn sie so gut wie unbestritten ist (BSG SozR 1500 § 160 Nr. 17), wenn sie praktisch außer Zweifel steht (BSG SozR 1500 § 160a Nr. 4) oder wenn sich für die Antwort in anderen Entscheidungen bereits ausreichende Anhaltspunkte ergeben.

2. Die Entscheidung eines LSG, dass ein im Berufungsverfahren angebrachtes Ablehnungsgesuch nicht begründet sei, kann im Revisionsverfahren nicht geprüft werden (vgl BSG SozR Nr. 4 zu § 60 SGG).

3. Das Schreiben eines Briefs durch eines der Mitglieder des später erkennenden Senats, den dieses Senatsmitglied als Präsidialrichter “im Auftrag” des Präsidenten des LSG an den späteren Kläger gerichtet hatte, ist nicht geeignet, das Vorliegen eines der Ausschließungsgründe i.S.v. § 41 ZPO oder § 60 Abs. 2 SGG darzutun.

4. Die fehlerhafte Nichtzulassung der Revision stellt, wie auch das Unterlassen einer Entscheidung darüber, keinen Verfahrensmangel, sondern allenfalls eine sachliche Unrichtigkeit dar (vgl. BSG SozR 1500 § 160 Nr. 52.

 

Normenkette

SGG § 160 Abs. 2 Nrn. 3, 1, §§ 103, 60 Abs. 2; ZPO §§ 47-49, 41

 

Verfahrensgang

Schleswig-Holsteinisches LSG (Urteil vom 03.04.2003)

 

Tenor

Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Schleswig-Holsteinischen Landessozialgerichts vom 3. April 2003 wird als unzulässig verworfen.

Kosten sind nicht zu erstatten.

 

Gründe

Die gegen die Nichtzulassung der Revision im angefochtenen Urteil des Landessozialgerichts (LSG) gerichtete Beschwerde ist unzulässig. Die dazu gegebene Begründung entspricht nicht der in § 160 Abs 2 und § 160a Abs 2 Satz 3 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) festgelegten Form. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) erfordern diese Vorschriften, dass der Zulassungsgrund schlüssig dargetan wird (BSG SozR 1500 § 160a Nr 34, 47 und 58; vgl hierzu auch Krasney/Udsching, Handbuch des sozialgerichtlichen Verfahrens, 3. Aufl, 2002, IX, RdNr 177 und 179 mwN). Diesen Anforderungen an die Begründung einer Nichtzulassungsbeschwerde hat der Beschwerdeführer, der sich auf die Zulassungsgründe einer grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache und eines Verfahrensmangels beruft, nicht hinreichend Rechnung getragen.

Für das Vorliegen der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG) ist zunächst darzulegen, welcher konkreten abstrakten Rechtsfrage in dem Rechtsstreit grundsätzliche Bedeutung beigemessen wird (BSG SozR 1500 § 160a Nr 11). Denn die Zulassung der Revision erfolgt zur Klärung grundsätzlicher Rechtsfragen und nicht zur weiteren Entscheidung des Rechtsstreits. Die abstrakte Rechtsfrage ist klar zu formulieren, um an ihr die weiteren Voraussetzungen für die begehrte Revisionszulassung nach § 160 Abs 2 Nr 1 SGG prüfen zu können (Krasney/Udsching, aaO, RdNr 181). Sodann ist darzulegen, dass und inwiefern zu erwarten ist, dass die Revisionsentscheidung die Rechtseinheit in ihrem Bestand erhalten oder die Weiterentwicklung des Rechts fördern wird. Schließlich ist darzutun, dass die vom Beschwerdeführer für grundsätzlich gehaltene Rechtsfrage für die Entscheidung des vorliegenden Rechtsstreits klärungsbedürftig und klärungsfähig, insbesondere entscheidungserheblich ist (BSG SozR 1500 § 160 Nr 53 und 54, Krasney/Udsching, aaO, RdNr 63 mwN).

Diesen Anforderungen wird die Beschwerdebegründung nicht gerecht. Der Kläger trägt hierzu vor, „die Frage, unter welchen Umständen ein Richter, der zuvor in einer Justizverwaltungssache tätig war, in einem folgenden Urteilsverfahren ausgeschlossen ist oder der Ablehnung verfällt”, sei von prinzipieller Bedeutung. Er habe den Richter am LSG H. … im Berufungsverfahren wegen Besorgnis der Befangenheit ablehnen müssen und dabei gleichzeitig geltend gemacht, dass dieser von Gesetzes wegen ausgeschlossen sei, weil er an ihn – den Kläger – einen Brief „im Auftrage” des Präsidenten des LSG gerichtet gehabt habe, der „geradezu peinlich” angemutet habe; die Ablehnungsgründe habe er mit Schriftsatz vom 27. Januar 2003 erläutert. Dieser Befangenheitsantrag sei vom LSG mit Beschluss vom 6. März 2003 mit einer offensichtlich unrichtigen Begründung zurückgewiesen worden.

Es kann offen bleiben, ob der Kläger damit eine Rechtsfrage hinreichend konkret formuliert hat. Jedenfalls hat der Kläger weder genügend dargelegt, inwieweit diese Frage klärungsbedürftig sei noch hat er deren Entscheidungserheblichkeit aufgezeigt. Eine Rechtsfrage ist regelmäßig nicht mehr klärungsbedürftig, wenn sie bereits höchstrichterlich entschieden ist (BSG SozR 1500 § 160a Nr 13 und 65) oder wenn die Antwort unmittelbar aus dem Gesetz zu ersehen ist (BSG SozR 1300 § 13 Nr 1), wenn sie so gut wie unbestritten ist (BSG SozR 1500 § 160 Nr 17), wenn sie praktisch außer Zweifel steht (BSG SozR 1500 § 160a Nr 4) oder wenn sich für die Antwort in anderen Entscheidungen bereits ausreichende Anhaltspunkte ergeben (Krasney/Udsching, aaO, RdNr 66). Nach § 60 Abs 1 Satz 1 SGG gelten die §§ 41 bis 44, 45 Abs 2 Satz 2, §§ 47 bis 49 der Zivilprozessordnung (ZPO) für die Ausschließung und Ablehnung der Gerichtspersonen (im sozialgerichtlichen Verfahren) entsprechend. Mit der umfangreichen höchstrichterlichen Rechtsprechung zu diesen Vorschriften (s etwa Meyer-Ladewig, SGG, 7. Aufl, § 60 RdNr 4 ff mit zahlreichen Nachweisen) hat sich der Kläger nicht auseinander gesetzt und auch nicht dargetan, inwiefern diese ergänzungsbedürftig sei. Im Übrigen mangelt es auch an der Darlegung, inwiefern die vom Kläger aufgeworfene Frage in einem künftigen Revisionsverfahren entscheidungserheblich sei. Dazu hätte indes Anlass bestanden, weil die Entscheidung eines LSG, dass ein im Berufungsverfahren angebrachtes Ablehnungsgesuch nicht begründet sei, im Revisionsverfahren nicht geprüft werden kann (vgl BSG SozR Nr 4 zu § 60 SGG) und der Kläger nicht schlüssig dargetan hat, inwiefern der von ihm genannte Richter hier von der Ausübung des Richteramtes kraft Gesetzes ausgeschlossen gewesen sein soll. Der vom Kläger genannte Vorgang – Schreiben eines Briefes an den späteren Kläger „im Auftrage” des Präsidenten des LSG – ist nicht geeignet, das Vorliegen eines der Ausschließungsgründe iS des § 41 ZPO oder des § 60 Abs 2 SGG darzutun; der Kläger hat hierzu auch keine weiteren Ausführungen gemacht.

Auch mit der von ihm aufgeworfenen Frage, der „Beurteilung der Auswirkungen von Normen, die weder Gesetzes- noch Verordnungs-Charakter aufweisen, sondern lediglich Richtlinien oder Anhaltspunkte darstellen”, hat der Kläger die grundsätzliche Bedeutung der Sache nicht dargetan. Diese Frage ist zu allgemein, um als hinreichend konkrete abstrakte Rechtsfrage im og Sinne angesehen werden zu können. Der Kläger legt auch nicht dar, um welche „Normen” iS seiner Frage es hier überhaupt gehen soll. Soweit er in diesem Zusammenhang vorträgt, die „BK-Liste” sei „völlig unbrauchbar” und die „Stellungnahme des Bundesministeriums für Arbeit und Sozialordnung” ersetze ein korrektes Gerichtsverfahren nicht, übersieht er jedenfalls, dass es sich bei der Berufskrankheiten-Verordnung um eine Rechtsverordnung handelt (§ 9 Abs 1 Satz 1 des Siebten Buches Sozialgesetzbuch), und er legt nicht dar, inwiefern eine bloße „Stellungnahme” überhaupt eine „Norm” darstellen und welchen Inhalt diese haben soll. Der weitere Vortrag des Klägers, der sich mit der Auffassung des LSG bzw des Vorsitzenden des Senats, der die angefochtene Entscheidung getroffen hat, zum Begriff des „Berufsunfalls” und anderen Gegenständen befasst, rügt lediglich eine nach Auffassung des Klägers unzutreffende Rechtsauffassung; darauf kann eine Nichtzulassungsbeschwerde nicht in zulässiger Weise gestützt werden.

Nach § 160 Abs 2 Nr 3 SGG ist die Revision zuzulassen, wenn ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann. Auf eine Verletzung der §§ 109 (Anhörung eines bestimmten Arztes) und 128 Abs 1 Satz 1 SGG (freie richterliche Beweiswürdigung) kann der geltend gemachte Verfahrensmangel nicht und auf eine Verletzung des § 103 SGG (Aufklärung des Sachverhalts von Amts wegen) nur dann gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist (§ 160 Abs 2 Nr 3 Halbs 2 SGG).

Hierzu hat der Kläger vorgetragen, das LSG habe „überhaupt keine Beweise erhoben, sondern sich selbst zum Gutachter in Sachfragen erhoben”. Er habe „geltend gemacht, dass eine brauchbare Entscheidungsgrundlage durch folgende Beweiserhebung herbeizuführen ist: Der körperliche Zusammenbruch des Klägers im März 1999 und dessen Folgen erfüllen nach aktuellen Erkenntnissen der Praxis, Wissenschaft und Forschung die Voraussetzungen für einen Berufsunfall oder eine Berufskrankheit. Jedenfalls wurden diese Voraussetzungen zu einem späteren Zeitpunkt wie dem der Kanzleiauflösung in Hamburg erfüllt. Die amtswegig vorzunehmende Beweiserhebung war durch Einholung eines Sachverständigengutachtens vorzunehmen; als kompetenter Gutachter sollte beauftragt werden Herr Dr. med. U. … …”. Das Berufungsgericht habe sich nicht veranlasst gesehen, von Amts wegen oder auf Antrag diese oder eine ähnliche Beweiserhebung durchzuführen und habe daher „in geradezu atemberaubender Weise gegen die Verpflichtung zur amtswegigen Ermittlung und gegen die Grundsätze eines fairen Verfahrens” verstoßen. Der Verstoß gegen § 106 und § 109 SGG habe zu „einer auf bloßen Spekulationen aufgebauten Fehlentscheidung, die zu deren Aufhebung führen” müsse, geführt.

Damit hat er indes keine Verletzung der Amtsermittlungspflicht in zulässiger Form schlüssig dargelegt. Denn es mangelt bereits an der Darlegung, inwiefern sich das LSG hätte gedrängt fühlen müssen, den vom Kläger genannten Beweis zu erheben (dazu BSG SozR 1500 § 160 Nr 5). Hierzu ist die schlüssige Darlegung des Beschwerdeführers erforderlich, inwiefern nach den dem LSG vorliegenden Beweismitteln Fragen zum tatsächlichen und medizinischen Sachverhalt aus der rechtlichen Sicht des LSG erkennbar offen geblieben sind und damit zu einer weiteren Aufklärung des Sachverhalts zwingende Veranlassung bestanden hat (stRspr des Senats, s ua Beschluss vom 14. Dezember 1999 – B 2 U 311/99 B – mwN). Dies hat der Kläger versäumt. Sein Vorbringen, das Berufungsgericht habe „sich selbst zum Gutachter in Sachfragen erhoben” und seine Würdigung der Ereignisse sind hierzu nicht geeignet. Damit greift der Kläger im Kern die Beweiswürdigung durch das LSG an; darauf kann eine Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision jedoch nicht in zulässiger Weise gestützt werden (vgl § 160 Abs 2 Nr 3 Halbs 2 SGG). Von einer weiteren Begründung wird insoweit abgesehen, weil sie nicht geeignet ist, zur Klärung der Voraussetzungen der Revisionszulassung beizutragen (§ 160a Abs 4 Satz 3 Halbs 2 SGG).

Auch soweit der Kläger rügt, das LSG habe unter Missachtung der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts keinen Anlass gesehen, die Revision zuzulassen, kann dies nicht zur Zulassung der Revision führen. Denn die fehlerhafte Nichtzulassung der Revision stellt – wie auch das Unterlassen einer Entscheidung darüber – keinen Verfahrensmangel, sondern allenfalls eine sachliche Unrichtigkeit dar (vgl BSG SozR 1500 § 160 Nr 52; Kummer, Die Nichtzulassungsbeschwerde, 1990, RdNr 198).

Schließlich bezeichnet der Kläger auch mit seinem Vortrag, an der angefochtenen Entscheidung habe ein Richter mitgewirkt, der „gesetzlich ausgeschlossen, jedenfalls begründet abgelehnt” worden sei, keinen Verfahrensmangel iS des § 160 Abs 2 Nr 3 SGG. Denn er legt das Vorliegen eines Ausschließungsgrundes nicht dar und trägt auch nicht vor, inwieweit die Entscheidung des LSG über sein Ablehnungsgesuch im Revisionsverfahren überprüfbar sein soll; hierzu wird auf die obigen Ausführungen im Rahmen der Erörterung des Zulassungsgrundes der grundsätzlichen Bedeutung Bezug genommen.

Die Beschwerde war daher als unzulässig zu verwerfen (§ 160a Abs 4 Satz 2 Halbs 2 iVm § 169 SGG).

Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1176654

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