Verfahrensgang

Bayerisches LSG (Urteil vom 13.01.2022; Aktenzeichen L 14 R 348/18)

SG Regensburg (Entscheidung vom 10.05.2018; Aktenzeichen S 15 R 120/17)

 

Tenor

Der Antrag des Klägers, ihm für eine Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 13. Januar 2022 vor dem Bundessozialgericht Prozesskostenhilfe zu bewilligen, wird abgelehnt.

Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 13. Januar 2022 wird als unzulässig verworfen.

Die Beteiligten haben einander für das Beschwerdeverfahren keine Kosten zu erstatten.

 

Gründe

I

Streitig ist die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung und insbesondere die Erfüllung der versicherungsrechtlichen Voraussetzungen der Rente.

Der 1965 geborene Kläger beantragte am 16.12.2014 bei der Beklagten eine Rente wegen Erwerbsminderung. Mit Bescheid vom 11.8.2016 lehnte die Beklagte den Antrag ab. Zwar sei der Kläger jedenfalls seit Antragstellung vorübergehend voll erwerbsgemindert. Die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen seien jedoch nicht erfüllt. Im maßgeblichen Fünf-Jahres-Zeitraum lägen lediglich 23 Monate an Pflichtbeiträgen statt der erforderlichen 36 Monate vor. Die Erwerbsminderung sei auch nicht durch einen Arbeitsunfall oder innerhalb von sechs Jahren nach einer Ausbildung eingetreten. Der Widerspruch blieb erfolglos (Bescheid vom 24.1.2017).

Das SG hat weitere Ermittlungen getätigt und ein neurologisch-psychiatrisches Sachverständigengutachten eingeholt. Danach sei der Kläger noch in der Lage, auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt Tätigkeiten im Umfang von mehr als sechs Stunden arbeitstäglich zu verrichten. Mit Gerichtsbescheid vom 10.5.2018 hat das SG die Klage unter Bezugnahme auf das medizinische Sachverständigengutachten abgewiesen. Mit Urteil vom 13.1.2022 hat das LSG die Berufung des Klägers zurückgewiesen. Zwar sei der Kläger nach Überzeugung des Senats zumindest in der Zeit vom 16.12.2014 bis zum 15.1.2018 als erwerbsgemindert anzusehen. Die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen seien zum Zeitpunkt des Eintritt des Leistungsfalls jedoch nicht erfüllt. Auch die Voraussetzungen des § 53 Abs 1 Satz 1 Nr 1 SGB VI lägen nicht vor. Zwar sei erwiesen, dass der Kläger am 12.10.2011 einen Arbeitsunfall erlitten habe. Allerdings habe dieser Arbeitsunfall nicht zur verminderten Erwerbsfähigkeit geführt.

Mit Schreiben vom 3.3.2022 hat der Kläger, vertreten durch die DGB Rechtsschutz GmbH, beim BSG Beschwerde wegen der Nichtzulassung der Revision im Urteil des LSG eingelegt. Innerhalb der verlängerten Frist für die Begründung der Beschwerde hat die DGB Rechtsschutz GmbH mit Schreiben vom 2.5.2022 mitgeteilt, dass sie das Mandat niedergelegt habe. Bereits mit Schreiben vom 3.3.2022 hat der Kläger Prozesskostenhilfe (PKH) beantragt und eine Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse bei Prozess- und Verfahrenskostenhilfe eingereicht. Nach Niederlegung durch seine ehemaligen Prozessbevollmächtigten hat er mit Schreiben vom 4.5.2022 sein Begehren auf Bewilligung von PKH bekräftigt.

II

1. Der Antrag des Klägers auf Bewilligung von PKH ist abzulehnen. Es kann offenbleiben, ob im Hinblick auf die Gewerkschafts- und Verbandsmitgliedschaft des Klägers bereits die wirtschaftlichen Verhältnisse für die Bewilligung von PKH nicht erfüllt sind (vgl zu den Voraussetzungen der Unzumutbarkeit der ≪weiteren≫ Inanspruchnahme des Verbandsrechtsschutzes BSG Beschluss vom 7.1.2016 - B 13 R 260/13 B - juris RdNr 5 f). Die Bewilligung von PKH scheitert - nach Prüfung des Streitstoffs anhand der beigezogenen Gerichtsakten - jedenfalls an der fehlenden hinreichenden Aussicht auf Erfolg der beabsichtigten Rechtsverfolgung (vgl § 73a Abs 1 Satz 1 SGG iVm § 114 Abs 1 Satz 1 ZPO).

Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung iS von § 160 Abs 2 Nr 1 SGG sind nicht zu erkennen. Die Voraussetzungen, unter denen eine Rente wegen Erwerbsminderung zu gewähren ist, ergeben sich unmittelbar aus § 43 SGB VI und sind in der Rechtsprechung des BSG geklärt (vgl zuletzt BSG Urteil vom 11.12.2019 - B 13 R 7/18 R - BSGE 129, 274 = SozR 4-2600 § 43 Nr 22). Dies gilt ebenfalls für die in § 53 Abs 1 Satz 1 Nr 1 SGB VI genannten Voraussetzungen der vorzeitigen Wartezeiterfüllung und des erforderlichen Kausalzusammenhangs im Sinne der auch im Recht der gesetzlichen Rentenversicherung geltenden Theorie der wesentlichen Bedingung (siehe zur im Wesentlichen inhaltsgleichen Vorgängervorschrift des § 1252 RVO: BSG Urteil vom 18.12.1986 - 4a RJ 9/86 - SozR 2200 § 1252 Nr 6 = juris RdNr 19; BSG Urteil vom 25.2.1992 - 5 RJ 34/91 - SozR 3-2200 § 1252 Nr 2 = juris RdNr 22, 29; BSG Urteil vom 19.6.1997 - 13 RJ 81/96 - juris RdNr 24). Zudem ist nicht ersichtlich, dass das LSG einen abstrakten Rechtssatz in Abweichung von einem solchen des BSG, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts aufgestellt hat (Zulassungsgrund der Divergenz, § 160 Abs 2 Nr 2 SGG).

Ebenso fehlt es an Anhaltspunkten dafür, dass ein Verfahrensmangel vorliegen könnte, der gemäß § 160 Abs 2 Nr 3 SGG zur Zulassung der Revision führen kann. Nach Halbsatz 2 dieser Bestimmung kann der geltend gemachte Verfahrensmangel nicht auf eine Verletzung der §§ 109 und 128 Abs 1 Satz 1 SGG und auf eine Verletzung des § 103 SGG nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist. Dass ein solcher entscheidungserheblicher Verfahrensmangel aufgezeigt werden und vorliegen könnte, ist nicht ersichtlich.

Insbesondere könnte eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör (§ 62 SGG, Art 103 Abs 1 GG) nicht darauf gestützt werden, dass das LSG den auf den 13.1.2022 anberaumten Termin zur mündlichen Verhandlung nicht aufgehoben und das Verfahren wegen der anhängigen Verfassungsbeschwerde des Klägers gegen den Beschluss des BSG vom 27.10.2021 (B 2 U 43/20 B) nicht ausgesetzt hat.

Der Kläger hat ausweislich der Niederschrift an der mündlichen Verhandlung am 13.1.2022 vor dem LSG teilgenommen. Da er die Ablehnung seines Antrags dort nicht mehr gerügt und auch keinen Vertagungsantrag gestellt hat, kommt eine Verfahrensrüge insofern nach § 202 SGG iVm § 295 Abs 1 ZPO nicht mehr in Betracht (vgl BSG Beschluss vom 18.4.2000 - B 2 U 201/99 B - juris RdNr 14). Im Übrigen lag auch kein erheblicher Grund für die beantragte Terminsaufhebung iS von § 202 SGG iVm § 227 Abs 1 Satz 1 ZPO vor. Wie auch das LSG im Urteil ausgeführt hat, haben die vom Kläger als Beweismittel angegebenen Unterlagen und Zeugen, die allein die Umstände betreffen, die zu dem Arbeitsunfall geführt haben, nichts mit der Frage zu tun, ob die Erwerbsminderung des Klägers ursächlich auf den Unfall zurückzuführen ist.

Es ist auch nicht ersichtlich, dass die unterbliebene Aussetzung des Verfahrens im Hinblick auf die Verfassungsbeschwerde des Klägers gegen den Beschluss des BSG im unfallversicherungsrechtlichen Verfahren (Beschluss vom 27.10.2021 - B 2 U 43/20 B - juris) einen Verfahrensmangel begründen könnte. Zur Rüge eines Verstoßes gegen die - hier allenfalls entsprechend anwendbare - Ermessensvorschrift des § 114 SGG muss dargetan werden, dass das grundsätzlich eingeräumte Ermessen im besonderen Streitfall auf Null reduziert und das Gericht zu einer Aussetzung des Verfahrens verpflichtet war (vgl BSG Beschluss vom 8.6.2021 - B 13 R 249/20 B - juris RdNr 6; BSG Beschluss vom 18.10.2016 - B 1 KR 74/16 B - juris RdNr 5; BSG Beschluss vom 13.11.2006 - B 13 R 423/06 B - juris RdNr 7; BSG Beschluss vom 19.7.2006 - B 11a AL 7/06 B - juris RdNr 4). Damit können Ermessensfehler als solche von vornherein keine Rolle spielen. Das Ermessen kann zudem nur dann zu einer Verpflichtung zur Aussetzung reduziert sein, wenn anders eine Sachentscheidung nicht möglich ist (vgl BSG Beschluss vom 24.11.2011 - B 4 AS 177/11 B - juris RdNr 16; BVerwG Beschluss vom 17.12.1992 - 4 B 247/92 - Buchholz 310 § 94 VwGO Nr 6 = juris RdNr 4; zu möglichen Kriterien für eine Ermessensreduzierung vgl BSG Beschluss vom 1.4.1992 - 7 RAr 16/91 - SozR 3-1500 § 114 Nr 3 S 7). Das war hier nach dem rechtskräftigen Abschluss des Verfahrens um die Unfallfolgen und die Gewährung einer Verletztenrente auch unter Gesichtspunkten der Verfahrensökonomie nicht der Fall. Die Erhebung einer Verfassungsbeschwerde gegen den Beschluss des BSG vom 27.10.2021 (B 2 U 43/20 B) hat den Eintritt der Rechtskraft nicht gehindert. Im Übrigen hat das BVerfG mit (Kammer-)Beschluss vom 16.3.2022 (1 BvR 29/22) die Verfassungsbeschwerde des Klägers nicht zur Entscheidung angenommen.

Ebenso wenig kommt ein Verstoß des LSG gegen seine Pflicht zur Amtsermittlung in Betracht. Gemäß § 160 Abs 2 Nr 3 Halbsatz 2 SGG kann ein Verfahrensmangel auf eine Verletzung des § 103 SGG nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist. Will die Beschwerde demnach einen Verstoß gegen die tatrichterliche Sachaufklärungspflicht rügen (§ 103 SGG), so muss sie einen für das Revisionsgericht ohne Weiteres auffindbaren und bis zuletzt aufrechterhaltenen Beweisantrag bezeichnen, dem das LSG nicht gefolgt ist. Der Kläger hat in der mündlichen Verhandlung ausweislich der Niederschrift keinen Beweisantrag gestellt. Anhaltspunkte dafür, dass der vor dem LSG nicht vertretene Kläger seine zuvor gestellten Beweisanträge weiter verfolgen wollte, sind nicht ersichtlich. Nach der Niederschrift über die mündliche Verhandlung vom 13.1.2022 hat er nach Übergabe weiterer medizinischer Unterlagen ausschließlich einen Sachantrag gestellt. Zudem hat das LSG im Urteil - nachvollziehbar - ausgeführt, warum es weiteren Beweis in Bezug auf die Umstände des Arbeitsunfalls nicht erhoben hat.

Soweit der Kläger "fehlerbehaftete Gutachten, da kein Gehör bei Untersuchung zu der falschen Aktenlage und Anwendung ICD-10 F43.1, Satz 2 wird nicht beachtet und somit ICD-10 willkürlich ausgelegt" anführt, ist unklar, ob er sich gegen Gutachten aus dem Rentenverfahren oder nicht vielmehr gegen das Gutachten des D im Rahmen des unfallrechtlichen Verfahrens wendet, auf das sich das LSG in seinen Entscheidungsgründen gerade nicht stützt. Anhaltspunkte dafür, dass die Gutachten der Sachverständigen R und E, auf die sich das LSG maßgeblich stützt, ungenügend sind, sind für den Senat nicht ersichtlich. Liegen mehrere Gutachten vor, ist das Tatsachengericht nur dann zu weiteren Beweiserhebungen verpflichtet, wenn die vorhandenen Gutachten iS von § 118 Abs 1 Satz 1 SGG iVm § 412 Abs 1 ZPO ungenügend sind, weil sie grobe Mängel oder unlösbare Widersprüche enthalten oder von unzutreffenden sachlichen Voraussetzungen ausgehen oder Anlass zu Zweifeln an der Sachkunde des Gutachters geben (vgl BSG Beschluss vom 12.12.2003 - B 13 RJ 179/03 B - SozR 4-1500 § 160a Nr 3 RdNr 9 mwN; BSG Beschluss vom 20.2.2018 - B 10 LW 3/17 B - juris RdNr 9; BSG Beschluss vom 27.1.2021 - B 13 R 77/20 B - juris RdNr 7).

Ebenso wenig bestünde ein rügefähiger Verfahrensmangel darin, dass der Kläger der Auffassung ist, dass die "Erwerbsminderung … daher auf den Übergriffe des Geschäftsführers zurückzuführen und deshalb nicht ausgeheilt" sei, wie die "Falschauslegung der ICD-10" vermuten lasse. Der Kläger wendet sich damit im Kern gegen die - aus seiner Sicht unzutreffende - Beweiswürdigung durch das LSG, die nach § 160 Abs 2 Nr 3 Halbsatz 2 SGG der Nachprüfung im Verfahren der Nichtzulassungsbeschwerde ausdrücklich entzogen ist.

Da dem Kläger mithin PKH nicht zusteht, entfällt zugleich die Möglichkeit der Beiordnung eines Rechtsanwalts im Rahmen der PKH (§ 73a Abs 1 Satz 1 SGG iVm § 121 Abs 1 ZPO).

2. Die vom DGB Rechtsschutz im Namen des Klägers am 3.3.2022 fristgerecht beim BSG eingegangene Beschwerde ist mangels Begründung unzulässig und ohne Zuziehung der ehrenamtlichen Richter durch Beschluss zu verwerfen (§ 160a Abs 4 Satz 1 Halbsatz 2, § 169 SGG). Nachdem die Beschwerdebegründungsfrist bis zum 4.5.2022 verlängert worden ist (§ 160a Abs 2 Satz 2 SGG), hat die DGB Rechtsschutz GmbH mit einem am 4.5.2022 beim BSG eingegangenen Schriftsatz mitgeteilt, das Mandat niedergelegt zu haben. Eine Beschwerdebegründung ist innerhalb der verlängerten Frist auch nicht durch andere vertretungsbefugte Prozessbevollmächtigte erfolgt (§ 160a Abs 2 Satz 1 und 2, § 73 Abs 4 SGG).

3. Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.

Düring                             Hannes                                Gasser

 

Fundstellen

Dokument-Index HI15291959

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