Tenor
1.) Für die Beurteilung, ob ein Versicherter berufsunfähig im Sinne des § 1246 Abs. 2 RVO ist, ist es erheblich, daß Arbeitsplätze, auf denen tätig zu sein ihm zuzumuten ist und die er mit der ihm verbliebenen Leistungsfähigkeit noch ausfüllen kann, seien sie frei oder besetzt, vorhanden sind.
2.) Es ist auch erheblich, in welcher Zahl solche Arbeitsplätze vorhanden sind.
3.) Der Versicherte darf auf Tätigkeiten nur verwiesen werden, wenn ihm für diese Tätigkeiten der Arbeitsmarkt praktisch nicht verschlossen ist.
4.) Dem Versicherten ist der Arbeitsmarkt praktisch verschlossen, wenn das Verhältnis der im Verweisungsgebiet vorhandenen, für den Versicherten in Betracht kommenden Teilzeitarbeitsplätze zur Zahl der Interessenten für solche Beschäftigungen ungünstiger ist als 75:100.
5.) Ein Versicherter muß sich grundsätzlich auf das Arbeitsfeld des gesamten Bundesgebietes verweisen lassen. Kann der Versicherte jedoch nur noch weniger als halbschichtig tätig sein, so darf er in der Regel nur auf solche Tätigkeiten verwiesen werden, für die Arbeitsplätze an seinem Wohnort oder in dessen näherer täglich zu erreichender Umgebung vorhanden sind.
6.) Es ist nicht allgemein zulässig, kann aber im Einzelfall vertretbar sein, die Ermittlungen über das Vorhandensein von Teilzeitarbeitsplätzen auf Anfragen an die Arbeitsverwaltung zu beschränken.
Tatbestand
A
Der 1900 geborene Kläger des beim 12. Senat des Bundessozialgerichts (BSG) schwebenden Ausgangsverfahrens hat keinen Beruf erlernt, war als Landarbeiter, Steinschläger, Krankenpfleger, Pferdepfleger, Transportarbeiter, Maschinenbauer, Bauarbeiter und zuletzt als Wachpolizist tätig und übt seit dem 15. Februar 1962 keine Beschäftigung mehr aus.
Er beantragte im Juni 1962, ihm Rente wegen Erwerbsunfähigkeit nach § 1247 der Reichsversicherungsordnung (RVO) zu gewähren. Die Beklagte lehnte diesen Antrag durch Bescheid vom 22. Oktober 1962 mit der Begründung ab, der Kläger sei weder erwerbs- noch berufsunfähig. Gegen diesen Bescheid richtet sich die Klage. Im Laufe des sozialgerichtlichen Verfahrens hat der Kläger seine Klage auf die Verurteilung der Beklagten zur Gewährung der Rente wegen Berufsunfähigkeit (BU) nach § 1246 RVO beschränkt. Das Sozialgericht (SG) hat die Beklagte durch Urteil vom 30. Oktober 1963 verurteilt, dem Kläger Rente wegen BU für die Zeit vom 1. Juni 1962 an zu gewähren. Gegen dieses Urteil hat die Beklagte Berufung eingelegt. Das Landessozialgericht (LSG) hat durch Urteil vom 6. März 1964 die Berufung der Beklagten gegen dieses Urteil zurückgewiesen; es hat die Revision zugelassen.
Das LSG hat festgestellt, daß der Kläger auf Grund seines Gesundheitszustandes nur noch leichte körperliche Arbeiten halbschichtig, vorwiegend im Sitzen in geschlossenen Räumen, verrichten kann. Es ist der Auffassung, daß als bisheriger Beruf des Klägers im Sinne des § 1246 Abs. 2 RVO der eines ungelernten Arbeiters anzusehen sei, so daß er auf die Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsfeldes verwiesen werden könne, soweit sie dem freien Wettbewerb zugänglich seien. Für männliche Versicherte, die nur noch, wie der Kläger, halbtags unter bestimmten Bedingungen arbeiten können, seien derartige Arbeitsplätze in Berlin nicht gegeben.
Gegen dieses Urteil hat die Beklagte Revision eingelegt. Der Kläger hält diese nicht für begründet.
Der 12. Senat hat dem Großen Senat nach § 43 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) folgende Rechtsfragen zur Entscheidung vorgelegt;
1) Ist es dafür, ob ein Versicherter berufsunfähig im Sinne des § 1246 Abs. 2 RVO ist, erheblich, ob Arbeitsplätze (Arbeitsgelegenheiten), auf denen tätig zu sein ihm zuzumuten ist und die er mit seiner ihm verbliebenen Leistungsfähigkeit noch ausfüllen kann, seien sie frei oder besetzt, vorhanden sind?
2) Im Fall der Bejahung der Frage zu 1):
Ist es erheblich, in welcher Zahl solche Arbeitsgelegenheiten vorhanden sind?
3) Im Falle der Bejahung der Frage zu 2);
Darf der Versicherte auf solche Arbeitsgelegenheiten nur dann verwiesen werden, wenn sie in (zumindest) nennenswerter oder mehr als nur bedeutungsloser oder nicht ganz unerheblicher oder ausreichender oder genügender oder praktisch ins Gewicht fallender Zahl vorhanden sind?
4) Im Falle der Bejahung der Frage zu 3):
Nach welchen Grundsätzen oder Maßstäben ist die erforderliche Zahl näher zu bestimmen?
5) Im Falle der Bejahung der Fragen zu 1), 2) und 3):
Müssen die Arbeitsgelegenheiten am Wohnort des Versicherten bzw. in dessen näherer täglich zu erreichender Umgebung vorhanden sein?
6) Ist es zulässig, die Ermittlungen über das Vorhandensein von Arbeitsgelegenheiten auf Anfragen an die Arbeitsverwaltung zu beschränken?
Entscheidungsgründe
B
Der Große Senat hatte vorab von Amts wegen zu prüfen, ob die Zusammensetzung der Richterbank den Vorschriften des Gesetzes entspricht.
Die Besetzung des Großen Senats richtet sich nach dem Grund der Anrufung. Während bei einer Anrufung zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung (§ 43 SGG) lediglich der anrufende Senat die sich aus § 41 Abs. 1 SGG ergebende Besetzung des Großen Senats- Präsident, sechs weitere Berufsrichter und vier ehrenamtliche Richter – um ein berufsrichterliches Mitglied verstärkt, tritt bei einer Divergenz-Anrufung nach § 42 SGG außerdem noch ein Mitglied desjenigen Senats hinzu, von dessen Entscheidung der vorlegende Senat abweichen will (§ 41 Abs. 5 Satz 2 SGG). Soll von Entscheidungen mehrerer Senate abgewichen werden, so sind alle diese Senate beteiligt (BSG 29, 225, 227). Im vorliegenden Falle hat der anrufende 12. Senat sich ausdrücklich auf § 43 SGG als Anrufungsgrund gestützt. Dies enthebt den Großen Senat jedoch nicht der Prüfung, ob sich die Vorlage ihrem Inhalt nach nicht doch als Divergenz-Anrufung nach § 42 SGG mit den angeführten Auswirkungen auf die Zusammensetzung des Großen Senats darstellt. Eine besondere Veranlassung zu dieser Prüfung besteht deshalb, weil in dem Vorlagebeschluß die zur Entscheidung vorgelegten Rechtsfragen nicht lediglich aufgeworfen und nach dem gegenwärtigen Stand der Rechtsprechung und dem Schrifttum besprochen werden, sondern erkennbar Kritik geübt wird an der bisherigen Rechtsprechung des BSG, daß es für die Frage der Berufsunfähigkeit eines Versicherten darauf ankomme, ob es der ihm verbliebenen Leistungsfähigkeit angepaßte Arbeitsplätze, seien sie frei oder besetzt, in zumindest nennenswerter – oder ähnlich umschriebener – Zahl gibt (so z. B. BSG 13, 255; 8, 31; 16, 18; 18, 36). Gleichwohl sieht der Große Senat in dem Vorlagebeschluß keine Entscheidung des Inhalts, daß der 12. Senat, was Voraussetzung für eine Anrufung nach § 42 SGG wäre, entschlossen gewesen sei, von der bisherigen Rechtsprechung des BSG abzuweichen. Die Begründung des Beschlusses, die allein auf einen anderen als den in seinem Eingang bezeichneten Anrufungsgrund des § 43 SGG hindeuten könnte, gibt nicht eine im Wege der Abstimmung ermittelte Rechtsauffassung der drei Berufsrichter und der beiden ehrenamtlichen Richter des erkennenden Senats wieder, d. h. der Richterbank, welche in der vorliegenden Streitsache die Anrufung des Großen Senats beschlossen hat (§§ 40, 33 SGG), sondern stellt nur die – in sich nicht übereinstimmende – Meinung der vier durch die Geschäftsverteilung dem 12. Senat zugeteilten Berufsrichter zusammen. Diese aber ist in diesem Zusammenhang ohne Bedeutung. Einen hinreichenden Anhalt dafür, daß der 12. Senat in der die Vorlage beschließenden Besetzung ein Abweichen von der bisherigen Rechtsprechung des BSG gewollt … und demgemäß den Anrufungsgrund des § 42 an Stelle des § 43 SGG gemeint hätte, hat der Große Senat in dem Vorlagebeschluß nicht gesehen. Seine Besetzung unter Zuziehung des Präsidenten des erkennenden Senats, aber ohne zusätzliche Berücksichtigung der anderen Senate, die an der bisherigen Rechtsprechung des BSG beteiligt sind, entspricht demnach dem Gesetz (§ 41 Abs. 5 SGG).
Der Große Senat hat auch die Zulässigkeit der Vorlage bejaht. Der in dieser Vorschrift eröffnete Weg zur Anrufung des Großen Senats war dem 12. Senat nicht deshalb versperrt, weil er verpflichtet gewesen wäre, nach § 42 SGG vorzugehen. Zwar wird man annehmen dürfen, daß die Anrufung nach § 42 grundsätzlich derjenigen nach § 43 SGG vorgeht (so BFH 92, 188 [192] zum Verhältnis der Absätze 3 und 4 des § 11 der Finanzgerichtsordnung), im vorliegenden Falle waren jedoch für den erkennenden Senat die Voraussetzungen für eine Anrufung des Großen Senats nach § 42 SGG nicht gegeben, weil jener Senat sich zur Abweichung von der bisherigen Rechtsprechung der anderen Rentenversicherungssenate – noch – nicht entschlossen hatte. Dem im Gesetz geregelten Fall, daß ein Senat von der Rechtsprechung eines anderen Senats abweichen will, ist der Fall, daß ein Senat bloße Zweifel an einer bestehenden Rechtsprechung hat, nicht gleich zu erachten; das Gesetz bietet hierfür keine Stütze. Wollte man in einem Falle der angeführten Art einen Senat zwingen, für oder gegen die bestehende Rechtsprechung Stellung zu beziehen, so würde manche – an sich erwünschte – Anrufung nach § 43 SGG verhindert werden; denn für eine Anrufung nach § 43 SGG findet sich erfahrungsgemäß eher eine Mehrheit als für ein Nein gegenüber einer bestehenden Rechtsprechung. Abgesehen davon bietet der Weg des § 43 SGG bessere Möglichkeiten, dem Großen Senat nicht nur Einzelfragen, in denen eine Divergenz hervortritt, sondern ganze Fragenkomplexe zur Beurteilung vorzulegen. Gerade diese Überlegung kann im vorliegenden Falle im Hinblick auf die Vielschichtigkeit des Begriffs der Berufsunfähigkeit bei der Beschlußfassung des 12. Senats im Vordergrund gestanden haben. Die hier vertretene Auffassung, daß bloße Zweifel an der Richtigkeit einer bestehenden Rechtsprechung den Weg des § 43 SGG offen lassen, wird noch gestützt durch die bereits angeführte Entscheidung des BFH (aaO S. 192). Danach soll eine Anrufung des Großen Senats zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung auch dann, wenn die Voraussetzungen der Divergenz-Anrufung gegeben sind, z. B. eine Divergenz objektiv vorliegt, nicht ohne weiteres unzulässig sein, vielmehr nur, wenn sie auf Willkür oder sachfremden Erwägungen beruht.
Die in § 43 SGG geforderten Anrufungsvoraussetzungen sind erfüllt. Die zur Entscheidung vorgelegten Rechtsfragen sind von so weittragender Bedeutung für das gesamte Gebiet der Rentenversicherung und darüber hinaus, daß die vom Gesetz geforderte Grundsätzlichkeit außer Zweifel steht. Deshalb kann unentschieden bleiben, ob allein der erkennende Senat die Anrufungsvoraussetzung der Grundsätzlichkeit zu beurteilen oder der Große Senat insoweit ein Prüfungsrecht hat. Die weitere Zulässigkeitsvoraussetzung, daß nach der Auffassung des erkennenden Senats die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung die Anrufung erfordert, hat der 12. Senat in bezug auf beide Alternativen bejaht. Hieran ist der Große Senat gebunden (BSG 14, 246 [247]). In eigener Zuständigkeit hat der Große Senat die Entscheidungserheblichkeit der vorgelegten Fragen in bezug auf die Rechtsfindung in dem Ausgangsverfahren des 12. Senats bejaht.
C
Die Entscheidung des Großen Senats über die vorgelegten Fragen beruht auf folgenden Gründen:
I
Das Kernstück der Vorlage ist für die Annahme von Berufs- Unfähigkeit die Frage nach der rechtlichen Bedeutung des Vorhandenseins von Arbeitsplätzen, die ein in seiner Leistungsfähigkeit beschränkter Versicherter noch ausfüllen kann (Frage 1).
Bei der Beantwortung dieser Frage ist der Große Senat vom Wortlaut der in § 1246 Abs. 2 Sätze 1 und 2 RVO niedergelegten gesetzlichen Regelung ausgegangen (wörtlich übereinstimmend § 23 Abs. 2 Sätze 1 und 2 des Angestelltenversicherungsgesetzes – AVG – und § 46 Abs. 2 Sätze 1 und 2 des Reichsknappschaftsgesetzes – RKG –). Nach Satz 1 dieser Vorschrift ist ein Versicherter berufsunfähig, wenn er infolge von Krankheit oder anderen Gebrechen oder Schwäche seiner körperlichen oder geistigen Kräfte auf weniger als die Hälfte derjenigen eines körperlich und geistig gesunden Versicherten mit ähnlicher Ausbildung und gleichwertigen Kenntnissen und Fähigkeiten herabgesunken ist. Der Kreis der Tätigkeiten, nach denen die Erwerbsfähigkeit eines Versicherten zu beurteilen ist, umfaßt nach Satz 2 dieser Vorschrift alle Tätigkeiten, die seinen Kräften und Fähigkeiten entsprechen und ihm unter Berücksichtigung der Dauer und des Umfangs seiner Ausbildung sowie seines bisherigen Berufs und der besonderen Anforderungen seiner bisherigen Berufstätigkeit zugemutet werden können.
Nach Satz 1 dieser Vorschrift kommt es darauf an, ob die „Erwerbsfähigkeit” des Versicherten infolge Krankheit oder anderer Gebrechen oder Schwäche seiner körperlichen oder geistigen Kräfte (also aus gesundheitlichen Gründen) in einem bestimmten Umfang herabgesunken, d. h. „gemindert” ist. Die Rente wegen Berufsunfähigkeit wird also wegen einer „Minderung der Erwerbsfähigkeit” (MdE) des Versicherten gewährt. „Erwerbsfähigkeit” ist, wie aus der Wortfassung hervorgeht, die Fähigkeit, etwas zu erwerben. Gemeint ist der Erwerb durch Ausübung einer Tätigkeit. Denn aus Satz 2 ist zu entnehmen, daß es auf die Fähigkeit zur Ausübung einer „Tätigkeit” – d. h. einer „Erwerbstätigkeit” – ankommt, weil die Erwerbsfähigkeit an der Fähigkeit zur Ausübung bestimmter „Tätigkeiten” gemessen wird. Da den in der gesetzlichen Rentenversicherung versicherten Beschäftigten in aller Regel nur das durch die Ausübung einer Erwerbstätigkeit erworbene Entgelt zur Bestreitung ihres Lebensunterhalts zur Verfügung steht, kann auch nicht zweifelhaft sein, daß nur eine Erwerbstätigkeit gemeint sein kann, durch deren Ausübung dem Lebensunterhalt dienendes Entgelt erworben wird.
Der Zweck der Berufsunfähigkeitsrente nach § 1246 RVO ist, wie auch bei allen sonstigen heutigen und früheren Versichertenrenten, die nicht von einem bestimmten Lebensalter abhängen, den durch eine Erwerbsminderung eintretenden Lohnausfall – in gewissen Grenzen – zu ersetzen, um den Lebensunterhalt des Versicherten und seiner Familie weiterhin sicherzustellen.
Dies ist in der gesetzlichen Rentenversicherung von ihrem Anfang an stets Rechtens gewesen, wenn auch der Wortlaut der Vorschriften zum Teil voneinander abweicht.
Nach § 9 des Gesetzes betreffend die Invaliditäts- und Alterssicherung vom 22. Juni 1889 (RGBl 1889, 97 [100 f] erhielt der Versicherte Invalidenrente, der dauernd „erwerbsunfähig” war. Erwerbsunfähigkeit lag dann vor, wenn der Versicherte aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr imstande war, durch eine … Lohnarbeit mindestens einen Betrag zu verdienen, welcher der Summe eines Sechstels des Durchschnitts der Lohnsätze gleichkommt, nach welchen für ihn … Beiträge entrichtet worden sind ….
In dieser Fassung war auf die Minderung der Erwerbsfähigkeit abgestellt, und zwar in dem Sinne, daß es darauf ankam, ob der Versicherte noch fähig war, durch Verrichtung von zumutbaren Tätigkeiten einen bestimmten Lohn zu verdienen. Nach § 15 Abs. 1 des Invalidenversicherungsgesetzes vom 13. Juli 1899 (RGBl 1899, 463 [470]) war Gegenstand der Invalidenversicherung u. a. der Anspruch auf Gewährung einer Rente für den Fall der „Erwerbsunfähigkeit” …. Nach § 15 Abs. 2 aaO erhielt Invalidenrente der Versicherte, der im Sinne des § 5 Abs. 4 aaO dauernd „erwerbsunfähig” war. Nach dieser letzteren Vorschrift war der Versicherte erwerbsunfähig, dessen Erwerbsfähigkeit aus gesundheitlichen Gründen … auf weniger als ein Drittel herabgesetzt war. Dies war dann der Fall, wenn der Versicherte nicht mehr imstande war, durch eine zumutbare Tätigkeit … ein Drittel desjenigen zu erwerben, was gesunde Personen … durch Arbeit zu verdienen pflegen. Auch in dieser Vorschrift kam es auf die Minderung der Erwerbsfähigkeit an, d. h. darauf, ob der Versicherte fähig war, durch Verrichtung einer zumutbaren Tätigkeit Entgelt zu erwerben. Nach § 1255 RVO vom 19. Juli 1911 (RGBl 1911, 509 ff, [743]) erhielt der Versicherte Invalidenrente, der aus gesundheitlichen Gründen „invalide” war. Als „invalide” galt ein Versicherter, der nicht mehr in der Lage war, durch eine zumutbare Tätigkeit ein Drittel dessen zu erwerben, was vergleichbare gesunde Personen durch Arbeit zu verdienen pflegten. Während es die vorhergehenden Vorschriften ausdrücklich auf die Minderung der Erwerbsfähigkeit abgestellt haben und diese dann angenommen wurde, wenn der Versicherte nicht mehr in der Lage war, ein bestimmtes Entgelt zu verdienen, fehlte in § 1255 RVO der Hinweis auf die Minderung der Erwerbsfähigkeit; es war nur auf die Fähigkeit, ein bestimmtes Entgelt zu erwerben, abgestellt. Der Sache nach aber lag insofern keine Abweichung gegenüber den vorhergehenden Vorschriften vor, als die Minderung der Fähigkeit, ein bestimmtes Entgelt erwerben zu können, eben eine Minderung der Erwerbsfähigkeit darstellt.
Die Neufassung der RVO durch die Bekanntmachung vom 15. Dezember 1924 (RGBl I 779 ff) erbrachte keine Änderung dieser Vorschriften.
Nach § 1254 RVO idF der Verordnung (VO) vom 17. Mai 1934 (RGBl I 419 ff [420]) galt als „invalide” der Versicherte, der aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr imstande war, durch Ausübung einer zumutbaren Tätigkeit ein Drittel dessen zu erwerben, was vergleichbare Personen zu verdienen pflegten. Auch durch diese Vorschrift änderte sich der Sache nach, soweit es um die Grundsatzfrage geht, aus welchem Grunde die Rente gewährt wird, nichts.
Durch das Sozialversicherungsanpassungsgesetz vom 17. Juni 1949 (WiG Bl. 1949, 99 ff) wurden lediglich die Worte „ein Drittel” durch die Worte „die Hälfte” ersetzt. Eine grundsätzliche Änderung enthielt diese Vorschrift also nicht.
Ein Blick auf die beiden anderen Rentenversicherungszweige rundet dieses Bild ab.
In der Angestelltenversicherung erhielt nach § 25 des Versicherungsgesetzes für Angestellte vom 20. Dezember 1911 (RGBl I 989 ff [994]) – u. a. – Ruhegeld der Versicherte, der aus gesundheitlichen Gründen „zur Ausübung seines Berufs” dauernd unfähig war. Berufsunfähigkeit lag dann vor, wenn die „Arbeitsfähigkeit” des Versicherten auf weniger als die Hälfte derjenigen eines gesunden vergleichbaren Versicherten herabgesunken war. Der Umstand, daß hier von Berufs- Unfähigkeit und nicht von Invalidität gesprochen wurde, daß auf das Absinken der Arbeitsfähigkeit und nicht auf das der Erwerbsfähigkeit abgestellt war, daß nicht die Fähigkeit, noch andere Berufe ausüben zu können, erwähnt war, und daß nicht ausdrücklich die Fähigkeit, Entgelt erwerben zu können, genannt war, bedeutete keine Abweichung von den hier allein interessierenden Grundsätzen des Invaliditätsbegriffs. Auch nach dieser Vorschrift kam es letztlich darauf an, ob die Erwerbsfähigkeit gemindert war. Dies wurde angenommen, wenn der Versicherte nicht mehr in der Lage war, seinen bisherigen Beruf und andere Berufe innerhalb seiner Berufsgruppe zu verrichten, mit denen er Entgelt erwerben konnte. Insbesondere bedeutete in diesem Zusammenhang die Arbeitsfähigkeit nichts anderes als die Erwerbsfähigkeit. Die Minderung der Arbeitsfähigkeit war untrennbar verbunden mit der Minderung der Fähigkeit, Entgelt zu erwerben.
Durch die Neufassung des AVG vom 28. Mai 1924 (RGBl I 563) erfolgte lediglich eine Änderung der Paragraphenfolge (nunmehr § 30), ohne daß damit eine inhaltliche Änderung verbunden gewesen wäre.
Durch die VO vom 17. Mai 1934 (RGBl I 419 ff) trat eine Änderung der Paragraphenfolge (nunmehr § 27) und eine Neufassung des Berufsunfähigkeitsbegriffs ein. Dadurch wurden jedoch die hier maßgebenden Grundsätze nicht berührt.
In der knappschaftlichen Rentenversicherung kommen für einen Vergleich nur die Regelungen der Invalidenpension in Betracht, die später den Namen Knappschaftsrente und seit dem 1. Januar 1957 die Bezeichnung Bergmannsrente führt. Die übrigen knappschaftlichen Renten entsprachen nämlich in ihren Grundsätzen den jeweiligen gleichartigen Renten der Invalidenversicherung (JV) und Angestelltenversicherung (AV) und bedürfen daher hier keiner besonderen Untersuchung. Die Invalidenpension wurde gewährt, wenn der Versicherte berufsunfähig war. Eine gesetzliche Regelung dieses Berufsunfähigkeitsbegriffs erfolgte allerdings erst später, und zwar erstmalig durch § 35 RKG idF der VO vom 17. Mai 1934 (RGBl I 419 ff [438]). Nach dieser Vorschrift war berufsunfähig der Versicherte, der aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr in der Lage war, seinen bisherigen Beruf oder einen im wesentlichen gleichwertigen und gleichartigen Beruf auszuüben. Auch diese Formulierung bedeutet in ihrem Kern nichts anderes. BU wurde angenommen, wenn die Erwerbsfähigkeit, das ist die Fähigkeit, durch Ausübung einer Tätigkeit Entgelt zu erwerben, gemindert ist.
Durch die VO über die Neuordnung der Rentenversicherung im Bergbau vom 4” Oktober 1942 (RGBl I 569 ff) wurde zwar an die Stelle der Invalidenpension die Knappschaftsrente gesetzt, doch blieb § 35 RKG für die Frage, was BU ist, weiterhin in Geltung.
Seit dem 1. Januar 1957 ist durch das Knappschaftsversicherungs-Neuregelungsgesetz (KnVNG) an die Stelle der Knappschaftsrente die Bergmannsrente getreten. An sie werden, von hier nicht interessierenden Abweichungen abgesehen, im wesentlichen dieselben Voraussetzungen geknüpft wie an die frühere Invalidenpension und an die frühere Knappschaftsrente, so daß sich auch an den hier maßgebenden Grundsätzen nichts geändert hat.
Wenn auch diese gesetzlichen Formulierungen zum Teil voneinander abweichen, so steht doch fest, daß in Vergangenheit und Gegenwart in allen Versicherungszweigen der gesetzlichen Rentenversicherung die nicht von einem bestimmten Lebensalter abhängigen Versichertenrenten wegen Minderung der Erwerbsfähigkeit, d. h. der Minderung der Fähigkeit, durch Ausübung einer Erwerbstätigkeit dem Lebensunterhalt dienendes Entgelt zu verdienen, gewährt wurden bzw. werden, und daß die Versichertenrenten, die nicht von einem bestimmten Lebensalter abhängen, den Zweck haben, den durch Erwerbsminderung entstehenden Lohnverlust – in gewissen Grenzen – zu ersetzen, um den Unterhalt des Versicherten und seiner Familie weiterhin sicherzustellen.
Auch die Materialien zur Rentenreform von 1957 lassen sich als Stütze hierfür anführen. Aus der Begründung des mit der BT-Drucksache 2437 von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Rentenversicherungsgesetzes ist zu § 1252 ausgeführt, daß die Änderung der Rentenformel der Vereinheitlichung der Voraussetzungen der entsprechenden Versicherungsfälle in der Arbeiterrenten- und Angestelltenversicherung dienen soll. Hieraus ergibt sich also, daß hinsichtlich der sonstigen Grundsätze gegenüber dem bisherigen Rechtszustand keine Änderungen gewollt waren. Zu § 1258 ist gesagt, es sei sozialpolitisch nicht vertretbar, diejenigen Invaliden, die noch in der Lage seien, Mittel für ihren Lebensunterhalt zu verdienen, den erwerbsunfähigen Invaliden, deren Existenz im Regelfall ausschließlich auf ihrer Rente beruhe, gleichzustellen. Hierin liegt letztlich eine Bestätigung dafür, daß die Möglichkeit „Mittel für den Lebensunterhalt zu verdienen” sichergestellt werden sollte. Im allgemeinen Teil der Begründung (A) ist zu 1) ausdrücklich darauf hingewiesen, daß die Rente Lohnersatzfunktion hat (S. 58).
Der schriftliche Bericht des Ausschusses für Sozialpolitik (28. Ausschuß) – BT-Drucksache 3080 –, der die Versicherungsfälle der Berufsunfähigkeit und der Erwerbsunfähigkeit in der zum Gesetz gewordenen Fassung geregelt hat, enthält nichts, was gegen die Beibehaltung der hier maßgebenden Grundsätze spräche. Der Umstand, daß nach den Rentenreformgesetzen die Rentenhöhe laufend der Lohnentwicklung folgt, bestätigt die Lohnersatzfunktion dieser Renten.
Zu der Frage, ob es bei der Beurteilung der BU auch darauf ankommt, daß es für die dem Versicherten zumutbaren Tätigkeiten, die er nach seinem Gesundheitszustand und nach seinen beruflichen Fähigkeiten verrichten kann, Arbeitsplätze gibt, hat bereits das Reichsversicherungsamt (RVA), ihm folgend das Bayerische Landesversicherungsamt und das BSG, eine feste Rechtsprechung entwickelt.
Das RVA hat in einigen Revisionsentscheidungen (AN 1893 S. 95; AN 1898 S. 390; AN 1901 S. 431; AN 1906 S. 277) ausgeführt, der Grundsatz, daß es nicht darauf ankomme, ob für eine Tätigkeit Arbeitsplätze vorhanden seien, finde keine Anwendung, wenn ein die Arbeitsleistung nicht ausschließendes Leiden vorliege, dieses aber aus besonderen Gründen den Versicherten vom Arbeitsmarkt ausschließe. Während es sich bei diesen Fällen darum handelt, daß an sich vorhandene Arbeitsplätze aus subjektiven Gründen nicht besetzt werden können, hat sich das RVA in späteren Entscheidungen auch mit der Frage befaßt, welche Bedeutung es hat, daß der Arbeitsmarkt praktisch dem Versicherten deshalb verschlossen ist, weil die Zahl der überhaupt vorhandenen Arbeitsplätze für eine Tätigkeit gering ist (AN 1907 S. 465; 1909 S. 502; 1921 S. 334; 1931, IV 77). Das RVA hat in diesen Revisionsentscheidungen den Standpunkt vertreten, es komme darauf an, ob „der Arbeitsmarkt die Gelegenheit zu solchen Tätigkeiten in einem ihre Berücksichtigung rechtfertigenden, also nicht ganz unerheblichem Maße” biete; in anderen Fällen sei eben kein dem Wettbewerb offenes Arbeitsfeld vorhanden. Arbeitsplätze müßten tatsächlich in einem solchen Umfang vorhanden sein, daß, noch von einem freien Arbeitsmarkt gesprochen werden könne, wobei es gleichgültig sei, ob diese Stellen frei oder besetzt sind. Das Bayerische Landesversicherungsamt hat sich in seinem Urteil vom 23. Februar 1951 (Breithaupt 40, 941) dieser Auffassung angeschlossen. Nach seiner Ansicht kommt es darauf an, ob der Versicherte aus dem allgemeinen Kreis zumutbarer Tätigkeiten mit anderen vergleichbaren gesunden Arbeitskräften so in Wettbewerb treten kann, daß er durch Ausübung regelmäßiger Tätigkeiten einen der gesetzlichen Lohngrenze entsprechenden Verdienst erwerben kann. Das BSG hat diese Rechtsprechung fortgesetzt. Es hat entschieden, daß der Versicherte nur auf Tätigkeiten verwiesen werden kann, die dem Wettbewerb praktisch noch offen stehen bzw. für die es Arbeitsplätze in nennenswerter oder nicht ganz bedeutungsloser Zahl, gleichgültig ob frei oder besetzt, gibt (BSG 1, 82 (91); 5, 84 (86); 8, 31 (35); 16, 18 (21); 18, 36 (40/41); 19, 147 (150/151); SozR RVO Nr. 50 und 59 zu § 1246).
Dem Gesetzgeber der Rentenreform von 1957 war sowohl die aufgezeigte Gesetzesentwicklung als auch die von der Praxis allgemein anerkannte jahrzehntelange Rechtsprechung dieser Gerichte bekannt. Hätte er in Abkehr von dieser Rechtsprechung den Versicherungsfall der Berufsunfähigkeit abstrakt, d. h. ohne Rücksicht auf das Vorhandensein eines der Gesundheit des Rentenbewerbers entsprechenden Arbeitsplatzes, beurteilt wissen wollen, so hätte er dies im Gesetz klargestellt. Der Umstand, daß er dies nicht getan hat, spricht für die Absicht, es insoweit bei der bisherigen Rechtslage zu belassen.
Es besteht daher kein Anlaß, von der bisherigen gefestigten Rechtsauffassung abzugehen, zumal sie dem Sinn und Zweck der Versichertenrenten aus der gesetzlichen Rentenversicherung, die nicht vom Lebensalter abhängen, entspricht und sie allein den sozialen Bedürfnissen gerecht wird. Wie schon bisher in der Rechtsprechung nicht außer acht gelassen worden ist, fällt das Risiko der Arbeitslosigkeit zwar der Arbeitslosenversicherung und nicht der Rentenversicherung zu, so daß es in der Rentenversicherung grundsätzlich nicht darauf ankommt, ob es freie Arbeitsplätze für eine Tätigkeit gibt, oder ob der Versicherte einen freien Arbeitsplatz findet. Denn in allen früheren und heutigen Gesetzesfassungen für Versichertenrenten, die nicht von einem Lebensalter abhängen, ist auf die Fähigkeit des Erwerbs von Entgelt durch Ausübung einer Tätigkeit, nicht aber darauf abgestellt, ob Entgelt durch Eingliederung in den Arbeitsprozeß tatsächlich erworben wird, ob also eine Tätigkeit tatsächlich ausgeübt wird. Der Versicherte, der gesundheitlich noch fähig ist, entsprechende Tätigkeiten zu verrichten, war bzw. ist also grundsätzlich auch dann nicht invalide bzw. berufsunfähig, wenn er keinen Arbeitsplatz findet, ja selbst dann nicht, wenn es überhaupt keinen freien Arbeitsplatz gibt, weil alle Arbeitsplätze für diese Tätigkeiten z.Zt. besetzt sind. Doch ist, wie auch bisher schon in der Rechtsprechung angenommen wurde, dann, wenn die Zahl der für einen gesundheitlich nur beschränkt erwerbsfähigen Versicherten in Betracht kommenden Arbeitsplätze, seien sie frei oder besetzt, so gering ist, daß der Arbeitsmarkt dem Versicherten praktisch auf die Dauer verschlossen ist, nicht (nur) ein der Arbeitslosenversicherung zur Last fallendes Risiko des Fehlens von offenen Arbeitsplätzen gegeben, sondern dann fehlt es an der „Fähigkeit” des Versicherten, durch Ausübung einer Erwerbstätigkeit dem Unterhalt dienendes Entgelt zu erwerben, also an der „Erwerbsfähigkeit”. Denn wem ein dem Wettbewerb offener Arbeitsmarkt nicht zur Verfügung steht, ist praktisch nicht fähig, ein dem Lebensunterhalt dienendes Entgelt durch Ausübung einer Erwerbstätigkeit zu verdienen; das entfallene Entgelt ist durch die Berufsunfähigkeitsrente – in gewissen Grenzen – zu ersetzen. Dieses Entfallen der Erwerbsfähigkeit gehört aber zum Risiko der Rentenversicherung und nicht der Arbeitslosenversicherung.
Neben die bereits durch die Rechtsprechung entschiedenen Fälle, in welchen der Arbeitsmarkt dem Versicherten praktisch verschlossen ist, treten die Fälle der Teilzeitarbeit, mit denen sich das RVA nie zu befassen brauchte. Das sind einmal diejenigen Fälle, in welchen das Verhältnis der Zahl der auf einen Teilzeitarbeitsmarkt angewiesenen Personen zur Zahl der entsprechenden Arbeitsplätze so ungünstig ist, daß es mehr oder weniger vom Zufall abhängt, ob der Versicherte einen Arbeitsplatz findet. Zum anderen handelt es sich um diejenigen Fälle, in welchen die Zahl der auf einen Teilzeitarbeitsmarkt angewiesenen Personen und die Zahl der entsprechenden Arbeitsplätze nicht mit genügender Sicherheit festgestellt werden können. In diesen Fällen muß man annehmen, daß nicht nur die Arbeitsverwaltung als die für die Beobachtung des Arbeitsmarktes und die Arbeitsvermittlung gesetzlich zuständige Stelle, sondern auch der Versicherte, dem gesetzlich die Arbeitsvermittlung des Arbeitsamtes zur Verfügung steht, keinen hinreichenden Überblick über die vorhandenen Arbeitsplätze haben. Wenn sich der Versicherte auch selbst um einen offenen Arbeitsplatz bemühen muß, so kann man bei ihm doch keine größere Kenntnis des Arbeitsmarktes unterstellen, als sie die Arbeitsverwaltung hat.
Auch in diesen Fällen hängt es also mehr oder weniger vom Zufall ab, ob der Versicherte einen entsprechenden Arbeitsplatz findet.
Es kann allerdings nicht generell für das ganze Gebiet der Teilzeittätigkeiten gesagt werden, ob dies der Fall ist, sondern es bedarf einer Prüfung für jede einzelne Tätigkeit oder zumindest für Gruppen von Tätigkeiten.
Die Auffassung, daß Berufsunfähigkeit auch dann vorliegt, wenn ein Versicherter zwar noch gewisse zumutbare Erwerbstätigkeiten verrichten könnte, es aber seiner verminderten Leistungsfähigkeit angepaßte Arbeitsplätze nicht gibt, steht mit der Ursachenlehre von der rechtlich wesentlichen Bedingung im Einklang. Nach ihr ist eine Bedingung als ursächlich oder mitursächlich im Rechtssinne anzusehen, wenn sie im Verhältnis zu anderen Einzelbedingungen wegen ihrer besonderen Beziehung zum Erfolg zu dessen Eintritt wesentlich mitgewirkt hat. Diese Ursachenlehre ist vom RVA in jahrzehntelanger Rechtsprechung angewandt worden und gilt nach der ständigen Rechtsprechung des BSG jedenfalls für die Gebiete der Kriegsopferversorgung und der Unfallversicherung (vgl. z. B. BSG 1, 72, 76 mit Nachweisen aus der Rechtsprechung des RVA; BSG 1, 150, 156 und 268, 269; BSG 12, 242, 245). Sie hat auch schon in das Gebiet der Rentenversicherung Eingang gefunden, nämlich in den Fällen des § 1263 a Abs. 1 Nr. 1 und 3 RVO aF (= § 1252 RVO nF) bei der Beurteilung des ursächlichen Zusammenhangs eines Arbeitsunfalls bzw. einer Feindeinwirkung mit dem Eintritt der Invalidität oder dem Tode des Versicherten (BSG SozR Nr. 5 zu § 1263 a RVO aF, Wannagat, Lehrbuch des Sozialversicherungsrechts Bd. I 337). In den Fällen des § 1246 Abs. 2 RVO geht es, wie die ein Kausalverhältnis ausdrückende Präposition „infolge von” deutlich macht, – ebenso wie in denen des § 1252 Nr. 1 RVO – um die ursächliche Verknüpfung zwischen einem Ereignis oder einem Zustand – Gesundheitsschädigung – und einem „Erfolg” – Minderung der Erwerbsfähigkeit. Hier wie dort soll der Geschädigte einen sozialen Ausgleich erhalten, weil er sich in einer vom Gesetz als schutzwürdig anerkannten Situation befunden und durch die Besonderheiten dieser Situation Schaden erlitten hat (vgl. Schlegel, DVBl 1962, 8, 10 re. Sp.). Wegen der Vergleichbarkeit der Sachverhalte erscheint es gerechtfertigt, die Lehre von der rechtlich wesentlichen Bedingung auch in der hier vorliegenden Frage nach dem Inhalt des Begriffs der Minderung der Erwerbsfähigkeit der Rechtsfindung nutzbar zu machen. Die Minderung der Erwerbsfähigkeit eines Versicherten, der nach seinem Gesundheitszustand zwar noch täglich einige Stunden Lohnarbeit verrichten könnte, für den es aber einen solchen Teilzeitarbeitsplatz nicht gibt, beruht auf zwei Ursachen: der gesundheitlichen Schädigung und dem Fehlen eines geeigneten Arbeitsplatzes. Der Erfolg – die Berufsunfähigkeit – entfällt beim Wegfall sowohl der einen als auch der anderen Mitursache. Wäre der Versicherte nicht krank, so könnte er vollschichtig arbeiten und hätte – Arbeitslosigkeit soll außer Betracht bleiben – einen Arbeitsplatz. Gäbe es für ihn einen geeigneten Arbeitsplatz, so könnte er trotz seiner Krankheit täglich einige Stunden erwerbstätig sein. Durch seine Krankheit, wenn auch nicht allein durch sie, ist m.a.W. der ihm sonst in seiner ganzen Breite zur Verfügung stehende Arbeitsmarkt so stark eingeengt, daß seine Erwerbsfähigkeit u.U. ganz entfallen ist. Bei der Beurteilung, welche der Mitursachen rechtlich wesentlich im Sinne der angeführten Ursachenlehre ist, wird man die beiden Ursachen als etwa gleichrangig ansehen müssen; jedenfalls tritt die Krankheit gegenüber dem Fehlen eines Arbeitsplatzes nicht völlig in den Hintergrund. Das bedeutet, daß die Gesundheitsschädigung, auch wenn sie erst im Zusammenwirken mit dem Fehlen eines geeigneten Arbeitsplatzes zur Berufsunfähigkeit führt, rechtlich wesentliche Ursache der Berufsunfähigkeit ist (vgl. hierzu Dilla – Die Arbeiterversorgung 1964, 151, 152 –, der in einem ähnlichen Falle die Gesundheitsschädigung sogar als „primär und schließlich entscheidend verantwortlich für den Eintritt des Versicherungsfalles” bezeichnet).
Die vom Großen Senat vertretene Auffassung, daß für die Annahme von Berufsunfähigkeit auch auf das Vorhandensein eines für den in seiner Leistungsfähigkeit geminderten Versicherten geeigneten Arbeitsplatzes abzustellen ist, verdient gegenüber der nur den Gesundheitszustand des Versicherten in Betracht ziehenden – abstrakten – Gegenmeinung auch deshalb den Vorzug, weil sie besser geeignet ist, der – erwünschten – Nahtlosigkeit zwischen den Rentenversicherungen und der Arbeitslosenversicherung näherzukommen.
Der konkreten Auffassung wird entgegengehalten, sie führe zu unbefriedigenden Ergebnissen bei Versicherten, die nicht mehr vollschichtig, aber noch mindestens halbschichtig arbeiten können, für die es indessen keine Arbeitsplätze in nennenswerter Zahl gebe; in solchen Fällen komme es, besonders bei ungelernten Arbeitskräften, zum „Durchschlagen” der Rente wegen Berufsunfähigkeit zur Rente wegen Erwerbsunfähigkeit, einem Ergebnis, das die Zweistufigkeit der Renten als sinnlos erscheinen lasse. Das Überspringen der ersten Rentenstufe ist aber keine so ungewöhnliche Erscheinung, daß man annehmen müßte, der Gesetzgeber habe an sie nicht gedacht und könne sie demnach nicht in Kauf genommen haben. Es ist darauf hinzuweisen, daß es in der knappschaftlichen Rentenversicherung schon vor 1957 Stufenrenten gegeben hat und dort das Durchschlagen der Rente bei dem Versicherten mit niedrigen Schichtlöhnen allgemein bekannt ist. Die Möglichkeit des „Durchschlagens” zur zweiten Rentenstufe war dem Gesetzgeber also nicht unbekannt.
Als besonders gewichtiges Argument gegen die konkrete Auffassung wird ins Feld geführt, es sei den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit praktisch unmöglich, zuverlässige Feststellungen über das Vorhandensein von Teilzeitarbeitsplätzen zu treffen, vor allem wenn der gesuchte Arbeitsplatz, um dem geminderten Leistungsvermögen des Versicherten zu genügen, eine bestimmte Beschaffenheit aufweisen, z. B. Schutz vor Nässe, Kälte oder Staub bieten müsse, oder wenn eine Arbeitsmöglichkeit abwechselnd im Sitzen und Gehen, dazu noch mit häufigeren Pausen zu ermitteln sei. Es ist zuzugeben, daß mit den klassischen Mitteln des Beweises durch Augenschein, Sachverständige, Zeugen und Urkunden die Aufgaben, die sich den Gerichten stellen, nur schwer zu bewältigen sind. Der richterliche Augenschein scheidet, ohne daß auf die Frage seiner rechtlichen Zulässigkeit eingegangen werden müßte, praktisch schon deshalb aus, weil die Durchführung in einer hinreichenden Zahl von Betrieben die Gerichte überfordern würde. Der Beweis durch Sachverständige wird in der Regel außer Betracht bleiben müssen, weil es bei der Erforschung des Vorhandenseins, des Ausmaßes und der konkreten Beschaffenheit von Teilzeitarbeitsplätzen meist nicht um die Vermittlung von Erfahrungssätzen auf einem bestimmten Sachgebiet und daraus zu ziehenden Schlüssen geht – nur das wäre Aufgabe eines Sachverständigen –, sondern um die Bekundung eines Wissens über Tatsachen. Ein solches Wissen vermittelt in der Regel ein Zeuge. Für dieses Beweismittel gilt jedoch weitgehend das gleiche wie für den richterlichen Augenschein, jedenfalls soweit es sich um Zeugen aus dem betrieblichen Bereich handelt. Die einzelne Zeugenaussage vermag ein gerichtliches Verfahren nur dann zu fördern, wenn sie Positives über das Vorhandensein von Teilzeitarbeitsplätzen enthält, nicht aber, wenn die Beweisfrage, was die Regel sein dürfte, verneint wird; in einem solchen Falle muß der Versuch, über den Zeugenbeweis zu einer abschließenden Erkenntnis zu gelangen, letztlich scheitern. – Anders dürfte es dagegen mit der Anhörung von Zeugen sein aus dem Bereich von Behörden, Verbänden und Organisationen, die aus ihrer amtlichen, ehrenamtlichen oder dienstlichen Tätigkeit einen mehr oder weniger umfassenden Einblick in die Struktur des Arbeitslebens und der Arbeitsplatzgestaltung haben. Als sachkundige Stelle kommt in erster Linie die Arbeitsverwaltung in Betracht, da diese gesetzlich verpflichtet ist, den Arbeitsmarkt zu beobachten. Falls die Arbeitsverwaltung keine Auskunft über die Zahl der Interessenten für Teilzeitarbeitsplätze und die Zahl der Teilzeitplätze geben kann, kommt allerdings auch die Einholung von Auskünften bei anderen Stellen, etwa bei Industrie- und Handelskammern, Handwerkskammern, Vereinigungen von Arbeitgebern oder Arbeitnehmern, Hauptfürsorgestellen und Gewerbeaufsichtsämtern in Betracht (Frage 6). Es bedarf nicht unbedingt der Vernehmung von Bediensteten dieser Stellen als Zeugen (oder Sachverständigen); vielmehr genügt es und dürfte sich auch in der Regel eher empfehlen, eine schriftliche Auskunft einzuholen. Die „amtliche Auskunft” ist als Aufklärungsmaßnahme und Beweismittel im Zivilprozeß bereits seit 1924 zugelassen (§ 272 b Abs. 1 Nr. 2 der Zivilprozeßordnung – ZPO–). Das SGG geht über diese Regelung noch hinaus; es sieht „Auskünfte jeder Art” vor, also nicht nur amtliche, sondern auch private (§ 106 Abs. 3 Nr. 3 SGG). Besonders wertvoll sind, soweit die Verweisung auf das gesamte Bundesgebiet erfolgt, statistische Unterlagen, insbesondere hochgerechnete Zahlen auf Grund eines Mikrozensus, wenn auch nicht verkannt werden soll, daß auch diese zum Teil Lücken aufweisen.
Von Anfragen an die Arbeitsverwaltung nach dem Vorhandensein von Teilzeitarbeitsplätzen haben sich, wie dem Vorlagebeschluß zu entnehmen ist, einige Landessozialgerichte wenig Aussicht auf Erfolg versprochen, weil die Arbeitsämter nicht über geeignetes Material verfügten und auch keine Bereitschaft zu sachdienlichen Angaben zeigten. Diese Skepsis wird weder der Aufgabenstellung, welche das Arbeitsförderungsgesetz für die Bundesanstalt für Arbeit (BA) und ihre Gliederungen – die Landesarbeitsämter und Arbeitsämter – enthält, noch der in diesem Verfahren von der BA gezeigten Möglichkeit und Bereitschaft zu Auskünften gerecht.
Nach § 3 Abs. 2 Satz 2 und § 6 Abs. 1 AFG hat die BA als „Maßnahme nach diesem Gesetz” Arbeitsmarkt- und Berufsforschung zu betreiben, d. h. „Umfang und Art der Beschäftigung sowie Lage und Entwicklung des Arbeitsmarktes, der Berufe und der beruflichen Bildungsmöglichkeiten im allgemeinen und in den einzelnen Wirtschaftszweigen und Wirtschaftsgebieten, auch nach der sozialen Struktur, zu beobachten, zu untersuchen und für die Durchführung der Aufgaben der Bundesanstalt auszuwerten”. Die hierfür notwendigen organisatorischen und technischen Voraussetzungen hat die BA zu schaffen; sie hat die erforderlichen Unterlagen zu erstellen, zu führen und auszuwerten (§ 6 Abs. 2 AFG). Alles das soll u. a. dazu beitragen, daß „weder Arbeitslosigkeit und unterwertige Beschäftigung noch ein Mangel an Arbeitskräften eintreten oder fortdauern” (§ 2 Nr. 1 AFG) sowie daß „ältere und andere Erwerbstätige, deren Unterbringung unter den üblichen Bedingungen des Arbeitsmarktes erschwert ist, beruflich eingegliedert werden” (§ 2 Nr. 6 AFG). Damit die BA die ihr vom Gesetz gestellten Aufgaben voll zu erfüllen vermag, kann „die Bundesregierung durch Rechtsverordnung mit einer Geltungsdauer bis zu drei Jahren anordnen, daß die BA zur Ergänzung der in ihrem Geschäftsbereich anfallenden Unterlagen … einmalige oder regelmäßig wiederkehrende statistische Erhebungen über Beschäftigte … durchzuführen hat” (§ 6 Abs. 4 AFG). Hiernach hat die BA sowohl die Aufgabe als auch weitgehende Möglichkeiten, die Teilzeitarbeitsplätze in der Bundesrepublik Deutschland statistisch zu erfassen. Dementsprechend hat die BA auf Anfragen des Großen Senats mit Schreiben vom 22. August und 25. September 1969, die den Beteiligten aller Anrufungsverfahren übermittelt worden sind, einen Überblick über die Teilzeitarbeit bei männlichen Erwerbstätigen gegeben.
Nach diesen Angaben, die unter Verwertung der Ergebnisse des Mikrozensus des Statistischen Bundesamtes gemacht worden sind, gab es im April 1967 in der Bundesrepublik Deutschland – bei nahezu 14 Millionen männlichen Erwerbstätigen in abhängiger Stellung – 84.000 abhängig Beschäftigte, die aus eigenem Entschluß weniger als 42 Stunden wöchentlich gearbeitet haben. Diese Zahl ist aufgeschlüsselt in Beschäftigungen bis zu 23 Stunden (35.000), 24 bis 39 Stunden (40.000) und 40 bis 41 Stunden (9.000). Nach der Auskunft der BA (Schreiben des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung vom 22. August 1969) haben Teilzeitarbeitskräfte bis zu 40 Jahren zu 80 v.H. und Teilzeitarbeitskräfte von 40 bis 50 Jahren noch zu 30 v.H. einen offenen Arbeitsplatz gefunden. Wenn auch nicht verkannt werden darf, daß die bis etwa 27-jährigen Personen vielfach gesundheitlich voll einsatzfähige Schüler und Studenten sind, die eine Nebenbeschäftigung suchen, und daß in vorgeschrittenem Alter die Vermittlungsfähigkeit stark nachläßt, so besteht doch immerhin für die jüngeren und mittleren Jahrgänge eine relativ günstige Vermittlungsmöglichkeit.
Schließlich sei noch darauf hingewiesen, daß, wenn einmal für gewisse typische Gruppen von leistungsgeminderten Versicherten die Verhältnisse auf dem für sie in Betracht kommenden Teilzeitarbeitsmarkt geklärt sind, diese Beweisergebnisse – nach zulässiger Einführung in – andere Streitverfahren – in einer Vielzahl von Fällen der Rechtsfindung nutzbar gemacht werden können und dann nur noch auf den Einzelfall abgestellte Ergänzungserhebungen erforderlich sein werden.
Nach alledem läßt sich zwar nicht übersehen, daß die zu fordernden Ermittlungen über das Vorhandensein von – bekannten – Teilzeitarbeitsplätzen in der Regel mit erheblichen Schwierigkeiten und großem Zeitaufwand verbunden sein werden; gleichwohl erscheinen sie nicht unzumutbar oder gar unmöglich. Die ins Feld geführten Schwierigkeiten dürfen deshalb kein Hinderungsgrund sein, die Rechtsnorm des § 1246 Abs. 2 RVO so anzuwenden, wie sie nach anerkannten Auslegungsregeln zu verstehen ist.
Zu den Fragen, die sich auf die Zahl der zu fordernden Arbeitsplätze beziehen (Fragen 2, 3 und 4 der Vorlage), zeigt die bisherige Rechtsprechung des BSG, wenn man nur die Ausdrucksweise in Betracht zieht, ein mannigfaltiges Bild. Das rechtlich relevante Ausmaß – die Zahl – der Verweisungsplätze findet sich mit Ausdrücken umschrieben wie
„Stellen in genügender Zahl” (BSG 16, 18, 21),
„Stellen in irgendwie nennenswertem Umfang”
(SozR Nr. 5 zu § 1247 RVO),
„Arbeitsplätze in zumindest nennenswerter Zahl”
(BSG 19, 147 und im Anschluß hieran BSG 21, 133 und SozR Nr. 2 zu § 47 RKG),
„Arbeitsplätze in ausreichender Zahl”
(SozR Nr. 50 zu § 1246 RVO),
„Arbeitsplätze in zumindest nennenswerter, d. h. praktisch ins Gewicht fallender Zahl”, „nicht nur in völlig unbedeutendem Umfang”
(BSG 24, 181 = SozR Nr. 54 zu § 1246 RVO),
„Arbeitsplätze in nennenswerter, d. h. mehr als nur bedeutungsloser Zahl (SozR Nr. 14 zu § 1247 RVO).
Trotz dieser Mannigfaltigkeit im Ausdruck ist im Grunde doch stets das gleiche gemeint; dies gilt auch für die Umschreibung „Arbeitsplätze in genügender Zahl” und „in ausreichender Zahl”. Als Grundsatz läßt sich in der Rechtsprechung des BSG das Erfordernis erkennen, die Zahl der Verweisungsplätze müsse so groß sein, daß dem in seiner Leistungsfähigkeit geminderten Versicherten der Arbeitsmarkt praktisch nicht verschlossen ist. Diese Umschreibung der rechtlich relevanten Zahl von Arbeitsplätzen, auf die ein leistungsgeminderter Versicherter verwiesen werden darf, billigt der Große Senat. Sie entspricht den Grundsätzen, die bereits das RVA in den oben angeführten Entscheidungen angewandt hat, wenn es sich auch noch nicht mit Fällen der Teilzeitarbeit zu beschäftigen brauchte. Das Kriterium des „praktisch verschlossenen Arbeitsmarktes” wird auch der Abgrenzung der von der Arbeitslosenversicherung einerseits und der Rentenversicherung andererseits zu tragenden Risiken gerecht. Wer nur deswegen nicht in der Lage ist, seine – volle oder geminderte – Arbeitsfähigkeit durch Ausübung einer Erwerbstätigkeit in Einkommen umzusetzen, weil er vorübergehend keinen freien Arbeitsplatz findet, ist nicht berufsunfähig und deshalb nicht von der Rentenversicherung zu betreuen. Erst wenn das Mißverhältnis zwischen den aus gesundheitlichen Gründen auf eine Teilzeitbeschäftigung angewiesenen Versicherten und den ihrer Leistungsfähigkeit entsprechenden Arbeitsplätzen so kraß ist, daß ein Bewerber trotz der Fluktuation auch des Teilzeitarbeitsmarktes – ein Teil der besetzten Arbeitsplätze wird laufend frei durch Tod, Alter, Eintritt völliger Erwerbsunfähigkeit oder aus anderen Gründen – praktisch nicht damit rechnen kann, daß sich ihm eine Gelegenheit zur entgeltlichen Nutzung seiner Arbeitsfähigkeit bietet, ist er als berufsunfähig anzusehen; denn die Einschränkung seiner Erwerbsfähigkeit beruht dann darauf, daß ihm aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr die ganze Breite des Arbeitsfeldes zur Verfügung steht, der ihm verbliebene Rest aber keine Erwerbschance bietet.
Der Begriff „des praktisch verschlossenen Arbeitsmarktes” macht zwar deutlicher, worauf es für die Abgrenzung der Berufsunfähigkeit ankommt, als der in der bisherigen Rechtsprechung des BSG verwendete Begriff der „Arbeitsplätze in nennenswerter Zahl”; in dieser Verdeutlichung allein liegt jedoch noch kein ins Gewicht fallender Gewinn für die Rechtsanwendung. Der Große Senat hielt es deshalb für notwendig, den erarbeiteten maßgeblichen Begriff durch eine Verhältnis zahl zu konkretisieren und damit praktikabel zu machen. In ähnlicher Weise hat das BSG schon mehrfach zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsanwendung unbestimmte Rechtsbegriffe zahlenmäßig ausgefüllt, z. B. entschieden, daß auf dem Gebiet der gesetzlichen Unfallversicherung eine rechtlich wesentliche Teilursache vorliegt, wenn sie den Tod des Beschäftigten um mindestens ein Jahr beschleunigt hat (SozR Nr. 10 zu § 542 RVO aF; BSG 12, 247, 253, 13, 175), daß der Unterhalt i. S. des § 1265 RVO mindestens 25 v.H. des Mindestbedarfs des Unterhaltsberechtigten ausmachen muß (BSG 22, 44, 48), sowie daß eine andere Leistung „erheblich niedriger” i. S. des § 8 des Bundeskindergeldgesetzes (BKGG) ist, wenn sie um mehr als 25 v.H. hinter dem gesetzlichen Kindergeld zurückbleibt (BSG 27, 292).
Wie groß die Zahl der – freien oder besetzten – Teilzeitarbeitsplätze sein muß, damit einem Versicherten der Arbeitsmarkt nicht praktisch verschlossen ist, läßt sich nicht absolut angeben. Maßgebend ist vielmehr das Verhältnis zwischen der Zahl der im jeweiligen Verweisungsgebiet vorhandenen Teilzeitarbeitsplätze und der Zahl der Interessenten für Teilzeitbeschäftigungen. Auf diesen zuletzt genannten Personenkreis – und nicht etwa auf die Gesamtheit der Beschäftigten – kommt es an, weil nur Angehörige dieses Kreises dem in seiner Leistungsfähigkeit geminderten Versicherten in seinem Bemühen um ein Erwerbseinkommen im Wege stehen, während die Mehrheit der Beschäftigten, nämlich die gesunden und vollschichtig Tätigen, zu jenen Interessenten für Teilzeitbeschäftigungen in der Regel nicht in Konkurrenz tritt.
Bei der Festlegung der Grenze zum praktisch verschlossenen Arbeitsmarkt haben alle Fälle auszuscheiden, in denen die Beschäftigungslosigkeit nur vorübergehend ist, es sich also um Arbeitslosigkeit handelt. Deshalb muß der gesuchte Grenzwert eine Verhältnis zahl sein, die eindeutig außerhalb des Bereichs der Arbeitslosigkeit liegt. Wie dem insoweit auf Statistiken der BA aufbauenden Handwörterbuch der Sozialwissenschaften, Erster Band, 1956, S. 305 ff, zu entnehmen ist, wird in den modernen marktwirtschaftlich orientierten Volkswirtschaften mit einer – sichtbaren – Arbeitslosenquote bis – höchstens – 5 v.H. im Jahresdurchschnitt gerechnet (Verhältnis der Arbeitslosen zu den Arbeitnehmern einschließlich der Arbeitslosen). Bis zu diesem Vomhundertsatz erscheint die Arbeitslosigkeit noch „erträglich”, d. h. „ökonomisch als ein noch nicht allzu großer Verlust und sozial durch Unterstützung usw. zu meistern” (aaO S. 309 li. Sp.). Die Schwelle von 5 v.H. wurde jedoch nach dem zweiten Weltkrieg in der Bundesrepublik Deutschland weit überschritten; sie betrug im Februar 1950 – 13 v.H.
Abgesehen von diesen Erkenntnissen aus dem Bereich der Arbeitslosigkeit hat der Große Senat in Betracht gezogen, daß Teilzeitarbeitsplätze erfahrungsgemäß einem häufigeren Wechsel unterliegen als vollschichtige Beschäftigungen. Andererseits begegnet ein in seiner Leistungsfähigkeit geminderter Versicherter in seinem Bemühen um ein Erwerbseinkommen insofern nicht unerheblichen Schwierigkeiten, als viele Arbeitgeber eher geneigt sein werden, einen gesunden Ruhegeldempfänger stundenweise zu beschäftigen als eine kranke Teilzeitarbeitskraft, auf die in der Ausgestaltung des Arbeitsplatzes und im Ablauf der Beschäftigung in mancherlei Hinsicht Rücksicht genommen werden muß.
Auf Grund der vorstehenden Überlegungen ist der Große Senat zu dem Ergebnis gelangt, daß einem Versicherten der Arbeitsmarkt praktisch verschlossen ist, wenn das Verhältnis der im Verweisungsgebiet vorhandenen, für den Versicherten in Betracht kommenden Teilzeitarbeitsplätze zur Zahl der Interessenten für solche Beschäftigungen ungünstiger ist als 75:100, d. h. wenn 75 – besetzten oder freien – Teilzeitarbeitsplätzen mehr als 100 Interessenten gegenüberstehen, wobei den Interessenten auch die Inhaber besetzter Arbeitsplätze zuzurechnen sind. Diese Verhältniszahl entspricht in der in den Statistiken für Arbeitslosigkeit üblichen Ausdrucksweise einem Vomhundertsatz von 25 (Verhältnis der Zahl der Teilzeitarbeitsuchenden ohne Arbeitsplatz zur Zahl aller – der beschäftigten und nichtbeschäftigten – Teilzeitarbeitsinteressenten), liegt also außerhalb des durch die Erfahrung und eine moderne Wirtschafts- und Arbeitsmarktpolitik abgegrenzten Bereichs der Arbeitslosigkeit.
Die Feststellung, in welchem Ausmaß es geeignete Teilzeitarbeitsplätze für einen in seiner Leistungsfähigkeit geminderten Versicherten gibt, ist entbehrlich, wenn der Versicherte einen entsprechenden Arbeitsplatz tatsächlich und nicht nur vorübergehend innehat. In einem solchen Falle liegt es auf der Hand, daß dem Versicherten der Arbeitsmarkt nicht praktisch verschlossen war; er ist deshalb, solange ihn nicht gesundheitliche Gründe an der Ausübung der, Erwerbstätigkeit hindern, nicht berufsunfähig (vgl. BSG 19, 147, 149).
Gleiches gilt nach der Auffassung des Großen Senats, wenn ein Versicherter es ohne triftigen Grund ablehnt, einen ihm angebotenen oder sonstwie bekanntgewordenen zumutbaren Arbeitsplatz einzunehmen, der seiner körperlichen und geistigen Leistungsfähigkeit entspricht.
Die im Vorstehenden aufgestellte Regel, daß der Inhaber eines geeigneten Arbeitsplatzes als nicht praktisch vom Arbeitsmarkt ausgeschlossen gilt, ist ausnahmsweise nicht anzuwenden, wenn ein Versicherter einen Arbeitsplatz nur „vergönnungsweise” – aus verwandtschaftlichen oder sonstigen Rücksichten – innehat, ihn aber in Wirklichkeit nicht ausfüllt. In einem solchen Falle ist nicht ausreichend dargetan, daß dem Versicherten der Arbeitsmarkt offenstehe; hier bleibt vielmehr zu prüfen, in welchem Ausmaß es Teilzeitarbeitsplätze für den Versicherten gibt.
Für die Ermittlung der vorhandenen Teilzeitarbeitsplätze bedarf noch die versicherungsrechtliche Bedeutung von Konjunkturschwankungen der Erörterung. Zuweilen wird geltend gemacht, es sei wegen solcher Schwankungen auf dem Arbeitsmarkt praktisch nicht möglich, die Zahl der Teilzeitarbeitsplätze für eine gewisse Dauer verläßlich zu ermitteln; es müßten deshalb, wenn ein Verwaltungs- oder Gerichtsverfahren längere Zeit andauere, immer wieder neue Erhebungen angestellt werden. Mit dieser Frage hat sich der 12. Senat des BSG bereits in seinem Urteil vom 28. Mai 1963 (BSG 19, 147, 149) auseinandergesetzt und hierzu ausgeführt, es sei „von normalen Verhältnissen auszugehen, nicht aber z. B. von einem vorübergehenden Zustand extremen Mangels an Arbeitskräften, der zur Einrichtung von Arbeitsplätzen mit Teilarbeit unter der Grenze der Halbtagsarbeit führe”. Diese Betrachtungsweise hält der Große Senat, wenn der angesprochene Zustand wirklich nur vorübergehend ist, im wesentlichen für richtig. Da es um die Beurteilung geht, ob ein in seiner Leistungsfähigkeit geminderter Versicherter praktisch dauernd vom Arbeitsmarkt ausgeschlossen ist, dürfen nur solche Verhältnisse des Versicherten und des Arbeitsmarktes berücksichtigt werden, die aller Voraussicht nach von einer gewissen Dauer sind, konjunktur- und saisonbedingte Besonderheiten müssen außer Betracht bleiben. Dies gilt nicht nur für die Entscheidung über den Antrag auf Rente, sondern auch für die Prüfung, ob die wegen Berufsunfähigkeit bewilligte Rente zu entziehen ist (§ 1286 Abs. 1 RVO). Als eine „Änderung in seinen (des Versicherten) Verhältnissen”, die beim Vorliegen weiterer Voraussetzungen die genannten Rechtsfolgen nach sich zieht, ist auch eine Änderung im Bestand der Arbeitsplätze anzusehen, weil sich damit auch seine „Fähigkeit durch Ausübung einer Erwerbstätigkeit dem Lebensunterhalt dienendes Entgelt zu verdienen” ändert. Auch bei der Anwendung des § 1286 RVO ist nur diejenige Arbeitsmarktlage maßgebend, die eine gewisse Dauerhaftigkeit verspricht; konjunkturelle oder saisonale Schwankungen rechtfertigen nicht die Annahme einer „Änderung der Verhältnisse”.
III
Für die Beurteilung, auf welches räumliche Arbeitsfeld der Versicherte verwiesen werden kann (Frage 5), ist von Bedeutung, daß in keiner Gesetzesformulierung der Vergangenheit und der Gegenwart in den Voraussetzungen der Versichertenrenten, die wegen Minderung der Erwerbsfähigkeit gewährt werden, eine Einschränkung der Verweisungsmöglichkeit hinsichtlich des räumlichen Arbeitsfeldes gemacht wird. Daher kommt es jedenfalls grundsätzlich nicht darauf an, wo sich die Arbeitsplätze für Verweisungstätigkeiten befinden. Während die Rechtsprechung des RVA grundsätzlich eine Verweisung über den örtlichen Bereich hinaus anerkannt hat, war es zunächst zurückhaltend gegenüber einer Verweisung über den Bereich eines Wirtschaftsgebietes hinaus. Diese Rechtsprechung beruhte darauf, daß in verschiedenen Gesetzesformulierungen darauf abgestellt war, was eine Vergleichsperson „in derselben Gegend” verdienen konnte. Die Anwendung dieses Begriffs auf die Frage der räumlichen Verweisungsmöglichkeit war aber, wie das BSG später ausgeführt hat, irrig (SozR RVO Nr. 21 zu § 1246). Diese Formulierung hatte vielmehr nur Bedeutung für die Frage des möglichen Verdienstes. Später hat dann auch das RVA sich auf den Standpunkt gestellt, daß eine Verweisung auf das ganze Staatsgebiet möglich sei. In seiner Revisionsentscheidung Nr. 1108 (AN 1904, 353) hatte das RVA noch den Standpunkt eingenommen, daß der Versicherte nicht nur auf die Arbeitsgelegenheiten an seinem Wohnort verwiesen werden könne, sondern auch auf Arbeitsgelegenheiten „derselben Gegend”, d. h. auf ein räumliches Gebiet, innerhalb dessen für gleichartige Arbeiten gleiche Lohnbedingungen herrschen. Diesen Standpunkt hat das RVA in seiner Revisionsentscheidung Nr. 1243 (AN 1906, 276) aufrechterhalten. Später hat es dann aber in der Revisionsentscheidung Nr. 1421 (AN 1909, 502) seine Ansicht erweitert und angenommen, daß die Unmöglichkeit für einen Versicherten, an seinem bisherigen Wohnort oder dessen näherer Umgebung Arbeit zu finden, für dessen Erwerbsfähigkeit ohne Einfluß sei; es sei dem Versicherten vielmehr zuzumuten, durch Pendeln einen Arbeitsplatz zu erreichen oder an einen anderen Ort umzuziehen. Das RVA hat also in dieser Entscheidung den Versicherten grundsätzlich auf das Arbeitsfeld des gesamten Staatsgebiets verwiesen. Das BSG hat an dieser letzteren Auffassung festgehalten, indem es das tägliche Pendeln oder einen Umzug grundsätzlich als zumutbar erachtet hat (SozR RVO Nr. 21 zu § 1246). Bei der Mobilität der modernen Industriegesellschaft, einer immer stärkeren Anpassung der Lebensverhältnisse innerhalb des gesamten Staatsgebiets, vor allen Dingen aber wegen der außerordentlich verbesserten Verkehrsverhältnisse, muß man diesen Standpunkt unterstreichen. Grundsätzlich ist jedenfalls das tägliche Pendeln, das Wochenendpendeln und auch der Umzug in eine andere Stadt dem Versicherten zuzumuten, so daß er auf das gesamte Arbeitsfeld der Bundesrepublik Deutschland vorwiesen werden kann. Allerdings müssen gewissen Ausnahmen anerkannt werden, in denen insbesondere aus sozialen Gründen das Wochenendpendeln oder der Umzug auszuschließen sind. Eine besondere Zuspitzung hat die Frage, auf welches Gebiet ein Versicherter verwiesen werden kann, nun bei den Teilzeitarbeitstätigkeiten erfahren. Bei diesen kommt zu den ohnehin bestehenden allgemeinen Erschwernissen und besonderen Kosten des Pendelns und des Umzuges hinzu, daß der Versicherte mit einer solchen Tätigkeit nur ein geringeres Arbeitsentgelt erwerben kann. Der 12. Senat des BSG hat daher zu Recht entschieden, daß einem Versicherten, der nur noch bis zu drei Stunden täglich (d. h. weniger als halbschichtig) arbeiten kann, das Wochenendpendeln mit seinen erhöhten Kosten wegen der doppelten Haushaltsführung und der Umzug mit seinen besonderen Erschwernissen und Kosten unzumutbar ist, weil diese Erschwernisse und Kosten außer Verhältnis zu dem nur geringen möglichen Verdienst stehen (BSG 19, 147). In diesen Fällen hat das BSG lediglich das tägliche Pendeln für zumutbar erklärt. Diese Rechtsprechung wird bestätigt. Neu zu entscheiden ist nun die Frage, wie dies bei Versicherten zu handhaben ist, die noch halbschichtig bis weniger als vollschichtig arbeiten können. Da die halbschichtige bis unter vollschichtige Tätigkeit, wenn auch nicht zu einem vollen, so doch zu einem nicht unbedeutenden Entgelt führt, kann man einen von dem Grundsatz der Verweisbarkeit auf das gesamte Wirtschaftsgebiet der Bundesrepublik Deutschland abweichenden Ausnahmefall nicht anerkennen. Allerdings wird man bei halbschichtigen bis unter vollschichtigen Tätigkeiten in einem größeren Umfange als bei vollschichtigen Tätigkeiten Ausnahmen, insbesondere aus sozialen Gründen, zulassen müssen. Darüber hinaus wird man bei diesen Teilzeitarbeiten verlangen müssen, daß dem Versicherten aus Rehabilitationsmitteln der Rentenversicherungsträger die Kosten für das Suchen eines Arbeitsplatzes an einem anderen Ort und die Kosten des Umzugs an diesen Ort ersetzt werden müssen. Nachrangig können auch Förderungsmaßnahmen der Bundesanstalt für Arbeit nach §§ 53 und 56 AFG in Betracht kommen. Denn bei der bloßen Möglichkeit, einen entsprechenden Lohn verdienen zu können, erscheint es nicht tragbar, den Versicherten auch noch die Kosten des Aufsuchens einer Arbeitsstelle an einem anderen Ort und die Kosten des Umzugs tragen zu lassen, da ja auch die übrigen Erschwernisse, die hiermit verbunden sind, nicht außer acht gelassen werden dürfen.
IV
Die Frage, ob es zulässig ist, die Ermittlungen über das Vorhandensein von Arbeitsgelegenheiten auf Anfragen an die Arbeitsverwaltung zu beschränken (Frage 6), konnte der Große Senat nicht mit einem schlichten Ja oder Nein beantworten. Geht es um den Rentenanspruch eines Versicherten, der halbschichtig bis unter vollschichtig arbeiten kann und somit auf das Arbeitsfeld der gesamten Bundesrepublik. Deutschland verweisbar ist, so bieten sich vorweg die für das gesamte Bundesgebiet vorliegenden statistischen Unterlagen als Erkenntnisquellen für das Vorhandensein von Teilzeitarbeitsplätzen an. Nach den bisherigen Erfahrungen kommen hierfür wegen der Lückenhaftigkeit der übrigen statistischen Unterlagen mit gewissen Vorbehalten die auf Grund eines Mikrozensus hochgerechneten Zahlen in Betracht. Sind sie unergiebig, so empfiehlt sich eine Anfrage bei der BA als der für das Arbeitsfeld des gesamten Bundesgebietes zuständigen Stelle. Da dieser die statistischen Unterlagen auch der sonstigen, für eine Auskunft in Betracht kommenden Zentralstellen bekannt sind, oder sie sich diese ohne weiteres beschaffen kann und wird, erübrigt sich in der Regel die Einholung weiterer Auskünfte bei diesen Stellen.
V
Aus den bisher vorliegenden Zahlen über Teilzeitarbeitsplätze und Teilzeitarbeitskräfte ergeben sich für die Beurteilung der Berufsunfähigkeit folgende Anhaltspunkte, von denen die Gerichte ausgehen können, falls sich nicht im Einzelfall Besonderheiten ergeben:
1.) Diejenigen Versicherten, die nur noch weniger als halbschichtig arbeiten können, sind grundsätzlich berufsunfähig, weil ihre Erwerbsfähigkeit auf weniger als die Hälfte eines gleichartigen gesunden Versicherten i. S. des § 1246 Abs. 2 Satz 1 RVO herabgesunken sein wird.
2.) Bei den Versicherten, die nur noch halbschichtig bis unter vollschichtig arbeiten können, liegen die Verhältnisse differenzierter:
a) Da diese Versicherten auf das – räumlich gesehen – gesamte Arbeitsfeld der Bundesrepublik Deutschland zu verweisen sind, können der Entscheidung, wie bereits ausgeführt, statistische Unterlagen, insbesondere hochgerechnete Zahlen aus dem Mikrozensus, zugrunde gelegt werden. Diese Zahlen betreffen jedoch den allgemeinen Arbeitsmarkt oder allenfalls Teile dieses Arbeitsmarktes, in der Regel aber keine Einzeltätigkeiten. Diese Zahlen sind daher nur dort zu verwerten, wo der Versicherte nach § 1246 Abs. 2 RVO auf das allgemeine Arbeitsfeld verwiesen werden kann. Da es üblich ist, die Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsfeldes dahin zu konkretisieren, daß es sich jeweils um leichte bis mittelschwere Tätigkeiten im Sitzen, im Stehen und im Gehen in geschlossenen Räumen und im Freien handelt, ist hier eine Typisierung erlaubt.
Es können auf das allgemeine Arbeitsfeld allerdings uneingeschränkt nur diejenigen Versicherten verwiesen werden, deren bisheriger Beruf im Sinne des § 1246 Abs. 2 RVO eine ungelernte Tätigkeit ist. Praktisch gilt dies aber auch für diejenigen Versicherten, deren bisherige Tätigkeit eine anerkannte Anlerntätigkeit oder eine gleichgestellte Tätigkeit ist. Wenn auch hier gewisse Abweichungen bei der Verweisung gegeben sind, so bestehen doch keine Bedenken, die auf das allgemeine Arbeitsfeld abgestellten Zahlen auch für die Verweisbarkeit dieser Versichertengruppe zugrunde zu legen. Soweit allerdings im Einzelfall die Verweisung auf den bisherigen Beruf selbst zu beurteilen ist, bedarf es u.U. besonderer Ermittlungen über die jeweiligen Verhältnisse dieses Berufs. Grundsätzlich anders dagegen liegen die Verhältnisse bei den Versicherten, die praktisch nur auf ihre eigene Tätigkeit verwiesen werden können, also bei den Versicherten mit Lehrberufen und gleichgestellten Berufen (siehe unten zu 3).
Da nach den von der BA auf Grund des Mikrozensus 1967 ermittelten – hochgerechneten – Zahlen 84.000 männlichen Teilzeitbeschäftigten und 6.400 Teilzeitarbeitsuchenden, insgesamt also 90.400 männlichen Teilzeitarbeitskräften, 6.400 männliche Teilzeitarbeitssuchende gegenüberstehen, ist das Verhältnis zwischen diesen Gruppen immerhin noch so günstig, daß nach den oben angegebenen Grundsätzen von einem praktisch verschlossenen Arbeitsmarkt nicht gesprochen werden kann, zumal nach der Auskunft der BA (Schreiben des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung vom 22. August 1969) Teilzeitarbeitskräfte bis zu 40 Jahren zu 80 % und Teilzeitarbeitskräfte von 40 bis 50 Jahren immerhin noch zu 30 % einen offenen Arbeitsplatz gefunden haben.
Da die Zahl der offenen Teilzeitarbeitsplätze für Frauen nach den vorliegenden statistischen Unterlagen größer ist als die Zahl solche Stellen suchender weiblicher Teilzeitarbeitskräfte, kann ohne Bedenken geschlossen werden daß auch hier dieses Verhältnis so günstig ist, daß nicht von einem den Versicherten praktisch verschlossenen Arbeitsmarkt gesprochen werden kann.
Männliche und weibliche Teilzeitarbeitskräfte, die noch halbschichtig bis unter vollschichtig arbeiten können und die im wesentlichen auf das allgemeine Arbeitsfeld verwiesen werden können, sind also grundsätzlich nicht berufsunfähig.
b) Die Verhältnisse liegen allerdings anders bei einigen Gruppen der Versicherten zu a), und zwar bei denjenigen, die wegen Vorliegens besonderer Verhältnisse über die zeitliche Einschränkung ihrer Arbeitsmöglichkeit hinaus noch weiteren Einschränkungen unterliegen und für die es daher besonders schwierig ist, einen Arbeitsplatz zu finden; sie sind grundsätzlich berufsunfähig.
aa) Die erste Gruppe der Versicherten, die auf Teilzeitarbeitsplätze angewiesen ist, denen der Zugang zum Arbeitsmarkt aber in besonders starkem Maße erschwert ist, sind diejenigen, die nicht nur auf Teilzeitarbeit beschränkt sind, sondern die darüber hinaus innerhalb der Zeit, in der sie arbeiten können, auf Grund ihres Gesundheitszustandes zusätzlich nur noch qualitäts- oder quantitätsmäßig erheblich eingeschränkte Leistungen erbringen können, oder die den Arbeitsplatz nur unter von den betrieblich üblichen Bedingungen erheblich abweichenden Bedingungen ausfüllen können. In diesen Fällen scheuen sich erfahrungsgemäß Arbeitgeber, solche Arbeitsuchende einzustellen. Man kann davon ausgehen, daß dieser Gruppe von Versicherten der Wettbewerb auf dem Arbeitsmarkt praktisch verschlossen ist, es sei denn, daß das Arbeitsamt oder der Rentenversicherungsträger in der Lage ist, dem Versicherten einen offenen Arbeitsplatz anzubieten, gleichgültig ob er von einem solchen Angebot Gebrauch macht oder daß er einen solchen Arbeitsplatz – nicht nur vergönnungsweise – anderweitig erhalten hat.
bb) Die zweite Gruppe von Teilzeitarbeitskräften sind in diesem Rahmen diejenigen Versicherten, die aus gesundheitlichen Gründen nicht auf den uneingeschränkten allgemeinen Arbeitsmarkt, sondern nur auf einen stark eingeschränkten Teil desselben verwiesen werden können (z. B. nur auf Teilzeittätigkeiten, die abwechselnd im Sitzen und Stehen oder solche, die nur im Freien verrichtet werden). Bei der Entscheidung der Frage, ob eine Einschränkung als stark in diesem Sinne anzusehen ist, kommt es darauf an, in welchem Umfang das allgemeine Teilzeitarbeitsfeld durch diese besondere Einschränkung für den Versicherten eingeengt ist. Da die Bundesanstalt für Arbeit zur Zeit noch nicht in der Lage ist, insoweit Angaben über die für diese Entscheidung erforderlichen Zahlen zu geben, und auch sonstige Ermittlungen kaum zu einem Ergebnis führen werden, muß zur Zeit angenommen werden, daß dem Versicherten wegen einer solchen Einschränkung der Arbeitsmarkt praktisch verschlossen ist. Denn nach den oben angegebenen Grundsätzen muß bei nicht genügender Kenntnis der für eine solche Entscheidung erforderlichen Verhältnisse angenommen werden, daß dem Versicherten das Arbeitsfeld praktisch verschlossen ist. Etwas anderes gilt allerdings, wenn das Arbeitsamt oder der Rentenversicherungsträger im Einzelfall in der Lage ist, dem Versicherten einen entsprechenden offenen Arbeitsplatz anzubieten, gleichgültig ob er von diesem Angebot Gebrauch macht, oder wenn der Versicherte anderweitig einen Arbeitsplatz – nicht nur vergönnungsweise – erhalten hat.
Für weibliche Teilzeitarbeitskräfte ergibt sich die Besonderheit, daß sie auf die sogenannten Dienstleistungsberufe (Organisations-, Verwaltungs- und Büroberufe, Reinigungsberufe und hauswirtschaftliche Berufe) und auf solche Tätigkeiten, für die es in einigen Fertigungsbereichen ganze Teilzeitschichten für Frauen gibt, verwiesen werden können. Denn die Zahl dieser offenen Stellen ist nach den statistischen Unterlagen größer als die Zahl der diese Stellen suchenden Frauen, so daß für dieses Teilarbeitsfeld angenommen werden kann, daß den Versicherten der Arbeitsmarkt praktisch nicht verschlossen ist. Natürlich kommt es im Einzelfall darauf an, ob die Versicherte die berufliche Fähigkeit und das gesundheitliche Vermögen hat, diese Tätigkeiten oder Gruppen von Tätigkeiten auszuüben und ob sie ihr im Sinne des § 1246 Abs. 2 RVO zumutbar sind.
Diejenigen Versicherten, die noch halbschichtig bis unter vollschichtig arbeiten können, die aber derartigen zusätzlichen Einsatzbeschränkungen unterliegen (aa und bb) sind in der Regel berufsunfähig.
cc) Es muß allerdings in diesem Zusammenhang auch noch auf die Gruppe der älteren Versicherten, die nur noch Teilzeitarbeiten verrichten können, hingewiesen werden. Aus den Auskünften der BA ergibt sich, daß für ältere Arbeitnehmer ganz allgemein die Chance, einen Arbeitsplatz zu finden, geringer ist, als bei solchen Arbeitsuchenden mittleren und jüngeren Alters. Bei diesen älteren Teilzeitarbeitskräften kommt zu den allgemeinen Schwierigkeiten, für Teilzeitarbeitsuchende einen Arbeitsplatz zu finden, die im Alter ohnehin bestehende Schwierigkeit bei der Suche eines Arbeitsplatzes hinzu. Nach den Schreiben des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung vom 22. August 1969 und 25. September 1969 hängt die Chance für eine Arbeitsaufnahme dieses Personenkreises vor allem von dem Alter ab. Von den unter 40 Jahre alten Arbeitsuchenden fanden ca. 80 %, von den 40- bis unter 50-jährigen 30 %, von den 50- bis unter 55-jährigen zwischen 24 und 30 % einen Arbeitsplatz, wohingegen die Gruppe der 55- bis 60-jährigen nur noch zu 15 bis 20 % einen offenen Arbeitsplatz gefunden hat. Natürlich können bei einigen Gruppen von Beschäftigten abweichende Verhältnisse vorliegen. Soweit die besondere Schwierigkeit einen Arbeitsplatz zu finden, darauf zurückzuführen ist, daß die Leistungsfähigkeit des Versicherten infolge von Krankheit, Gebrechen oder Schwäche der körperlichen oder geistigen Kräfte gemindert ist, muß dies im Rahmen der Frage nach der Berufsunfähigkeit berücksichtigt werden. Soweit sie aber auf der Tatsache des Alters beruht, muß dies im Rahmen der Berufsunfähigkeit außer Betracht bleiben, da bei diesen Rentenarten das Alter kein gesetzlich anerkannter Grund für die Gewährung einer Rente ist.
Die Tatsache, daß allein auf Grund des Alters ein Arbeitsplatz nur noch schwer gefunden wird, kann lediglich im Rahmen des vorgezogenen Altersruhegeldes berücksichtigt werden. Nach der zur Zeit geltenden Rechtslage (§ 1248 Abs. 2 RVO) kann das vorgezogene Altersruhegeld wegen Arbeitslosigkeit allerdings erst mit Vollendung des 60. Lebensjahres gewährt werden. Es ist Sache des Gesetzgebers zu prüfen, ob für diejenigen älteren Versicherten, die nur noch Teilzeitarbeit verrichten können, besondere gesetzliche Maßnahmen, etwa eine spezielle Vorverlegung der Altersgrenze für das vorgezogene Altersruhegeld wegen Arbeitslosigkeit in Betracht gezogen werden kann.
3.) Wie bereits ausgeführt, haben die für die Bundesrepublik Deutschland ermittelten statistischen Zahlen und die auf Grund eines Mikrozensus hochgerechneten Zahlen lediglich Bedeutung für Tätigkeiten, bei denen eine Verweisung auf den allgemeinen Arbeitsmarkt möglich ist, nicht dagegen für Tätigkeiten, bei denen der Versicherte praktisch nur auf seine Tätigkeit als Teilzeittätigkeit verwiesen werden kann (Lehrberufe und gleichgestellte Berufe). Hier wird für die einzelne Tätigkeit zu prüfen sein, ob nach den zu ermittelnden Zahlen über die entsprechenden Teilzeitarbeitskräfte und die entsprechenden Teilzeitarbeitsplätze nach den oben angegebenen Grundsätzen dem Versicherten der Arbeitsmarkt praktisch verschlossen oder ob dies nicht der Fall ist.
4.) Zur Frage, ob ein nach 1) bis 3) berufsunfähiger Versicherter darüber hinaus erwerbsunfähig ist, wird auf die Begründung in dem Beschluß des Großen Senats vom heutigen Tage in Sachen Becker./.LVA Rheinprovinz – GS 2/68 – verwiesen.
Unterschriften
Dr. Wannagat, Dr. Langkeit, Schmitt, Dr. Haug, Dr. Brocke, Schindler, Schröder, Dr. Dapprich
Fundstellen