Entscheidungsstichwort (Thema)
Mündliche Verhandlung. Terminsmitteilung. Rechtliches Gehör
Leitsatz (redaktionell)
Hat ein Berufungsgericht eine mündliche Verhandlung über die Berufung gegen ein Urteil des Sozialgerichts durchgeführt, ohne dass dieser Termin dem Beschwerdeführer oder seinem Bevollmächtigten mitgeteilt worden ist, liegt darin ein Verstoß gegen § 110 Abs. 1 S. 1 SGG, der über § 153 Abs. 1 SGG auch für das Berufungsverfahren gilt.
Normenkette
SGG §§ 62, 110 Abs. 1 S. 1, § 153 Abs. 1; ZPO § 547 Nr. 4
Verfahrensgang
Tenor
Auf die Beschwerde des Beigeladenen zu 7. wird das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 8. Mai 2002 aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.
Tatbestand
I
Der 1952 geborene Beigeladene zu 7. ist seit dem 1. Oktober 1996 als „Vertragsarzt für Psychotherapie” zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassen. Im August 1998 beantragte er, wegen Sonderbedarfs als „Arzt für Psychiatrie mit der Zusatzbezeichnung Psychotherapie” in dem wegen Überversorgung für Neuzulassungen gesperrten Bereich B. … zugelassen zu werden. Diesen Antrag lehnte der Zulassungsausschuss mit der Begründung ab, ein Versorgungsbedarf für einen weiteren Psychiater bestehe nicht (Bescheid vom 9. Dezember 1998).
Auf den Widerspruch des Beigeladenen zu 7. ließ ihn der beklagte Berufungsausschuss als Arzt für Psychiatrie/Psychotherapie in B. … mit der Begründung zu, die Zulassungsbeschränkungen für Nervenärzte erfassten nicht die Arztgruppe der Psychiater (Bescheid vom 18. März 1999). Nach Bekanntwerden des Urteils des Bundessozialgerichts (BSG) vom 9. Juni 1999 (BSG SozR 3-2500 § 101 Nr 3) hob der Beklagte diesen Bescheid auf, ließ aber den Beigeladenen zu 7. erneut als Arzt für Psychiatrie/Psychotherapie zu. Er begründete seine Entscheidung nunmehr damit, dass ein besonderer Bedarf an psychiatrischen Leistungen in den nördlich von B. … gelegenen Gemeinden bestehe (Bescheid vom 13. September 1999).
Das Sozialgericht (SG) hat die hiergegen erhobene Klage der Kassenärztlichen Vereinigung mit der Begründung abgewiesen, der Beklagte habe zutreffend unter Berücksichtigung der Infrastruktur sowie der Verkehrsverhältnisse das Einzugsgebiet einer psychiatrischen Praxis in B. … festgelegt und eine Einwohnerzahl von 35.000 ermittelt. Durch den in B. … niedergelassenen Arzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. K. sei für diesen Personenkreis eine ausreichende psychiatrische Versorgung nicht gewährleistet (Urteil vom 23. August 2000).
Auf die Berufung der Klägerin hat das Landessozialgericht (LSG) das sozialgerichtliche Urteil sowie den Bescheid des Beklagten aufgehoben und diesen verpflichtet, über den Widerspruch des Beigeladenen zu 7. gegen den Beschluss des Zulassungsausschusses erneut unter Beachtung der Rechtsauffassung des Senats zu entscheiden (Urteil vom 8. Mai 2002).
Mit seiner Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision macht der Beigeladene zu 7. als Verfahrensfehler geltend, die mündliche Verhandlung vor dem LSG habe zu einem Zeitpunkt stattgefunden, zu dem weder er selbst noch sein Bevollmächtigter geladen worden seien (Zulassungsgrund gemäß § 160 Abs 2 Nr 3 Sozialgerichtsgesetz ≪SGG≫).
Entscheidungsgründe
II
Die Beschwerde ist begründet.
Das Berufungsgericht hat am 8. Mai 2002 eine mündliche Verhandlung über die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des SG Freiburg durchgeführt, ohne dass dieser Termin dem Beschwerdeführer oder seinem Bevollmächtigten mitgeteilt worden ist. Darin liegt ein Verstoß gegen § 110 Abs 1 Satz 1 SGG, der über § 153 Abs 1 SGG auch für das Berufungsverfahren gilt. Zugleich ist dadurch das rechtliche Gehör des Beigeladenen zu 7. (§ 62 SGG) verletzt worden. Er war in der mündlichen Verhandlung nicht ordnungsgemäß vertreten iS des § 547 Nr 4 Zivilprozessordnung (ZPO) iVm § 202 SGG. Ein Fall der mangelnden Vertretung im Prozess liegt auch dann vor, wenn ein Beteiligter nicht ordnungsgemäß geladen wird und deshalb weder selbst noch durch einen Bevollmächtigten an der mündlichen Verhandlung teilnehmen konnte (Albers in Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, Zivilprozessordnung, 60. Auflage, 2002, § 547 RdNr 11 mit zahlreichen Nachweisen). Die mangelnde Vertretung eines Beteiligten im Verfahren ist nach § 547 Nr 4 ZPO iVm § 202 SGG als absoluter Revisionsgrund ausgestaltet, sodass das Urteil des Berufungsgerichts als auf einer Verletzung des Gesetzes beruhend anzusehen ist.
Mit Verfügung vom 27. März 2002 hatte der Vorsitzende des Berufungssenats Termin zur mündlichen Verhandlung auf Dienstag, den 28. Mai 2002 um 14.45 Uhr bestimmt. Aus dem in den Akten enthaltenen Vermerk des Senatsvorsitzenden vom 15. Mai 2002 ergibt sich, dass er den Termin auf Mittwoch, den 8. Mai 2002 hatte festlegen wollen, es jedoch zu einem Eingabefehler seitens der Urkundsbeamtin gekommen ist. Nach dem Bemerken dieses Fehlers hat der Senatsvorsitzende die Urkundsbeamtin angewiesen, „die Ladung in Ordnung zu bringen”. Dies ist in der Weise erfolgt, dass die Urkundsbeamtin die vom Vorsitzenden unterschriebene Originalverfügung mit Tipp-Ex abgeändert und so aus dem 28. Mai 2002 den tatsächlich gewünschten Termin „8. Mai 2002” gemacht hat. Dabei ist die Wochentagsangabe nicht korrigiert worden, sodass es bei der Angabe „Dienstag” geblieben ist, die zwar für den 28. Mai 2002, nicht jedoch für den 8. Mai 2002 zutreffend gewesen ist.
In der Ausfertigung des Beschlusses vom 27. März 2002, die dem Bevollmächtigten des Beigeladenen zu 7. zugestellt worden ist, ist erkennbar, dass an der Zahl „2” aus der Datumsangabe „28.5.2002” eine Tipp-Ex-Manipulation vorgenommen worden ist. Das Datum „28.5.2002” ist jedoch ohne jede Einschränkung zu lesen. Auf Grund der ihm zugestellten Ausfertigung der Terminierung hat der Bevollmächtigte des Beigeladenen zu 7. den Termin in seiner Kanzlei auf den 28. Mai 2002 notieren lassen und ist – da er von einer mündlichen Verhandlung am 8. Mai 2002 nichts gewusst hat – zu diesem Termin nicht erschienen. Erst durch eine zufällige Nachfrage vom 14. Mai 2002 nach den Möglichkeiten einer Terminsverlegung hat der Bevollmächtigte des Beigeladenen zu 7. in einem Gespräch mit dem stellvertretenden Senatsvorsitzenden erfahren, dass in der Sache bereits am 8. Mai 2002 mündlich verhandelt worden und eine Entscheidung ergangen ist. Die Richtigkeit der Angaben des Bevollmächtigten des Beigeladenen zu 7. sind nicht zu widerlegen und werden im Kern durch den in den Akten enthaltenen Vermerk des Senatsvorsitzenden vom 15. Mai 2002 bestätigt. Nach diesem Geschehensablauf stellt sich die Lage so dar, dass der Bevollmächtigte des Beigeladenen zu 7. zu einem Termin geladen worden ist, an dem die mündliche Verhandlung nicht stattgefunden hat und auch nicht stattfinden sollte, während ihn eine ordnungsgemäße Ladung zu dem Termin, an dem die mündliche Verhandlung tatsächlich durchgeführt worden ist, zu keinem Zeitpunkt erreicht hat. Damit liegt der absolute Revisionsgrund der nicht ordnungsgemäßen Vertretung eines Beteiligten iS des § 547 Nr 4 ZPO iVm § 202 SGG vor.
Nach § 160a Abs 5 SGG in der seit dem 2. Januar 2002 geltenden Fassung des 6. SGG-Änderungsgesetzes vom 17. August 2001 (BGBl I 2150) kann das BSG im Beschluss über die Nichtzulassungsbeschwerde das angefochtene Urteil aufheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückverweisen, wenn – wie hier – die Voraussetzungen des § 160 Abs 2 Nr 3 SGG vorliegen. Der Senat macht von dieser Möglichkeit Gebrauch. Das LSG wird bei seiner erneuten Entscheidung auch über die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu entscheiden haben.
Fundstellen