Verfahrensgang

LSG Rheinland-Pfalz (Urteil vom 23.11.2018; Aktenzeichen L 2 R 141/18)

SG Speyer (Entscheidung vom 08.03.2018; Aktenzeichen S 17 R 137/16)

 

Tenor

Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 23. November 2018 wird als unzulässig verworfen.

Die Beteiligten haben einander für das Beschwerdeverfahren keine Kosten zu erstatten.

 

Gründe

Mit Urteil vom 23.11.2018 hat das LSG Rheinland-Pfalz einen Anspruch des Klägers auf Vergabe einer neuen Versicherungsnummer mit geändertem Geburtsdatum (1.11.1965 anstatt 1.5.1975) verneint.

Gegen die Nichtzulassung der Revision in diesem Urteil hat der Kläger Beschwerde beim BSG eingelegt. Er beruft sich auf Divergenzen iS von § 160 Abs 2 Nr 2 SGG und Verfahrensmängel iS von § 160 Abs 2 Nr 3 SGG.

Die Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers ist unzulässig, weil sie nicht formgerecht begründet ist.

Die Revision ist nur zuzulassen, wenn

- die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG),

- das Urteil von einer Entscheidung des BSG, des GmSOGB oder des BVerfG abweicht und auf dieser Abweichung beruht (aaO Nr 2) oder

- ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann (aaO Nr 3).

Derartige Gründe werden in der Beschwerdebegründung nicht nach Maßgabe der Erfordernisse des § 160a Abs 2 S 3 SGG dargetan. Die Beschwerde ist daher gemäß § 160a Abs 4 S 1 iVm § 169 SGG zu verwerfen.

1. Divergenz iS von § 160 Abs 2 Nr 2 SGG liegt vor, wenn die tragenden abstrakten Rechtssätze, die zwei Entscheidungen zu Grunde gelegt worden sind, nicht übereinstimmen. Sie kommt nur dann in Betracht, wenn das LSG einen tragenden abstrakten Rechtssatz in Abweichung von einem vorhandenen abstrakten Rechtssatz des BSG, des GmSOGB oder des BVerfG aufgestellt hat. Eine Abweichung liegt folglich nicht schon dann vor, wenn die Entscheidung des LSG nicht den Kriterien entspricht, die das BSG aufgestellt hat, sondern erst, wenn das LSG diesen Kriterien widersprochen, also eigene rechtliche Maßstäbe entwickelt hat. Nicht die Unrichtigkeit der Entscheidung im Einzelfall, sondern die Nichtübereinstimmung im Grundsätzlichen begründet die Zulassung der Revision wegen Abweichung. Darüber hinaus verlangt der Zulassungsgrund der Divergenz, dass das angefochtene Urteil auf der Abweichung beruht. Bezogen auf die Darlegungspflicht bedeutet das vorstehend Gesagte, dass die Beschwerdebegründung erkennen lassen muss, welcher abstrakte Rechtssatz in der höchstrichterlichen Entscheidung enthalten ist und welcher im Urteil des LSG enthaltene Rechtssatz dazu im Widerspruch steht; ferner muss aufgezeigt werden, dass auch das Revisionsgericht die oberstgerichtliche Rechtsprechung in einem künftigen Revisionsverfahren seiner Entscheidung zu Grunde zu legen haben wird (zum Ganzen vgl BSG SozR 3-1500 § 160a Nr 34 S 72 mwN).

Der Kläger trägt zur Darlegung der Divergenz vor:

"Der vom Kläger vorgelegte nigerianische Reisepass stellt eine öffentliche Urkunde im Sinne des § 415 ZPO dar, die die Identität des Klägers, seine Staatsangehörigkeit und sein Geburtsdatum beweist. Die Wirkung der Beweiskraft erstreckt sich - ohne Rücksicht auf die Überzeugung des Gerichts - darauf, dass alle Erklärungen der Urkunde vollständig und richtig nach Inhalt und Begleitumständen wiedergegeben sind. Unter Anwendung und korrekter Beachtung dieser Vorschrift ist vorliegend davon auszugehen, dass der vorgelegte Reisepass zum vollständigen Nachweis der Identität des Klägers und dessen Geburtsdatum dient (vgl auch … zur Beweiskraft von Urkunden BGH NJW 1999, 1702). Der Bundesgerichtshof hat in der vorstehend zitierten Entscheidung vom 05.02.1999 unter Verweis auf die weitere Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 2.3.1970 (BGHZ 20, 109, 111; Urt. v. 02.03.1970 - II ZR 59/69) im Umkehrschluss ausgeführt, dass die Vermutung der Vollständigkeit und Richtigkeit der Urkunde' sich dahingehend auswirke, dass die Partei nur die Beweislast für die außerhalb der Urkunde liegende Umstände träfe.

Die dargestellte Auffassung zur Beweiskraft von (ausländischen) öffentlichen Urkunden wird auch gestützt durch die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts zur Frage der Beweiskraft von Urkunden im Sinne des § 33a SGB I (so bspw. BSG Urteil vom 28.04.2004, B 5 RJ 33/03 R ). Der Reisepass stellt unzweifelhaft eine zu beachtende Urkunde in diesem Sinne dar.

Der Gegenbeweis wäre zwar zulässig, ist vorliegend aber nicht erbracht.

Das Berufungsgericht (geht ua) nach einem Vergleich der Unterschriften davon aus, dass der Nachweis nicht erbracht sei, dass es sich um einen Pass des Klägers handele. Ohne das Ausweis-Dokument betreffende Gesichtspunkte wie bspw. den allgemeinen Sicherheitsmerkmalen eines Reisepasses oder das Lichtbild des Klägers und ohne zu beachten, dass es bei der Beweiskraft des vorgelegten Reisepasses auf die Überzeugung des Gerichts nicht ankommt.

Das angegriffene Urteil vom 23.11.2018 weicht wie dargelegt von der Rechtsprechung zur Beweiskraft von Urkunden in Erfüllung der Vorschrift des § 33a SGB I ab und beruht letztlich auch auf dieser Abweichung."

Mit diesem Vorbringen ist eine Divergenz iS von § 160 Abs 2 Nr 2 SGG nicht dargetan.

Soweit der Kläger eine Abweichung des Berufungsurteils von Entscheidungen des BGH geltend macht, fehlt es schon an der Bezeichnung divergenzfähiger Entscheidungen. Eine Divergenz im

hier maßgeblichen Sinn kommt nur bei einer Abweichung von einer Entscheidung des BSG, des GmSOGB oder des BVerfG in Betracht.

Ebenso wenig zeigt die Beschwerdebegründung eine Divergenz zum Urteil des BSG vom 28.4.2004 (B 5 RJ 33/03 R - Juris) schlüssig auf.

Der Kläger hat weder einen tragenden abstrakten Rechtssatz des LSG noch einen tragenden abstrakten Rechtssatz des BSG in der zitierten Entscheidung herausgestellt, die einander widersprechen. Er stellt lediglich dar, dass bei "Berücksichtigung der Beweisregeln und der einschlägigen Rechtsprechung durch das Berufungsgericht ein nach § 33a SGB I abweichendes Geburtsdatum des Klägers als das richtige Datum festzustellen gewesen" wäre. Die angebliche Unrichtigkeit einer Entscheidung im Einzelfall aufgrund eines Fehlverständnisses oder Übersehens höchstrichterlicher Rechtsprechung durch das Berufungsgericht begründet indes keine Divergenz iS von § 160 Abs 2 Nr 2 SGG. Die Bezeichnung einer Abweichung im Sinn dieser Norm setzt vielmehr die Darlegung voraus, dass das LSG die höchstrichterliche Rechtsprechung in dem angefochtenen Urteil infrage stellt (vgl BSG SozR 3-1500 § 160a Nr 34 S 73 mwN). Hierzu führt die Beschwerdebegründung nichts aus.

2. Wird eine Nichtzulassungsbeschwerde darauf gestützt, dass ein Verfahrensmangel vorliege, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen könne (§ 160 Abs 2 Nr 3 Halbs 1 SGG), so müssen bei der Bezeichnung des Verfahrensmangels (§ 160a Abs 2 S 3 SGG) zunächst die den Verfahrensmangel (vermeintlich) begründenden Tatsachen substantiiert dargetan werden. Darüber hinaus ist die Darlegung erforderlich, dass und warum die Entscheidung des LSG ausgehend von dessen materieller Rechtsansicht auf dem Mangel beruhen kann, also die Möglichkeit einer Beeinflussung des Urteils besteht. Gemäß § 160 Abs 2 Nr 3 Halbs 2 SGG kann der geltend gemachte Verfahrensmangel nicht auf eine Verletzung der §§ 109 und 128 Abs 1 S 1 SGG und auf eine Verletzung des § 103 SGG nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist.

a) Der Kläger rügt zum einen sinngemäß eine Verletzung des § 103 SGG.

Hierzu trägt er vor, das Berufungsgericht habe verfahrensfehlerhaft davon abgesehen, den Sachverhalt bezüglich der Frage weiter aufzuklären, ob es sich bei dem von ihm vorgelegten Reisepass um seinen Pass handele. Außerdem habe er die Einholung eines medizinischen Sachverständigengutachtens zum Nachweis seines Alters von 53 Jahren anstelle von 43 Jahren beantragt. Diesem Antrag sei das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt.

Mit diesem Vorbringen ist eine Verletzung der tatrichterlichen Sachaufklärungspflicht nicht schlüssig bezeichnet.

Soweit der Kläger die mangelnde Aufklärung der inhaltlichen Richtigkeit des Reisepasses rügt, hat er bereits nicht aufgezeigt, im Berufungsverfahren einen Beweisantrag gestellt zu haben. Nach der ausdrücklichen Bestimmung des § 160 Abs 2 Nr 3 Halbs 2 SGG kann eine Nichtzulassungsbeschwerde aber nur dann auf eine Verletzung des § 103 SGG gestützt werden, wenn der Beschwerdeführer einen Beweisantrag gestellt hat, den das LSG ohne hinreichende Begründung übergangen hat.

Hinsichtlich des behaupteten Antrags auf Einholung eines medizinischen Sachverständigengutachtens zur Feststellung seines wahren Alters hat der Kläger nicht dargetan, den Beweisantrag bis zuletzt aufrechterhalten zu haben.

Ein Beweisantrag hat im sozialgerichtlichen Verfahren Warnfunktion und soll der Tatsacheninstanz unmittelbar vor der Entscheidung vor Augen führen, dass die gerichtliche Aufklärungspflicht von einem Beteiligten noch nicht als erfüllt angesehen wird. Wird ein Beweisantrag in einem vorbereitenden Schriftsatz gestellt, so ist er dann nicht iS des § 160 Abs 2 Nr 3 Halbs 2 SGG übergangen worden, wenn den näheren Umständen zu entnehmen ist, dass er in der maßgebenden mündlichen Verhandlung nicht weiter verfolgt wurde. Dies ist bei rechtskundig vertretenen Beteiligten - wie dem Kläger - regelmäßig anzunehmen, wenn in der letzten mündlichen Verhandlung nur noch ein Sachantrag gestellt und der Beweisantrag nicht wenigstens hilfsweise wiederholt wird (BSG SozR 3-1500 § 160 Nr 35 S 73 mwN). Hierzu hat der Kläger nichts vorgetragen.

b) Der Kläger rügt des Weiteren eine Verletzung des § 106 SGG.

Hierzu macht er geltend, das LSG habe unter Verletzung seiner Hinweispflicht nach § 106 SGG nicht darauf hingewirkt, ein Sachverständigengutachten über die entscheidungserhebliche Frage einzuholen, ob die im Pass enthaltene Unterschrift vom Kläger stamme und es sich damit um seinen Pass handele. Hätte das Gericht einen entsprechenden Hinweis erteilt, hätte er, der Kläger, die Einholung eines Gutachtens zur Echtheit des Passes und der Tatsache, dass es sich um seinen Reisepass handele, beantragt. Ebenso hätte er bei entsprechenden Hinweisen weitere Beweisantritte insbesondere für die Echtheit des fraglichen Reisepasses und die Übereinstimmung seiner vorliegenden Schriftproben formuliert.

Mit diesem Vorbringen ist eine Verletzung des § 106 SGG nicht schlüssig bezeichnet.

Die Norm begründet keine Pflicht des Gerichts, die Beteiligten auf die Möglichkeit eines Beweisantrags hinzuweisen. Das Tatsachengericht hat vielmehr gemäß § 103 SGG den Sachverhalt von Amts wegen zu erforschen. Hält es eine Beweiserhebung für notwendig, hat es nicht einen entsprechenden Beweisantrag herbeizuführen, sondern den Beweis auch ohne Antrag zu erheben (BSG SozR 1500 § 160 Nr 13 S 11). Ist - wie im vorliegenden Zusammenhang - ein Beweisantrag unterblieben, kann eine unterlassene Sachaufklärung nicht über den Umweg des § 106 SGG zulässig geltend gemacht werden. Ansonsten würden die Vorgaben des § 160 Abs 2 Nr 3 Halbs 2 SGG umgangen werden können (vgl BSG SozR 1500 § 160 Nr 13 S 11 f; BSG Beschluss vom 24.7.2002 - B 7 AL 228/01 B - Juris RdNr 6; BSG Beschluss vom 13.9.2004 - B 11 AL 153/04 B - Juris RdNr 7; BSG Beschluss vom 13.8.2013 - B 9 SB 38/13 B - Juris RdNr 4).

c) Der Kläger rügt ferner sinngemäß eine Verletzung seines Anspruchs auf rechtliches Gehör (§ 62 SGG, Art 103 Abs 1 GG) durch Erlass einer Überraschungsentscheidung.

Hierzu trägt er vor, das LSG habe ihn weder im vorbereitenden Verfahren noch in der mündlichen Verhandlung hinreichend darauf hingewiesen, dass es den vorgelegten Reisepass nicht für den Pass des Klägers halte. Bei einem entsprechenden Hinweis hätte er Beweisanträge zur inhaltlichen Richtigkeit des Dokuments gestellt.

Der Anspruch auf rechtliches Gehör verpflichtet das Prozessgericht jedoch grundsätzlich nicht, die Beteiligten vor einer Entscheidung auf eine in Aussicht genommene Beweiswürdigung hinzuweisen oder die für die richterliche Überzeugungsbildung möglicherweise leitenden Gesichtspunkte zuvor mit den Beteiligten zu erörtern (vgl BSG SozR 3-1500 § 112 Nr 2 S 3 mwN; BSG SozR 3-1500 § 153 Nr 1 S 3). Etwas anderes gilt allerdings dann, wenn das Gericht seine Entscheidung auf einen rechtlichen Gesichtspunkt stützt, mit dem auch ein gewissenhafter und kundiger Prozessbeteiligter selbst unter Berücksichtigung der Vielfalt vertretbarer Rechtsauffassungen nicht zu rechnen brauchte (vgl BVerfGE 86, 133, 144 f). Dies ist nach der Beschwerdebegründung nicht anzunehmen.

Der Kläger räumt vielmehr selbst ein, dass das LSG in der mündlichen Verhandlung auf Unterschiede zwischen der im Reisepass aus dem Jahr 1990 enthaltenen Unterschrift und den in aktuellen Dokumenten vorhandenen Unterschriften hingewiesen hat. Mit dieser Erklärung hat das Gericht seine Zweifel an der inhaltlichen Richtigkeit des Passes deutlich aufgezeigt.

Im Übrigen macht der Kläger mit seiner Gehörsrüge letztlich eine Sachaufklärungsrüge geltend. Diese kann aber nicht zulässig erhoben werden, wenn - wie hier - die Voraussetzungen des § 103 SGG nicht ordnungsgemäß dargetan sind. Ansonsten könnten die gesetzlichen Vorgaben des § 160 Abs 2 Nr 3 Halbs 2 SGG umgangen werden.

d) Darüber hinaus macht der Kläger geltend, das Berufungsgericht habe den Reisepass und die weiteren von ihm vorgelegten Dokumente nicht unvoreingenommen als Beweisstücke zum Nachweis seiner Identität und seines richtigen Alters gewürdigt.

Sollte der Kläger mit diesem Vorbringen möglicherweise rügen wollen, dass Richterin am Landessozialgericht B., die als Einzelrichterin entschieden hat, befangen gewesen sei, ist darauf hinzuweisen, dass ein Antrag auf Ablehnung eines Richters wegen Besorgnis der Befangenheit gemäß § 60 Abs 1 SGG iVm § 44 Abs 1 ZPO bei dem Gericht anzubringen ist, dem der Richter angehört, und überdies nur bis zum vollständigen Abschluss der entsprechenden Instanz zulässig gestellt werden kann (BGH Beschluss vom 11.7.2007 - IV ZB 38/06 - Juris RdNr 5 ff).

Ebenso wenig ist der in dem dargestellten Vorbringen sowie in weiteren Ausführungen der Beschwerdebegründung enthaltene Angriff auf die Beweiswürdigung des Berufungsgerichts geeignet, die Nichtzulassungsbeschwerde zu begründen. Auf eine Verletzung des § 128 Abs 1 S 1 SGG kann nach der ausdrücklichen Bestimmung des § 160 Abs 2 Nr 3 Halbs 2 SGG eine Nichtzulassungsbeschwerde nicht gestützt werden.

Abschließend sei der Kläger darauf hingewiesen, dass das Verfahren der Nichtzulassungsbeschwerde keine dritte Tatsacheninstanz eröffnet, in der erneut Beweisanträge gestellt werden können.

Von einer weiteren Begründung wird abgesehen (vgl § 160a Abs 4 S 2 Halbs 2 SGG).

Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 Abs 1 und 4 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI13004203

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