Verfahrensgang
Hessisches LSG (Beschluss vom 02.01.2018; Aktenzeichen L 3 SB 72/17) |
SG Gießen (Entscheidung vom 05.04.2017; Aktenzeichen S 10 SB 30/16) |
Tenor
Der Antrag der Klägerin, ihr für das Verfahren der Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Beschluss des Hessischen Landessozialgerichts vom 2. Januar 2018 Prozesskostenhilfe zu bewilligen und einen Rechtsanwalt beizuordnen, wird abgelehnt.
Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Beschluss des Hessischen Landessozialgerichts vom 2. Januar 2018 wird als unzulässig verworfen.
Die Beteiligten haben einander auch für das Beschwerdeverfahren keine außergerichtlichen Kosten zu erstatten.
Gründe
I
In der Hauptsache begehrt die Klägerin die Weitergewährung des Merkzeichens "H" (Hilflosigkeit). Bei der Klägerin war zuletzt ein Grad der Behinderung (GdB) von 100 festgestellt und die Nachteilsausgleiche "RF", "GL" und "H" zuerkannt wegen einer an Taubheit grenzenden Schwerhörigkeit beidseits, einer audiogenen Sprachentwicklungsverzögerung sowie einer Cochlea-Implantation beiderseits (Bescheid vom 8.9.2014). Im Rahmen einer Überprüfung stellte der Beklagte fest, dass die Klägerin ihre kaufmännische Ausbildung im Juni 2015 erfolgreich abgeschlossen hatte. Nach entsprechender Anhörung der Klägerin entzog der Beklagte den Nachteilsausgleich "H" und erkannte zusätzlich eine Funktionsstörung der Wirbelsäule mit einem Einzel-GdB von 30 an (Bescheid vom 7.12.2015; Widerspruchsbescheid vom 12.1.2016). Das anschließende Klageverfahren blieb ebenso erfolglos (Urteil vom 5.4.2017) wie die folgende Berufung. Das LSG hat nach Anhörung der Beteiligten mit Beschluss nach § 153 Abs 4 SGG am 2.1.2018 die Berufung zurückgewiesen, weil nach der Rechtsprechung des BSG nach Abschluss einer beruflichen Erstausbildung das Merkzeichen "H" in der Regel nicht mehr festzustellen und ein Gehörloser aufgrund seines Kommunikationsdefizits nicht lebenslang hilflos sei. Auch die neben der Gehörlosigkeit geltend gemachte Funktionsstörung der Wirbelsäule könne einen Anspruch auf Weitergewährung des Merkzeichens "H" nicht begründen. Unstreitig leide die Klägerin bereits seit Jahren unter chronischen Rückenschmerzen. Auf der Grundlage insbesondere der fachärztlichen Befundunterlagen fänden sich aber keine anhaltenden Befunde, die auf gravierende neurologische oder funktionelle Ausfälle und einen daraus erklärbaren umfangreichen Hilfebedarf hinwiesen.
Mit ihrer Nichtzulassungsbeschwerde, für die sie Prozesskostenhilfe (PKH) unter Beiordnung eines Rechtsanwalts beantragt, wendet sich die Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision im Beschluss des LSG.
II
1. Der Antrag auf PKH ist abzulehnen. PKH ist nur zu bewilligen, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet (§ 73a Abs 1 S 1 SGG iVm § 114 Abs 1 S 1 ZPO). Weder die Angaben der Klägerin noch die Aktenlage lassen bei der gebotenen summarischen Prüfung die erforderliche Erfolgsaussicht erkennen. Hinreichende Erfolgsaussicht hat eine Nichtzulassungsbeschwerde nur, wenn einer der in § 160 Abs 2 SGG abschließend aufgeführten Zulassungsgründe mit Erfolg geltend gemacht werden könnte. Die Revision ist danach zuzulassen, wenn die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG), das Urteil bzw der Beschluss von einer Entscheidung des BSG, des GmSOGB oder des BVerfG abweicht und auf dieser Abweichung beruht (§ 160 Abs 2 Nr 2 SGG) oder ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann (§ 160 Abs 2 Nr 3 SGG). Von diesen Zulassungsgründen ist keiner ersichtlich.
a) Die Sache bietet keinen Hinweis für eine über den Einzelfall der Klägerin hinausgehende grundsätzliche Bedeutung (Zulassungsgrund gemäß § 160 Abs 2 Nr 1 SGG). Wer sich auf den Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG) beruft, muss eine Rechtsfrage klar formulieren und ausführen, inwiefern die Frage im angestrebten Revisionsverfahren entscheidungserheblich sowie klärungsbedürftig und über den Einzelfall hinaus von Bedeutung ist (vgl zB BSG Beschluss vom 16.6.2017 - B 9 SB 32/17 B - Juris RdNr 5; BSG Beschluss vom 9.12.1997 - 9 BVs 47/97 - Juris RdNr 3; BSG SozR 3-1500 § 160a Nr 21 S 38; BSG SozR 3-4100 § 111 Nr 1 S 2 f; s auch BSG SozR 3-2500 § 240 Nr 33 S 151 f mwN). Das von der Klägerin vorgetragene Begehren, dass ihr der Nachteilsausgleich "H" weiterhin zuerkannt werden müsse, erfüllt diese Voraussetzungen auch im Falle der Unterstellung einer entsprechenden Rechtsfrage mit Blick auf die geltende Rechtslage nicht. Hierzu hat sich das LSG insbesondere unter Berufung auf die Rechtsprechung des BSG umfangreich und rechtsfehlerfrei zu den Voraussetzungen für die Zuerkennung des Nachteilsausgleichs "H" sowie dessen Entziehung geäußert (s insbesondere BSG Urteil vom 23.6.1993 - 9/9a RVs 1/91 - BSGE 72, 285 = SozR 3-3870 § 4 Nr 6; BSG Urteil vom 12.11.1996 - 9 RVs 5/95 - BSGE 79, 223 = SozR 3-1300 § 48 Nr 57; BSG Urteil vom 12.2.2003 - B 9 SB 1/02 R - SozR 4-3250 § 69 Nr 1 und BSG Urteil vom 10.12.2003 - B 9 SB 4/02 R - Juris). Danach kann eine wesentliche Änderung der tatsächlichen Verhältnisse (§ 48 SGB X) auch dann vorliegen, wenn - wie im Fall der Klägerin - nach Abschluss einer beruflichen Erstausbildung das Kommunikationsdefizit eines Gehörlosen nicht mehr so ausgeprägt ist wie vor dem Spracherwerb und der Ausbildung. Ferner hat das LSG in seiner angefochtenen Entscheidung dargelegt, dass nach dem Gesamtergebnis des Verfahrens die Voraussetzungen für die Feststellung von Hilfslosigkeit mit einem täglichen Zeitaufwand an Hilfeleistungen von mindestens zwei Stunden bei mindestens drei Verrichtungen des täglichen Lebens nicht gegeben seien, weil zum hier maßgeblichen Zeitpunkt der Erteilung der streitgegenständlichen Bescheide keine entsprechend anhaltenden Befunde vorgelegen hätten, die Hinweise auf gravierende neurologische oder funktionelle Ausfälle und einen daraus erklärbaren umfangreichen Hilfebedarf gegeben hätten. Damit hat das LSG die Rechtsprechung des Senats zu den Voraussetzungen für die Zuerkennung des Nachteilsausgleichs "H" im Falle der Klägerin auch hinsichtlich des Beurteilungszeitraums einer reinen Anfechtungsklage berücksichtigt. Sonstige Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung sind zum vorliegenden Verfahren nicht ersichtlich. Soweit die Klägerin die Rechtsanwendung des LSG in ihrem Einzelfall für unzutreffend hält, kann sie damit keine Revisionszulassung erreichen (vgl BSG Beschluss vom 21.12.2017 - B 9 V 46/17 B - Juris RdNr 8; BSG SozR 1500 § 160a Nr 7 S 10).
b) Vor diesem Hintergrund ist nicht ersichtlich, dass das LSG entscheidungstragend von der Rechtsprechung des BSG, des GmSOGB oder des BVerfG abgewichen sein könnte (Zulassungsgrund gemäß § 160 Abs 2 Nr 2 SGG).
c) Schließlich fehlt auch ein ausreichender Anhalt dafür, dass die Klägerin einen die Revisionszulassung rechtfertigenden Verfahrensfehler des LSG bezeichnen könnte (Zulassungsgrund nach § 160 Abs 2 Nr 3 SGG). Nach § 160 Abs 2 Nr 3 SGG ist die Revision zuzulassen, wenn ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann. Gemäß § 160 Abs 2 Nr 3 Halbs 2 SGG kann der geltend gemachte Verfahrensmangel dabei nicht auf eine Verletzung der §§ 109 und 128 Abs 1 S 1 SGG und auf eine Verletzung des § 103 SGG nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist. Anhaltspunkte für derartige Verfahrensmängel sind nicht ersichtlich. Insbesondere durfte das LSG die Berufung der Klägerin nach § 153 Abs 4 SGG durch Beschluss ohne mündliche Verhandlung entscheiden, weil es diese einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich gehalten hat und die Beteiligten auf die Möglichkeit dieser Vorgehensweise zuvor hingewiesen worden sind.
Der Umstand, dass das LSG den fachärztlichen Befundunterlagen eine größere Bedeutung beigemessen hat als den von der Klägerin vorgelegten Attesten, gehört zur Beweiswürdigung iS des § 128 Abs 1 SGG, die der Nachprüfbarkeit im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren entzogen ist.
Der Antrag auf PKH ist daher abzulehnen. Damit entfällt zugleich auch die Beiordnung eines Rechtsanwalts (§ 73a Abs 1 S 1 SGG iVm § 121 ZPO).
2. Die Beschwerde ist ohne Zuziehung der ehrenamtlichen Richter zu verwerfen (§ 160a Abs 4 S 1 Halbs 2, § 169 SGG), weil sie nicht durch einen zugelassenen Prozessbevollmächtigten eingelegt und begründet worden ist (§ 73 Abs 4 iVm § 160a Abs 1 S 2 und Abs 2 S 1 SGG).
3. Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.
Fundstellen
Dokument-Index HI11773889 |