Entscheidungsstichwort (Thema)
Zulassung der Revision durch Berufungsgericht. Prüfung der formellen Beschwer durch Revisionsgericht. Erstattung überzahlter Rentenverischerungsleistung nach Tod des Versicherten. Unbekannte Erben. Bestellung eines Nachlasspflegers. Überweisung des Restguthabens auf Nachlassanderkonto zur Sicherung des Nachlasses. Verurteilung des Nachlasspflegers als Verfügender zur Rückzahlung. Keine Entscheidung über persönliche Haftung
Leitsatz (redaktionell)
1. Die Zulassung der Revision durch das Berufungsgericht macht die Prüfung der Zulässigkeitsvoraussetzungen nicht entbehrlich. Dazu gehört auch, ob der Rechtsmittelführer durch das angefochtene Urteil überhaupt formell beschwert ist (vgl. BSG, Urteil v. 08.03.1999, B 4 RA 34/99 R).
2. Tritt ein Nachlasspfleger in Ausübung seines Amts auf, so geschieht dies ausschließlich in Wahrnehmung seiner Aufgaben als gesetzlicher Vertreter der Erben. Auch bei einer gegen ihn als Nachlasspfleger gerichteten Klage ist er folglich Beklagter nur als gesetzlicher Vertreter der Erben. Etwas anderes gilt nur dann, wenn er nicht in Ausübung seines Amts handelt, sondern – auch gelegentlich der Amtsausübung – ein Eigengeschäft tätigt, das nicht den Erben, sondern ihm selbst zuzurechnen ist. Nur dann könnte er auch persönlich und mit seinem Privatvermögen in Anspruch genommen werden, im Übrigen nur auf Grund eigener unerlaubter Handlung oder einer Verletzung seiner Auskunftspflicht.
Normenkette
SGB IV § 118 Abs. 4 S. 1, Abs. 3; BGB §§ 1960, 1915, 1793
Verfahrensgang
LSG für das Saarland (Urteil vom 25.04.2002) |
Tenor
Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Landessozialgerichts für das Saarland vom 25. April 2002 wird als unzulässig verworfen.
Die Klägerin hat dem Beklagten und der Beigeladenen die außergerichtlichen Kosten des Revisionsverfahrens zu erstatten.
Tatbestand
I
Streitig ist, ob der Beklagte einen Rentenbetrag, der auf das Konto des verstorbenen Versicherten bei der beigeladenen Postbank nach dessen Tod überwiesen worden war, zu erstatten hat.
Mit Bestallungsurkunde vom 6. November 1996 wurde der Beklagte zum Nachlasspfleger bestellt. Sein Wirkungskreis umfasst die Sicherung und Verwaltung des Nachlasses sowie die Ermittlung der unbekannten Erben. Unter Hinweis auf seine Bestellung als Nachlasspfleger veranlasste er bei der Beigeladenen die Auflösung des Girokontos des verstorbenen Versicherten und die Überweisung des Guthabens in Höhe von 2.110,30 DM auf ein Nachlassanderkonto.
Nachdem die Klägerin vergeblich einen Anspruch gemäß § 118 Abs 4 Satz 1 SGB VI auf Erstattung eines Betrages von 2.494,46 DM (Höhe der überzahlten Rente) durch Verwaltungsakt gegenüber dem Beklagten geltend gemacht hatte, erhob sie Klage gegen „den Rechtsanwalt H. … -J. … M. … als Nachlasspfleger nach dem verstorbenen J. … -H. … M. …” und beantragte, „den Beklagten zu verurteilen, an die Klägerin 2.110,30 DM zu zahlen”. Das SG hat durch Urteil vom 4. August 2000 den Beklagten antragsgemäß verurteilt. Das LSG hat die Berufung des Beklagten zurückgewiesen und die Revision zugelassen (Urteil vom 25. April 2002). Es hat ua ausgeführt: Der Klägerin stehe ein Anspruch gegen den Beklagten gemäß § 118 Abs 4 Satz 1 SGB VI zu. Die Beigeladene sei als das Geldinstitut, bei dem der verstorbene Versicherte sein Konto gehabt habe von ihrer Verpflichtung zur Rücküberweisung des in Streit stehenden Betrages von 2.110,30 DM gemäß § 118 Abs 3 SGB VI frei geworden. Denn der Betrag sei am 26. November 1996 auf Veranlassung des Beklagten zur Sicherung des Nachlasses auf ein Rechtsanwaltanderkonto überwiesen worden; bis zu diesem Zeitpunkt sei der Bank ein Rückforderungsbegehren der Klägerin noch nicht zugegangen gewesen. Infolgedessen stehe der Klägerin ein Erstattungsanspruch gegen den Beklagten in seiner Funktion als Nachlasspfleger zu. Schuldner des Erstattungsanspruchs seien die unbekannten Erben, die vom Beklagten als Nachlasspfleger vertreten würden. Eine persönliche Inanspruchnahme des Beklagten scheide aus, da er als Nachlasspfleger im Rahmen der Sicherung des Nachlasses den Betrag erhalten habe, der damit den von ihm vertretenen Erben zuzurechnen sei. Seine Rechtsstellung werde durch § 118 Abs 4 Satz 1 SGB VI nicht verändert.
Die Klägerin hat die vom LSG zugelassene Revision eingelegt. Sie rügt eine fehlerhafte Auslegung von § 118 Abs 4 Satz 1 SGB VI durch das LSG und trägt vor: Die Revision sei zulässig. Sie sei durch das angefochtene Urteil beschwert. Zwar stimme die Urteilsformel mit ihrem Antrag überein. Der Beklagte sei als Nachlasspfleger zur Zahlung verurteilt worden. Aus den Entscheidungsgründen ergebe sich jedoch, dass nicht der Beklagte persönlich hafte, sondern die unbekannten Erben. Damit habe sie ihr Klageziel, die persönliche Inanspruchnahme des Beklagten, gerade nicht erreicht. Insoweit sei das Urteil des LSG widersprüchlich; hierin könne ein Verfahrensmangel liegen. Die Revision sei auch begründet. Verfügender iS des § 118 Abs 4 Satz 1 SGB VI könne nur der tatsächlich Verfügende sein. Auf seine Funktion (hier des Nachlasspflegers) komme es nicht an. Infolgedessen werde sie zu Unrecht mit einem Anspruch auf die unbekannten Erben verwiesen.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Landessozialgerichts für das Saarland vom 25. April 2002 abzuändern, soweit darin eine persönliche Zahlungspflicht des Beklagten abgelehnt worden ist, und die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts auch insoweit zurückzuweisen,
hilfsweise, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückzuverweisen.
Der Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Er bezieht sich im Wesentlichen auf die Gründe der angefochtenen Entscheidung.
Die Beigeladene hat sich in der Sache nicht geäußert.
Entscheidungsgründe
II
Die Revision der Klägerin ist unzulässig. Denn sie ist durch das die Berufung des Beklagten zurückweisende Urteil des Berufungsgerichts nicht formell beschwert.
Die Zulassung der Revision durch das Berufungsgericht macht die Prüfung der Zulässigkeitsvoraussetzungen nicht entbehrlich. Dazu gehört auch, ob der Rechtsmittelführer durch das angefochtene Urteil überhaupt formell beschwert ist (vgl BSG, Urteil vom 8. März 1999 – B 4 RA 34/99 R; BGH NJW 1993, 2052 f und NJW 1991, 703 f). An einer derartigen formellen Beschwer fehlt es, wenn das angefochtene Urteil den Anträgen des Rechtsmittelklägers entsprochen hat (vgl BSG aaO; BGH aaO; BFH, Urteil vom 28. Juni 1990 – VR 110/87). Entscheidend ist insoweit, worüber entschieden werden sollte und worüber tatsächlich entschieden worden ist, mithin kommt es auf den Umfang der prozessualen Rechtskraftwirkung an, die das Urteil haben würde, wenn es nicht angefochten werden könnte (vgl BGH LM Nr 69 zu § 847 BGB; BGHZ 26, 295, 296 f mwN). Die Klägerin hat vor dem LSG beantragt, die Berufung zurückzuweisen. Dem hat das Berufungsgericht uneingeschränkt entsprochen.
Auch aus den Entscheidungsgründen des LSG folgt keine formelle Beschwer der Klägerin. Denn der vom SG als Nachlasspfleger verurteilte Beklagte hat in dieser Eigenschaft und gegen diesen Urteilsinhalt Berufung eingelegt. Ein Vergleich der in der Klage aufgestellten Rechtsbehauptung, ihr stehe ein Anspruch in Höhe von 2.110,30 DM gegen den Beklagten als Nachlasspfleger zu, mit dem Inhalt der Entscheidungen des LSG und des SG ergibt, dass der Klägerin – jeweils – das zuerkannt worden ist, was sie begehrt hat.
a) Vor dem SG hat die Klägerin Klage erhoben gegen den Beklagten „Herrn Rechtsanwalt H. … -J. … M. … als Nachlasspfleger nach dem verstorbenen J. … -H. … M. …” mit dem Antrag, ihn zur Zahlung von 2.110,30 DM zu verurteilen; ferner hat sie in der Klageschrift auf die Stellung des Beklagten als Nachlasspfleger hingewiesen. Der Beklagte hatte mit Schriftsatz vom 22. Mai 2000 – vor der mündlichen Verhandlung – vorgetragen: „In dem vorliegenden Verfahren ist der Beklagte in seiner Eigenschaft als Nachlasspfleger, somit als gesetzlicher Vertreter der unbekannten Erben, in Anspruch genommen worden. Dies ergibt sich zum einen aus der Klageschrift der Klägerin. Der Beklagte ist im Rubrum aufgeführt als Nachlasspfleger der unbekannten Erben nach dem verstorbenen J. … -H. … M. …. Zum anderen ergibt sich dies aus der Klagebegründung. Es wird auf Seite 3 der Klageschrift dritter Absatz verwiesen. Die Klägerin begründet ihren Anspruch ausdrücklich mit der Eigenschaft des Beklagten als Nachlasspfleger. Im Übrigen haftet der Nachlasspfleger den Nachlassgläubigern gegenüber nur aus unerlaubter Handlung …” Im Anschluss daran erging am 4. August 2000 das Urteil des SG, in dem es den Beklagten als Nachlasspfleger antragsgemäß und nicht etwa Rechtsanwalt M. … persönlich zur Zahlung verurteilt hat. Einen darüber hinausgehenden Ausspruch enthält das Urteil nicht.
Streitgegenstand, der durch Klageantrag und Lebenssachverhalt bestimmte prozessuale Sachverhalt (vgl hierzu BGH NJW 1993, 2052 f), war also allein der Anspruch gegen den Nachlasspfleger als Vertreter der gesetzlichen Erben. Dies entspricht seiner ihm hoheitlich durch das Nachlassgericht übertragenen privatrechtlichen Amtsstellung (s §§ 1960, 1915, 1793 BGB). Der Wirkungskreis eines Nachlasspflegers umfasst allgemein die Sicherung und Verwaltung des Nachlasses sowie die Ermittlung der unbekannten Erben. Seine hoheitliche Bestellung durch das Nachlassgericht begründet gleichzeitig die privatrechtliche gesetzliche Vertretungsmacht für die unbekannten Erben bezüglich aller Nachlassangelegenheiten; infolgedessen vertritt er die unbekannten Erben gerichtlich in allen den Nachlass betreffenden Rechtsstreitigkeiten; er ist insoweit aktiv und passiv zur Prozessführung befugt (vgl RGZ 106, 46 ff; BVerfG NJW-RR 1998, 1081 f; BGH LM Nr 1, 3 und 4 zu § 1960 BGB; BGH NJW 1983, 226 f und 1989, 2133 f; BFHE 135, 406, 408; Leipold in Münchener Komm zum BGB, 3. Aufl, § 1960 RdNr 40, 41, 56; Marotzke in Staudinger 2000, § 1960 RdNr 43). Tritt also ein Nachlasspfleger in Ausübung seines Amtes auf, so geschieht dies ausschließlich in Wahrnehmung seiner Aufgaben als gesetzlicher Vertreter der Erben. Auch bei einer gegen ihn als Nachlasspfleger gerichteten Klage ist er folglich Beklagter nur als gesetzlicher Vertreter der (unbekannten) Erben. Etwas anderes gilt nur dann, wenn er nicht in Ausübung seines Amtes handelt, sondern – eventuell gelegentlich der Amtsausübung – ein Eigengeschäft tätigt, das nicht den Erben, sondern ihm selbst zuzurechnen ist; nur in diesem Fall könnte er auch persönlich (und mit seinem Privatvermögen) in Anspruch genommen werden, im Übrigen nur auf Grund eigener unerlaubter Handlung oder einer Verletzung seiner Auskunftspflicht.
b) Bei vernünftiger, am Empfängerhorizont orientierten Auslegung (§ 133 BGB) konnte schon das Klagebegehren (§ 123 SGG) und kann auch das Urteil des SG (juristisch) nur dahin verstanden werden, dass der Beklagte als Nachlasspfleger antragsgemäß zur Zahlung verurteilt worden ist. Eine andere Auslegung erscheint insbesondere auch deshalb abwegig, weil die Klägerin, eine rechtskundige Körperschaft des öffentlichen Rechts, ihre Klage ausdrücklich gegen den Beklagten „als Nachlasspfleger nach dem verstorbenen J. … -H. … M. …” gerichtet hatte. Gegen dieses Urteil hat der Beklagte als Nachlasspfleger sodann Berufung eingelegt. Die Klägerin hat vor dem LSG beantragt, die Berufung des Beklagten (als Nachlasspfleger) – und nicht etwa die Berufung des Rechtsanwalts M. … – zurückzuweisen. Sie hat auch nicht etwa vor dem LSG Klage erhoben auf Verurteilung von Rechtsanwalt M. … zur Zahlung von 2.110,30 DM und ihre gegen den Nachlasspfleger erhobene Klage zurückgenommen, sie hat nicht einmal eine „Berichtigung des Rubrums” angeregt. Das LSG hat dem Antrag der Klägerin entsprochen und die Berufung des Beklagten als Nachlasspfleger zurückgewiesen. Damit hat das LSG die Verurteilung des Beklagten als Nachlasspfleger bestätigt. Die Klägerin hat somit durch die Entscheidung des LSG alles erlangt, was sie beantragt (und begehrt) hatte.
c) Entgegen der Auffassung der Klägerin besteht zwischen Tenor und Entscheidungsgründen des Urteils des LSG kein Widerspruch. Zur Begründung seiner Entscheidung und letztlich des Anspruchs der Klägerin gegen den Nachlasspfleger nach § 118 Abs 4 SGB VI hat das LSG auf ein Urteil des Senats zu § 118 Abs 3 und 4 SGB VI vom 25. Januar 2001 (B 4 RA 64/99 R = SozR 3-1500 § 54 Nr 45) verwiesen und in diesem Zusammenhang ausgeführt: Der Beklagte habe unter Hinweis auf seine Bestellung zum Nachlasspfleger um Auflösung des Girokontos und Überweisung auf ein Nachlassanderkonto gebeten und somit als Nachlasspfleger verfügt. Schuldner des Erstattungsanspruchs seien daher die von ihm vertretenen gesetzlichen Erben (als Gesamthandsgemeinschaft). Über eine Eigenhaftung von Rechtsanwalt M. … mit seinem Privatvermögen hat das LSG damit nicht entschieden. Auch Realakte einer Person, die rechtlich als „Verfügungen” iS von § 118 Abs 4 Satz 1 SGB VI zu qualifizieren sind, müssen nämlich – unabhängig davon, auf welcher Rechtsgrundlage sie vorgenommen werden – vorab einem Rechtssubjekt (Rechtsträger; Zuordnungsendsubjekt) rechtlich zugeordnet werden, als dessen „Verfügungen” sie rechtliche Wirkungen entfalten können. Wird die handelnde Person in Ausübung eines ihr anvertrauten öffentlichen Amtes (zB der Nachlassrichter des Nachlassgerichts) oder eines ihr hoheitlich übertragenen privatrechtlichen Amtes tätig, durch welches sie zum gesetzlichen Vertreter eines anderen bestellt wurde, ist ihr Verhalten dem „Vertretenen” als eigenes zuzurechnen. Daher kann der Nachlasspfleger, falls er in Ausübung dieses Amtes handelt (zB Nachlassforderungen auf ein Nachlassanderkonto einzieht), auch nicht nach § 118 Abs 4 Satz 3 SGB VI neben dem Erben, dem sein Verhalten allein zuzurechnen ist, selbst (persönlich) zur Erstattung verpflichtet sein. Die Ausführungen des LSG – in Form eines obiter dictum – dienen also ersichtlich nur der Begründung des Anspruchs gegen den Nachlasspfleger gemäß § 118 Abs 4 Satz 1 SGB VI und grenzen lediglich die Verfügungen einer „Privatperson” von derjenigen eines Nachlasspflegers ab, der in Ausübung seines Amtes handelt. Über eine Inanspruchnahme bzw Nichtinanspruchnahme von Rechtsanwalt M. … (persönlich) hat das LSG somit keine Entscheidung getroffen, die in Rechtskraft erwachsen könnte.
d) Die mithin erstmals im Revisionsverfahren beantragte Verurteilung von Rechtsanwalt M. … persönlich zur Zahlung von 2.110,30 DM ist eine in der Revisionsinstanz unzulässige Klageänderung (§§ 163, 99 SGG), die nicht geeignet ist, eine Revisionsbeschwer nachträglich herbeizuführen. Im Übrigen (obiter dictum) wäre die geänderte Klage auch unbegründet. Nach dem vom LSG festgestellten Sachverhalt ist schlechthin keine Rechtsgrundlage für die Inanspruchnahme von Rechtsanwalt M. … persönlich ersichtlich.
Die Revision ist mithin ohne Hinzuziehung von ehrenamtlichen Richtern durch Beschluss als unzulässig zu verwerfen (§ 169 SGG).
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183, 184, 193 SGG.
Fundstellen