Entscheidungsstichwort (Thema)

Nichtzulassungsbeschwerde. soziales Entschädigungsrecht. Soldatenversorgung. Beweislastumkehr oder Beweismaßreduzierung in bestimmten anerkannten Fallkonstellationen. keine grundsätzliche Bedeutung der Anwendung auf den konkreten Einzelfall

 

Orientierungssatz

1. Nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung können im sozialen Entschädigungsrecht verminderte Anforderungen an die Beweislast zu stellen sein, wenn eine Fallkonstellation dazu Anlass gibt (vgl BSG vom 18.5.2006 - B 9a V 2/05 R = SozR 4-3100 § 1 Nr 3 und vom 9.12.2016 - B 9 V 35/16 B).

2. Die Frage, ob dies auf einen konkreten Einzelfall zutrifft (hier: für eine HPV-Infektion durch einen Hochwassereinsatz der Bundeswehr), hat aber keine grundsätzliche Bedeutung iS von §§ 160a, 160 Abs 2 Nr 1 SGG.

 

Normenkette

SVG § 81 Abs. 6 S. 1; BVG § 1 Abs. 3 S. 1; SGG § 160 Abs. 2 Nr. 1, § 160a Abs. 2 S. 3

 

Verfahrensgang

SG Lüneburg (Entscheidung vom 20.08.2020; Aktenzeichen S 11 VE 14/18)

LSG Niedersachsen-Bremen (Urteil vom 28.04.2022; Aktenzeichen L 10 VE 56/20)

 

Tenor

Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen vom 28. April 2022 wird als unzulässig verworfen.

Die Beteiligten haben einander für das Beschwerdeverfahren keine außergerichtlichen Kosten zu erstatten.

 

Gründe

I. Der Kläger begehrt in der Hauptsache die Feststellung einer Wehrdienstbeschädigung und Versorgung nach dem Soldatenversorgungsgesetz (SVG).

Das LSG hat den Anspruch wie vor ihm der Beklagte und das SG verneint. Die rezidivierende Kehlkopfpapillomatose des Klägers sei nicht mit der notwendigen Wahrscheinlichkeit durch schädigende Einwirkungen im Sinne des SVG während seines Hochwassereinsatzes im Jahr 2013 verursacht worden. Wie der erstinstanzlich gehörte Sachverständige W vielmehr überzeugend dargelegt habe, würden HPV-Viren nur durch sehr intensiven Körper- und vor allem Schleimhautkontakt übertragen. Dazu sei es bei dem Einsatz auch nach dem Vortrag des Klägers nicht gekommen. Zu einer Umkehr der Beweislast führten weder der zeitliche Zusammenhang zwischen dem Auftreten der Infektion und dem Hochwassereinsatz noch das Fehlen von Vorschädigungen bei Diensteintritt (Urteil vom 28.4.2022).

Gegen die Nichtzulassung der Revision in dieser Entscheidung hat der Kläger Beschwerde zum BSG eingelegt. Das LSG habe die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache verkannt.

II. Die Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers ist unzulässig. Die Begründung verfehlt die gesetzlichen Anforderungen, weil sie die allein geltend gemachte grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache nicht ordnungsgemäß dargelegt hat (§ 160a Abs 2 Satz 3 SGG).

1. Eine Rechtssache hat nur dann grundsätzliche Bedeutung iS des § 160 Abs 2 Nr 1 SGG, wenn sie eine Rechtsfrage aufwirft, die über den Einzelfall hinaus aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts einer Klärung durch das Revisionsgericht bedürftig und fähig ist. Der Beschwerdeführer muss daher anhand des anwendbaren Rechts und unter Berücksichtigung der höchstrichterlichen Rechtsprechung angeben, welche Rechtsfragen sich stellen, dass diese noch nicht geklärt sind, weshalb eine Klärung dieser Fragen aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts erforderlich ist und dass das angestrebte Revisionsverfahren eine Klärung erwarten lässt. Ein Beschwerdeführer muss mithin, um seiner Darlegungspflicht zu genügen, eine Rechtsfrage, ihre (abstrakte) Klärungsbedürftigkeit, ihre (konkrete) Klärungsfähigkeit (Entscheidungserheblichkeit) sowie die über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung der von ihm angestrebten Entscheidung (sogenannte Breitenwirkung) darlegen (stRspr; zB BSG Beschluss vom 8.3.2021 - B 9 BL 3/20 B - juris RdNr 14; BSG Beschluss vom 2.5.2017 - B 5 R 401/16 B - juris RdNr 6). Diese Darlegungsanforderungen erfüllt die Beschwerdebegründung nicht.

Der Kläger misst sinngemäß der Frage grundsätzliche Bedeutung bei,

ob bei einer während der Wehrdienstzeit aufgetretenen und festgestellten Gesundheitsschädigung eine Beweislastumkehr oder zumindest eine Reduzierung des Beweismaßes zugunsten des Wehrdienstleistenden vorzunehmen ist, wenn als Ursache für die Gesundheitsschädigung ein Ereignis während der Wehrdienstzeit, gleichfalls aber auch ein Ereignis außerhalb der Wehrdienstzeit in Betracht kommt, für das keine konkreten Feststellungen zur Möglichkeit der Verursachung getroffen werden können.

Damit formuliert die Beschwerdebegründung indes bereits keine klare Rechtsfrage iS des § 160 Abs 2 Nr 1 SGG zur Auslegung, zum Anwendungsbereich oder zur Vereinbarkeit einer bestimmten revisiblen Norm des Bundesrechts (vgl § 162 SGG) mit höherrangigem Recht. Unabhängig davon legt sie aber auch keinen grundsätzlichen Klärungsbedarf für den mit der Frage angesprochenen Problemkreis dar. Als höchstrichterlich geklärt ist eine Rechtsfrage auch dann anzusehen, wenn das Revisionsgericht diese zwar noch nicht ausdrücklich entschieden hat, jedoch schon eine oder mehrere höchstrichterliche Entscheidungen ergangen sind, die ausreichende Anhaltspunkte zur Beurteilung der von der Beschwerde als grundsätzlich herausgestellten Rechtsfrage geben (stRspr; zB BSG Beschluss vom 17.10.2018 - B 9 V 20/18 B - juris RdNr 9 mwN). Im Hinblick hierauf muss in der Beschwerdebegründung unter Auswertung der einschlägigen höchstrichterlichen Rechtsprechung substantiiert vorgetragen werden, dass das BSG zu diesem Fragenbereich noch keine Entscheidung gefällt hat oder durch die schon vorliegenden Entscheidungen die hier maßgebende Frage von grundsätzlicher Bedeutung noch nicht beantwortet worden ist (vgl stRspr; zB BSG Beschluss vom 15.8.2019 - B 9 SB 23/19 B - juris RdNr 9 mwN). Hieran fehlt es.

Zwar thematisiert die Beschwerde mögliche Beweiserleichterungen im Recht der Soldatenversorgung und der sozialen Entschädigung. Auf die hierzu bereits ergangene Rechtsprechung des BSG geht sie jedoch nicht im gebotenen Maße ein. So hat sich das BSG im sozialen Entschädigungsrecht bereits mehrfach mit Fragen der Beweiserleichterung bis hin zur Beweislastumkehr befasst (vgl zB BSG Urteil vom 18.5.2006 - B 9a V 2/05 R - SozR 4-3100 § 1 Nr 3 RdNr 22; BSG Urteil vom 3.2.1999 - B 9 V 33/97 R - BSGE 83, 279 = SozR 3-3900 § 15 Nr 2 - juris RdNr 13 ff; BSG Urteil vom 10.8.1993 - 9/9a RV 10/92 - SozR 3-1750 § 444 Nr 1 - juris RdNr 14 ff; BSG Beschluss vom 9.12.2016 - B 9 V 35/16 B - juris RdNr 14; BSG Beschluss vom 2.10.2008 - B 9 VS 3/08 B - SozR 4-1500 § 124 Nr 2 RdNr 8). Auch der Gesetzgeber hat den typischerweise im sozialen Entschädigungsrecht vorkommenden Beweisschwierigkeiten durch begrenzte Regeln zu Gunsten der Geschädigten Rechnung getragen. Insbesondere genügt zur Anerkennung einer Gesundheitsstörung als Folge einer (Wehrdienstbe-)Schädigung schon die Wahrscheinlichkeit des ursächlichen Zusammenhangs (§ 1 Abs 3 Satz 1 Bundesversorgungsgesetz, § 81 Abs 6 Satz 1 SVG). Zudem führen Beweisschwierigkeiten oder möglicherweise unzulängliche Ermittlungen einer Behörde nach der Rechtsprechung des BSG nicht grundsätzlich zu einer Beweislastumkehr. Diese tritt bei einem Beweisnotstand allenfalls dann ein, wenn er auf einer schuldhaft unterlassenen bzw unvollkommenen Beweiserhebung oder sogar auf einer Beweisvereitelung durch denjenigen beruht, dem die Unerweislichkeit der Tatsachen zum prozessualen Vorteil gereicht (BSG Urteil vom 30.11.2006 - B 9a VS 1/05 R - juris RdNr 22; BSG Beschluss vom 9.12.2016 aaO). Der Kläger zeigt nicht auf, dass sich aus der in der Beschwerdebegründung zitierten Entscheidung des BSG vom 2.9.2004 (B 7 AL 88/03 R - SozR 4-1500 § 128 Nr 5) zur Beweiserleichterung und Beweislastumkehr bei Verletzung von Mitwirkungsobliegenheiten im Recht der Arbeitslosenversicherung substanziell etwas anderes ergibt. Entsprechendes gilt für das von ihm erwähnte Urteil des BSG vom 13.9.2006 (B 11a AL 19/06 R - juris).

Der Kläger hat keinen trotz dieser höchstrichterlichen Rechtsprechung fortbestehenden oder neu entstandenen Klärungsbedarf dargelegt. Wie er vielmehr selbst ausführt, können nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung verminderte Anforderungen an die Beweislast zu stellen sein, wenn eine Fallkonstellation dazu Anlass gibt. Die Frage, ob dies auf seinen Einzelfall zutrifft, hat aber keine grundsätzliche Bedeutung. Das Verfahren der Nichtzulassungsbeschwerde ermöglicht keine allgemeine Überprüfung des Rechtsstreits in dem Sinne, ob das LSG in der Sache richtig entschieden hat (vgl stRspr; zB BSG Beschluss vom 27.8.2018 - B 9 SB 24/18 B - juris RdNr 7 mwN).

Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab (vgl § 160a Abs 4 Satz 2 Halbsatz 2 SGG).

2. Die Beschwerde ist somit ohne Zuziehung der ehrenamtlichen Richter zu verwerfen (§ 160a Abs 4 Satz 1 Halbsatz 2, § 169 Satz 2 und 3 SGG).

3. Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.

 Kaltenstein

Ch. Mecke

Röhl

 

Fundstellen

Dokument-Index HI15581779

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