Verfahrensgang
SG Düsseldorf (Entscheidung vom 06.04.2018; Aktenzeichen S 49 R 1935/16) |
LSG Nordrhein-Westfalen (Urteil vom 24.10.2018; Aktenzeichen L 3 R 268/18) |
Tenor
Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 24. Oktober 2018 wird als unzulässig verworfen.
Die Beteiligten haben einander keine außergerichtlichen Kosten zu erstatten.
Gründe
I
Durch Urteil vom 24.10.2018 hat das LSG Nordrhein-Westfalen einen Anspruch der Klägerin auf Nachzahlung einer Altersrente aus der Versicherung ihres am 14.7.2005 verstorbenen Ehemannes (im Folgenden: Versicherter) unter Zugrundelegung von Zeiten nach dem Gesetz zur Zahlbarmachung von Renten aus Beschäftigung in einem Ghetto (ZRBG) für die Zeit ab dem 1.7.1997 bis zum 13.7.2005 verneint.
Der Versicherte beantragte mit Schreiben vom 24.10.2002, eingegangen bei der Beklagten am 29.10.2002, eine Altersrente unter Berücksichtigung von in einem Ghetto zurückgelegten Beitragszeiten (von November 1941 bis Dezember 1943). Mit Schreiben vom 25.2.2003 bat die Beklagte den Versicherten um Mitteilung, in welchem Ghetto die Arbeitsleistung zurückgelegt worden sei und wann genau die Beschäftigung im Ghetto begonnen und geendet habe. Darauf erfolgte ebenso wenig eine Antwort, wie auf die Erinnerungen vom 23.10. und 9.12.2003. Mit Schreiben vom 12.1.2004, eingegangen bei der Beklagten am 14.1.2004, erklärte der damals bevollmächtigte Rentenberater des Versicherten: "Meinen Antrag vom 24.10.2002 nehme ich zurück."
Am 30.1.2013 beantragte die Klägerin die Gewährung einer Witwenrente, die die Beklagte für die Zeit ab dem Todestag des Versicherten bewilligte. Der rund 1½ Jahre später bei der Beklagten gestellte Antrag der Klägerin auf Nachzahlung einer Altersrente des Versicherten für die Zeit bis zum 13.7.2005 blieb hingegen erfolglos (Bescheid vom 4.8.2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 3.11.2016). Zur Begründung führte die Beklagte aus, der Anspruch auf Gewährung einer Altersrente stehe nur dem Versicherten, nicht aber den Erben oder Sonderrechtsnachfolgern zu. Der Anspruch sei mit dem Tod des Berechtigten erloschen. Einen Rentenantrag habe erst die Witwe gestellt (§ 59 SGB I). Den früheren Rentenantrag des Versicherten habe dieser noch zu Lebzeiten zurückgenommen.
Auch im Klage- und Berufungsverfahren ist die Klägerin mit dem Begehren auf Zahlung der Altersrente des Versicherten nicht durchgedrungen (Urteil des SG vom 6.4.2018; Urteil des LSG vom 24.10.2018). Zur Begründung hat das Berufungsgericht im Wesentlichen ebenfalls darauf abgestellt, dass der Versicherte seinen früheren bei der Beklagten gestellten Antrag auf Gewährung einer Altersrente mit Schreiben seines früheren Bevollmächtigten vom 12.1.2004 zurückgenommen und danach selbst keinen weiteren Antrag gestellt habe. Ein - etwaiger - zuvor in Israel gestellter Rentenantrag könne daher ebenfalls keine Wirkung mehr entfalten und der Altersrentenanspruch des Versicherten sei im Zeitpunkt seines Todes am 14.7.2005 erloschen.
Gegen die Nichtzulassung der Revision in diesem Urteil hat die Klägerin mit Schreiben ihres Prozessbevollmächtigten vom 17.12.2018 Beschwerde zum BSG eingelegt und diese mit Schriftsatz vom 6.3.2019 innerhalb der bis zu diesem Tag verlängerten Frist begründet. Die Klägerin macht eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache geltend (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG).
II
Die Nichtzulassungsbeschwerde der Klägerin ist unzulässig. Die Begründung genügt nicht den gesetzlichen Anforderungen, weil der von ihr allein geltend gemachte Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG) nicht ordnungsgemäß dargetan worden ist (vgl § 160a Abs 2 Satz 3 SGG).
1. Grundsätzliche Bedeutung iS des § 160 Abs 2 Nr 1 SGG hat eine Rechtssache nur dann, wenn sie eine Rechtsfrage aufwirft, die - über den Einzelfall hinaus - aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts einer Klärung durch das Revisionsgericht bedürftig und fähig ist. Ein Beschwerdeführer muss daher anhand des anwendbaren Rechts sowie unter Berücksichtigung der höchstrichterlichen Rechtsprechung und des Schrifttums angeben, welche Rechtsfragen sich stellen, dass diese noch nicht geklärt sind, weshalb eine Klärung aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts erforderlich ist und dass das angestrebte Revisionsverfahren eine Klärung erwarten lässt. Um seiner Darlegungspflicht zu genügen, muss ein Beschwerdeführer mithin Folgendes aufzeigen: (1) eine konkrete Rechtsfrage, (2) ihre (abstrakte) Klärungsbedürftigkeit, (3) ihre (konkrete) Klärungsfähigkeit sowie (4) die über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung der von ihm angestrebten Entscheidung, also eine Breitenwirkung (stRspr; vgl etwa BSG vom 25.9.2002 - B 7 AL 142/02 B - SozR 3-1500 § 160a Nr 34 S 70 mwN). Diesen Anforderungen wird die vorliegende Beschwerdebegründung nicht gerecht.
Die Klägerin formuliert folgende Rechtsfragen:
1. "Ob in der Erklärung des Bevollmächtigten 'Sehr geehrte Damen und Herren, meinen Antrag vom (Datum des Antrages) nehme ich zurück' angesichts der objektiven Aussichtslosigkeit der Durchsetzung des Rentenbegehrens des Versicherten bis zur Änderung des ZRBG in der Fassung vom 15.7.2014 - gültig allerdings erst ab 1.7.1997 - eine freie Rücknahmeentscheidung des Versicherten liegt, mit der Rechtsfolge, dass eine rechtswirksame Antragsrücknahmeerklärung vorliegt oder ob die Antragsrücknahme angesichts der Umstände derart unfrei erfolgte, dass nicht von einer freien und damit rechtswirksamen Antragsrücknahme mit Datum vom 12. Januar 2004 ausgegangen werden kann."
2. "Kann die fehlende Anhängigkeit eines Verwaltungsverfahrens bereits im Zeitpunkt des Todes des Versicherten (§ 59 Satz 2 SGB I) durch einen der Sonderrechtsnachfolgerin des Versicherten zustehenden sozialrechtlichen Herstellungsanspruch ersetzt werden?"
3. "Bestand anlässlich der Antragsrücknahme durch den Bevollmächtigten mit den Worten 'Meinen Antrag vom 24.10.2002 nehme ich hiermit zurück' am 12.01.2004 bei der Beklagten die Pflicht, den Versicherten auf die Folgen seiner Antragsrücknahme explizit dergestalt hinzuweisen, dass ohne die erneute Beantragung einer Rente nach dem ZRBG zu Lebzeiten des Versicherten der Versicherte weder von einer Änderung des Anwendungsbereichs des ZRBG profitieren könnte, da der Anwendungsbereich des 44 SGB X für den Versicherten nicht eröffnet ist, sodass sich das Unterlassen eines entsprechenden Hinweises der Beklagten als Pflichtverletzung iS der §§ 14 Abs 1, 15 Abs 1 SGB I der Beklagten darstellt, mit der Folge, dass der Klägerin als Rechtsnachfolgerin bei Vorliegen der weiteren Voraussetzungen ein sozialrechtlicher Herstellungsanspruch zusteht?"
4. "Bestand anlässlich der Antragsrücknahme durch den Bevollmächtigten mit den Worten 'Meinen Antrag vom 24.10.2002 nehme ich hiermit zurück' am 12.01.2004 bei der Beklagten die Pflicht, den Versicherten auf die Folgen seiner Antragsrücknahme explizit dergestalt hinzuweisen, dass die Beklagte die Rechtswirkung der Rücknahmeerklärung auch auf den in Israel durch den Versicherten selbst gestellten israelischen Rentenantrag erstreckt und die Antragsfiktion nach Art 27 Abs 2 S 1 des 'Abkommens zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Staat Israel über Soziale Sicherheit vom 03.03.1975' konsumiert, sodass sich das Unterlassen eines entsprechenden Hinweises der Beklagten als Pflichtverletzung im Sinne der §§ 14 I, 15 I SGB I der Beklagten darstellt, mit der Folge, dass der Klägerin als Rechtsnachfolgerin bei Vorliegen der weiteren Voraussetzungen ein sozialrechtlicher Herstellungsanspruch zusteht?"
5. "Entfällt der Zusammenhang zwischen der einen sozialrechtlichen Herstellungsanspruch begründenden Pflichtverletzung der Beklagten im Sinne der wesentlichen Mitursächlichkeit, wenn der Versicherte aufgrund eines eigenen Willensentschlusses seinen Rentenantrag zurücknimmt, weil er nicht das Rentenverfahren ruhend gestellt hat oder das Verwaltungsverfahren einschließlich gerichtlichen Instanzenzugs durchlaufen hat, obwohl der Versicherte selbst bei Durchführung derselben keine positive Entscheidung erreichen konnte?"
6. "Stellt die Rücknahmeerklärung des Bevollmächtigten, die sich ausdrücklich und ausschließlich nur auf den eigenen, von ihm für den Mandanten gestellten Antrag bezieht, gleichzeitig automatisch auch eine Rücknahmeerklärung bezogen auf den Antrag des vom Bevollmächtigten vertretenen Mandanten dar, den dieser zuvor persönlich gestellt hatte?"
und
7. "Ob die Rücknahmeerklärung ausdrücklich bezogen auf den eigenen Antrag des Bevollmächtigten auf Gewährung einer Regelaltersrente aufgrund einer Tätigkeit in einem Ghetto mit Entgeltleistungen unter besonderer Berücksichtigung der Vorschriften des ZRBG in seiner konkreten Formulierung 'Sehr geehrte Damen und Herren, meinen Antrag vom (Datum des Antrages) nehme ich zurück' auch automatisch als Rücknahmeerklärung der Anträge des Versicherten bezüglich seines davor persönlich in Israel gestellten Antrags auf Gewährung einer eigenen Versichertenrente aus der israelischen Rentenversicherung wirkt?"
Es kann offenbleiben, ob die Klägerin damit aus sich heraus verständliche abstrakt-generelle Rechtsfragen zur Auslegung, zum Anwendungsbereich oder zur Vereinbarkeit einer konkreten revisiblen Norm des Bundesrechts (vgl § 162 SGG) mit höherrangigem Recht formuliert (vgl dazu allgemein BSG Beschluss vom 24.10.2018 - B 13 R 239/17 B - juris RdNr 8 mwN). Die Bezeichnung einer abstrakten, aus sich heraus verständlichen Rechtsfrage ist für die Zulässigkeit einer Nichtzulassungsbeschwerde unverzichtbar. Denn nur anhand einer solchen konkreten Fragestellung kann das Beschwerdegericht die weiteren Voraussetzungen der Grundsatzrüge prüfen (BSG Beschluss vom 15.4.2019 - B 13 R 233/17 B - RdNr 9; Becker, SGb 2007, 261, 265; Krasney/Udsching/Groth, Handbuch des sozialgerichtlichen Verfahrens, 7. Aufl 2016, Kap IX RdNr 181).
Jedenfalls hat die Klägerin die (abstrakte) Klärungsbedürftigkeit der Rechtsfragen nicht hinreichend dargelegt. Eine Rechtsfrage ist dann nicht klärungsbedürftig, wenn die Antwort praktisch außer Zweifel steht, sich zB unmittelbar aus dem Gesetz ergibt oder bereits höchstrichterlich geklärt ist (vgl BSG SozR 3-1500 § 160 Nr 8 S 17). Als höchstrichterlich geklärt ist eine Rechtsfrage auch dann anzusehen, wenn das Revisionsgericht bzw das BVerfG diese zwar noch nicht ausdrücklich entschieden hat, jedoch schon eine oder mehrere höchstrichterliche Entscheidungen ergangen sind, die ausreichende Anhaltspunkte zur Beurteilung der von der Beschwerde als grundsätzlich herausgestellten Rechtsfrage geben (vgl BSG SozR 3 1500 § 160 Nr 8 S 17). Im Hinblick hierauf muss in der Beschwerdebegründung unter Auswertung der Rechtsprechung des BSG und ggf des BVerfG zu dem Problemkreis substantiiert vorgetragen werden, dass zu diesem Fragenbereich noch keine höchstrichterliche Entscheidung gefällt oder durch die schon vorliegenden Urteile die hier maßgebende Frage von grundsätzlicher Bedeutung noch nicht beantwortet ist (vgl Krasney/Udsching/Groth aaO). Hieran fehlt es. Im Hinblick auf die Fragen, die sich mit dem sozialrechtlichen Herstellungsanspruch befassen, mangelt es zumindest an hinreichenden Darlegungen zu deren Klärungsfähigkeit.
Zur Begründung im Einzelnen wird - um Wiederholungen zu vermeiden - auf den Beschluss des BSG vom 13.12.2019 (B 5 R 26/19 B), der dem Prozessbevollmächtigten der Klägerin zugestellt worden ist und in dem sich der 5. Senat mit im Wesentlichen wortidentischen Rechtsfragen, bei vergleichbarer Begründung und einem Sachverhalt, der nicht entscheidungserheblich von dem vorliegenden abweicht, ausführlich auseinandergesetzt hat. Der erkennende Senat schließt sich den dortigen Ausführungen an und macht sie sich für das vorliegende Verfahren zu eigen.
Von einer weiteren Begründung wird abgesehen (vgl § 160a Abs 4 Satz 2 Halbsatz 2 SGG).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen
Dokument-Index HI13703801 |