Verfahrensgang
LSG Berlin (Beschluss vom 12.11.1996) |
Tenor
Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision im Beschluß des Landessozialgerichts Berlin vom 12. November 1996 wird abgelehnt.
Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.
Tatbestand
I
Der Kläger macht für die Bemessung von Arbeitslosengeld (Alg) die Berücksichtigung der Leistungsgruppe C anstelle der Leistungsgruppe A geltend und trägt dazu vor, er lebe in einer gleichgeschlechtlichen Lebensgemeinschaft. Da ihm die Eingehung der Ehe mit seinem Partner verwehrt sei, müsse er bei der Bemessung des Alg nicht wie ein Alleinstehender, sondern wie ein Ehepartner behandelt werden. Die Klage hatte in den Vorinstanzen keinen Erfolg. Das Landessozialgericht (LSG) ist nach Anhörung der Beteiligten gemäß § 153 Abs 4 Sozialgerichtsgesetz (SGG) verfahren und hat die Berufung zurückgewiesen, weil das Arbeitsförderungsgesetz (AFG) dem Lohnsteuerrecht folge und dessen Auslegung nicht in die Kompetenz der Sozialgerichtsbarkeit falle. Die Revision hat das LSG nicht zugelassen.
Mit der Beschwerde macht der Kläger die Zulassungsgründe der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache und des Verfahrensmangels (Verletzung des rechtlichen Gehörs) geltend. Die Bemessung des Alg nach Leistungsgruppen, die an Lohnsteuerklassen anknüpfen, verstoße gegen Art 2 Abs 1 iVm Art 1 Abs 1 und Art 3 Abs 1 Grundgesetz (GG). Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) habe zwar entschieden, daß Ehen nur zwischen Frauen und Männern geschlossen werden könnten. Es habe aber in seinem Beschluß vom 3. Oktober 1993 – 1 BvR 640/93 – (NJW 1993, 3058) hervorgehoben, den genannten Verfassungsnormen komme grundsätzliche Bedeutung wegen der „vielfältigen Behinderungen” gleichgeschlechtlicher Partner „in ihrer privaten Lebensgestaltung und Benachteiligungen gegenüber Ehepartnern” zu. Die Frage der Verfassungsmäßigkeit des § 111 Abs 2 AFG sei von grundsätzlicher Bedeutung, zumal die Anknüpfung der Leistungsgruppen an Lohnsteuerklassen nicht ausnahmslos durchgeführt sei (§ 111 Abs 2 Nr 1c) bb) AFG). Das rechtliche Gehör habe das LSG verletzt, weil es die ihm obliegende Vorfragenkompetenz nicht wahrgenommen habe. Darin liege zugleich ein Verstoß gegen die Rechtsweggarantie des Art 19 Abs 4 GG.
Entscheidungsgründe
II
Die form- und fristgerecht eingelegte Beschwerde ist zulässig, aber nicht begründet.
1. Den Zulassungsgrund grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache hat der Kläger in einer § 160a Abs 2 Satz 3 SGG noch entsprechenden Weise dargelegt, indem er mit Hinweis auf Rechtsprechung des BVerfG denkbare Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der Einteilung in Leistungsgruppen, die Lohnsteuerklassen entsprechen, aufgezeigt hat. Danach ergibt sich die Bemessung des Alg nicht ohne weiteres aus der gesetzlichen Regelung des § 111 Abs 2 AFG und der dazu ergangenen Rechtsprechung des BVerfG und des Bundessozialgerichts (BSG), die die gesetzliche Regelung für andere Sachverhalte als verfassungsmäßig angesehen hat.
2. Bei näherer Prüfung erweist sich die Beschwerde aber nicht als begründet. Der Ausschluß von Partnern einer gleichgeschlechtlichen Lebensgemeinschaft von der Leistungsgruppe C begründet auch unter verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten nicht eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung. Durch Art 6 Abs 1 GG ist die Ehe als Verbindung von Frau und Mann zu umfassender, grundsätzlich unauflöslicher Lebensgemeinschaft unter den besonderen Schutz der staatlichen Ordnung gestellt (BVerfGE 10, 59, 66; 53, 224, 245; 87, 234, 264 = SozR 3-4100 § 137 Nr 3 uö). Diese verfassungsrechtliche Grundentscheidung ist sachlicher Grund für einfachgesetzliche Unterscheidungen zwischen Ehen und sonstigen Lebensgemeinschaften. Auch wenn herkömmliche Vorstellungen von Ehe im Zuge der gesellschaftlichen Entwicklung Wandlungen unterworfen sind und zu Änderungen des Familienrechts geführt haben, setzt Art 6 Abs 1 GG Gleichstellungstendenzen Grenzen, die den Kern der verfassungsrechtlichen Einrichtungsgarantie antasten (vgl Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Bd III/1, 1988, 822, 825). Aus diesem Grunde ist dem Kläger die Eingehung einer Ehe mit seinem Partner verwehrt. Sich daraus ergebende einfachgesetzliche Folgen sind auch nach dem in der Beschwerdebegründung angeführten Beschluß des BVerfG nicht pauschal in Zweifel zu ziehen. Vielmehr ist auf die Eigenart der rechtlichen Zuordnung von Ehepartnern Bedacht zu nehmen, die sich gerade auch in gegenseitigen gesetzlichen Unterhaltspflichten niederschlägt. Bei nicht dauernd getrennt lebenden Ehegatten besteht zudem eine Vermutung dafür, daß diese Unterhaltspflicht auch tatsächlich erfüllt wird (BVerfGE 87, 234, 264 = SozR 3-4100 § 137 Nr 3). An solche Umstände knüpft § 38b Einkommensteuergesetz die Zuordnung zur Lohnsteuerklasse III und damit § 111 Abs 2 AFG die Zuordnung zur Leistungsgruppe C für die Bemessung von Leistungen bei Arbeitslosigkeit typisierend und pauschalierend an. Ob damit der verfassungsrechtlich gewährleistete Kernbereich der Einrichtungsgarantie betroffen ist, kann dahinstehen. Jedenfalls handelt es sich um der Eigenart des geregelten Lebenssachverhalts entsprechende Unterscheidungen, die im Blick auf die Gleichheit vor dem Gesetz nach Art 3 Abs 1 GG gerechtfertigt sind. Deshalb läßt sich aus dem Gleichheitsgrundsatz ein Anspruch auf gesetzliche Gleichstellung von Partnern gleichgeschlechtlicher Lebensgemeinschaften mit Ehegatten im hier zu behandelnden Zusammenhang nicht herleiten. Als vergleichbare Fallgruppe im Rahmen des Art 3 Abs 1 GG kommen für gleichgeschlechtliche Partner nur Partner nichtehelicher Lebensgemeinschaften zwischen Frauen und Männern in Betracht. Dabei ist unerheblich, daß Letzteren die Eheschließung nicht grundsätzlich verwehrt ist. Dieser Unterschied ist nur von „geringem Gewicht und muß als notwendige Folge der Typisierung hingenommen werden” (BVerfGE 87, 234, 267 = SozR 3-4100 § 137 Nr 3). Andererseits ist zu bedenken, daß typisierende Regelungen bei der Anrechnung von Partnereinkommen gleichgeschlechtliche sowie Lebens-, Haushalts- und Wirtschaftsgemeinschaften zwischen Verwandten gegenüber eheähnlichen Lebensgemeinschaften bevorzugen (§ 137 Abs 2a AFG; § 122 BSHG). Verfassungsrechtlich ist das gerechtfertigt, weil der Gesetzgeber damit der eheähnlichen Lebensgemeinschaft als einem in größerer Zahl auftretenden und gegenüber anderen Lebensgemeinschaften deutlicher herausgebildeten „sozialen Typus” gerade im Hinblick auf Art 6 Abs 1 GG Rechnung trägt (BVerfGE 87, 234, 267 = SozR 3-4100 § 137 Nr 3; BSG SozR 4100 § 138 Nr 17).
Abgesehen von dem verfassungsrechtlichen Schutzauftrag des Art 6 Abs 1 GG hat der Gesetzgeber von seiner Gestaltungsfreiheit, „diejenigen Sachverhalte auszuwählen, an die er dieselbe Rechtsfolge knüpft, die er also im Rechtssinn als gleich ansehen will” (BVerfGE 90, 226, 239 = SozR 3-4100 § 111 Nr 6; BSGE 76, 224, 227 = SozR 3-8120 Kap VIII E III Nr 5 Nr 5 jeweils mwN) sachgerecht Gebrauch gemacht. Bei der Feststellung von Leistungen wegen Arbeitslosigkeit ist der sich aus der Nettolohnersatzquote ergebende Zahlbetrag möglichst rasch, einfach und endgültig zu bestimmen (BSG SozR 3-4100 § 111 Nr 3 mwN). Dem dient es, wenn die Leistungsgruppen grundsätzlich an Steuerklassen anknüpfen. Insbesondere ist es sachgerecht, zwischen Eheleuten und Partnern nichtehelicher Lebensgemeinschaften zu unterscheiden. Merkmale nicht rechtlich konturierter Lebensgemeinschaften sind für den Gesetzesvollzug nur schwer erkennbar und ihre Feststellung mit erhöhtem Verwaltungsaufwand verbunden. Gerade das rechtfertigt für die Leistungsbemessung typisierende und pauschalierende Regelungen. Die sich aus den gesetzlichen Tatbeständen ergebenden Unterscheidungen für verschiedene Personengruppen sind danach verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Das hat der Senat bereits mit Billigung des BVerfG in anderem Zusammenhang ausgesprochen (BSG SozR 3-4100 § 111 Nr 1; BVerfG SozR 3-4100 § 111 Nr 2; vgl auch: BVerfGE 87, 234, 265 ff = SozR 3-4100 § 137 Nr 3). Daran ist auch für den hier zu beurteilenden Sachverhalt festzuhalten.
Die Sondervorschrift des § 111 Abs 2 Nr 1c) bb) AFG gibt keinen Anlaß für eine abweichende Beurteilung. Sie betrifft vornehmlich Fälle mit Auslandsbezug (dazu eingehend: Gagel, AFG, § 111 RdNrn 91 ff – Stand: Mai 1995). Da sie im übrigen nur für verheiratete Arbeitslose gilt, ist sie nicht geeignet, das Regelungskonzept des § 111 Abs 2 AFG grundsätzlich in Frage zu stellen.
Auch die allgemeine Handlungsfreiheit nach Art 2 Abs 1 GG ist durch die Lohnsteuerklassenzuordnung und die daran anknüpfenden Leistungsgruppen für die Bemessung von Leistungen bei Arbeitslosigkeit nicht verletzt. Danach kommt der allein unter verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten aufgeworfenen Rechtsfrage grundsätzliche Bedeutung nicht zu.
3. Ob ein den Revisionsrechtszug eröffnender Verfahrensmangel mit der Rüge der Verletzung rechtlichen Gehörs schlüssig bezeichnet ist, kann dahinstehen. Das LSG ist dem Vorbringen des Klägers begegnet, indem es die Ansicht vertreten hat, der Sozialgerichtsbarkeit komme im hier zu beurteilenden Zusammenhang eine Vorfragenkompetenz hinsichtlich der Steuerklassenzuordnung nicht zu. Vielmehr habe die Eintragung in die Lohnsteuerkarte Tatbestandswirkung. Nach der § 111 Abs 2 AFG ergänzenden Vorschrift des § 113 Abs 1 AFG hängt die Leistungsgruppe grundsätzlich von der zu Beginn des Kalenderjahres, in dem der Anspruch entstanden ist, auf der Lohnsteuerkarte eingetragenen Steuerklasse ab. Insoweit knüpft die Bemessung der Leistungen bei Arbeitslosigkeit an die Systematik des Steuerrechts an (BSGE 61, 45, 50 = SozR 4100 § 113 Nr 5). Eine Überprüfung der Eintragungen auf der Lohnsteuerkarte durch Arbeitsämter und Sozialgerichte findet grundsätzlich nicht statt (BSG SozR 4100 § 113 Nr 9; Gagel, AFG, § 111 RdNr 87 – Stand: Mai 1995). Die Beschwerde verlangt rechtliches Gehör für nicht entscheidungserhebliche Umstände.
Auch die Rechtsweggarantie des Art 19 Abs 4 GG ist aus den erörterten Gründen nicht betroffen. Im Kern wendet sich die Beschwerde gegen die Folgen der Verfassungsentscheidung, wonach gleichgeschlechtlichen Partnern die Eheschließung verwehrt ist.
Eine Verletzung der Mündlichkeit des Verfahrens ist mit der Beschwerdebegründung nicht bezeichnet. Das LSG ist unter den Voraussetzungen des § 153 Abs 4 SGG befugt, ohne mündliche Verhandlung durch Beschluß zu entscheiden. Abgesehen davon, daß die Beschwerdebegründung das Fehlen dieser Voraussetzungen nicht aufzeigt, ist das Vorgehen des LSG nur begrenzt zu überprüfen (vgl dazu: BSG SozR 3-1500 § 160a Nr 19). Für sachfremde Erwägungen oder grobe Fehleinschätzung des LSG bei der Beurteilung der Sach- und Rechtslage sind Anhaltspunkte nicht dargetan.
Die Beschwerde des Klägers kann nach alledem keinen Erfolg haben.
Die Kostenentscheidung beruht auf entsprechender Anwendung des § 193 SGG.
Fundstellen
NJW 1997, 2620 |
SozSi 1997, 358 |