Entscheidungsstichwort (Thema)
Ruhen der Rente bei Auslandsaufenthalt. Verfassungsmäßigkeit
Orientierungssatz
Der mit § 98 AVG verbundene Ausschluß der Auszahlung der Rente in das Ausland verletzt den Kläger nicht in seinem Grundrecht aus Art 3 Abs 1 GG. Bei der Regelung von Rentenansprüchen, die nicht im Geltungsbereich des AVG erworben wurden, handelt es sich um Normen, die der Bewältigung außergewöhnlicher Probleme dienen, die ihren Ursprung in historischen Vorgängen aus der Zeit vor der Entstehung der Bundesrepublik Deutschland haben und aus dem Krieg und dem Zusammenbruch des deutschen Reiches erwachsen sind. Die Regelung dieser Probleme hat das GG weitgehend der eigenverantwortlichen Gestaltung des Gesetzgebers überlassen. Dies ist auch bei der Prüfung der Frage von Bedeutung, ob Art 3 Abs 1 GG verletzt ist. Wie das BVerfG bereits im Zusammenhang mit den früheren Ruhensregelungen (§§ 96 und 100 AVG aF = §§ 1317 und 1321 RVO aF) ausgeführt hat, darf der Gesetzgeber die Zahlung von Renten, die nicht wenigstens teilweise im Geltungsbereich des AVG erworben worden sind, im Rahmen seiner mit der Kriegsfolgenbeseitigung verbundenen sehr weitgehenden Gestaltungsfreiheit begrenzen (vgl BVerfG vom 17.10.1980 - 1 BvR 785/76 = SozR 2200 § 1317 Nr 8 mwN). Diese Begrenzung rechtfertigt bei gewöhnlichem Auslandsaufenthalt nicht nur eine Anordnung des Ruhens der Rente - wie nach bisherigem Recht -, sondern auch den dem Ruhen im Ergebnis gleichstehenden Ausschluß der Rentenzahlung für die Zeit des gewöhnlichen Auslandsaufenthalts.
Normenkette
AVG § 98 Abs 2; RVO § 1319 Abs 2; AVG § 96; RVO § 1317; AVG § 100; RVO § 1321; GG Art 3 Abs 1
Verfahrensgang
LSG Berlin (Entscheidung vom 20.01.1989; Aktenzeichen L 1 An 149/88) |
Gründe
Der Kläger hat gegen die Nichtzulassung der Revision in dem vorbezeichneten Urteil des Landessozialgerichts (LSG) Beschwerde eingelegt und zur Durchführung des Beschwerdeverfahrens die Bewilligung von Prozeßkostenhilfe beantragt.
Dieser Antrag ist abzulehnen. Die Nichtzulassungsbeschwerde bietet auch dann, wenn sie von einem dem Kläger beigeordneten Prozeßbevollmächtigten eingelegt würde, keine hinreichende Aussicht auf Erfolg (§ 73a Abs 1 Satz 1 des Sozialgerichtsgesetzes -SGG- iVm § 114 Satz 1 der Zivilprozeßordnung -ZPO-).
Nach § 160 Abs 2 SGG kann die Beschwerde zur Zulassung der Revision nur dann führen, wenn die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat (Nr 1) oder das Urteil von einer Entscheidung des Bundessozialgerichts (BSG) oder des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes abweicht und auf dieser Abweichung beruht (Nr 2) oder ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann (Nr 3).
Keiner dieser Zulassungsgründe ist gegeben. Insbesondere hat die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung. Der 1921 in Sachsen geborene Kläger, der deutscher Staatsangehöriger ist und von April 1936 bis März 1940 in Riesa (jetzt DDR) Beitragszeiten zur reichsgesetzlichen Angestelltenversicherung und danach Ersatzzeiten bis zur Entlassung aus der Kriegsgefangenschaft im Jahre 1947 zurückgelegt hat, begehrt die Zahlung des Altersruhegeldes wegen Vollendung des 65. Lebensjahres nach Belgien, wo er seit 1947 seinen Wohnsitz hat. Diesen Anspruch haben die Beklagte und die Vorinstanzen verneint. Das LSG hat zur Begründung ua ausgeführt, daß der Kläger zwar die Voraussetzungen für die Gewährung des begehrten Altersruhegeldes erfülle, jedoch eine Zahlung dieser Rente nach Belgien nicht in Betracht komme, weil der Kläger seinen gewöhnlichen Aufenthalt nicht im Geltungsbereich des Angestelltenversicherungsgesetzes (AVG) habe und nicht die Voraussetzungen der §§ 97, 98 AVG alter wie neuer Fassung erfülle. Insbesondere seien keine Beiträge im heutigen Geltungsbereich des AVG nachgewiesen. Auch aus etwaigen Ersatzzeiten könne das Altersruhegeld des Klägers nicht nach Belgien ausgezahlt werden, weil sie nicht aufgrund einer rentenversicherungspflichtigen Beschäftigung oder Tätigkeit im heutigen Geltungsbereich des AVG anrechenbar seien (§ 97 Abs 2 AVG aF und § 99 Abs 1 AVG nF). Auch eine Auszahlung nach EWG-Recht oder nach dem Gesetz über die Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts in der Sozialversicherung (WGSVG) komme nicht in Betracht, weil die Voraussetzungen hierfür nicht gegeben seien. Der Kläger sei kein Verfolgter des Nationalsozialismus iS des § 1 WGSVG; ferner blieben nach der Vorbehaltsklausel in Anhang VI C 1b der EWG-Verordnung 1408/71 die deutschen Auszahlungsvorschriften in den §§ 97 ff AVG unberührt. Es bestehe auch keine rechtliche Möglichkeit, Fälle der vorliegenden Art als "Sonderfälle" zu behandeln und auf diesem oder ähnlichem Wege die Zahlung der Rente ins Ausland zu ermöglichen.
Diese Entscheidung ist nicht von grundsätzlicher, dh über den Einzelfall hinausgehender Bedeutung. Die Rechtsfragen, die sie aufwirft, beantworten sich unmittelbar aus dem Gesetz und bedürfen daher keiner höchstrichterlichen Klärung. Die Voraussetzungen, unter denen Leistungen an Berechtigte außerhalb des Geltungsbereichs dieses Gesetzes (AVG) zu erbringen sind, sind mit Wirkung vom 1. Juni 1979 durch das Rentenanpassungsgesetz (RAG) 1982 vom 1. Dezember 1981 (BGBl I S 1205) neu geregelt worden. Danach erhält ein Berechtigter, der seinen gewöhnlichen Aufenthalt nicht im Geltungsbereich dieses Gesetzes hat, also nicht in der Bundesrepublik Deutschland (und West-Berlin) wohnt, für diese Zeit die Leistungen der Rentenversicherung der Angestellten nur insoweit, als die §§ 96 bis 102 dies bestimmen (§ 95 Abs 1 AVG). Nach § 97 Abs 1 AVG erhält ein Berechtigter die Rente für die im Geltungsbereich dieses Gesetzes - AVG - zurückgelegten Beitragszeiten. Zu diesen sogenannten Geltungsbereichszeiten gehören zunächst Zeiten, für die nach Bundesrecht Beiträge entrichtet sind (§ 97 Abs 2 AVG), ferner Zeiten, für die nach den Reichsversicherungsgesetzen Beiträge entrichtet sind, sofern die Beiträge für eine Beschäftigung oder Tätigkeit im Geltungsbereich des AVG entrichtet sind (§ 97 Abs 3 Satz 1 AVG). Ein berechtigter Deutscher erhält die Rente für die außerhalb des Geltungsbereichs des AVG nach den Reichsversicherungsgesetzen zurückgelegten Beitragszeiten in demselben Umfang wie für die im Geltungsbereich des AVG zurückgelegten Beitragszeiten dann, wenn er entweder mindestens 60 Beitragsmonate im Geltungsbereich des AVG zurückgelegt hat oder diese Beitragsmonate überwiegen (§ 98 Abs 1 AVG). Bereits aus dem Wortlaut dieser Bestimmungen ergibt sich - wie das LSG zutreffend ausgeführt hat -, daß der Kläger die Voraussetzungen für eine Auszahlung seiner Rente nach Belgien nicht erfüllt, weil für ihn Beiträge nur nach den Reichsversicherungsgesetzen - und nicht nach Bundesrecht - entrichtet sind, und zwar für eine Beschäftigung, die nicht im Geltungsbereich, sondern außerhalb des Geltungsbereichs des AVG liegt. Deshalb käme eine Auslandszahlung allenfalls dann in Betracht, wenn der Kläger die Voraussetzungen des sogenannten Rentnerprivilegs (§ 98 Abs 2 AVG) erfüllt. Das ist aber zweifelsfrei nicht der Fall, weil auf die Rente nicht bereits für die Zeit, in der der Kläger seinen gewöhnlichen Aufenthalt noch im Geltungsbereich des AVG gehabt hat, ein Anspruch bestanden hat. Ein Auszahlungsanspruch nach anderen gesetzlichen Vorschriften ist, wie das LSG ebenfalls zutreffend ausgeführt hat, nicht ersichtlich. Es besteht auch entgegen der Ansicht des Klägers keine Möglichkeit, eine Rentenzahlung in das Ausland im Wege einer "Sonderbehandlung" oder unter Härtegesichtspunkten zu gewähren. Eine Härteregelung kennt das Gesetz nicht. Ferner ist auch nicht ersichtlich, daß die vorgenannten Regelungen über die Erbringung der Leistungen an Berechtigte außerhalb des Geltungsbereichs dieses Gesetzes (§§ 94 ff AVG in der ab 1. Juni 1979 geltenden Fassung) nicht mit dem Grundgesetz (GG) vereinbar wären. Insbesondere verletzt der mit § 98 AVG verbundene Ausschluß der Auszahlung der Rente in das Ausland den Kläger nicht in seinem Grundrecht aus Art 3 Abs 1 GG. Bei der Regelung von Rentenansprüchen, die nicht im Geltungsbereich des AVG erworben wurden, handelt es sich um Normen, die der Bewältigung außergewöhnlicher Probleme dienen, die ihren Ursprung in historischen Vorgängen aus der Zeit vor der Entstehung der Bundesrepublik Deutschland haben und aus dem Krieg und dem Zusammenbruch des deutschen Reiches erwachsen sind. Die Regelung dieser Probleme hat das GG weitgehend der eigenverantwortlichen Gestaltung des Gesetzgebers überlassen. Dies ist auch bei der Prüfung der Frage von Bedeutung, ob Art 3 Abs 1 GG verletzt ist. Wie das BVerfG bereits im Zusammenhang mit den früheren Ruhensregelungen (§§ 96 und 100 AVG aF = §§ 1317 und 1321 RVO aF) ausgeführt hat, darf der Gesetzgeber die Zahlung von Renten, die nicht wenigstens teilweise im Geltungsbereich des AVG erworben worden sind, im Rahmen seiner mit der Kriegsfolgenbeseitigung verbundenen sehr weitgehenden Gestaltungsfreiheit begrenzen (Beschluß des BVerfG vom 17. Oktober 1980 in SozR 2200 § 1317 Nr 8 mwN). Diese Begrenzung rechtfertigt bei gewöhnlichem Auslandsaufenthalt nicht nur eine Anordnung des Ruhens der Rente - wie nach bisherigem Recht -, sondern auch den dem Ruhen im Ergebnis gleichstehenden Ausschluß der Rentenzahlung für die Zeit des gewöhnlichen Auslandsaufenthalts.
Auch dafür, daß das Urteil des LSG von Entscheidungen des BSG oder des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes abweicht, bestehen keine Anhaltspunkte. Ebensowenig sind Verfahrensmängel zu erkennen, auf denen das Urteil beruhen könnte. Das Vorbringen des Klägers, das LSG habe aufgrund des Akteninhalts und der vorgebrachten Tatsachen seinen Fall als "Sonderfall" (Härtefall) behandeln müssen und insoweit unrichtig entschieden, könnte einer Nichtzulassungsbeschwerde nicht zum Erfolg verhelfen. Denn abgesehen davon, daß eine solche Möglichkeit rechtlich nicht vorgesehen ist (die Voraussetzungen des sogenannten Rentnerprivilegs erfüllt der Kläger nicht), könnte selbst dann, wenn das Urteil des LSG in der Sache unrichtig wäre, die Revision nicht zugelassen werden, weil dies keinen Verfahrensmangel iS von § 160 Abs 2 Nr 3 SGG begründete. Daß das LSG hinsichtlich eventuell vorhandener Geltungsbereichsbeiträge erforderliche Ermittlungen unterlassen hätte, ist nicht ersichtlich und vom Kläger auch nicht vorgetragen. Mithin sind die Voraussetzungen für die Gewährung von Prozeßkostenhilfe mangels Erfolgsaussicht der Beschwerde nicht gegeben.
Die Beschwerde des Klägers war bereits deshalb als unzulässig zu verwerfen, weil sie nicht in der in § 166 Abs 1 SGG vorgeschriebenen Form - durch einen zugelassenen Prozeßbevollmächtigten - eingelegt worden ist.
Die Kostenentscheidung beruht auf entsprechender Anwendung des § 193 SGG.
Fundstellen