Verfahrensgang

Bayerisches LSG (Urteil vom 24.04.1998; Aktenzeichen L 8 AL 250/97)

 

Tenor

Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 24. April 1998 wird als unzulässig verworfen.

Außergerichtliche Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.

 

Tatbestand

I

Der Kläger begehrt von der Beklagten den Erlaß von Forderungen in Höhe von insgesamt 1.107,85 DM.

Einen entsprechenden Antrag auf Erlaß der Forderungen vom 24. April 1995, in dem der Kläger auf sein monatliches Renteneinkommen von lediglich 821,66 DM und seine Beinamputation hingewiesen hatte, lehnte die Beklagte ab (Bescheid vom 7. August 1995 und Widerspruchsbescheid vom 12. Februar 1997). Die Beklagte richtete ein Verrechnungsersuchen an die Landesversicherungsanstalt (LVA) Rheinland-Pfalz, die durch Bescheid vom 11. April 1995 dem Kläger mitteilte, daß von seiner Erwerbsunfähigkeitsrente ein Betrag in Höhe von 50,00 DM monatlich zugunsten der Beklagten verrechnet werde. Dieser Bescheid wurde bestandskräftig. Ab 1995 wurden monatlich 50,00 DM aus der Rente des Klägers von der LVA an die Beklagte überwiesen.

Das Sozialgericht hat durch Urteil vom 4. Juni 1997 die Beklagte verurteilt, die Rückforderung zu erlassen und den bereits verrechneten Betrag an den Kläger auszuzahlen. Auf die Berufung der Beklagten hat das Landessozialgericht (LSG) dieses Urteil aufgehoben und die Klage abgewiesen (Urteil des LSG vom 24. April 1998). Zur Begründung hat das LSG ua ausgeführt, daß die Entscheidung über den Erlaß eine Ermessensentscheidung darstelle, was die Beklagte auch nicht verkannt habe. Das Vorliegen von Härtefallgründen sei nach den Verhältnissen zum Zeitpunkt der Widerspruchsentscheidung zu beurteilen. Im Zeitpunkt der Widerspruchsentscheidung sei durch den nicht angefochtenen Verrechnungsbescheid der LVA Rheinland-Pfalz vom 11. April 1995 der ursprüngliche Forderungsbetrag von 1.107,85 DM bereits praktisch vollständig verrechnet gewesen. Diese Verrechnung habe die LVA ihrerseits nach pflichtgemäßem Ermessen vorgenommen. Es sei im Ergebnis nicht zu beanstanden, wenn die Beklagte in ihrem Widerspruchsbescheid auf diese Ermessensausübung verweise. Denn angesichts der Ermessensprüfung der LVA und des bestandskräftigen Verrechnungsbescheides vom 11. April 1995 habe für die Beklagte keine Veranlassung bestanden, von der Stundung als der weniger einschneidenden Maßnahme Abstand zu nehmen. Soweit die Verrechnung den Kläger akut unzumutbar belastet habe, hätte er gegen den Verrechnungsbescheid vorgehen müssen. Daß er dies unterlassen habe, rechtfertige nicht den Erlaß der Forderung.

Mit seiner Nichtzulassungsbeschwerde macht der Kläger die Zulassungsgründe der Divergenz (§ 160 Abs 2 Nr 2 Sozialgerichtsgesetz ≪SGG≫) und das Vorliegen eines Verfahrensmangels (§ 160 Abs 2 Nr 3 SGG) geltend. Indem das LSG auf die durchgeführte Verrechnung seitens der LVA Rheinland-Pfalz hinweise, übersehe das LSG, daß das Bundessozialgericht (BSG) in der Entscheidung vom 9. Februar 1995 (7 RAr 78/93 = SozR 3-4427 § 5 Nr 1) ausgeführt habe, daß Ratenzahlungen während der Dauer des Vorverfahrens unerheblich seien. Nach richtiger Auffassung des BSG sei eine solche Tilgung ein Sachgrund, der den rechtlichen Bestand der Forderung betreffe. Bei der Frage, ob eine bestandskräftige Forderung erlassen werde, dürfe daher eine nachfolgende Tilgung insbesondere im Wege eines Verrechnungsersuchens zu Lasten des Rückzahlungsschuldners keine Rolle spielen. Die Beklagte habe im übrigen in ihrem Widerspruchsbescheid lediglich formelhaft das Ermessen ausgeübt. Schließlich sei auch ein Verfahrensfehler feststellbar, weil das LSG die LVA Rheinland-Pfalz nicht beigeladen habe. Ein Obsiegen im vorliegenden Rechtsstreit würde aber dazu führen, daß die LVA die einbehaltenen Rentenbestandteile nachzuzahlen habe.

 

Entscheidungsgründe

II

Die Nichtzulassungsbeschwerde ist unzulässig. Die geltend gemachten Zulassungsgründe der Divergenz (§ 160 Abs 2 Nr 2 SGG) und des Vorliegens eines Verfahrensmangels, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann (§ 160 Abs 2 Nr 3 SGG), sind nicht in der erforderlichen Weise dargelegt (§ 160a Abs 2 Satz 3 SGG).

Divergenz (§ 160 Abs 2 Nr 2 SGG) liegt vor, wenn die tragenden abstrakten Rechtssätze, die zwei Urteilen zugrunde gelegt worden sind, nicht übereinstimmen. Sie kommt nur dann in Betracht, wenn das LSG einen tragenden abstrakten Rechtssatz in Abweichung von einem vorhandenen abstrakten Rechtssatz des BSG, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts aufgestellt hat (vgl Kummer, Die Nichtzulassungsbeschwerde, 1990, Rz 163 ff, Meyer-Ladewig, SGG, 6. Aufl 1998, § 160 Rz 13 ff). Eine Abweichung liegt folglich nicht schon dann vor, wenn das Urteil des LSG nicht den Kriterien entspricht, die das BSG aufgestellt hat, sondern erst, wenn das LSG diesen Kriterien widersprochen, also andere rechtliche Maßstäbe entwickelt hat. Nicht die Unrichtigkeit der Entscheidung im Einzelfall, sondern die Nichtübereinstimmung im Grundsätzlichen begründet die Zulassung der Revision wegen Abweichung. Darüber hinaus verlangt der Zulassungsgrund der Divergenz, daß das angefochtene Urteil auf der Abweichung beruht (§ 160 Abs 2 Nr 2 SGG). Bezogen auf die Darlegungspflicht bedeutet das vorstehend Gesagte: Die Beschwerdebegründung muß erkennen lassen, welcher abstrakte Rechtssatz im angezogenen Urteil enthalten ist und welcher im Urteil des LSG enthaltene Rechtssatz dazu im Widerspruch steht. Ferner muß aufgezeigt werden, daß auch das Revisionsgericht die oberstgerichtliche Rechtsprechung im künftigen Revisionsverfahren seiner Entscheidung zugrunde zu legen haben wird (BSG SozR 1500 § 160a Nrn 14, 21,29, 54 und 67; Kummer, aaO, Rz 168). Diesen Anforderungen hat der Beschwerdeführer vorliegend nicht genügt.

Der Beschwerdeführer hat schon nicht dargelegt, welchen abstrakten Rechtssatz das LSG in bewußter Abweichung von der zitierten Entscheidung des BSG aufgestellt hat. Der Beschwerdeführer hat insbesondere nicht dargelegt, inwiefern das LSG dem vom Beschwerdeführer wiedergegebenen Rechtssatz des BSG, die Tilgung einer Forderung betreffe ausschließlich den rechtlichen Bestand der Forderung und sei getrennt von der Entscheidung über einen Erlaß in § 59 Abs 1 Nr 3 Satz 1 Bundeshaushaltsordnung (BHO) zu betrachten, überhaupt widersprochen hat.

Auch ein Verfahrensmangel gemäß § 160 Abs 2 Nr 3 SGG ist nicht in zulässiger Weise dargelegt. Der Beschwerdeführer hat nicht dargelegt, inwieweit an dem streitigen Rechtsverhältnis zwischen ihm und der Beklagten die LVA Rheinland-Pfalz derart beteiligt ist, daß die Entscheidung auch ihr gegenüber nur einheitlich ergehen kann (§ 75 Abs 2 Satz 1 SGG). Wie auch in der Beschwerdebegründung eingeräumt wird, ist die von der Beklagten gegenüber dem Beschwerdeführer geltend gemachte Erstattungsforderung im Wege der Verrechnung seitens der LVA Rheinland-Pfalz bereits weitgehend getilgt. Bestünde ein Anspruch des Klägers auf Erlaß der Erstattungsforderung und Auszahlung der bereits (durch Verrechnung) getilgten Beträge, so wäre Schuldner dieser Forderung ausschließlich die Beklagte. Ob und inwieweit die LVA Rheinland-Pfalz unmittelbar leistungspflichtig oder sonst durch eine Entscheidung gegenüber der beklagten BA unmittelbar betroffen sein könnte, hätte bei dieser Sachlage einer näheren Auslegung bedurft. Dies gilt insbesondere deshalb, weil in dem Verzicht des LSG, einen Dritten zu dem Verfahren beizuladen, ein Verfahrensmangel iS des § 160 Abs 2 Nr 3 SGG nur dann liegen kann, wenn die Beiladung gemäß § 75 Abs 2 SGG notwendig war (vgl hierzu BSG Beschluß vom 16. Oktober 1989 – 6 BKa 34/89; und BSG Beschluß vom 23. Mai 1989 – 2 BU 178/88).

Im übrigen kann die Beschwerde wegen Nichtzulassung der Revision nicht darauf gestützt werden, daß die Entscheidung des LSG ggf unrichtig ist.

Entspricht die Begründung der Beschwerde sonach nicht den gesetzlichen Anforderungen, muß die Beschwerde – ohne Zuziehung der ehrenamtlichen Richter – in entsprechender Anwendung des § 169 SGG als unzulässig verworfen werden (BSG SozR 1500 § 160a Nrn 1 und 5; vgl auch BVerfG SozR 1500 § 160a Nr 30).

Die Kostenentscheidung beruht auf entsprechender Anwendung des § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1175820

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