Entscheidungsstichwort (Thema)
Nichtzulassungsbeschwerde. Verfahrensmangel. Ablehnungsantrag. Richterablehnung. Rechtsmissbräuchlichkeit
Orientierungssatz
Geht das LSG in den Urteilsgründen von einem rechtsmissbräuchlichen Ablehnungsgesuch nach § 60 SGG aus, das unbeachtlich sei, kann sich die fehlerhafte Anwendung einfachen Rechts - anders als in den Fällen einer Zwischenentscheidung - als Verfahrensfehler iS des § 160 Abs 2 Nr 3 Halbs 1 SGG erweisen, auf dem die Entscheidung beruhen kann (vgl BSG vom 29.03.2007 - B 9a SB 18/06 B = SozR 4-1500 § 60 Nr 4). Ein Ablehnungsgesuch ist offensichtlich rechtsmissbräuchlich, wenn der Ablehnungsgrund nicht durch nachvollziehbaren Bezug zum konkreten Rechtsstreit wenigstens ansatzweise substantiiert wird. Wertungen ohne Tatsachensubstanz genügen hierfür nicht (vgl BVerwG vom 07.08.1997 - 11 B 18/97 = Buchholz 310 § 54 VwGO Nr 57).
Normenkette
SGG § 60 Abs. 1, § 160 Abs. 2 Nr. 3 Hs. 1, § 160a Abs. 2 S. 3, § 202; ZPO § 547 Nr. 1, § 557 Abs. 2, § 45 Abs. 2; GG Art. 101 Abs. 1 S. 2
Verfahrensgang
Tatbestand
Im Streit ist die Zahlung von Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung nach dem Grundsicherungsgesetz und dem Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch - Sozialhilfe - (SGB XII).
Den Antrag des Klägers vom 6.2.2003, ihm Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung zu gewähren, lehnte der Beklagte ab (Bescheid vom 3.5.2006; Widerspruchsbescheid vom 22.7.2006) . Das Sozialgericht (SG) hat die Klage abgewiesen (Gerichtsbescheid des SG Detmold vom 14.8.2007, zugestellt am 20.8.2007) . Der Kläger hat hiergegen am 21.9.2007 (Freitag) Berufung eingelegt, Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Berufungsfrist beantragt und einen Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe (PKH) gestellt. Das Landessozialgericht (LSG) Nordrhein-Westfalen (NRW) hat eine Wiedereinsetzung abgelehnt, die Berufung des Klägers als unzulässig verworfen und PKH versagt (Beschluss vom 21.1.2008) . Das Bundessozialgericht (BSG) hat auf die Beschwerde des Klägers den Beschluss des LSG NRW vom 21.1.2008 aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückverwiesen, weil sein Recht auf eine mündliche Verhandlung verletzt worden war. Das LSG hat auf die mündliche Verhandlung vom 23.3.2009 die Berufung des Klägers (erneut) als unzulässig verworfen und zur Begründung seiner Entscheidung auf der in dem Urteil referierten Begründung des (vom BSG aufgehobenen) Beschlusses vom 21.1.2008 Bezug genommen. Die mündliche Verhandlung habe keinerlei Umstände ergeben, die eine andere rechtliche Beurteilung zuließe.
Mit einem am 6.5.2009 eingegangenen Schriftsatz hat der Kläger Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des LSG und sinngemäß PKH unter Beiordnung von Rechtsanwalt S. beantragt.
Entscheidungsgründe
Der Antrag auf Bewilligung von PKH ist nicht begründet. PKH ist nur zu bewilligen, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet (§ 73a Abs 1 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz ≪SGG≫ iVm § 114 Zivilprozessordnung ≪ZPO≫) . An der erforderlichen Erfolgsaussicht fehlt es hier. Hinreichende Aussicht auf Erfolg böte die Nichtzulassungsbeschwerde nur, wenn einer der drei in § 160 Abs 2 SGG abschließend aufgeführten Zulassungsgründe durch einen zugelassenen Prozessbevollmächtigten (§ 73 Abs 4 SGG) mit Erfolg geltend gemacht werden könnte; denn nur diese Gründe können zur Zulassung der Revision führen. Ein solcher Zulassungsgrund ist nicht erkennbar.
Der Rechtssache kommt keine grundsätzliche Bedeutung zu (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG) . Es ist nicht erkennbar, dass die Rechtssache eine Rechtsfrage aufwirft, die - über den Einzelfall hinaus - aus Gründen der Rechtseinheit oder Fortbildung des Rechts einer Klärung durch das Revisionsgericht bedürftig und fähig ist (vgl BSG SozR 1500 § 160 Nr 17 und § 160a Nr 7, 11, 13, 31, 39, 59 und 65) .
Die Entscheidung des LSG weicht des weiteren nicht von einer Entscheidung des BSG, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) ab, weshalb eine Divergenzrüge keine Aussicht auf Erfolg verspricht (§ 160 Abs 2 Nr 2 SGG) .
Schließlich kann - nach Aktenlage - auch kein Verfahrensmangel geltend gemacht werden, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann (§ 160 Abs 2 Nr 3 Halbsatz 1 SGG) . Insbesondere hat das LSG die Berufung des Klägers zu Recht als unzulässig verworfen, weil die Berufungsfrist nicht eingehalten war, und eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Berufungsfrist abgelehnt. Der Gerichtsbescheid des SG wurde am 20.8.2007 zugestellt. Die Berufungsfrist endete somit mit Ablauf des 20.9.2007. Das vom 18.9.2007 datierte Berufungsschreiben ging aber erst am 21.9.2007 per Fax beim LSG ein. Eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach § 67 Abs 1 SGG kam nicht in Betracht, weil der Kläger nicht ohne Verschulden verhindert war, die Berufungsfrist einzuhalten. Gegenüber dem LSG hat er in erster Linie geltend gemacht, dass eine "widerrechtliche Zwangsversteigerung" am 6.9.2007 ihn gehindert habe, die Beschwerde "früher zu stellen". Zu Recht hat das LSG in diesem Zusammenhang einen Hinderungsgrund verneint, weil ein einmaliger behördlicher oder gerichtlicher Termin deutlich vor Ablauf der Berufungsfrist den Kläger nicht daran gehindert haben kann, das bereits am 18.9.2007 gefertigte Schreiben an einem der folgenden Tage per Telefax an das Gericht zu senden. Soweit der Kläger nunmehr erstmals vorträgt, die Faxzuleitung sei "zu dieser Zeit" im Amt gestört gewesen, vermag dies nichts zu ändern. Es ist nichts dafür erkennbar, dass der Kläger vor dem 21.9.2007 versucht hat, die Beschwerdeschrift an das LSG per Fax einzureichen. Denn dann hätte er nicht in seiner Berufungsschrift vom 18.9.2007 bereits einen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gestellt, ohne auf diesen Umstand hinzuweisen.
Das LSG durfte schließlich auch unter Mitwirkung des Vorsitzenden Richters am LSG Prof. Dr. W. verhandeln und entscheiden, ohne gegen das Verfahrensgrundrecht auf den gesetzlichen Richter zu verstoßen (Art 101 Abs 1 Satz 2 Grundgesetz ≪GG≫) . Nach einer Zurückweisung eines Befangenheitsantrags gegen einen Richter durch Zwischenentscheidung kann ein sich auf das angefochtene Urteil selbst auswirkender Mangel im Sinne eines absoluten Revisionsgrundes (§ 547 Nr 1 ZPO) nur dann vorliegen, wenn die Behandlung eines Ablehnungsantrags so fehlerhaft ist, dass durch die weitere Mitwirkung der abgelehnten Richter das Verfahrensgrundrecht auf den gesetzlichen Richter nach Art 101 Abs 1 Satz 2 GG verletzt ist und das Berufungsgericht bei seiner Berufungsentscheidung deshalb unrichtig besetzt war (BSG SozR 4-1500 § 160a Nr 1 RdNr 8; BSG SozR 4-1100 Art 101 Nr 3 RdNr 5) . Im Übrigen unterliegen Entscheidungen, die dem Endurteil vorausgegangen sind und - wie im Falle einer Ablehnung eines Befangenheitsantrages durch ein LSG - unanfechtbar sind (§ 177 SGG), nicht der Beurteilung des Revisionsgerichts (§ 202 SGG iVm § 557 Abs 2 ZPO) . Deshalb kommt ein Verstoß gegen Art 101 Abs 1 Satz 2 GG dann nur bei willkürlichen Verstößen gegen Verfahrensvorschriften in Betracht (BSG SozR 4-1500 § 160a Nr 1 RdNr 9 f) .
Hier liegt der Fall indes anders, weil die Ablehnung des Befangenheitsantrages nicht durch Zwischenentscheidung erfolgte; das LSG ist in den Urteilsgründen vielmehr von einem rechtsmissbräuchlichen Ablehnungsgesuch, das unbeachtlich sei, ausgegangen. In einem solchen Fall kann sich die fehlerhafte Anwendung einfachen Rechts - anders als in den Fällen einer Zwischenentscheidung - als Verfahrensfehler erweisen, auf dem die Entscheidung beruhen kann (vgl auch BSG SozR 4-1500 § 60 Nr 4 S 7) . Die Entscheidung des 7. Senats vom 18.9.2008 - B 7 AL 13/08 B - (juris RdNr 6) ist insoweit missverständlich.
Das LSG durfte aber ohne Verstoß gegen § 60 SGG iVm § 45 Abs 1 ZPO das Ablehnungsgesuch in dem angegriffenen Urteil unter Mitwirkung des abgelehnten Richters als unbeachtlich werten, weil es offensichtlich rechtsmissbräuchlich war. Dies ist der Fall, wenn der Ablehnungsgrund nicht durch nachvollziehbaren Bezug zum konkreten Rechtsstreit wenigstens ansatzweise substantiiert wird; Wertungen ohne Tatsachensubstanz genügen hierfür nicht (Bundesverwaltungsgericht, Buchholz 310 § 54 VwGO Nr 57; Keller in Meyer-Ladewig/ders/Leitherer, SGG, 9. Aufl 2008, § 60 RdNr 10b).
Der Kläger begründet in dem Schriftsatz vom 12.3.2009 seine Ablehnung des Vorsitzenden Richters am Landessozialgericht Prof. Dr. W. mit "Schwarzen Kassen", "Massenhypnose", "nachweislichen, bewussten, vorsätzlichen, fortgesetzten, gemeinschaftlichen Rechtsverletzungen, Amtspflichtverletzungen, unerlaubten strafbaren Handlungen, der öffentlichen Gewalt, des Landes Nordrhein-Westfalen" ua (offensichtlich im Zusammenhang mit einem Flurbereinigungsverfahren). Das Ablehnungsgesuch, soweit es sich überhaupt auf das Berufungsverfahren beziehen sollte, lässt keinerlei substantiierte Tatsachen erkennen; es enthält keinen nachvollziehbaren Vortrag, sondern erschöpft sich in einer Aneinanderreihung beleidigender und unsachlicher sowie neben der Sache liegender Äußerungen. In diesen Fällen kann abweichend von § 60 Abs 1 SGG iVm § 45 Abs 2 ZPO der abgelehnte Richter selbst über das Ablehnungsgesuch - wie hier - mit entscheiden (Keller, aaO, RdNr 10d) . Die Befugnisse des Richters am LSG, über ein missbräuchliches Ablehnungsgesuch mitzuentscheiden, ist verfassungsrechtlich unbedenklich. Es bedarf auch keines förmlichen Beschlusses über das Ablehnungsgesuch. Von dem Grundsatz, auch über unzulässige Ablehnungsgesuche ausdrücklich zu befinden, haben Rechtsprechung und Literatur seit jeher eine Ausnahme zugelassen, wenn das Ablehnungsrecht - wie hier - offenkundig missbraucht wird (BVerfGE 11, 1, 3;11, 343, 348; 46, 200; 72, 51, 59;BSG, Beschluss vom 26.4.1989 - 11 BAr 33/88; BSG SozR 4-1500 § 60 Nr 4 S 6; Keller, aaO, RdNr 10d).
Die Kostenentscheidung erfolgt aus einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.
Fundstellen