Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialgerichtliches Verfahren. Revisionsbegründung. Bezeichnung der verletzten Rechtsnorm. Kausalität der Rechtsverletzung. Darlegung
Orientierungssatz
Nach § 164 Abs 2 S 3 SGG muss die Revisionsbegründung einen bestimmten Antrag enthalten und die verletzte Rechtsnorm bezeichnen. Da die "verletzte Rechtsnorm" zu bezeichnen ist, muss der Revisionskläger auch die Kausalität der Rechtsverletzung für die angefochtene Entscheidung darlegen.
Normenkette
SGG § 164 Abs. 2 S. 3
Verfahrensgang
Tatbestand
Im Revisionsverfahren streitig ist der Anspruch auf Versorgungsrente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) von 30 vH wegen der Folgen einer in der DDR erlittenen Inhaftierung.
Der am 1945 geborene Kläger wurde als Bürger der Bundesrepublik Deutschland im Januar 1980 auf einer Transitstrecke in der DDR wegen angeblicher Beihilfe zur Republikflucht verhaftet. Er verbüßte vom 7.1.1980 bis 15.7.1982 eine Haft in den Justizvollzugsanstalten Berlin-Lichtenberg, Potsdam und Karl-Marx-Stadt (heute wieder: Chemnitz). Mit Beschluss des Landgerichts Potsdam vom 5.7.1996 wurde der Kläger strafrechtlich rehabilitiert. Die Haftzeit wurde als zu Unrecht erlitten erklärt und als Verfolgungszeit iS des Gesetzes über den Ausgleich beruflicher Benachteiligungen für Opfer politischer Verfolgung im Beitrittsgebiet festgestellt.
Im Februar 2002 machte der Kläger gegenüber dem beklagten Land geltend, verschiedene bei ihm bestehende dauerhafte Gesundheitsstörungen seien durch die zu Unrecht erlittene Haft, insbesondere die lange Einzelhaft, entstanden.
Der Beklagte zog insbesondere die Haftakten des Klägers bei und veranlasste Begutachtungen auf hals-nasen-ohrenärztlichem und neurologisch-psychiatrischem Fachgebiet. Mit Bescheid vom 5.5.2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17.12.2003 lehnte er die Gewährung von Beschädigtenversorgung nach § 21 Abs 1 Satz 1 Gesetz über die Rehabilitierung und Entschädigung von Opfern rechtsstaatswidriger Strafverfolgungsmaßnahmen im Beitrittsgebiet ab, weil nicht mit ausreichender Wahrscheinlichkeit Gesundheitsstörungen auf die Inhaftierung zurückgeführt werden könnten. Die im Rahmen der durchgeführten Begutachtungen festgestellten psychovegetativen Störungen sowie die Schwerhörigkeit mit Ohrgeräuschen seien nicht im Zusammenhang mit den Haftbedingungen entstanden. Anhaltspunkte für eine posttraumatische Belastungsstörung hätten sich nicht ergeben.
Das vom Kläger dagegen angerufene Sozialgericht Kiel (SG) hat Befundberichte der den Kläger behandelnden Ärzte beigezogen sowie in der mündlichen Verhandlung am 6.12.2006 Beweis erhoben durch Vernehmung des Arztes für Psychiatrie und Psychotherapie Dr. M. und des HNO-Arztes Dr. H. als Sachverständige. Durch Urteil vom selben Tage (6.12.2006) hat das SG den angefochtenen Bescheid aufgehoben und den Beklagten verurteilt, bei dem Kläger eine posttraumatische Belastungsstörung als Folge der Inhaftierung in der ehemaligen DDR mit einer MdE von 20 vH anzuerkennen. Die auf "Beschädigtenversorgung" gerichtete Klage hat das SG abgewiesen.
Zur Begründung hat das Gericht unter Darstellung der gesetzlichen Grundlagen im Wesentlichen ausgeführt: Nach dem Gesamtergebnis des Verfahrens und insbesondere der Beweisaufnahme sei die Kammer davon überzeugt, dass bei dem Kläger mit Wahrscheinlichkeit als Folge seiner Inhaftierung eine posttraumatische Belastungsstörung bestehe. Die deswegen anzusetzende MdE betrage 20 vH. Demgegenüber seien die Gesundheitsstörungen des Klägers auf hals-nasen-ohrenärztlichem Fachgebiet nicht mit Wahrscheinlichkeit durch die Inhaftierung hervorgerufen. Angesichts der mit einer MdE von 20 vH zu bewertenden posttraumatischen Belastungsstörung stehe dem Kläger die beanspruchte Versorgung nicht zu, denn Anspruchsvoraussetzung für eine monatliche Grundrente sei gemäß § 31 Abs 1 Satz 1 Bundesversorgungsgesetz (BVG) das Bestehen einer MdE um 30 vH, die nicht erreicht sei.
Durch Beschluss vom 7.5.2008, zugestellt am 30.5.2008, hat das SG gegen dieses Urteil wegen grundsätzlicher Bedeutung die Sprungrevision zugelassen. Der Kläger hat mit Schriftsatz seiner Prozessbevollmächtigten vom 18.6.2008 (eingegangen am selben Tage) Revision eingelegt und am 30.6.2008 eine Zustimmungserklärung des Beklagten eingereicht. Zur Begründung trägt der Kläger im Wesentlichen vor: Das SG habe § 31 Abs 1 Satz 1 BVG verletzt. Danach stehe jedem Beschädigten Grundrente zu, dessen MdE wenigstens 25 vH betrage. Dies habe das SG verkannt. Zudem habe das SG zu einer höheren Bewertung der MdE als nur 20 vH kommen müssen. Ferner liege eine Verletzung des § 15 Gesetz über das Verwaltungsverfahren der Kriegsopferversorgung (KOVVfG) vor. Dabei handele es sich um materielles Beweisrecht. Er habe entgegen den Ausführungen des Sachverständigen Dr. H. vorgetragen, dass er in den Jahren 1963 und 1964 nicht am Mittelohr links operiert worden sei. Unter Anwendung des § 15 KOVVfG hätte das SG von seinen Angaben ausgehen und zu dem Ergebnis gelangen müssen, dass sein Ohrgeräusch durch die erlittene Haftzeit verursacht worden sei. Im Übrigen habe sich das SG überhaupt nicht mit seinen weiteren Gesundheitsstörungen auseinandergesetzt und kein Gutachten dazu eingeholt. Schließlich werde die Verletzung rechtsstaatlicher Grundsätze gerügt.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Kiel vom 6. Dezember 2006 sowie den Bescheid vom 5. Mai 2003 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 17. Dezember 2003 insoweit aufzuheben, als die Klage abgewiesen wurde und den Beklagten zu verurteilen, ihm Beschädigtenversorgung wegen der in der ehemaligen DDR absolvierten Haftzeit zu gewähren.
Der Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Er hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
Entscheidungsgründe
Die aufgrund der Zulassung durch das SG statthafte, form- und fristgerecht eingelegte Sprungrevision des Klägers ist unzulässig. Ihre Begründung entspricht nicht den gesetzlichen Erfordernissen.
Nach § 164 Abs 2 Satz 3 SGG muss die Revisionsbegründung einen bestimmten Antrag enthalten und die verletzte Rechtsnorm bezeichnen. Soweit Verfahrensmängel gerügt werden (können), sind die Tatsachen zu bezeichnen, die den Mangel ergeben. Mit dieser Vorschrift soll zur Entlastung des Revisionsgerichts erreicht werden, dass der Revisionskläger bzw sein Prozessvertreter die Erfolgsaussicht der Revision eingehend prüft und von aussichtslosen Revisionen rechtzeitig Abstand nimmt. Das setzt eine Auseinandersetzung mit den Gründen der angefochtenen Entscheidung nach den Kriterien voraus, an denen sich auch die revisionsgerichtliche Überprüfung zu orientieren hat (vgl BSG SozR 1500 § 164 Nr 12 und Nr 28; BSG SozR 3-1500 § 164 Nr 12). Da die "verletzte Rechtsnorm" zu bezeichnen ist, muss der Revisionskläger auch die Kausalität der Rechtsverletzung für die angefochtene Entscheidung (Hk-SGG/Lüdtke, 3. Aufl 2009, § 164 RdNr 18) darlegen.
Diesen Anforderungen wird die Revisionsbegründung nicht gerecht, wobei ohnehin Schreiben des Klägers selbst, auf die seine Prozessbevollmächtigten Bezug genommen haben, nicht berücksichtigt werden können (Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 9. Aufl 2008, § 73 RdNr 55, 57 sowie § 164 RdNr 4, 9a, jeweils mwN).
Der Kläger hat zwar vorgetragen, dass das SG die in "§ 31 Abs 1 Satz 1 BVG" geregelten Anspruchsvoraussetzungen verkannt habe, indem es als Voraussetzung für den Anspruch auf Beschädigtengrundrente eine MdE um 30 statt 25 vH angenommen habe. Damit hat der Kläger indes die Kausalität dieser Rechtsauffassung, die in der Tat angesichts des § 31 Abs 2 BVG idF bis zum 20.12.2007 (seit dem 21.12.2007: § 30 Abs 1 Satz 2 Halbsatz 2 BVG) unzutreffend ist, für die angefochtene Entscheidung nicht dargestellt. Er hat vielmehr darauf hingewiesen, dass das SG die schädigungsbedingte MdE mit 20 vH bewertet habe. Mithin wäre das Gericht, auch wenn es von der zutreffenden Anspruchsvoraussetzung einer MdE um mindestens 25 vH ausgegangen wäre, zur Abweisung der Klage gelangt. Eine Verletzung von Bundesrecht (§ 162 SGG) wäre nur dann gegeben und im Rahmen des § 164 Abs 2 Satz 3 SGG dargelegt, wenn das SG eine MdE von 25 vH angenommen und die Klage dennoch abgewiesen hätte.
Soweit der Kläger geltend macht, das SG hätte zu einer höheren Bewertung seiner MdE als um 20 vH kommen müssen, hat er die Beweiswürdigung des SG angegriffen. Dies sowie die später vorgetragene Rüge der Verletzung der Sachaufklärungspflicht durch das SG ist dem Kläger im Rahmen der Sprungrevision nicht erlaubt, denn gemäß § 161 Abs 4 SGG kann die Revision nicht auf Mängel des Verfahrens gestützt werden. Um Mängel des sozialgerichtlichen Verfahrens handelt es sich indes, wenn das Tatsachengericht gegen § 103 SGG (Aufklärung des Sachverhalts von Amts wegen) und/oder § 128 Abs 1 Satz 1 SGG (freie richterliche Beweiswürdigung) verstoßen haben sollte.
Auch eine Verletzung des § 15 KOVVfG hat der Kläger nicht iS des § 164 Abs 2 Satz 3 SGG dargelegt. Die Vorschrift schreibt den Beweismaßstab der Glaubhaftmachung vor für "Angaben des Antragstellers, die sich auf die mit der Schädigung im Zusammenhang stehenden Tatsachen beziehen". Selbst wenn man den Anwendungsbereich dieser Norm nicht nur auf die den schädigenden Vorgang selbst betreffenden Tatsachen beschränkt (s dazu die vom Kläger zitierte Entscheidung des Bundessozialgerichts ≪BSG≫ in BSGE 65, 123 = SozR 1500 § 128 Nr 39; s weiter BSGE 63, 270 = SozR 1500 § 128 Nr 34; BSG SozR 3-3100 § 5 Nr 2; BSG SozR 3-3900 § 15 Nr 2 und Nr 3; grundlegend BSG SozR 3-3900 § 15 Nr 4) , sondern auch auf die sonstigen für die Kausalitätsbeurteilung (s dazu § 1 Abs 3 Satz 1 BVG) wesentlichen Tatsachen erstreckt (s nur BSG SozR 3-3900 § 15 Nr 2 S 5) sowie auf jegliche im Verlauf des Verwaltungs-, Widerspruchs- und Gerichtsverfahrens gemachten Angaben des Antragstellers bezieht, hat der Kläger eine Verletzung der Norm durch das SG nicht dargestellt. Hierzu hätte er ausführen müssen, inwiefern das SG Inhalt und Reichweite des § 15 KOVVfG verkannt und deshalb unzutreffend entschieden habe. Daran mangelt es. Vielmehr hat der Kläger allein seine von der Auffassung des SG abweichende Beweiswürdigung dargelegt und ausgeführt, dass das SG seinen - des Klägers - Angaben und nicht den Ausführungen des Sachverständigen Dr. H. hätte folgen müssen. Insoweit ist erneut auf § 161 Abs 4 SGG zu verweisen, wonach die Revision nicht auf Mängel des Verfahrens gestützt werden kann.
Auch die Ausführungen der Prozessbevollmächtigten des Klägers in deren noch innerhalb der Revisionsbegründungsfrist beim BSG eingegangenen Schriftsatz vom 1.9.2008 stellen keine den Anforderungen des § 164 Abs 2 Satz 3 SGG entsprechende Revisionsbegründung dar. Soweit sie über die bloße Schilderung und Bewertung der rechtsstaatswidrigen Maßnahmen der DDR dem Kläger gegenüber und über die Rüge von Verfahrensmängeln (vgl dazu wiederum § 161 Abs 4 SGG) hinausgehen, beklagt der Kläger in allgemeiner Form eine ungerechte Behandlung aller und insbesondere der westdeutschen Stasi-Opfer und seiner Person bis heute. Eine rechtliche Auseinandersetzung mit den Gründen des angefochtenen Urteils des SG im Hinblick auf Verletzungen des Bundesrechts (s § 162 SGG) ist darin nicht zu sehen.
Die Revision des Klägers ist daher durch Beschluss ohne Hinzuziehung der ehrenamtlichen Richter zu verwerfen (§ 169 Satz 2 und 3 SGG) .
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen