Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialgerichtliches Verfahren. vertragszahnärztliche Versorgung. richtige oder falsche Anwendung der Gebührenordnung. keine dem Beweis durch Sachverständigengutachten zugängliche Rechtsfrage. Auslegung von Tatbeständen der jeweiligen Gebührenordnung (hier: Bema). Rechtsfrage über Auslegung der Nr 56c Bema im Zusammenhang mit Streit über Rechtmäßigkeit einer sachlich-rechnerischen Berichtigung. nicht allgemein klärungsfähig
Orientierungssatz
1. Die richtige oder falsche Anwendung der Gebührenordnung ist grundsätzlich eine dem Beweis durch Sachverständigengutachten nicht zugängliche Rechtsfrage.
2. Für die Auslegung von Tatbeständen der Gebührenordnungen ist deren Wortlaut, ggf unter Berücksichtigung des zahnmedizinischen Ablaufs, maßgeblich (vgl BSG vom 13.5.1998 - B 6 KA 34/87 R = SozR 3-5555 § 10 Nr 1). Es ist ausgeschlossen, unter Hinweis auf tatsächlich bestehende oder nur behauptete (zahn-)medizinisch wissenschaftliche Auffassungen erweiterte Abrechnungsmöglichkeiten zu begründen (vgl BSG vom 25.8.1999 - B 6 KA 32/98 R = SozR 3-5533 Nr 2449 Nr 1).
3. Die Rechtsfrage, ob die Nr 56c Bema dahin auszulegen ist, dass eine Zystektomie iVm einer Osteotomie oder Wurzelspitzenresektion nur abrechenbar ist, wenn zuvor eine entsprechend große Aufhellung im Röntgenbild sichtbar war, ist im Zusammenhang mit einem Streit um die Rechtmäßigkeit einer sachlich-rechnerischen Berichtigung nicht allgemein klärungsfähig.
Normenkette
SGB 5 § 82 Abs. 1, § 87 Abs. 1-2, § 160a Abs. 2 S. 3; BMV-Z § 19 Buchst. a; Bema Nrn. 55, 56c; GOÄ Nr. 177; SGG §§ 109, 160 Abs. 2 Nrn. 1, 3
Verfahrensgang
LSG Rheinland-Pfalz (Urteil vom 24.02.2000; Aktenzeichen L 5 Ka 50/97) |
SG Mainz (Urteil vom 24.09.1997; Aktenzeichen S 1 Ka 143/97) |
Tenor
Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 24. Februar 2000 wird zurückgewiesen.
Die Klägerin hat der Beklagten die außergerichtlichen Kosten auch für das Beschwerdeverfahren zu erstatten.
Gründe
I. Die seit 1994 als Ärztin für Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie zur vertragszahnärztlichen und zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassene Klägerin wendet sich gegen die Berichtigung ihrer vertragszahnärztlichen Abrechnung durch die beklagte Kassenzahnärztliche Vereinigung in den Quartalen III/1995 bis III/1996. Umstritten sind im Beschwerdeverfahren noch die Richtigkeit der Abrechnung der Nr 177 der Gebührenordnung für Ärzte (GOÄ 1965, im folgenden Nr Ä 177 ≪Verpflanzung eines Knochens≫) sowie der Nr 56c des Bewertungsmaßstabs für zahnärztliche Leistungen (Bema ≪Operation einer Zyste durch Zystektomie iVm einer Osteotomie oder Wurzelspitzenresektion≫) und Nr 55 Bema (Reimplantation).
Hinsichtlich dieser drei Streitpunkte hat das Sozialgericht (SG) die angefochtenen Berichtigungsbescheide aufgehoben. Auf die Berufung der Beklagten hat das Landessozialgericht (LSG) das sozialgerichtliche Urteil geändert und die Klage abgewiesen. Die Berichtigung des Ansatzes nach der Leistungsposition Ä 177 hat das LSG mit der Begründung für rechtmäßig gehalten, die Wiedereinsetzung zunächst entnommenen Knochenmaterials an Ort und Stelle sei von der Leistungslegende dieser Gebührenposition (freie Verpflanzung eines Knochens) nicht umfaßt. Begrifflich setze der Tatbestand einer Transplantation die Entnahme von Knochenmaterial und dessen Einsatz an einer anderen Stelle voraus. Zu Recht habe die Beklagte weiterhin den Ansatz der Nr 56c Bema von der röntgenologischen Erkennbarkeit der Zyste abhängig gemacht. Nur der röntgenologische Befund gebe die Gewähr für die hinreichende Größe einer Zyste, die ihre Entfernung als selbständige Leistung rechtfertige. Schließlich stehe die Beklagte zu Recht auf dem Standpunkt, die Reimplantation eines Zahnes nach Nr 55 Bema sei nur berechnungsfähig, wenn der entfernte oder verlorengegangene Zahn an der Stelle wieder eingesetzt worden sei, an der er vor der Entfernung seinen Platz gehabt habe (Urteil vom 24. Februar 2000).
Mit ihrer Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision rügt die Klägerin Verfahrensmängel und macht die grundsätzliche Bedeutung der zu entscheidenden Rechtsfrage geltend.
II. Die Beschwerde hat keinen Erfolg. Sie ist teils unzulässig, teils unbegründet.
Die Klägerin rügt als Verfahrensmangel (Zulassungsgrund gemäß § 160 Abs 2 Nr 3 Sozialgerichtsgesetz ≪SGG≫), das Berufungsgericht habe gegen das Gebot der Gewährung angemessenen rechtlichen Gehörs und in Verbindung damit gegen den Amtsermittlungsgrundsatz des § 103 SGG verstoßen. Insoweit ist die Beschwerde unbegründet.
Den Vorwurf einer Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör stützt die Klägerin darauf, das LSG habe im Anschluß an die ausführliche Erörterung in der mündlichen Verhandlung unter Beteiligung von Prof. Dr. Dr. S. als Vertreter der Beklagten nicht deutlich gemacht, daß es sich der Auffassung des SG Mainz sowie ihrer - der Klägerin - nicht anschließen wolle, wonach die Berechnungsfähigkeit einer Zystenentfernung nach Nr 56c Bema nicht voraussetze, daß die Zyste röntgenologisch erkennbar sei. Hätte das Berufungsgericht eine Andeutung in dieser Richtung gemacht, hätte sie - die Klägerin - den Beweisantrag gestellt, Prof. Dr. D. aus Hamburg zu der Frage zu vernehmen, ob der klinische und histologische Nachweis des Vorhandenseins einer Zyste auch ohne Hinweise im Röntgenbild geführt werden könne.
Einen entsprechenden Beweisantrag hat die Klägerin in der mündlichen Verhandlung ausweislich des in den Akten enthaltenen Protokolls nicht gestellt. Welche Äußerungen Prof. Dr. Dr. S. in seiner Eigenschaft als einer von drei Vertretern der Beklagten im Termin abgegeben hat, ist auch dem Protokoll der mündlichen Verhandlung des Berufungsgerichts sowie aus den Feststellungen des berufungsgerichtlichen Urteils nicht ersichtlich. Deshalb besteht für den Senat im Beschwerdeverfahren keine Möglichkeit der Überprüfung, ob Prof. Dr. Dr. S. sowie der Vorsitzende des Berufungssenats sich in der von der Klägerin im Beschwerdeverfahren geschilderten Weise geäußert haben. Wenn tatsächlich sowohl einer der Vertreter der Beklagten als auch der Vorsitzende des Berufungssenats hinsichtlich der von der Klägerin durch alle Instanzen hinweg für entscheidend gehaltenen Frage den Standpunkt der Klägerin geteilt hätten, hätte es nahe gelegen, dies als ein wesentliches Ergebnis der mündlichen Verhandlung gemäß § 122 SGG iVm § 160 Abs 2 und ggf Abs 3 Zivilprozeßordnung protokollieren zu lassen. Da die Klägerin im übrigen selbst einräumt, der in der mündlichen Verhandlung vor dem Berufungsgericht anwesende Geschäftsführer der Beklagten habe die Frage, ob sich die Beklagte im Hinblick auf die Ausführungen von Prof. Dr. Dr. S. der Auffassung der Klägerin nicht anschließen wollen, mit "Nein" beantwortet, hätte spätestens dann nahe gelegen, auf eine Protokollierung des Inhalts der Ausführungen von Prof. Dr. Dr. S. Wert zu legen, der nicht als Sachverständiger sondern lediglich als einer der Terminsvertreter der Beklagten zugegen war.
Unabhängig davon hätte sich das Berufungsgericht - von seinem Rechtsstandpunkt aus folgerichtig - nicht gedrängt sehen müssen, Beweis durch Einholung eines Sachverständigengutachtens zu erheben. Die richtige oder falsche Anwendung der Gebührenordnung ist grundsätzlich eine dem Beweis durch Sachverständigengutachten nicht zugängliche Rechtsfrage. Die Anwendung der Gebührenordnung mag gelegentlich auch auf medizinische-wissenschaftlich umstrittene Fragen führen, doch bedarf es zur Klärung des zutreffenden Inhalts einer Leistungslegende in aller Regel keines Sachverständigengutachtens. Das LSG hat seine Entscheidung hinsichtlich der Nr 56c Bema darauf gestützt, daß die selbständige Abrechenbarkeit der Zystenoperation nach dieser Position nur bei Zysten von einer gewissen Größe möglich ist, weil die Entfernung kleinerer Zysten nach der amtlichen Anmerkung Nr 1 zu Nr 56 Bema nicht gesondert berechnungsfähig ist. In dieser vereinbarten Abrechnungsbestimmung ist formuliert, das Auskratzen von Granulationsgewebe oder kleinen Zysten in einer Extraktions- oder Osteotomiewunde könne nicht nach Nr 56 abgerechnet werden. Wenn das Berufungsgericht im Rahmen der durch den Wortlaut der Gebührenordnung vorgegebenen Abgrenzung zwischen Zysten iS der Nr 56c Bema und "kleinen Zysten" iS der amtlichen Anmerkung Nr 1 zu Nr 56 Bema den Umstand für wichtig hält, ob eine Zyste einen Umfang erreicht hat, wonach der durch sie gebildete Hohlraum als "Aufhellung" im Röntgenbild sichtbar ist, besteht von seinem insoweit maßgeblichen Rechtsstandpunkt kein Anlaß zur weiteren Aufklärung des Sachverhalts.
Soweit die Klägerin eine Verletzung ihres Anspruchs auf Gewährung angemessenen rechtlichen Gehörs im Zusammenhang mit der Berechnungsfähigkeit der Nr 55 Bema (Reimplantation) rügt, ist die Beschwerde ebenfalls nicht begründet. In der Sache macht die Klägerin geltend, das Berufungsgericht sei ihrer Auffassung, daß Reimplantation iS der Nr 55 Bema nicht notwendig eine Implantation am gleichen Ort meine, zu Unrecht nicht gefolgt. Ungeachtet der Frage, ob der Vorsitzende des Berufungssenats - wie die Beschwerde ohne Bezug zum Inhalt der gerichtlichen Akten vorträgt - die Klägerin auch insoweit durch Äußerungen in der mündlichen Verhandlung an der Stellung eines sachgerechten Beweisantrags gehindert haben mag, liegt in der Nichteinholung eines Sachverständigengutachtens keine unzureichende Sachaufklärung durch das Gericht. Der von der Klägerin im Beschwerdeverfahren benannte Sachverständige könnte nach ihrem eigenen Vortrag dazu gehört werden, ob die Verpflanzung eines Zahnes von einer Stelle an eine andere Stelle im gleichen Gebiß seit Jahren zum zahnmedizinischen Standard gehört. Darauf kommt es jedoch - wie das LSG zutreffend ausgeführt hat - im Zusammenhang mit der Berechnungsfähigkeit einer Position der vertrags(zahn-)ärztlichen Gebührenordnung nicht an. Für die Auslegung von Tatbeständen der Gebührenordnungen ist deren Wortlaut, ggf unter Berücksichtigung des zahnmedizinischen Ablaufs, maßgeblich (vgl BSG SozR 3-5555 § 10 Nr 1 S 39). Es ist ausgeschlossen, unter Hinweis auf tatsächlich bestehende oder nur behauptete (zahn-)medizinisch wissenschaftliche Auffassungen erweiterte Abrechnungsmöglichkeiten zu begründen (BSG SozR 3-5533 Nr 2449 Nr 1 S 3). Mithin ergibt sich aus den Ausführungen der Klägerin kein Verfahrensmangel, auf dem das Berufungsurteil iS des § 160 Abs 2 Nr 3 SGG "beruhen" kann.
Soweit die Klägerin die Verletzung des § 103 SGG unabhängig von der Behandlung der Ausführungen von Prof. Dr. Dr. S. rügen will, was der Beschwerdebegründung nicht eindeutig zu entnehmen ist, sind die Anforderungen an die "Bezeichnung" des Verfahrensfehlers iS des § 160a Abs 2 Satz 3 SGG nicht gewahrt. Die Beschwerde ist insoweit unzulässig.
Soweit die Klägerin geltend macht, eine in dem von ihr angestrebten Revisionsverfahren zu entscheidende Frage habe rechtsgrundsätzliche Bedeutung (Zulassungsgrund gemäß § 160 Abs 2 Nr 1 SGG), ist die Beschwerde nicht begründet. Rechtsgrundsätzliche Bedeutung iS dieser Vorschrift kommt nur einer Rechtsfrage zu, die klärungsbedürftig, im angestrebten Revisionsverfahren klärungsfähig und von über den Einzelfall hinausgehender, allgemeiner Bedeutung ist. Die von der Klägerin aufgeworfene Rechtsfrage, ob die Nr 56c Bema dahin auszulegen sei, daß eine Zystektomie iVm einer Osteotomie oder Wurzelspitzenresektion nur abrechenbar sei, wenn zuvor eine entsprechend große Aufhellung im Röntgenbild sichtbar war, ist im Zusammenhang mit einem Streit um die Rechtmäßigkeit einer sachlich-rechnerischen Berichtigung nicht allgemein klärungsfähig. Anrechnungsfähig sind nach dem Wortlaut der Leistungslegende der Nr 56c Bema sowie der Anmerkung 1 zu Nr 56 Bema nur Zystenoperationen durch Zystektomien, soweit sie nicht im Auskratzen einer "kleinen Zyste" in einer Osteotomiewunde besteht. Zwischen in diesem Sinne "kleinen" Zysten und Zysten iS der Nr 56c Bema muß abgegrenzt werden. Dabei kommt dem röntgenologischen Befund erhebliche Bedeutung zu, weil Zysten in der Regel als Zufallsbefunde im Röntgenbild bemerkt werden, da ihnen klinische Symptome weitgehend fehlen bzw sich solche erst in einem sehr fortgeschrittenen Stadium des Zystenwachstums bemerkbar machen (Liebold/Raff/Wissing, Kommentar zum Bema, Band 2, Stand: August 1998, S III/263). Danach wird regelmäßig der röntgenologische Befund Anlaß für die Planung und Durchführung einer Zystenoperation iS der Nr 56c Bema geben, während die im Zuge einer anderen zahnmedizinischen Behandlung mögliche Entdeckung und unverzügliche Behandlung einer kleinen Zyste nicht gesondert berechnungsfähig ist. Da mithin der generelle Aussagewert von röntgenologischen Befunden für die Berechnungsfähigkeit der Nr 56c Bema im typischen Fall nicht zweifelhaft ist, kann nicht allgemeingültig bzw rechtsgrundsätzlich geklärt werden, ob in extrem gelagerten Fällen eine Zyste auch dann nicht mehr "klein" iS der Anmerkung 1 zur Nr 56 Bema sein kann, wenn eine eindeutig als Zyste identifizierbare Aufhellung im Röntgenbild trotz fachgerechter Durchführung der Aufnahme und ebensolcher Interpretation des Röntgenbildes nicht sicher erkennbar ist. Auf die entsprechenden Schwierigkeiten hat der Senat bereits in seinem Urteil vom 8. Mai 1996 (6 RKa 45/95 = SozR 3-2500 § 106 Nr 36 S 202) im Zusammenhang mit der Wiedergabe der dort angefochtenen Bescheide der Prüfgremien hingewiesen.
Die Kostenentscheidung ergeht in entsprechender Anwendung des § 193 Abs 1 und 4 SGG.
Fundstellen