Verfahrensgang

LSG Baden-Württemberg (Urteil vom 13.10.2000)

 

Tenor

Die Beschwerde des Beklagten gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 13. Oktober 2000 wird zurückgewiesen.

Der Beklagte hat dem Kläger die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu erstatten.

 

Tatbestand

I

Der Kläger verletzte sich 1961 als Kind in Jugoslawien an Fundmunition aus dem Zweiten Weltkrieg. Wegen der Verletzungsfolgen bezog er nach dem Recht Bosnien-Herzegowinas eine Rente als ziviles Kriegsopfer außerdem als „Kannleistung” nach dem Bundesversorgungsgesetz (BVG) Beschädigtenrente wegen „Blindheit beider Augen” mit einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) um 100 vH nebst Schwerbeschädigten- und Pflegezulage (Bescheid vom 14. Februar 1989).

Seit 1992 lebt der Kläger in Deutschland. Der Beklagte stellte die Rechtswidrigkeit des Bewilligungsbescheides fest, weil der Kläger Anspruch auf Versorgung gegen einen anderen Staat habe (§ 7 Abs 2 BVG). Im Wege der Besitzstandswahrung seien Versorgungsbezüge nur in der zuletzt gewährten Höhe von 1.124,00 DM weiterzuzahlen (Bescheide vom 25. und 26. Juni 1997; Widerspruchsbescheide vom 29. Juni 1998).

Das Landessozialgericht (LSG) hat den Beklagten verurteilt, erhöhte Versorgung nach § 64e Abs 7 BVG zu gewähren. § 7 Abs 2 BVG stehe nicht entgegen, weil der Kläger durch Auslandsaufenthalt aus dem heimatlichen Versorgungssystem ausgeschieden sei. Die Revision hat das LSG nicht zugelassen.

Mit der dagegen eingelegten Beschwerde rügt der Beklagte Verfahrensfehler und eine Divergenz. Das LSG habe ohne mündliche Verhandlung durch Urteil entschieden und dadurch § 124 Abs 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) verletzt, weil der Kläger auf mündliche Verhandlung nicht verzichtet habe. Das Berufungsurteil weiche zudem von der Entscheidung des erkennenden Senats vom 28. Juli 1999 (SozR 3-3100 § 7 Nr 6) ab, indem es den Verlust des Anspruchs auf die ausländische Leistung wegen Aufenthalt des Kriegsopfers in Deutschland als hinreichenden Grund ansehe, um die Zugehörigkeit zu einem ausländischen System der Kriegsopferversorgung und damit die Anwendbarkeit des § 7 Abs 2 BVG zu verneinen.

 

Entscheidungsgründe

II

Die zulässige Beschwerde ist nicht begründet.

Soweit der Beklagte geltend macht, das Berufungsurteil weiche von der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) ab, mag er zwar Rechtssätze des LSG und des BSG herausgearbeitet, einander gegenübergestellt und ihre Widersprüchlichkeit aufgezeigt haben.

Der behauptete Widerspruch besteht aber nicht. Denn das vom Beklagten angeführte Senatsurteil vom 28. Juli 1999 (SozR 3-3100 § 7 Nr 6) spricht als tragenden Rechtssatz die Erkenntnis aus, daß die Zugehörigkeit zum Kreis der nach dem Recht ihres Heimatstaates potentiell Versorgungsberechtigten nicht durch die Versäumung von Fristen aufgehoben wird, innerhalb derer eine Versorgungsleistung nach ausländischem Recht zu beantragen ist. Über einen solchen Fall hatte das LSG nicht zu entscheiden. Es hat vielmehr in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des Senats (vgl Urteile vom 19. August 1981 ≪SozR 1500 § 171 Nr 3≫ und vom 9. Dezember 1998 ≪HVBG-INFO 1999, 973 ff = Juris≫) entschieden, daß ausländische Kriegsopfer, die nach dem Recht ihres Heimatstaates ihren Versorgungsanspruch bei Auslandsaufenthalt verlieren, nicht gemäß § 7 Abs 2 BVG von Leistungen des deutschen Versorgungssystems ausgeschlossen sind.

Auch die Rüge von Verfahrensfehlern führt nicht zur Zulassung der Revision. Der Beklagte behauptet, das LSG habe ohne mündliche Verhandlung durch Urteil entschieden, obwohl der Kläger diesem Verfahren nicht – nach § 124 Abs 2 SGG – zugestimmt habe. Damit ist schlüssig eine Verletzung des Grundsatzes der Mündlichkeit (§ 124 Abs 1 SGG) und des Anspruchs auf rechtliches Gehör (Art 103 Grundgesetz, § 62 SGG) vorgetragen. Es bedurfte hier keiner näheren Darlegung, daß die Entscheidung des Berufungsgerichts auf diesem Verfahrensfehler beruhen kann. Deshalb konnte die Frage offenbleiben, ob die Entscheidung ohne mündliche Verhandlung trotz fehlenden Einverständnisses absoluter Revisionsgrund ist (vgl dazu – für § 202 SGG iVm § 551 Nr 5 Zivilprozeßordnung verneinend – BSGE 53, 83, 84 f = SozR 1500 § 124 Nr 7 und – für § 119 Nr 4 Finanzgerichtsordnung bejahend – BFHE 178, 301; BFH/NV 1998, 32).

Der Beklagte ist nicht etwa deshalb gehindert, diesen Verfahrensfehler im Beschwerdeverfahren geltend zu machen, weil nicht sein, sondern das Einverständnis des Klägers mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung gefehlt hat. In der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) ist anerkannt, daß es nicht darauf ankommt, ob es gerade – auch – an der Zustimmung des Rechtsmittelführers oder – nur – an der eines anderen Beteiligten fehlt. Denn für das Verfahren nach § 124 Abs 2 SGG ist die Zustimmung aller Prozeßbeteiligten erforderlich. Die Vorschrift dient aus rechtsstaatlichen Gründen dem Schutz der Verfahrensrechte sämtlicher Beteiligten (BSG SozR § 124 SGG Nr 4; BSG, Urteil vom 29. Januar 1963 – 1 RA 353/61 – nicht veröffentlicht; vgl auch Pawlak in Hennig, SGG, Stand August 2000, § 124 RdNr 59). Liegt nur eine Einverständniserklärung vor, so kann auch der verzichterklärende Beteiligte damit rechnen und darauf vertrauen, daß ein Urteil nur aufgrund mündlicher Verhandlung erlassen werden wird (BFH/NV 1998, 32).

Von der zitierten Rechtsprechung weicht die Entscheidung des 2. Senats des BSG vom 28. August 1989 – 2 BU 91/89 – (HV-INFO 1989, 2453) nicht ab. Dort ist zwar entschieden, die Einverständniserklärung nach § 124 Abs 2 SGG bedeute nicht nur den wirksamen Verzicht auf die mündliche Verhandlung, sondern auch die Verwirkung des Rechts, sich im anschließenden Rechtsmittelverfahren auf eine Verletzung des Grundsatzes der Mündlichkeit berufen zu können. In jenem Fall lagen aber – anders als hier – offensichtlich Einverständniserklärungen aller Beteiligten vor. Jedenfalls hat der Kläger im Beschwerdeverfahren nicht das Fehlen irgendeines der erforderlichen Einverständnisse gerügt, sondern das Verfahren des Gerichts, das ihm keinen anderen Weg gelassen habe, als einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung zuzustimmen. Mit Einverständniserklärungen sämtlicher Beteiligten lag die Voraussetzung vor, unter der das Berufungsgericht nach § 124 Abs 2 SGG ohne mündliche Verhandlung entscheiden durfte. Dagegen fehlte diese Voraussetzung nach der Behauptung des Beklagten im vorliegenden Fall.

Die Beschwerde ist aber deshalb nicht begründet, weil – anders als vom Beklagten behauptet – der Kläger einer Entscheidung nach § 124 Abs 2 SGG zugestimmt hat. Das ergibt sich aus Bl 11 der LSG-Akte.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

Haufe-Index 1175962

SozSi 2003, 180

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