Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialgerichtliches Verfahren. Verfahrensmangel. Verletzung des Grundsatzes des gesetzlichen Richters. fehlende rechtzeitige Zustellung des Übertragungsbeschlusses nach § 153 Abs 5 SGG an die Beteiligten
Orientierungssatz
Fehlt es zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung noch an der Zustellung des Beschlusses, mit dem gem § 153 Abs 5 SGG die Berufung durch die berufsrichterlichen Mitglieder des Senats dem Berichterstatter zur Entscheidung mit den ehrenamtlichen Richtern übertragen wurde, so liegt eine Verletzung des Anspruchs auf den gesetzlichen Richter (Art 101 Abs 1 S 2 GG) vor. Dieser Verfahrensmangel kann nicht durch rügelose Einlassung geheilt werden.
Normenkette
SGG § 160 Abs. 2 Nr. 3; GG Art 101 Abs. 1 S. 2; SGG § 33 Abs. 1 S. 1, § 153 Abs. 5, § 142 Abs. 1, § 133 S. 2, § 134; ZPO § 295 Abs. 2
Verfahrensgang
LSG Niedersachsen-Bremen (Urteil vom 25.10.2016; Aktenzeichen L 15 AS 203/16) |
SG Osnabrück (Gerichtsbescheid vom 10.08.2016; Aktenzeichen S 16 AS 390/15) |
Tenor
Auf die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision wird das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen vom 25. Oktober 2016 - L 15 AS 203/16 - aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.
Gründe
I. Mit Urteil vom 25.10.2016 - L 15 AS 203/16 - hat das LSG nach mündlicher Verhandlung durch den Berichterstatter und zwei ehrenamtliche Richter die Berufung des Klägers gegen einen Gerichtsbescheid des SG zurückgewiesen, durch den seine Klage wegen Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II für den Zeitraum von Mai 2015 bis Juni 2016 abgewiesen worden war. Die Übertragung auf den Berichterstatter erfolgte durch Beschluss der Berufsrichter vom 24.10.2016, der dem Kläger am 18.11.2016 und dem beklagten Jobcenter am 21.11.2016 zugestellt worden ist.
Mit seiner Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des LSG macht der Kläger einen Verfahrensfehler geltend und rügt die Besetzung des Gerichts; die Übertragung auf den Berichterstatter sei erst mit Zustellung an die Verfahrensbeteiligten und damit nach der mündlichen Verhandlung wirksam geworden.
II. Die Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers ist zulässig und im Sinne der Aufhebung und Zurückverweisung begründet.
Das Urteil des LSG vom 25.10.2016 beruht auf einem von dem Kläger hinreichend bezeichneten (§ 160a Abs 2 Satz 3 SGG) Verfahrensmangel iS des § 160 Abs 2 Nr 3 SGG. Das LSG hat den Anspruch des Klägers auf den gesetzlichen Richter (Art 101 Abs 1 Satz 2 GG) verletzt, weil der Berichterstatter zusammen mit den ehrenamtlichen Richtern entschieden hat, obwohl die gesetzlichen Voraussetzungen hierfür nicht vorlagen.
Gesetzlicher Richter für die Entscheidung von Verfahren vor dem LSG ist grundsätzlich ein Senat in der Besetzung mit einem Vorsitzenden, zwei weiteren Berufsrichtern und zwei ehrenamtlichen Richtern (§ 33 Abs 1 Satz 1 SGG). Hiervon macht zwar ua § 153 Abs 5 SGG (eingefügt durch das Gesetz zur Änderung des Sozialgerichtsgesetzes und des Arbeitsgerichtsgesetzes vom 26.3.2008, BGBl I 444) eine Ausnahme. Danach kann das LSG die Berufung in den Fällen einer Entscheidung des SG durch Gerichtsbescheid (§ 105 SGG) durch Beschluss der berufsrichterlichen Mitglieder des Senats dem Berichterstatter übertragen, der zusammen mit den ehrenamtlichen Richtern entscheidet. Das erfordert jedoch einen schriftlich abzufassenden und der Geschäftsstelle zu übergebenden Beschluss (§ 153 Abs 1 iVm § 142 Abs 1 und § 134 SGG), der der Zustellung an die Beteiligten (§ 153 Abs 1 iVm § 142 Abs 1 und § 133 Satz 2 SGG) bedarf (BSG vom 27.4.2010 - B 2 U 344/09 B - SozR 4-1500 § 153 Nr 8 RdNr 7; BSG vom 24.10.2013 - B 13 R 240/12 B - juris RdNr 9). Daran fehlt es hier zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung, weil der am Vortag getroffene Übertragungsbeschluss den Beteiligten erst am 18. bzw 21.11.2016 zugestellt worden und ihm daher besetzungsrelevante Wirkung für das Urteil vom 25.10.2016 noch nicht zugekommen ist.
Der Verfahrensmangel ist auch nicht durch rügelose Einlassung (§ 202 SGG iVm § 295 ZPO) geheilt; dies gilt bereits deswegen, weil die vorschriftsmäßige Besetzung des Gerichts zu den nicht verzichtbaren Voraussetzungen eines ordnungsgemäßen Verfahrens (§ 295 Abs 2 ZPO) gehört (BSG vom 27.4.2010 - B 2 U 344/09 B - SozR 4-1500 § 153 Nr 8 RdNr 8). Zum anderen ist die Vorschrift des § 295 ZPO auf den Anwaltsprozess zugeschnitten und daher bei - wie hier - nicht rechtskundig vertretenen Beteiligten allenfalls nach Belehrung durch den Vorsitzenden anwendbar (BSG vom 12.4.2000 - B 9 SB 2/99 R - juris RdNr 21).
Berufen zur Entscheidung über die Berufung des Klägers am 25.10.2016 war danach das LSG noch in voller Senatsbesetzung mit einem Vorsitzenden, zwei weiteren Berufsrichtern sowie zwei ehrenamtlichen Richtern (§ 33 Abs 1 Satz 1 SGG). Das berührt das von Verfassungs wegen nach Art 101 Abs 1 Satz 2 GG gewährleistete Recht auf den gesetzlichen Richter in seiner einfachrechtlichen Ausprägung (stRspr; vgl nur BSG vom 8.11.2007 - B 9/9a SB 3/06 R - BSGE 99, 189 = SozR 4-1500 § 155 Nr 2, RdNr 14 mwN). Aufgrund dessen ist das angefochtene Urteil gemäß § 160a Abs 5 iVm § 160 Abs 2 Nr 3 SGG aufzuheben und die Sache an das LSG zurückzuverweisen.
Die Entscheidung über die Kosten des Beschwerdeverfahrens bleibt der abschließenden Entscheidung des LSG vorbehalten.
Fundstellen
Dokument-Index HI11619043 |