Verfahrensgang
LSG Niedersachsen-Bremen (Urteil vom 23.06.2016; Aktenzeichen L 8 SO 296/14) |
SG Hildesheim (Aktenzeichen S 9 SO 35/12) |
Tenor
Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen vom 23. Juni 2016 wird als unzulässig verworfen.
Außergerichtliche Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.
Gründe
I
Im Streit ist die Übernahme von Umzugskosten.
Die 1963 geborene Klägerin lebt mit ihrem volljährigen, behinderten Sohn zusammen und bezieht Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung nach dem Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch - Sozialhilfe - (SGB XII). Ihren im April 2014 gestellten Antrag auf Übernahme von Umzugskosten lehnte der Beklagte ab; die Klage blieb in beiden Instanzen ohne Erfolg (Gerichtsbescheid des Sozialgerichts ≪SG≫ Hildesheim vom 7.8.2014; Urteil des Landessozialgerichts ≪LSG≫ Niedersachsen-Bremen vom 23.6.2016). Zur Begründung seiner Entscheidung hat das LSG ausgeführt, zwar sei der Auszug aus der bisherigen Wohnung notwendig, weil der Vermieter Räumungsklage erhoben habe; der Einzug in die neue Wohnung verursache aber unangemessene Kosten. Diese beliefen sich auf 430 Euro, während mit Rücksicht auf die angemessene Größe einer Wohnung Kosten lediglich in Höhe von 387,20 Euro (jeweils ohne Heizkosten) angemessen seien. Es seien keine Umstände ersichtlich, die eine größere Wohnfläche rechtfertigen würden. Der pauschale Verweis der Klägerin auf eine drohende Verschlechterung ihres Gesundheitszustands und die ihres Sohnes bei einer weiteren Wohnungssuche, dessen Schwerbehinderung und auf Lärmbelästigungen rechtfertige dies jedenfalls nicht.
Mit der Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des LSG macht die Klägerin eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache, eine Divergenz geltend und rügt Verfahrensfehler.
Grundsätzlich bedeutsam sei, dass ihr Anspruch auf rechtliches Gehör durch das LSG verletzt worden sei. Dieses habe ihr Schreiben vom 15.10.2014 nicht beachtet, in dem sie darauf hingewiesen habe, Probleme bei der Begründung der Berufung und der Suche nach einem Rechtsanwalt zu haben. Zudem sei ihr Vortrag nicht beachtet worden, dass sie seit 1 ½ Jahren vergeblich eine Wohnung gesucht habe, ebenso wenig ihr Hinweis auf die schwerste Traumatisierung ihres Sohnes, und dass ihr eine Räumungsklage drohe. Deshalb sei ihr zu Unrecht Prozesskostenhilfe (PKH) nicht bewilligt worden. Das LSG habe dadurch auch gegen das Gebot fairen Verfahrens (Art 19 Abs 4 Grundgesetz ≪GG≫) und effektiven Rechtsschutzes verstoßen.
Grundsätzlich bedeutsam sei zudem die Rechtsfrage, ob das Ermessen der Behörde nach § 35 Abs 2 Satz 5 und 6 SGB XII zur Erteilung der Zustimmung zur Übernahme von Umzugskosten sowie zu deren (nachträglichen) Übernahme auf Null reduziert sei, wenn der Hilfeempfänger nach einer Suche von mehr als sechs Monaten (hier: ein Jahr und sechs Monate) keine Wohnung mit sozialhilferechtlich angemessenen Unterkunftskosten (Größe der angemieteten Wohnung: 77 qm) anmieten könne. Auch die Frage, ob dann die bisherigen Unterkunftskosten zugrunde gelegt werden könnten, sei grundsätzlich bedeutsam. Diese Fragen seien klärungsbedürftig und klärungsfähig, weil sie das im Gesetz verankerte Ermessen der Behörde definierten bzw die Tatsachen durch Fiktion regelten und somit eine Auslegung des § 35 Abs 2 Satz 5 und 6 SGB XII bedeuteten.
Zudem liege eine Divergenz vor. Das Bundessozialgericht (BSG) habe für den Bereich der Grundsicherung für Arbeitsuchende entschieden (B 4 AS 37/13 R), dass für die Notwendigkeit des Umzugs sowohl der Auszug aus der alten als auch der Einzug in die neue Wohnung notwendig sein müssten. Dies setze voraus, dass diese keine unangemessenen Kosten verursache. Allerdings habe das BSG auch ausgeführt, dass dann, wenn tatsächlich keine kostenangemessene Unterkunft vorhanden sei, weiterhin die tatsächlichen Kosten für die bisherige Unterkunft zu übernehmen seien. Dies sei so zu verstehen, dass unter Heranziehung der bisherigen Kosten die neue Unterkunft nicht unangemessen sei, weil der "überschießende Teil" als Eigenanteil zu tragen wäre und bei der Frage der Notwendigkeit des Umzugs ignoriert würde. Damit wäre der Umzug insgesamt notwendig.
II
Die Nichtzulassungsbeschwerde ist unzulässig, weil die geltend gemachten Zulassungsgründe der grundsätzlichen Bedeutung (§ 160 Abs 2 Nr 1 Sozialgerichtsgesetz ≪SGG≫), der Divergenz (§ 160 Abs 2 Nr 2 SGG) und des Verfahrensmangels (§ 160 Abs 2 Nr 3 SGG) nicht in der nach § 160a Abs 2 Satz 3 SGG gebotenen Weise dargelegt bzw bezeichnet worden sind. Der Senat konnte deshalb über die Beschwerde ohne Zuziehung der ehrenamtlichen Richter nach § 160a Abs 4 Satz 1 Halbsatz 2 iVm § 169 Satz 3 SGG entscheiden.
Das Vorbringen der Klägerin zur Verletzung rechtlichen Gehörs und der Gewährleistung von Rechtsschutzgleichheit (Art 3 Abs 1 GG iVm Art 20 GG) wegen der Ablehnung des PKH-Antrags durch das LSG genügt nicht den Anforderungen an die schlüssige Darlegung eines Verfahrensmangels. Wird das Vorliegen eines Verfahrensmangels geltend gemacht, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann, so müssen bei der Bezeichnung des Verfahrensmangels wie bei einer Verfahrensrüge innerhalb einer zugelassenen Revision zunächst die diesen Verfahrensmangel des LSG (vermeintlich) begründenden Tatsachen substantiiert dargelegt werden (BSG SozR 1500 § 160a Nr 14, 24, 34 und 36; vgl auch Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 11. Aufl 2014, § 160a RdNr 16 mwN). Darüber hinaus ist die Darlegung zu verlangen, dass und warum die Entscheidung - ausgehend von der Rechtsansicht des LSG - auf dem Mangel beruhen kann, also die Möglichkeit der Beeinflussung des Urteils besteht (BSG SozR 1500 § 160a Nr 14 und 36), es sei denn, es werden - was hier allerdings nicht der Fall ist - absolute Revisionsgründe gerügt, bei denen gemäß § 202 SGG iVm § 547 Zivilprozessordnung (ZPO) der Einfluss auf die Entscheidung unwiderlegbar vermutet wird (BSGE 4, 281, 288; BSG SozR 1500 § 136 Nr 8).
Grundsätzlich ist eine Rüge, die sich gegen unanfechtbare Vorentscheidungen - wie hier die Ablehnung von PKH (vgl § 177 SGG) richtet, ausgeschlossen (§ 202 SGG iVm § 557 Abs 2 ZPO; BSG SozR 1500 § 160 Nr 48). Etwas anderes gilt nur dann, wenn der gerügte Verfahrensmangel zu einem Mangel der angefochtenen Entscheidung selbst führt (vgl zur Richterablehnung: BSG SozR 1500 § 160 Nr 57; SozR 4-1500 § 160a Nr 1). Im Verfahren der Nichtzulassungsbeschwerde kann deshalb als Verfahrensmangel nicht die rechtswidrige Ablehnung von PKH als solche geltend gemacht werden, sondern nur eine Ablehnung, die verfassungsrechtlich fundierte prozessuale Gewährleistungen verletzt, weil sie auf "Willkür" beruht und damit gegen Art 3 Abs 1 GG und das Gebot der Rechtsschutzgleichheit von Bemittelten und Unbemittelten verstößt (vgl zuletzt nur: BSG, Beschluss vom 3.12.2013 - B 13 R 447/12 B mwN; BVerfG, Beschluss vom 8.7.2016 - 2 BvR 2231/13). Die Klägerin teilt jedoch schon nicht den Inhalt des PKH-Beschlusses mit und schildert nicht, wieso das LSG willkürlich im Sinne der Rechtsprechung gehandelt habe. Hierfür genügt nicht der Vortrag, sie sei erkennbar rechtlich überfordert gewesen. Sie macht vielmehr im Ergebnis nur geltend, das LSG habe insoweit in der Sache falsch entschieden, was aber - wie dargelegt - eine zulässige Verfahrensrüge nicht begründen kann.
Nichts anderes gilt, sähe man in dem Vorbringen zugleich eine Rüge des § 103 SGG (Untersuchungsmaxime) bzw § 128 SGG; denn auf eine Verletzung des § 128 Abs 1 Satz 1 SGG könnte ein Verfahrensmangel ohnedies nicht und auf die Verletzung des § 103 SGG nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag beziehen würde, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt wäre (§ 160 Abs 2 Nr 3 SGG), wozu es ebenfalls an Vortrag fehlt. Auch verstanden als Rüge gegen das Gebot fairen Verfahrens (Art 19 Abs 4 GG) könnten die Anforderungen an eine schlüssige Darlegung einer Gehörsrüge nicht umgangen werden (vgl BSG, Beschluss vom 17.5.2016 - B 13 R 67/16 B).
Es fehlt allerdings auch an der substantiierten Darlegung des Zulassungsgrunds der grundsätzlichen Bedeutung. Grundsätzliche Bedeutung hat eine Rechtssache dann, wenn sie eine Rechtsfrage aufwirft, die - über den Einzelfall hinaus - aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts einer Klärung durch das Revisionsgericht bedürftig und fähig ist. Um der Darlegungspflicht zu genügen, muss eine konkrete Rechtsfrage formuliert, ihre (abstrakte) Klärungsbedürftigkeit, ihre (konkrete) Klärungsfähigkeit (Entscheidungserheblichkeit) sowie die über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung der von ihr angestrebten Entscheidung (sog Breitenwirkung) dargelegt werden (vgl nur BSG SozR 3-1500 § 160a Nr 34 S 70 mwN). Klärungsfähig ist eine Rechtsfrage nur dann, wenn sie für den zu entscheidenden Fall rechtserheblich ist (BSG SozR 1500 § 160a Nr 31). Über die aufgeworfene Rechtsfrage müsste das Revisionsgericht also konkret-individuell sachlich entscheiden können (BSG SozR 1500 § 160a Nr 39 und 53). Dies erfordert, dass die Klägerin den nach ihrer Auffassung vom Revisionsgericht einzuschlagenden Weg der Nachprüfung des angefochtenen Urteils und damit insbesondere den Schritt darlegt, der die Entscheidung der als grundsätzlich bezeichneten Rechtsfrage notwendig macht (vgl dazu auch BVerfG SozR 3-1500 § 160a Nr 31).
Diesen Anforderungen wird die Beschwerdebegründung nicht gerecht. Die Klägerin formuliert zwar zwei Rechtsfragen und führt aus, sie seien für den konkreten Fall und darüber hinaus bedeutsam. Auf diese Behauptung beschränkt sich ihr Vorbringen allerdings. Sie zeigt nicht auf, ob und wenn ja welche Rechtsprechung zu den aufgeworfenen Fragen bereits existiert; insbesondere legt sie nicht dar, wieso angesichts der zum Bereich der Grundsicherung für Arbeit bereits ergangenen Rechtsprechung - auf die sie bei ihrer Divergenzrüge (dazu gleich) selbst Bezug nimmt - eine Entscheidung des Senats (weiterhin) erforderlich ist, die Rechtsfragen also noch klärungsbedürftig sind. Die - pauschale - Behauptung, angesichts steigender Mietpreise und Wohnraumknappheit sei dies der Fall, genügt den Anforderungen an eine Begründung im Rahmen einer Nichtzulassungsbeschwerde jedenfalls nicht. Soweit hinsichtlich der behaupteten Verfahrensfehler zugleich - formal - eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache geltend gemacht wird, fehlt es bereits an der Formulierung einer abstrakt klärungsbedürftigen Rechtsfrage, die zur Entscheidung des Senats gestellt wird.
Auch die behauptete Divergenz der Entscheidung des LSG zur Entscheidung des BSG ist nicht ausreichend begründet. Eine Divergenz liegt nur dann vor, wenn das LSG einen tragenden abstrakten Rechtssatz in Abweichung von einem tragenden abstrakten Rechtssatz des BSG aufgestellt hätte; eine Abweichung ist erst dann zu bejahen, wenn das LSG diesen Kriterien - wenn auch unter Umständen unbewusst - widersprochen, also andere rechtliche Maßstäbe entwickelt hat (BSG SozR 1500 § 160a Nr 67). Die Klägerin formuliert weder einen tragenden abstrakten Rechtssatz des LSG noch einen solchen des BSG, geschweige denn legt sie eine Abweichung dar; sie teilt noch nicht einmal mit, in welcher Höhe vor dem Umzug überhaupt Kosten der Unterkunft angefallen sind. Soweit die Beschwerdebegründung dahin zu verstehen ist, dass die Entscheidung des LSG inhaltlich falsch sein soll, vermag dies die Revisionsinstanz nicht zu eröffnen. Denn Gegenstand der Nichtzulassungsbeschwerde ist nicht, ob das Berufungsgericht in der Sache richtig entschieden hat (BSG SozR 1500 § 160a Nr 7).
Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.
Fundstellen
Dokument-Index HI10644153 |