Verfahrensgang
SG Meiningen (Entscheidung vom 22.09.2015; Aktenzeichen S 20 R 1876/12) |
Thüringer LSG (Urteil vom 06.06.2019; Aktenzeichen L 2 R 89/16) |
Tenor
Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Thüringer Landessozialgerichts vom 6. Juni 2019 wird als unzulässig verworfen.
Die Beteiligten haben einander für das Beschwerdeverfahren keine Kosten zu erstatten.
Gründe
I
Mit Urteil vom 6.6.2019 hat das Thüringer LSG einen im Überprüfungsverfahren geltend gemachten Anspruch des Klägers auf Feststellung von Zeiten der Zugehörigkeit zur zusätzlichen Altersversorgung der technischen Intelligenz (AVItech) sowie der erzielten Arbeitsentgelte wegen fehlender betrieblicher Voraussetzungen verneint und die Berufung des Klägers gegen das Urteil des SG Meiningen vom 22.9.2015 zurückgewiesen.
Gegen die Nichtzulassung der Revision in diesem Urteil hat der Kläger Beschwerde beim BSG eingelegt. Er macht eine Divergenz sowie Verfahrensmängel geltend (§ 160 Abs 2 Nr 2 und 3 SGG).
II
Die Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers ist unzulässig, weil sie nicht formgerecht begründet ist. Keiner der in § 160 Abs 2 SGG genannten Gründe werden in der Beschwerdebegründung nach Maßgabe der Erfordernisse des § 160a Abs 2 Satz 3 SGG dargetan. Die Beschwerde ist daher gemäß § 160a Abs 4 Satz 1 iVm § 169 SGG zu verwerfen.
1. Divergenz iS von § 160 Abs 2 Nr 2 SGG liegt vor, wenn die tragenden abstrakten Rechtssätze, die zwei Entscheidungen zugrunde gelegt worden sind, nicht übereinstimmen. Sie kommt nur dann in Betracht, wenn das LSG einen tragenden abstrakten Rechtssatz in Abweichung von einem vorhandenen abstrakten Rechtssatz des BSG, des GmSOGB oder des BVerfG aufgestellt hat. Eine Abweichung liegt folglich nicht schon dann vor, wenn die Entscheidung des LSG nicht den Kriterien entspricht, die das BSG aufgestellt hat, sondern erst, wenn das LSG diesen Kriterien widersprochen, also eigene rechtliche Maßstäbe entwickelt hat. Nicht die Unrichtigkeit der Entscheidung im Einzelfall, sondern die Nichtübereinstimmung im Grundsätzlichen begründet die Zulassung der Revision wegen Abweichung. Darüber hinaus verlangt der Zulassungsgrund der Divergenz, dass der angefochtene Beschluss auf der Abweichung beruht. Bezogen auf die Darlegungspflicht bedeutet das vorstehend Gesagte, dass die Beschwerdebegründung erkennen lassen muss, welcher abstrakte Rechtssatz in der höchstrichterlichen Entscheidung enthalten ist und welcher im Urteil des LSG enthaltene Rechtssatz dazu im Widerspruch steht (zum Ganzen vgl BSG SozR 1500 § 160a Nr 67 S 89 ff und aus jüngster Zeit BSG Beschluss vom 19.12.2019 - B 3 KR 8/19 B - RdNr 5 mwN). Diesen Darlegungserfordernissen wird die Beschwerdebegründung nicht gerecht.
Der Kläger trägt als Rechtssatz vor, auf dem die Entscheidung des LSG beruhe:
"Ein Betrieb ist nicht mit der industriellen Produktion im Sinne einer Massenproduktion entsprechend dem fordistischen Produktionsmodells befasst, wenn sich die anfallenden Arbeiten der Bauproduktion jeweils auf ein konkretes Bau- bzw. Sanierungsvorheben beziehen."
Als Rechtssätze des BSG stellt der Kläger dem gegenüber:
"Fällt die Montage zu einem Endprodukt in einem Betrieb an, der die Bauteile im Wege industrieller Massenproduktion selbst herstellt, kann auch der Zusammenbau dieser Teile zum fertigen Produkt seinerseits Teil der industriellen Produktion einschließlich des Bauwesens sein. Dies wird stets dann der Fall sein, wenn diese Produkte ihrerseits massenhaft hergestellt werden und daher ihr Zusammenbau mehr oder weniger schematisch anfällt. Unter diesen Voraussetzungen ist insbesondere auch eine größere Produktpalette oder eine Vielzahl potenziell zu verbindender Einzelteile kein Hindernis, solange das Produkt einer vom Hersteller standardmäßig angebotenen Palette entspricht. Werden dagegen Gebrauchtteile mit verbaut oder treten individuelle Kundenwünsche, wie der zusätzliche Einbau von besonders gefertigten Teilen oder der Bau eines zwar aus standardisierten Einzelteilen bestehenden, so aber vom Hersteller nicht vorgesehenen und allein auf besondere Anforderungen gefertigten Produkts, in den Vordergrund, entfällt der Bezug zur industriellen Massenproduktion. In diesem Fall ist zu prüfen, ob der Betrieb in dem gleichermaßen die industrielle Massenproduktion von Einzelteilen und der individualisierte Zusammenbau von Endprodukten anfallen, sein Gepräge durch den erstgenannten Bereich erhält" (BSG Urteil vom 19.7.2011 - B 5 RS 7/10 R)
und
"Eine Massenproduktion im Bereich des Bauwesens war für die DDR von maßgeblicher Bedeutung. Mit der Konzentration der Baukapazitäten in großen Bau- und Montagekombinaten sollte ein neuer, selbstständiger Zweig der Volkswirtschaft geschaffen werden, der die Organisierung und Durchführung der kompletten Serienfertigung von gleichartigen Bauwerken zum Gegenstand hatte. Die Bau- und Montagekombinate sollten danach u.a. den Bau kompletter Produktionsanlagen einschließlich der dazugehörigen Wohnkomplexe und Nebenanlagen durchführen und jeweils die betriebsfertigen Anlagen und schlüsselfertigen Bauwerke bei Anwendung der komplexen Fließfertigung und des kombinierten und kompakten Bauens übergehen. Von wesentlicher Bedeutung war somit das (Massen-)'Produktionsprinzip' in der Bauwirtschaft. Demgemäß wurde in dem o.g. Beschluss u.a. unterschieden zwischen der von dem Bau- und Montagekombinaten durchzuführenden Erstellung von Bauwerken in Massenproduktion einerseits und den Baureparaturbetrieben andererseits, die im Wesentlichen zuständig waren für die Erhaltung der Bausubstanz, die Durchführung von Um- und Ausbauten sowie von kleineren Neubauten; sie waren im Übrigen Baudirektionen unterstellt" (BSG Urteil vom 8.6.2004 - B 4 RA 57/03 R).
Der Kläger rügt, "die Rechtsauffassung des Berufungsgerichts" sei mit den beiden zitierten "Rechtssätzen" des BSG unvereinbar. Die Entscheidung des LSG widerspreche der höchstrichterlichen Rechtsprechung. Zur Begründung macht der Kläger insbesondere geltend, die Massenproduktion von Bitumen-Mischsplitt für den gesamten Straßenbau im Bezirk L. und die standardisierte Produktion von Bauwerksabdichtungen (zB im standardisierten Bikoflexverfahren) hätten dem Gesamtbetrieb des VEB Instandsetzung und Bauwerksabdichtung W. in der Gesamtschau das Gepräge gegeben. Mit dem in Massenproduktion hergestellten Bitumen-Latex-Gemisch sei die Abdichtung ua sämtlicher Neubauten in B. und in L. durchgeführt worden. Auch sei der gesamte Sportbodenbelag "Sprintan" für sämtliche Sportstätten in der DDR und im Ausland als Massenware produziert worden.
Dieser Beschwerdebegründung lässt sich schon nicht entnehmen, dass das LSG einen eigenen abstrakten Rechtssatz aufgestellt und selbst rechtliche Maßstäbe entwickelt hat. Das Berufungsgericht hat in seinen Entscheidungsgründen darauf abgestellt, "ob der vom arbeitgebenden VEB tatsächlich verfolgte Hauptzweck auf die industrielle Fertigung (Fabrikation, Herstellung, Produktion) von Sachgütern ausgerichtet war". Das LSG hat ausdrücklich betont, "was der tatsächliche Hauptzweck eines bestimmten VEB war", sei keine Rechtsfrage, sondern aufgrund der konkreten tatsächlichen Verhältnisse aufzuklären. Woraus der Kläger vor diesem Hintergrund den Entscheidungsgründen des LSG den vermeintlich aufgestellten abstrakten Rechtssatz entnimmt, begründet er nicht. Auch stellt er dem keine abweichenden abstrakten Rechtssätze des BSG gegenüber. Der Kläger zitiert umfangreich aus zwei Urteilen des BSG, ohne dass er daraus hinreichend konkret und zutreffend tragende abstrakte Rechtssätze extrahiert. Er zeigt keinen Widerspruch "im Grundsätzlichen" auf, wie es eine Divergenz iS von § 160 Abs 2 Nr 2 SGG voraussetzt. Vielmehr hat das LSG auf die vom BSG entwickelten betrieblichen Voraussetzungen für eine Einbeziehung in das Zusatzversorgungssystem der Technischen Intelligenz nach Nr 1 der Anlage 1 zum AAÜG verwiesen und dabei ausdrücklich auf das Urteil des BSG vom 19.7.2011 (B 5 RS 7/10 R - BSGE 108, 300 = SozR 4-8570 § 1 Nr 18) Bezug genommen. Auch dazu verhält sich die Beschwerdebegründung nicht.
Mit seinem Vorbringen, das Berufungsgericht habe "vorliegend verkannt, dass die konkreten Bau- und Sanierungsvorhaben, bei denen die Bauwerksabdichtung durch den VEB Instandsetzung und Bauwerksabdichtung W. erfolgte, in der früheren DDR selbst standardisierte Massenprodukte waren", macht der Kläger allenfalls einen im Rahmen der Nichtzulassungsbeschwerde unbeachtlichen Subsumtionsfehler geltend. Auf die vermeintliche Fehlerhaftigkeit der angefochtenen Entscheidung kann die Nichtzulassungsbeschwerde indes nicht gestützt werden (vgl BSG SozR 1500 § 160a Nr 7, 67 und zuletzt Senatsbeschluss vom 3.7.2019 - B 5 RS 10/18 B - juris RdNr 11).
2. Wird eine Nichtzulassungsbeschwerde darauf gestützt, dass ein Verfahrensmangel vorliege, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen könne (§ 160 Abs 2 Nr 3 Halbsatz 1 SGG), so müssen bei der Bezeichnung des Verfahrensmangels (§ 160a Abs 2 Satz 3 SGG) zunächst die den Verfahrensmangel (vermeintlich) begründenden Tatsachen substantiiert dargetan werden. Darüber hinaus ist die Darlegung erforderlich, dass und warum die Entscheidung des LSG ausgehend von dessen materieller Rechtsansicht auf dem Mangel beruhen kann, also die Möglichkeit einer Beeinflussung des Urteils besteht. Gemäß § 160 Abs 2 Nr 3 Halbsatz 2 SGG kann der geltend gemachte Verfahrensmangel nicht auf eine Verletzung der §§ 109 und 128 Abs 1 Satz 1 SGG und auf eine Verletzung des § 103 SGG nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist.
a) Der Kläger rügt zunächst als Verfahrensmangel, das LSG sei seiner Aufklärungspflicht nach § 103 SGG nicht ausreichend nachgekommen. Wird ein solcher Verstoß gegen die tatrichterliche Sachaufklärungspflicht geltend gemacht, muss die Beschwerdebegründung hierzu jeweils folgende Punkte enthalten: (1) Bezeichnung eines für das Revisionsgericht ohne Weiteres auffindbaren Beweisantrags, dem das LSG nicht gefolgt ist, (2) Wiedergabe der Rechtsauffassung des LSG, aufgrund derer bestimmte Tatfragen als klärungsbedürftig hätten erscheinen müssen, (3) Darlegung der von dem betreffenden Beweisantrag berührten Tatumstände, die zu weiterer Sachaufklärung Anlass gegeben hätten, (4) Angabe des voraussichtlichen Ergebnisses der unterbliebenen Beweisaufnahme und (5) Schilderung, dass und warum die Entscheidung des LSG auf der angeblich fehlerhaft unterlassenen Beweisaufnahme beruhen kann, das LSG mithin bei Kenntnis des behaupteten Ergebnisses der unterlassenen Beweisaufnahme von seinem Rechtsstandpunkt aus zu einem anderen, dem Beschwerdeführer günstigeren Ergebnis hätte gelangen können (BSG SozR 4-1500 § 160a Nr 3 RdNr 5 mwN; Fichte in Breitkreuz/Fichte, SGG, 2. Aufl 2014, § 160a RdNr 55).
Der bereits vor dem LSG anwaltlich vertretene Kläger trägt vor, das LSG habe deshalb gegen § 103 SGG verstoßen, weil es eine Vernehmung der vom Kläger benannten Zeugen unterlassen habe. Diese seien zum Beweis der Tatsache benannt worden, "dass die Hauptaufgabe des VEB Instandsetzung und Bauwerksabdichtung L. W. in einer Massenproduktion von Bitumen-Mischsplitt, PVC-Folien sowie Bauwerksabdichtungen bestand". Das so bezeichnete Beweisthema betrifft lediglich die Bewertung der tatsächlichen Verhältnisse. Zu welchen neuen, bislang nicht bekannten Tatsachenangaben die Zeugeneinvernahme hätte führen sollen, erläutert der Kläger nicht hinreichend. Die Beschwerdebegründung verweist selbst darauf, das LSG habe in seinen Entscheidungsgründen die Einvernahme der Zeugen deswegen als nicht erforderlich angesehen, weil "es aufgrund der eingereichten Unterlagen nicht mehr auf die Einvernahme der Zeugen ankomme". Dazu trägt der Kläger zwar vor, die Zeugen seien "nicht lediglich zur Bestätigung der […] eingereichten betriebswirtschaftlichen Planungs- und Planerfüllungsunterlagen angegeben, sondern in erster Linie zum Beweis der Hauptaufgabe einer standardisierten Massenproduktion von Bitumen-Mischsplitt, PVC-Folien und Bauwerksabdichtungen" benannt worden. Nähere Ausführungen dazu, was die Zeugen - entgegen dem Inhalt der vorliegenden Unterlagen - hätten vortragen können, wären insbesondere deshalb erforderlich gewesen, weil das Berufungsgericht ausführlich zu den Produktionszahlen in den streitbefangenen Jahren Stellung genommen hat.
b) Auch eine Verletzung des rechtlichen Gehörs (§ 62 SGG, Art 103 Abs 1 GG) bezeichnet der Kläger nicht ausreichend.
Sein Vorbringen, in der mündlichen Verhandlung sei nicht absehbar gewesen, auf "welche Zahlen und Passagen" sich das LSG in seinem Urteil stützen werde, enthält keine hinreichende Bezeichnung eines Verfahrensmangels in Form einer sog Überraschungsentscheidung. Eine solche Überraschungsentscheidung ist nicht bereits dann anzunehmen, wenn einer der Beteiligten eine andere Entscheidung des Gerichts erwartet hat. Voraussetzung ist vielmehr, dass das Gericht einen bis dahin nicht erörterten rechtlichen oder tatsächlichen Gesichtspunkt zur Grundlage seiner Entscheidung macht und damit dem Rechtsstreit eine Wende gibt, mit der auch ein gewissenhafter Prozessbeteiligter nach dem bisherigen Verfahrensverlauf selbst unter Berücksichtigung der Vielzahl vertretbarer Rechtsauffassungen nicht zu rechnen braucht (vgl BSG Beschluss vom 16.7.2019 - B 5 R 262/18 B - juris RdNr 8 mwN).
Wie aus der Beschwerdebegründung hervorgeht, lagen im Verfahren "umfangreiche Planungsunterlagen" in Form von "einzelnen Planzahlen aus den eigereichten betriebswirtschaftlichen Unterlagen, der Leitungsvorlage und dem Statut" vor. Aus welchen Gründen sich der Kläger deshalb "zu der konkreten Einschätzung der betriebswirtschaftlichen Angaben aus den Planungsunterlagen […] nicht nochmals dezidiert äußern konnte", erläutert er nicht.
Auch soweit der Kläger als weitergehende Gehörsverletzung rügt, das LSG habe seinen Sachvortrag nicht zur Kenntnis genommen, der Hauptzweck des VEB sei nicht die Durchführung von Abdichtungsarbeiten an bereits errichteten Bauwerken gewesen, sondern die Abdichtung von neuen Anlagen ("alles jeweils serienmäßig in Massenproduktion"), bezeichnet er nicht hinreichend eine mögliche Verletzung seines Anspruchs auf rechtliches Gehör. Hierzu ist auszuführen, welchen erheblichen Vortrag das Gericht bei seiner Entscheidung nicht zur Kenntnis genommen hat und inwiefern das Urteil auf diesem Sachverhalt beruhen kann (vgl zB BSG SozR 1500 § 160a Nr 36). Daran fehlt es hier. Nähere Ausführungen wären insbesondere deshalb angezeigt gewesen, weil das LSG auf Seite 8 des angegriffenen Urteils auf den Vortrag des Klägers, der Betrieb sei auch bei Errichtung gänzlich neuer Objekte tätig geworden, explizit erwidert. Der Anspruch auf rechtliches Gehör gewährleistet nicht, dass der Rechtsansicht eines Beteiligten gefolgt wird.
Von einer weiteren Begründung wird abgesehen (vgl § 160a Abs 4 Satz 2 Halbsatz 2 SGG).
3. Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung des § 193 Abs 1 und 4 SGG.
Fundstellen
Dokument-Index HI13855461 |