Entscheidungsstichwort (Thema)
Nichtzulassungsbeschwerde. grundsätzliche Bedeutung einer Rechtssache. soziales Entschädigungsrecht. Gewaltopferentschädigung. mittelbarer Schockschaden des Sekundäropfers. Schock durch Nachricht vom späteren Tod des Primäropfers im Krankenhaus. Unmittelbarkeitszusammenhang
Orientierungssatz
1. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts erhalten Sekundäropfer nur dann Leistungen nach dem OEG, wenn sie als Augenzeugen des das Primäropfer schädigenden Vorgangs oder durch eine sonstige Kenntnisnahme davon geschädigt worden sind. Hingegen reicht es nicht aus, wenn es bei ihnen zu einer initialen Schädigung erst aufgrund von Ereignissen gekommen ist, die das Primäropfer nach Abschluss des betreffenden schädigenden Vorgangs erfasst haben (vgl BSG vom 12.6.2003 - B 9 VG 8/01 R = SozR 4-3800 § 1 Nr 2).
2. Zur Bindung des Revisionsgerichts an Tatsachenfeststellungen des LSG.
Normenkette
OEG § 1; SGG §§ 163, 160 Abs. 2 Nrn. 1, 3 Hs. 1, § 160a Abs. 2 S. 3
Verfahrensgang
Tenor
Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen vom 28. Mai 2015 wird als unzulässig verworfen.
Die Beteiligten haben einander für das Beschwerdeverfahren keine außergerichtlichen Kosten zu erstatten.
Gründe
I. Streitig sind Leistungen nach dem Opferentschädigungsgesetz (OEG).
Der Vater des 1993 geborenen Klägers wurde im Juni 2007 Opfer eines tätlichen Angriffs. Der Schädiger versetzte ihm ua zwei heftige Kopfstöße ins Gesicht. Infolge der dabei erlittenen Verletzung fiel das Opfer ins Koma und verstarb fünf Tage später im Krankenhaus, ohne das Bewusstsein wieder zu erlangen. Der Schädiger wurde zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren wegen Körperverletzung mit Todesfolge verurteilt.
Im August 2007 beantragte der Kläger Beschädigtenversorgung nach dem OEG. Das beklagte Land lehnte den Antrag nach medizinischen Ermittlungen ab, weil beim Kläger eine reaktive depressive Verstimmung, jedoch kein Schockschaden vorliege (Bescheid vom 22.7.2010, Widerspruchsbescheid vom 28.9.2011).
Das vom Kläger angerufene SG hat die Klage ebenfalls zurückgewiesen, weil es an einem Schockschaden fehle. Nicht das schädigende Ereignis im engeren Sinne, sondern der Verlust des Vaters in der Folge aufgrund der Verletzungen hätten die Funktionsstörungen beim Kläger verursacht (Urteil vom 4.9.2013).
Mit dem angefochtenen Urteil hat das LSG die Berufung zurückgewiesen (Urteil vom 28.5.2015). Nach den vom BSG für Schockschäden aufgestellten Maßstäben lasse sich nicht feststellen, dass die Benachrichtigung von der schweren Verletzung des Vaters mit überwiegender Wahrscheinlichkeit unmittelbar die Gesundheitsstörung des Klägers verursacht habe. Wie der Gutachter Dr. S. in Übereinstimmung mit weiteren Ärzten ausgeführt habe, sei die Funktionsstörung nicht auf den Schock anlässlich der Nachricht von der Tat, sondern auf den mehrere Tage später erfolgten, belastenden Tod des Vaters zurückzuführen.
Mit seiner gegen die Nichtzulassung der Revision in diesem Urteil eingelegten Beschwerde macht der Kläger geltend, das LSG habe den Sachverhalt unvollständig aufgeklärt und die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache verkannt.
II. Die Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers ist unzulässig. Die Begründung genügt nicht den gesetzlichen Anforderungen, weil weder der behauptete Verfahrensmangel (1.) noch die geltend gemachte grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache (2.) ordnungsgemäß dargetan worden sind (vgl § 160a Abs 2 S 3 SGG).
1. Wird eine Nichtzulassungsbeschwerde darauf gestützt, es liege ein Verfahrensmangel vor, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen könne (§ 160 Abs 2 Nr 3 Halbs 1 SGG), so müssen bei der Bezeichnung dieses Verfahrensmangels (§ 160a Abs 2 S 3 SGG) zunächst substantiiert die ihn (vermeintlich) begründenden Tatsachen dargetan werden. Gemäß § 160 Abs 2 Nr 3 Halbs 2 SGG kann der geltend gemachte Verfahrensmangel dabei auf eine Verletzung des § 103 SGG nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist. Will die Beschwerde demnach einen Verstoß gegen die tatrichterliche Sachaufklärungspflicht rügen (§ 103 SGG), so muss sie einen für das Revisionsgericht ohne Weiteres auffindbaren, bis zum Schluss aufrechterhaltenen Beweisantrag bezeichnen, dem das LSG nicht gefolgt ist. Einen solchen Beweisantrag hat die Beschwerde nicht bezeichnet. Da sie somit die Tatsachenfeststellungen des LSG nicht mit zulässigen Verfahrensrügen angegriffen hat, ist der Senat daran gebunden (§ 163 SGG). Deshalb kann die Beschwerde im vorliegenden Verfahren nicht mit Erfolg geltend machen, der Kläger sei nicht erst durch die Nachricht vom Tod seines Vaters, sondern bereits aufgrund der vorangegangenen Benachrichtigung von seiner schweren Verletzung erkrankt.
2. Ebenso wenig hat die Beschwerde die von ihr angenommene grundsätzliche Bedeutung hinreichend substantiiert dargetan.
Eine Rechtssache hat nur dann grundsätzliche Bedeutung, wenn sie eine Rechtsfrage aufwirft, die über den Einzelfall hinaus aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts einer Klärung durch das Revisionsgericht bedürftig und fähig ist. Der Beschwerdeführer muss daher anhand des anwendbaren Rechts und unter Berücksichtigung der höchstrichterlichen Rechtsprechung angeben, welche Fragen sich stellen, dass diese noch nicht geklärt sind, weshalb eine Klärung dieser Rechtsfragen aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts erforderlich ist und dass das angestrebte Revisionsverfahren eine Klärung erwarten lässt. Ein Beschwerdeführer muss mithin, um seiner Darlegungspflicht zu genügen, eine Rechtsfrage, ihre (abstrakte) Klärungsbedürftigkeit, ihre (konkrete) Klärungsfähigkeit (Entscheidungserheblichkeit) sowie die über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung der von ihm angestrebten Entscheidung (so genannte Breitenwirkung) darlegen (zum Ganzen vgl BSG SozR 3-1500 § 160a Nr 34 S 70 mwN). Der Kläger wirft sinngemäß die Rechtsfrage auf, ob Schockschäden auch dann entschädigungspflichtig sind, wenn die Schädigung erst durch Ereignisse nach Abschluss des schädigenden Vortrags eingetreten ist. Der Kläger zeigt jedoch den Klärungsbedarf nicht auf. Das LSG hat für seine Entscheidung zutreffend die bisherige Rechtsprechung des Senats zur Entschädigung von Schockschäden im OEG herangezogen. Sekundäropfer erhalten demnach nur dann Leistungen nach dem OEG, wenn sie als Augenzeugen des das Primäropfer schädigenden Vorganges oder durch eine sonstige Kenntnisnahme davon geschädigt worden sind. Hingegen reicht es nicht aus, wenn es bei ihnen zu einer initialen Schädigung erst aufgrund von Ereignissen gekommen ist, die das Primäropfer nach Abschluss des betreffenden schädigenden Vorganges erfasst haben (BSG Urteil vom 12.6.2003 - B 9 VG 8/01 R - SozR 4-3800 § 1 Nr 2 RdNr 5 mwN; vgl Rademacker in Knickrehm, Gesamtes Soziales Entschädigungsrecht, 2012, § 1 OEG RdNr 16 ff mwN).
Die Beschwerde legt nicht dar, warum trotz dieser vorhandenen höchstrichterlichen Rechtsprechung noch oder wieder Klärungsbedarf bestehen sollte. Dafür hätte sie aufzeigen müssen, in welchem Umfang, von welcher Seite und mit welcher Begründung der Rechtsprechung widersprochen werde bzw die Beantwortung der Rechtsfrage umstritten sei (BSG SozR 1500 § 160 Nr 51). Allein die von ihr geäußerte Rechtsansicht, die Abgrenzung zwischen mittelbaren und unmittelbaren Schockschäden führe zu unbilligen Ergebnissen, genügt dafür nicht.
Die Beschwerde ist somit ohne Zuziehung der ehrenamtlichen Richter zu verwerfen (§ 160a Abs 4 S 1 Halbs 2, § 169 SGG).
Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab (vgl § 160a Abs 4 S 2 Halbs 2 SGG).
3. Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung des § 193 Abs 1 SGG.
Fundstellen
Haufe-Index 9050554 |
br 2018, 168 |