Verfahrensgang

SG Gelsenkirchen (Entscheidung vom 13.10.2020; Aktenzeichen S 18 R 584/18)

LSG Nordrhein-Westfalen (Beschluss vom 21.06.2022; Aktenzeichen L 14 R 971/20)

 

Tenor

Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision im Beschluss des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 21. Juni 2022 wird als unzulässig verworfen.

Die Beteiligten haben einander für das Beschwerdeverfahren keine Kosten zu erstatten.

 

Gründe

I

Der Kläger begehrt die Weitergewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung für die Zeit ab September 2017.

Die Beklagte bewilligte dem 1969 geborenen Kläger von Juni 2010 bis zum August 2017 mehrfach befristete Renten wegen voller Erwerbsminderung. Die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen für eine erneute Rente erfüllte der Kläger bis September 2019. Nach Einholung aktueller Befundberichte der den Kläger behandelnden Ärzte und eines neurologisch-psychiatrischen Gutachtens lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 15.8.2017 den Antrag auf Weiterzahlung der Rente ab. Der Kläger erfülle für die Zeit ab September 2017 die medizinischen Voraussetzungen für eine Erwerbsminderungsrente nicht mehr. Den Widerspruch wies sie nach weiteren Ermittlungen zurück (Widerspruchsbescheid vom 23.5.2018).

Das SG hat Befundberichte der behandelnden Ärzte bzw der behandelnden Psychotherapeutin und anschließend von Amts wegen medizinische Sachverständigengutachten auf psychiatrischem sowie internistischem Gebiet eingeholt. Auf Antrag des Klägers nach § 109 SGG hat es ein weiteres psychiatrisches Gutachten in Auftrag gegeben. Mit Urteil vom 13.10.2020 hat das SG die Klage abgewiesen. Auf der Grundlage der von Amts wegen eingeholten Gutachten sei die Kammer überzeugt, dass der Kläger noch mindestens sechs Stunden täglich mit qualitativen Einschränkungen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt erwerbstätig sein könne. Die Wegefähigkeit sei gegeben. Das nach § 109 SGG eingeholte Gutachten sei nicht ergiebig, weil sich der Gutachter zu einer Beurteilung des Leistungsvermögens des Klägers nicht in der Lage gesehen habe. Das LSG hat ua eine ergänzende Stellungnahme des erstinstanzlich von Amts wegen bestimmten psychiatrischen Gutachters eingeholt. Mit Beschluss vom 21.6.2022 hat es die Berufung des Klägers zurückgewiesen. Der Kläger habe zur Überzeugung des Senats im allein streitrelevanten Zeitraum zwischen September 2017 und September 2019 (Zeitpunkt des letztmaligen Erfüllens der versicherungsrechtlichen Voraussetzungen) den "erneuten Eintritt" eines Leistungsfalls einer Erwerbsminderung nicht nachgewiesen. Dem schriftsätzlichen Beweisantrag auf Einholung eines weiteren neurologisch-psychiatrischen Sachverständigengutachtens von Amts wegen, an dem der Kläger auch in der Folge festgehalten habe, sei nicht nachzukommen gewesen. Der neurologisch-psychiatrische Sachverhalt sei vollumfassend aufgeklärt.

Gegen die Nichtzulassung der Revision im Beschluss des LSG hat der Kläger Beschwerde beim BSG eingelegt. Er macht als Zulassungsgrund einen Verfahrensmangel geltend.

II

Die Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers ist unzulässig, weil sie nicht formgerecht begründet ist. Der Kläger hat einen Verfahrensmangel iS des § 160 Abs 2 Nr 3 SGG nicht nach Maßgabe der Erfordernisse des § 160a Abs 2 Satz 3 SGG bezeichnet. Die Beschwerde ist daher gemäß § 160a Abs 4 Satz 1 iVm § 169 SGG zu verwerfen.

Wird eine Nichtzulassungsbeschwerde damit begründet, dass ein Verfahrensmangel vorliege, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen könne (§ 160 Abs 2 Nr 3 SGG), müssen zur Bezeichnung des Verfahrensmangels (§ 160a Abs 2 Satz 3 SGG) zunächst die den Verfahrensfehler (vermeintlich) begründenden Tatsachen substantiiert dargetan werden. Darüber hinaus ist es erforderlich darzulegen, dass und warum die Entscheidung des LSG ausgehend von dessen materieller Rechtsansicht auf dem Mangel beruhen kann, also die Möglichkeit einer Beeinflussung der Entscheidung besteht. Gemäß § 160 Abs 2 Nr 3 Halbsatz 2 SGG kann ein Verfahrensmangel nicht auf eine Verletzung der §§ 109 und 128 Abs 1 Satz 1 SGG und auf eine Verletzung des § 103 SGG nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist.

Macht ein Beteiligter einen Verstoß gegen die tatrichterliche Sachaufklärungspflicht geltend, muss die Beschwerdebegründung hierzu jeweils folgende Punkte enthalten: (1) Bezeichnung eines für das Revisionsgericht ohne Weiteres auffindbaren, bis zum Schluss aufrechterhaltenen prozessordnungsgemäßen Beweisantrags, dem das LSG nicht gefolgt ist, (2) Wiedergabe der Rechtsauffassung des LSG, aufgrund derer bestimmte Tatfragen als klärungsbedürftig hätten erscheinen müssen, (3) Darlegung der von dem betreffenden Beweisantrag berührten Tatumstände, die zu weiterer Sachaufklärung Anlass gegeben hätten, (4) Angabe des voraussichtlichen Ergebnisses der unterbliebenen Beweisaufnahme und (5) Schilderung, dass und warum die Entscheidung des LSG auf der angeblich fehlerhaft unterlassenen Beweisaufnahme beruhen kann, das LSG mithin bei Kenntnis des behaupteten Ergebnisses der unterlassenen Beweisaufnahme von seinem Rechtsstandpunkt aus zu einem anderen, dem Beschwerdeführer günstigeren Ergebnis hätte gelangen können (stRspr; vgl BSG Beschluss vom 12.12.2003 - B 13 RJ 179/03 B - SozR 4-1500 § 160a Nr 3 RdNr 5 mwN; BSG Beschluss vom 3.4.2020 - B 9 SB 71/19 B - juris RdNr 8; BSG Beschluss vom 13.5.2022 - B 5 R 20/22 B - juris RdNr 6; Fichte in Fichte/Jüttner, SGG, 3. Aufl 2020, § 160a RdNr 56; Voelzke in jurisPK-SGG, 2. Aufl 2022, § 160a RdNr 173, Stand der Einzelkommentierung 7.11.2022).

Diesen Anforderungen wird die Beschwerdebegründung des Klägers nicht gerecht. Er rügt eine Verletzung des § 103 SGG, weil das LSG einem Beweisantrag ohne ausreichende Begründung nicht gefolgt sei. Bereits in der Berufungsbegründung habe er die Einholung eines neurologischpsychiatrischen Gutachtens zu der streitrelevanten Frage der Erwerbsfähigkeit beantragt. An diesem Beweisantrag habe er im weiteren Verlauf des Berufungsverfahrens festgehalten, insbesondere auch nach den Hinweisen des LSG, dass die Berufung keine Aussicht auf Erfolg habe. Das LSG habe es nicht für notwendig erachtet, dem Beweisantrag nachzugehen. Die Begründung hierfür überzeuge nicht. Das LSG hätte zumindest begründen müssen, warum es die vom Kläger an den bisherigen Gutachten geäußerten Bedenken für nicht erheblich halte. Tatsächlich sei eine erneute neurologisch-psychiatrische Begutachtung sehr wohl geboten und erforderlich gewesen. Die Einschätzung des LSG sei auch im Hinblick auf die vorherige Rentengewährung unplausibel. Wäre ein weiteres neurologisch-psychiatrisches Gutachten eingeholt worden, wäre dieses zu dem Ergebnis gekommen, dass der Kläger im relevanten Zeitraum ab dem 1.9.2017 nach wie vor (und durchlaufend) nicht erwerbsfähig gewesen sei, sodass der Klage hätte stattgegeben werden müssen.

Es kann offenbleiben, ob der Kläger einen prozessordnungsgemäßen Beweisantrag bezeichnet hat (vgl zu den Anforderungen zB BSG Beschluss vom 26.10.2022 - B 5 R 135/22 B - juris RdNr 8 mwN). Er hat jedenfalls nicht ausreichend dargelegt, warum das LSG sich hätte gedrängt fühlen müssen, ein weiteres neurologisch-psychiatrisches Gutachten einzuholen. Insoweit hätte es substantiierten Vortrags bedurft, warum nach den dem LSG vorliegenden Beweismitteln Fragen zum tatsächlichen und medizinischen Sachverhalt aus der rechtlichen Sicht des LSG erkennbar offengeblieben sind und damit zu einer weiteren Aufklärung des Sachverhalts zwingende Veranlassung bestanden haben soll. Daran fehlt es hier.

So führt der Kläger aus, das Gutachten von W habe er insofern beanstandet, als es Divergenzen zu den Befundberichten der behandelnden Ärzte und der behandelnden Psychotherapeutin und zu dem Gutachten von R aufweise. Eine Auseinandersetzung mit der ausführlichen Beweiswürdigung des LSG, die sich insbesondere zu den Berichten der behandelnden Ärzte verhält, findet nicht statt. Das Gleiche gilt für den Vortrag, das LSG habe nicht auf das Gutachten von S Bezug nehmen dürfen, weil es keine Beurteilung der Erwerbsfähigkeit des Klägers enthalten habe. Auch insofern nimmt der Kläger in seiner Beschwerdebegründung lediglich die abschließenden Äußerungen des LSG, nicht aber den Zusammenhang mit der Beweiswürdigung des LSG im Einzelnen in den Blick. Sofern der Kläger vorbringt, das LSG hätte begründen müssen, warum es das Gutachten von R für "vollumfänglich nutzbar" gehalten habe, befasst er sich ebenfalls nicht hinreichend mit der vom LSG vorgenommenen Verwertung dieses Gutachtens. Die bloße Darstellung, warum aus Sicht des Klägers die Ausführungen des LSG nicht überzeugen und daher weitere Ermittlungen auf neurologisch-psychiatrischem Gebiet erforderlich gewesen wären, entspricht diesen Darlegungsanforderungen nicht (vgl BSG Beschluss vom 15.6.2022 - B 9 SB 10/22 B - juris RdNr 10 mwN). Der Kläger legt in seiner Beschwerdebegründung nicht dar, dass die vorhandenen Gutachten iS von § 118 Abs 1 Satz 1 SGG iVm § 412 Abs 1 ZPO ungenügend seien, weil sie grobe Mängel oder unlösbare Widersprüche enthielten, von unzutreffenden sachlichen Voraussetzungen ausgingen oder Anlass zu Zweifeln an der Sachkunde des jeweiligen Gutachters geben. Nur dann ist das Tatsachengericht aber zu weiteren Beweiserhebungen verpflichtet (vgl stRspr; zB BSG Beschluss vom 27.1.2021 - B 13 R 77/20 B - juris RdNr 7; BSG Beschluss vom 11.7.2022 - B 5 R 54/22 B - juris RdNr 12).

Soweit der Kläger im Übrigen moniert, das LSG habe zu Unrecht angenommen, dass der Sachverhalt neurologisch-psychiatrisch umfassend aufgeklärt sei und die Sachverständigen mit nachvollziehbarer Begründung und nach sorgfältiger Begutachtung von einem vollschichtigen Leistungsvermögen des Klägers ausgegangen seien, wendet er sich - im Kern - gegen die Beweiswürdigung des LSG (vgl § 128 Abs 1 Satz 1 SGG). Damit kann er jedoch nach § 160 Abs 2 Nr 3 Halbsatz 2 SGG von vornherein eine Revisionszulassung nicht erreichen. Das gilt ebenso für den Vortrag, die Entscheidung des LSG sei unplausibel, weil sich an seinem Gesundheitszustand nichts geändert habe. Auch insoweit bleiben im Übrigen die Ausführungen des LSG hierzu unberücksichtigt.

Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab (vgl § 160a Abs 4 Satz 2 Halbsatz 2 SGG).

Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.

Düring                                        Gasser                                     Hahn

 

Fundstellen

Dokument-Index HI15581764

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