Entscheidungsstichwort (Thema)
Unfallversicherung. MdE. soziales Entschädigungsrecht. GdB. Übereinstimmung. Anhaltspunkte für ärztliche Gutachtertätigkeit. Anwendbarkeit
Orientierungssatz
1. Während sich die MdE nach dem Umfang der dem Verletzten durch die Unfallfolgen verschlossenen Arbeitsmöglichkeiten auf dem gesamten Gebiet des Erwerbslebens orientiert (vgl BSG vom 30.Mai 1988 = 2 RU 54/87 = BSGE 63, 207 = SozR 2200 § 581 Nr 28), ist der GdB nach den aufgrund regelwidriger körperlicher, geistiger oder seelischer Zustände verursachten Umfang der Funktionsstörungen in Beruf und Gesellschaft zu bestimmen (vgl BSG vom 24.Juni 1998 - B 9 SB 17/97 R = BSGE 82, 176 = SozR 3-3870 § 4 Nr 24).
2. Die Frage nach der Heranziehung der Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertengesetz für den Bereich der gesetzlichen Unfallversicherung hat das BSG ausdrücklich noch nicht entschieden.
3. Indessen gibt es einige Urteile, die jeweils für das Gebiet der gesetzlichen Unfallversicherung und das Gebiet des sozialen Entschädigungsrechts ergangen sind, aus denen zu schließen ist, daß die "Anhaltspunkte" nur im Bereich des sozialen Entschädigungsrechts gelten (vgl insbesondere BSG vom 11.Oktober 1994 - 9 RVs 1/93 = BSGE 75, 176 = SozR 3-3870 § 3 Nr 5 und vgl BSG vom 30.Juni 1998 - B 2 U 41/97 R = SozR 3-2200 § 581 Nr 5).
Normenkette
RVO § 581; SchwbG § 4
Verfahrensgang
SG Regensburg (Entscheidung vom 25.03.1999; Aktenzeichen S 4 U 57/98) |
Bayerisches LSG (Beschluss vom 20.11.2000; Aktenzeichen L 2 U 176/99) |
Gründe
Die gegen die Nichtzulassung der Revision im angefochtenen Urteil des Landessozialgerichts (LSG) gerichtete, auf die Zulassungsgründe der grundsätzlichen Bedeutung und des Verfahrensmangels gestützte Beschwerde ist unzulässig. Die dazu gegebene Begründung entspricht nicht der in § 160 Abs 2 und § 160a Abs 2 Satz 3 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) festgelegten Form. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) erfordern diese Vorschriften, daß der Zulassungsgrund schlüssig dargetan wird (BSG SozR 1500 § 160a Nrn 34, 47 und 58; vgl hierzu auch Krasney/Udsching, Handbuch des sozialgerichtlichen Verfahrens, 2. Aufl, 1997, IX, RdNrn 177 und 179 mwN). Daran mangelt es hier.
Nach § 160 Abs 2 Nr 1 SGG ist die Revision zuzulassen, wenn die Sache grundsätzliche Bedeutung hat. In der Beschwerdebegründung muß nach § 160a Abs 2 Satz 3 SGG diese grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache aufgezeigt werden. Hierzu ist zunächst darzulegen, welcher konkreten abstrakten Rechtsfrage grundsätzliche Bedeutung beigemessen wird (BSG SozR 1500 § 160a Nr 11). Denn die Zulassung der Revision erfolgt zur Klärung grundsätzlicher Rechtsfragen und nicht zur weiteren Entscheidung des Rechtsstreits. Die abstrakte Rechtsfrage ist klar zu formulieren, um an ihr die weiteren Voraussetzungen für die begehrte Revisionszulassung nach § 160 Abs 2 Nr 1 SGG prüfen zu können (Krasney/Udsching, aaO, IX, RdNr 181). Dazu ist erforderlich, daß ausgeführt wird, ob die Klärung dieser Rechtsfrage grundsätzliche, über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung hat. Insbesondere hat der Beschwerdeführer darzulegen, daß die Rechtsfrage klärungsbedürftig, also zweifelhaft, und klärungsfähig, mithin rechtserheblich ist, so daß hierzu eine Entscheidung des Revisionsgerichts zu erwarten ist (BSG SozR 3-1500 § 160 Nr 1; BSG SozR 3-1500 § 160a Nr 16). Zur Klärungsfähigkeit gehört auch, daß die Rechtsfrage in einem nach erfolgter Zulassung durchgeführten Revisionsverfahren entscheidungserheblich ist (BSG Beschluß vom 11. September 1998 - B 2 U 188/98 B -).
Die Klärungsbedürftigkeit ist zu verneinen, wenn die Rechtsfrage bereits höchstrichterlich beantwortet ist (BSG SozR 1500 § 160 Nr 51; BSG SozR 1500 § 160a Nrn 13 und 65) oder wenn die Antwort unmittelbar aus dem Gesetz zu ersehen ist (BSG SozR 1300 § 13 Nr 1), wenn sie so gut wie unbestritten ist (BSG SozR 1500 § 160 Nr 17), wenn sie praktisch außer Zweifel steht (BSG SozR 1500 § 160a Nr 4) oder wenn sich für die Antwort in anderen Entscheidungen bereits ausreichende Anhaltspunkte ergeben (Kummer, Die Nichtzulassungsbeschwerde, 1990, RdNr 117; Krasney/Udsching, aaO, IX, RdNr 65).
Als Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung sieht der Kläger an, "ob Übereinstimmung gegeben ist zwischen MdE und GdB, wenn Maßstab und Untersuchungsgegenstand gutachterlicher Beurteilung eine einzige Verletzungsfolge ist bzw, ob unter der genannten Voraussetzung Übereinstimmung festzustellen ist zwischen der MdE im Bereich der gesetzlichen Unfallversicherung und der MdE im sozialen Entschädigungsrecht", sowie ob es "zulässig ist, in dem angeführten konkreten Fall einer einzigen Verletzungsfolge, in der gutachterlichen Tätigkeit die sog Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit für die Bemessung der MdE im Bereich der gesetzlichen Unfallversicherung ergänzend heranzuziehen".
Es kann dahingestellt bleiben, ob der Kläger damit hinreichend klar entscheidungserhebliche abstrakte Rechtsfragen formuliert hat. Denn jedenfalls hat er es versäumt, deren Klärungsbedürftigkeit schlüssig darzulegen. Hinsichtlich der ersten Frage nach der Übereinstimmung zwischen MdE und GdB liegt deren Beantwortung auf der Hand. Ihre Beantwortung ist unmittelbar aus dem Gesetz zu ersehen. Während sich die MdE nach dem Umfang der dem Verletzten durch die Unfallfolgen verschlossenen Arbeitsmöglichkeiten auf dem gesamten Gebiet des Erwerbslebens orientiert (vgl nur BSGE 63, 207 = SozR 2200 § 581 Nr 28), ist der GdB nach den aufgrund regelwidriger körperlicher, geistiger oder seelischer Zustände verursachten Umfang der Funktionsstörungen in Beruf und Gesellschaft zu bestimmen (vgl nur BSG SozR 3-3870 § 4 Nr 19; BSGE 82, 176 = SozR 3-3870 § 4 Nr 24).
Hinsichtlich der vom Kläger gestellten zweiten Frage nach der Heranziehung der Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertengesetz für den Bereich der gesetzlichen Unfallversicherung fehlt es ebenfalls an einer schlüssigen Darlegung der Klärungsbedürftigkeit. Zwar hat das BSG ausdrücklich noch nicht entschieden, ob eine derartige ergänzende Heranziehung zulässig ist oder nicht. Indessen gibt es einige Urteile, die jeweils für das Gebiet der gesetzlichen Unfallversicherung und das Gebiet des sozialen Entschädigungsrechts ergangen sind, aus denen zu schließen ist, daß die "Anhaltspunkte" nur im Bereich des sozialen Entschädigungsrechts gelten (vgl insbesondere BSGE 75, 176 = SozR 3-3870 § 3 Nr 5 und BSG SozR 3-2200 § 581 Nr 5). Im Rahmen der Darlegung der Klärungsbedürftigkeit der Frage wäre es somit geboten gewesen zu erörtern, ob sich die aufgeworfene Frage nicht schon aufgrund dieser Rechtsprechung beantworten läßt, und inwieweit diese Rechtsprechung zur Entscheidung der formulierten Streitfrage noch einer weiteren Ausgestaltung bedarf.
Soweit der Kläger Mängel des landessozialgerichtlichen Verfahrens rügt, ist die Beschwerde ebenfalls nicht zulässig. Nach § 160 Abs 2 Nr 3 SGG ist die Revision nur zuzulassen, wenn ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann; der geltend gemachte Verfahrensmangel kann nicht auf eine Verletzung der §§ 109 (Anhörung eines bestimmten Arztes) und 128 Abs 1 Satz 1 SGG (freie richterliche Beweiswürdigung) und auf eine Verletzung des § 103 SGG (Aufklärung des Sachverhalts von Amts wegen) nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist.
Der insoweit vom Kläger gerügten Verletzung des § 103 SGG durch die Ablehnung des im Schriftsatz vom 28. Juli 2000 gestellten Beweisantrages fehlt es bereits an der Bezugnahme auf einen berücksichtigungsfähigen Beweisantrag. Dazu hat der Senat in ständiger Rechtsprechung entschieden, daß es jedenfalls rechtskundig vertretenen Beteiligten obliegt, in der mündlichen Verhandlung alle diejenigen Anträge zur Niederschrift des Gerichts zu stellen, über die das Gericht entscheiden soll (vgl ua Beschlüsse des Senats vom 3. März 1997 - B 2 U 19/97 B - und 23. September 1997 - B 2 U 31/97 B - sowie Beschluß des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) vom 19. Februar 1992 = SozR 3-1500 § 160 Nr 6). Entscheidet nun das Berufungsgericht - wie im vorliegenden Fall - ohne mündliche Verhandlung, genügt der Beschwerdeführer seiner Darlegungspflicht, wenn er einen im Tatbestand der Entscheidung enthaltenen Beweisantrag bezeichnet (vgl BSG SozR 3-1500 § 160 Nr 9). Solches wird aber vom Kläger nicht vorgetragen. Hinsichtlich seines Verweises auf den mit Schriftsatz vom 28. Juli 2000 angebrachten Antrag hat er nicht schlüssig dargelegt, daß dieser Antrag von ihm - wie erforderlich - aufrechterhalten worden ist. Nach der Rechtsprechung des BSG hält ein Beteiligter einen zuvor mit Schriftsatz gestellten Beweisantrag nicht mehr aufrecht, wenn er sich, ohne den Beweisantrag zu wiederholen, gemäß § 124 Abs 2 SGG mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt (vgl BSG SozR 3-1500 § 160 Nr 9; BSG SozR 3-1500 § 160a Nr 22; BSG SozR 3-1500 § 124 Nr 3). Er muß sich dann so behandeln lassen, als sei sein Beweisantrag erledigt (vgl auch BSG SozR 1500 § 160a Nr 56). Nach dem Sinn und Zweck des § 160 Abs 2 Nr 3 Halbs 2 SGG soll die Übergehung von Beweisanträgen die Revisionsinstanz nämlich nur dann eröffnen, wenn das Tatsachengericht vor seiner Entscheidung durch den Beweisantrag ausdrücklich darauf hingewiesen worden ist, daß der Beteiligte die Sachaufklärung des Gerichts (§ 103 SGG) nicht als erfüllt ansieht (BSG SozR 3-1500 § 160 Nr 9). Diese Grundsätze gelten auch dann, wenn - wie hier - das LSG von der ihm durch § 153 Abs 4 SGG eingeräumten Möglichkeit Gebrauch macht, die Berufung durch Beschluß ohne mündliche Verhandlung zurückzuweisen, weil es sie einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält (§ 153 Abs 4 Satz 1 SGG). Der in einem solchen Fall den Beteiligten zugestellten Anhörungsmitteilung nach § 153 Abs 4 Satz 2 SGG muß jedenfalls ein rechtskundig vertretener Beteiligter auch entnehmen, daß das LSG keine weitere Sachaufklärung mehr beabsichtigt und etwaige schriftsätzlich gestellte Beweisanträge lediglich als Beweisanregungen, nicht aber als förmliche Beweisanträge ansieht. Nach Zugang der - letzten - Anhörungsmitteilung muß daher der Beteiligte, der schriftsätzlich gestellte Beweisanträge aufrechterhalten oder neue Beweisanträge stellen will, innerhalb der vom LSG uU gesetzten Frist diesem ausdrücklich die Aufrechterhaltung dieser Anträge mitteilen oder förmliche Beweisanträge stellen (vgl Beschluß des Senats vom 18. Dezember 2000 - B 2 U 336/00 B - mwN, zur Veröffentlichung in SozR vorgesehen).
Im vorliegenden Fall ist die letzte Anhörungsmitteilung des LSG von dem Berichterstatter des Senats unter dem 2. August 2000 verfügt worden. Der Kläger hat sich anschließend durch seine Prozeßbevollmächtigten mit Schriftsatz vom 14. August 2000 geäußert, den im Schriftsatz vom 28. Juli 2000 gestellten Antrag aber nicht ausdrücklich aufrechterhalten oder wiederholt. Entsprechende Darlegungen enthält die Beschwerdebegründung auch nicht.
Hinsichtlich des als weitere Verletzung des § 103 SGG vom Kläger bezeichneten Beweisantrages, den Sachverständigen Dr. P. zur Sachaufklärung im Rahmen der mündlichen Verhandlung persönlich einzuvernehmen, gelten die vorstehenden Ausführungen nicht, da dieser Antrag in dem erwähnten letzten Schriftsatz der Prozeßbevollmächtigten des Klägers vom 14. August 2000 enthalten ist. Indessen bezieht sich dieser Antrag auf die Befragung eines Sachverständigen, der nicht vom LSG, sondern vom Sozialgericht nach § 109 SGG gehört worden ist. Um einen berücksichtigungsfähigen Beweisantrag iS des § 160 Abs 2 Nr 3 SGG würde es sich dabei nur handeln, wenn sich der Antrag nicht auf § 109 SGG, sondern auf § 103 SGG bezogen hat. Entsprechende Darlegungen fehlen. Angesichts des im Schriftsatz vom 14. August 2000 enthaltenen Angebotes, einen Kostenvorschuß zu leisten, muß davon ausgegangen werden, daß der beim LSG gestellte Antrag ausdrücklich auf § 109 SGG gestützt worden ist. Auf eine Verletzung dieser Vorschrift kann indessen nach der eindeutigen Fassung des § 160 Abs 2 Nr 3 Halbs 2 SGG die Nichtzulassungsbeschwerde nicht gestützt werden (BSG SozR 1500 § 160 Nr 34). Dazu hat das BVerfG entschieden, es sei von Verfassungs wegen nicht zu beanstanden, daß von einer Revisionszulassung grundsätzlich alle Entscheidungen des Berufungsgerichtes ausgeschlossen sind, die eine möglicherweise fehlerhafte Anwendung des § 109 SGG aufweisen, unabhängig davon, worauf dieser Verfahrensmangel im einzelnen beruht (BVerfG SozR 1500 § 160 Nr 69).
Die Beschwerde war daher als unzulässig zu verwerfen (§ 169 SGG).
Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.
Fundstellen
Haufe-Index 1175443 |
SozSi 2003, 216 |