Verfahrensgang

Hessisches LSG (Urteil vom 09.12.1991)

 

Tenor

Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Hessichen Landessozialgerichts vom 9. Dezember 1991 wird als unzulässig verworfen.

Außergerichtliche Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.

 

Gründe

Die Klägerin begehrt von der Beklagten Arbeitslosengeld (Alg). Sie war vom 1. März 1980 bis 30. April 1982 als Beschäftigungstherapeutin beschäftigt. Vom 1. Mai 1982 bis 30. April 1984 war sie Studienreferendarin als Beamtin auf Widerruf. Nach einem vorgelegten ärztlichem Attest war sie vom 27. April bis 8. Mai 1984 bettlägerig erkrankt. Am 9. Mai 1984 meldete sie sich arbeitslos und beantragte Alg. Die Beklagte lehnte dies mangels Erfüllung der Anwartschaftszeit (§ 104 Arbeitsförderungsgesetz ≪AFG≫) ab. Anstelle dessen bewilligte sie der Klägerin später Arbeitslosenhilfe (Alhi) ab 9. Mai 1984.

Die auf Gewährung von Alg gerichtete Klage hat das Sozialgericht (SG) abgewiesen. Die zugelassene Berufung der Klägerin hat das Landessozialgericht (LSG) zurückgewiesen und die Revision nicht zugelassen (Urteil vom 9. Dezember 1991). Das LSG ist davon ausgegangen, daß die Klägerin erst am 9. Mai 1984 iS des § 104 Abs 2 AFG alle sonstigen Voraussetzungen für den Anspruch auf Alg erfüllt hatte. In der davon ausgehenden Rahmenfrist habe sie nur 357 Tage beitragspflichtige Beschäftigung zurückgelegt, so daß die Anwartschaftszeit nach § 104 Abs 1 AFG nicht erfüllt sei. Weder über eine „Fiktion des Herstellungsanspruchs” noch über eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand komme eine andere – für die Klägerin günstige – Rahmenfrist in Betracht.

Die von der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision durch das LSG eingelegte Beschwerde ist unzulässig. Die Beschwerdeführerin hat den Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung (§ 160 Abs 2 Nr 1 Sozialgerichtsgesetz ≪SGG≫), auf den sie sich allein beruft, nicht in der erforderlichen Weise aufgezeigt.

Wird eine Nichtzulassungsbeschwerde darauf gestützt, daß die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung habe, muß in der Begründung die grundsätzliche Bedeutung dargelegt werden (§ 160a Abs 2 Satz 3 SGG). Grundsätzliche Bedeutung hat eine Rechtssache nur dann, wenn sie eine Rechtsfrage aufwirft, die – über den Einzelfall hinaus – aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts einer Klärung durch das Revisionsgericht bedürftig und fähig ist. Die Beschwerde muß daher anhand des anwendbaren Rechts und unter Berücksichtigung der höchstrichterlichen Rechtsprechung und des Schrifttums angeben, welche Rechtsfragen sich stellen, daß diese Rechtsfragen noch nicht geklärt sind und weshalb eine Klärung dieser Rechtsfragen aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts erforderlich ist und das angestrebte Revisionsverfahren eine Klärung erwarten läßt (BSG SozR 1500 § 160 Nr 17 und § 160a Nrn 4, 7, 11, 13, 31, 39, 59 und 65; Hennig/Danckwerts/König, Komm zum SGG, Stand Januar 1990, § 160 Anm 7 und § 160a Anm 7.7; Meyer-Ladewig, Komm zum SGG, 4. Aufl 1991, § 160a Rz 14). Diesen Anforderungen ist hier nicht genügt.

Die Beschwerdeführerin mißt der vorliegenden Sache deshalb grundsätzliche Bedeutung zu, weil das „BSG bisher noch nicht über die Fiktion eines Herstellungsanspruchs” im Zusammenhang mit § 105 Satz 2 AFG entschieden habe. Anlaß für die Anwendung dieser Fiktion sei die seinerzeitige schwere Erkrankung der Klägerin, die es ihr nicht ermöglicht habe, am Tag des Eintritts der Arbeitslosigkeit gem § 105 Satz 1 AFG beim Arbeitsamt persönlich vorstellig zu werden. Bereits im Urteil vom 27.10.1963 – 7 RAr 78/62 – habe das BSG die Frage einer verspäteten Arbeitslosmeldung für die Bemessung der Rahmenfrist unter dem Gesichtspunkt ihrer Unschädlichkeit in bestimmten Fällen thematisiert, jedoch nicht entschieden. Im Urteil vom 19.3.1986 – 7 RAr 48/84 – (SozR 4100 § 105 Nr 2) habe das BSG zwar eine abschließende Regelung durch § 105 Satz 2 AFG festgestellt, jedoch ebenfalls offen gelassen, ob der Begriff der fehlenden Dienstbereitschaft des Arbeitsamtes auch auf andere Verwaltungsmängel ausgedehnt werden könne. Die nun zu treffende Entscheidung könne sich über den Einzelfall hinaus auswirken und werde Breitenwirkung haben.

Dieses Vorbringen wird den Anforderungen an eine schlüssige Darlegung des behaupteten Zulassungsgrundes der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache nicht gerecht. Die Beschwerdeführerin mag mit ihm eine Rechtsfrage bezeichnet haben. Sie hat indes nicht deren Klärungsbedürftigkeit in der gebotenen Weise dargetan. Zum einen gilt der Grundsatz, daß eine Rechtsfrage im allgemeinen keine grundsätzliche Bedeutung mehr hat, wenn sie durch das Revisionsgericht entschieden worden ist. Zum anderen hat eine Rechtsfrage nicht etwa solange grundsätzliche Bedeutung, bis eine höchstrichterliche Entscheidung vorliegt (BSG SozR 1300 § 13 Nr 1; SozR 1500 § 160 Nr 17 und § 160a Nrn 4 und 59; Kummer, Die Nichtzulassungsbeschwerde, 1990, RdNr 116 ff; Weyreuther, Revisionszulassung und Nichtzulassungsbeschwerde in der Rechtsprechung der obersten Bundesgerichte, 1971, RdNr 65 ff). Weshalb es gleichwohl anders sein soll, bedarf der besonderen Darlegung. Daran fehlt es hier.

Die Beschwerdeführerin räumt selbst ein, daß § 105 Satz 2 AFG seinem Regelungsgehalt und seinem Wortlaut nach eindeutig ist. Sie führt auch die Rechtsprechung des BSG an, wonach § 105 Satz 2 AFG als Ausnahmevorschrift einer ausdehnenden Auslegung in bezug auf völlig andere Sachverhalte nicht zugänglich ist (BSG SozR 4100 § 105 Nr 2). Sie meint zwar, gleichzeitig habe das BSG die Tür für eine erweiternde Auslegung geöffnet, belegt dies jedoch nur damit, daß das BSG die Möglichkeit gesehen habe, den Begriff der fehlenden Dienstbereitschaft des Arbeitsamtes iS des § 105 Satz 2 AFG auch auf andere Mängel innerhalb der Arbeitsverwaltung auszudehnen. Auf diesen Vortrag durfte sich die Beschwerdeführerin nicht beschränken; denn er zeigt die für die Zulässigkeit der Beschwerde erforderliche Klärungsbedürftigkeit der hier aufgeworfenen Rechtsfrage nicht auf. Die Beschwerdeführerin kann nicht übersehen haben, daß das BSG sich in dem von ihr zitierten Urteil vom 19.3.1986 (SozR 4100 § 105 Nr 2) ausführlich mit der Frage beschäftigt hat, ob eine fehlende persönliche Arbeitslosmeldung nach § 105 Satz 1 AFG im Wege des sozialgerichtlichen Herstellungsanspruchs ersetzt werden kann. Es hat dies ausdrücklich verneint. Wenn also höchstrichterlich noch nicht entschieden ist, wann sonstige Verwaltungsvorgänge einer fehlenden Dienstbereitschaft des Arbeitsamtes iS des § 105 Satz 2 AFG gleichzustellen sind, so ist jedenfalls entschieden, daß eine Anwendung der Vorschrift unter dem Gesichtspunkt des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs nicht in Betracht kommt.

Im Ergebnis strebt die Beschwerdeführerin eine neue Entscheidung des BSG zu einer von ihm bereits entschiedenen Rechtsfrage an. In einem solchen Fall muß die Beschwerdebegründung dartun, in welchem Umfang, von welcher Seite und aus welchen Gründen die Beantwortung dieser Frage gleichwohl umstritten ist (BSG SozR 1500 § 160a Nr 13; Kummer aaO, Rz 120 ff mwN). Dazu enthält die Beschwerdebegründung jedoch kein Wort.

Zudem hat die Beschwerdeführerin nicht aufgezeigt, daß die von ihr aufgeworfene Rechtsfrage über den Einzelfall hinaus allgemeine Bedeutung iS einer Grundsätzlichkeit besitzt (vgl dazu BSG SozR 1500 § 160a Nr 39). Sie führt dazu lediglich aus, eine Entscheidung bezüglich eines vergleichbaren Sachverhalts sei ihr nicht bekannt, dies schließe die Denkbarkeit gleicher und ähnlicher Sachverhalte jedoch nicht aus, so daß die zu treffende Entscheidung Breitenwirkung habe. Damit offenbart die Klägerin einerseits Nichtwissen über anderweitige Fälle dieser Art, andererseits vermutet sie lediglich eine Reichweite der angestrebten Entscheidung über ihren Fall hinaus. Ein solcher Vortrag entspricht nicht der Pflicht zur substantiierten Darlegung, weshalb es ein über den Einzelfall hinausgehendes Interesse der Allgemeinheit sei, daß das Revisionsgericht die aufgeworfene Rechtsfrage – zudem nochmals – entscheidet.

Schließlich hat die Beschwerdeführerin – obwohl vom LSG ausgeführt – nicht beachtet, daß nach der ständigen Rechtsprechung des BSG wesentliches Merkmal der Anwendbarkeit des Rechtsinstituts des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs ein rechtswidriges, vorangegangenes Handeln eines Sozialleistungsträgers ist, welches seinerseits kausal für den beim Bürger entstandenen Nachteil sein muß (vgl Kasseler Kommentar, Vor §§ 38 – 47 SGB I Rz 30 ff mit zahlreichen Nachweisen). Daß ein solches, der Beklagten zurechenbares Verwaltungsverhalten hier vorliegt, welches sie an der rechtzeitigen Arbeitslosmeldung gehindert hat, behauptet die Beschwerdeführerin selbst nicht. Aus diesem Grunde fehlt die schlüssige Darlegung, daß die aufgeworfene Rechtsfrage überhaupt der Klärung fähig ist, das BSG also nach einer Zulassung der Revision über sie entscheiden müßte.

Entspricht die Beschwerdebegründung sonach nicht den Anforderungen des § 160a Abs 2 Satz 3 SGG, muß die Beschwerde in entsprechender Anwendung des § 169 SGG als unzulässig verworfen werden.

Die Kostenentscheidung beruht auf entsprechender Anwendung des § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1174451

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