Tenor
Das Verfahren wird ausgesetzt.
Dem Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften werden zur Vorabentscheidung folgende Fragen vorgelegt:
1.
- Hat der zuständige Träger der Krankenversicherung einen Antrag auf Geldleistungen wegen Arbeitsunfähigkeit, der am letzten Tag des in Art 25 Abs 1 iVm Art 69 Abs 1 Buchst c EWGV 1408/71 vorgesehenen Zeitraums bei dem Träger der Krankenversicherung des Ortes gestellt worden ist, an den sich der Arbeitslose begeben hat, gleichzeitig als – rechtzeitig eingegangenen – Antrag auf Verlängerung des Zeitraums nach Art 25 Abs 4 EWGV 1408/71 zu behandeln, selbst wenn die Verlängerung ausdrücklich erstmalig nach Erlaß des die beantragte Geldleistung ablehnenden Bescheides beantragt wird?
- Wenn nein, darf der genannte Zeitraum noch auf einen nach Fristablauf gestellten Antrag verlängert werden?
2. Setzt die nach Art 25 Abs 4 EWGV 1408/71 vom zuständigen Träger zu treffende Ermessensentscheidung voraus, daß der arbeitslose Arbeitnehmer durch höhere Gewalt daran gehindert war, innerhalb der Dreimonatsfrist des Art 25 Abs 1 iVm Art 69 Abs 1 Buchst c EWGV 1408/71 in den für die Leistungen aus der Krankenversicherung zuständigen Staat zurückzukehren, oder ist im Rahmen der Ermessensentscheidung auch darüber zu befinden, ob ein Fall der höheren Gewalt vorliegt?
3. Muß ein Fall höherer Gewalt iS von Art 25 Abs 4 EWGV 1408/71 angenommen werden, wenn der arbeitsunfähige Arbeitslose wegen der bei ihm bestehenden Krankheit nicht innerhalb der Dreimonatsfrist in den zuständigen Staat zurückgekehrt ist, obwohl er reisefähig war?
Tatbestand
I
Die Beteiligten streiten darüber, ob der Kläger für die Zeit vom 20. März bis 19. Juni 1985 Anspruch auf Krankengeld hat.
Der Kläger, der italienischer Staatsangehöriger ist, war zuletzt als Bauhelfer in der Bundesrepublik Deutschland versicherungspflichtig beschäftigt. Am 8. Januar 1985 meldete er sich arbeitslos und erhielt vom Arbeitsamt München die Erlaubnis, sich bis 19. März 1985 zur Arbeitsuche nach Italien zu begeben. Die Arbeitsverwaltung unterrichtete hiervon die beklagte Krankenkasse, bei der der Kläger damals gegen Krankheit versichert war. Während des Aufenthalts in Italien bezog er über den italienischen Versicherungsträger Arbeitslosengeld aus der deutschen Arbeitslosenversicherung. Am 15. März 1985 wurde er krankheitsbedingt arbeitsunfähig und befand sich in Italien vom 22. April bis 9. Mai 1985 in stationärer Krankenhausbehandlung.
Der am 19. März 1985 bei dem für seinen Aufenthaltsort zuständigen italienischen Versicherungsträger auf Formblatt E 115 gestellte Antrag auf Geldleistungen wegen Arbeitsunfähigkeit ging nebst Arztbericht am 28. März 1985 bei der Beklagten ein. Diese lehnte die Gewährung von Leistungen durch Bescheid vom 29. April 1985 – dem Kläger am 6. Mai 1985 in Italien zugestellt – ab und führte dazu aus: Der Zeitraum des Art 69 der Verordnung (EWG) Nr 1408/71 des Rates vom 14. Juni 1971 zur Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und Selbständige sowie deren Familienangehörige, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern (ABl L 149, S 2; EWGV 1408/71) sei am 19. März 1985 abgelaufen. Mit dem am 2. August 1985 erhobenen Widerspruch machte der Kläger geltend, er sei bereits ab 15. März 1985 arbeits- und reiseunfähig gewesen, und stellte den Antrag, nach pflichtgemäßem Ermessen die Leistungsfrist über den Zeitraum von drei Monaten zu verlängern und entsprechend Krankengeld für die Dauer der Arbeitsunfähigkeit zu gewähren. Die Beklagte wendete sich wegen der Verlängerung der Dreimonatsfrist an das Arbeitsamt München, erhielt jedoch von dort die Mitteilung, daß im vorliegenden Fall nicht über eine Verlängerung der Rückkehrfrist nach Art 69 Abs 2 EWGV 1408/71 zu befinden sei, da es vielmehr um die Verlängerung der Dreimontsfrist nach Art 25 Abs 4 EWGV 1408/71 gehe. Diese Entscheidung werde – wie es weiter in der Mitteilung der Arbeitsverwaltung heißt – jedoch nicht vom Arbeitsamt getroffen. Mit Bescheid vom 29. April 1986 wies die Beklagte sodann den Widerspruch zurück und führte zur Begründung ua aus: Nach Ablauf des genehmigten Auslandsaufenthaltes bestehe kein Krankengeldanspruch. Eine Verlängerung dieses Zeitraums sei nicht möglich, da eine Krankheit nicht als höhere Gewalt iS des Art 25 Abs 4 EWGV 1408/71 anerkannt werden könne.
Das Sozialgericht (SG) hat die dagegen gerichtete Klage abgewiesen. Auch die Berufung des Klägers ist ohne Erfolg geblieben. In der Entscheidung des Landessozialgerichts (LSG) heißt es zur Begründung ua: Der Kläger sei zwar in der Zeit vom 15. März bis 19. Juni 1985 arbeitsunfähig krank gewesen. Gleichwohl bestehe für den streitigen Zeitraum vom 19. März bis 19. Juni 1985 kein Anspruch auf Krankengeld. Wer sich mit Zustimmung der Arbeitsverwaltung in das Ausland begebe, verliere als Arbeitsloser nach Art 69 Abs 2 EWGV 1408/71 jeden Anspruch auf Leistung wegen Arbeitslosigkeit nach deutschem Recht, wenn er nicht vor Ablauf des Dreimonatszeitraums zurückkehre oder aber das zuständige Arbeitsamt einen Ausnahmefall anerkenne und die Frist verlängere. Entsprechend der Regelung des Art 69 EWGV 1408/71 räume Art 25 EWGV 1408/71 dem Arbeitslosen für den Dreimonatszeitraum Ansprüche auf Sach- und Geldleistungen gegen den zuständigen Träger der deutschen gesetzlichen Krankenversicherung ein. Auch hier sei der Leistungsanspruch auf drei Monate beschränkt. Doch könne die zuständige deutsche Krankenkasse den Dreimonatszeitraum nur in Fällen höherer Gewalt nach Art 25 Abs 4 EWGV 1408/71 iVm Art 26 Abs 6 Satz 2 EWGV 574/72 verlängern. Krankheit und krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit seien aber als solche kein Fall höherer Gewalt. Die beim Kläger am Ende des Dreimonatszeitraums vorliegende Erkrankung sei nicht so schwerwiegend gewesen, daß er deshalb nicht rechtzeitig mit üblichen Verkehrsmitteln nach München hätte zurückreisen können. Der im Berufungsverfahren gehörte medizinische Sachverständige habe aus den vorgelegten ärztlichen Unterlagen entnommen, daß der Kläger am 19. März 1985 zwar unter einer rheumatischen Arthritis der kleinen Handgelenke und degenerativen Wirbelsäulenveränderungen gelitten habe, daß er aber gleichwohl reisefähig gewesen sei.
Mit der – vom LSG zugelassenen – Revision rügt der Kläger eine Verletzung des Art 25 Abs 1 und 4 EWGV 1408/71, des Art 18 Abs 5 EWGV 574/72 sowie des § 183 Abs 2 der Reichsversicherungsordnung (RVO) aF und des § 155 Abs 1 des Arbeitsförderungsgesetzes (AFG) und macht ua geltend: Die Rechtsauffassung des Berufungsgerichts würde zur Folge haben, daß ein Arbeitsloser, der Leistungen nach Art 69 der EWGV 1408/71 beziehe, mit dem Ende des Dreimonatszeitraums seinen Krankenversicherungsschutz verliere, wenn er nicht bei Eintritt einer krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit innerhalb des Dreimonatszeitraums in den Beschäftigungsstaat zurückkehre. Damit würde diesem Arbeitslosen ein im Vergleich zum Beschäftigten oder ohne Leistungsbezug nach Art 69 EWGV 1408/71 arbeitslosen Arbeitnehmer ein unter Umständen zeitlich sehr viel kürzer dauernder Versicherungsschutz zu Teil, und außerdem müßten diese Arbeitslosen noch während des Bestehens des Krankenversicherungsschutzes im Falle der krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit in den zuständigen Staat zurückreisen, um den Leistungsverlust ab Fristablauf zu vermeiden. Das Verbleiben eines arbeitsunfähig erkrankten, aber reisefähigen Arbeitnehmers berühre aber nicht entscheidend die Interessen des zuständigen Versicherungsträgers. Eine hinreichende Versorgung des Erkrankten sei auch im Heimatstaat gewährleistet. Denn der Träger des Aufenthaltsorts müsse die Sachleistungen erbringen. Die Funktion des zuständigen Versicherungsträgers sei auf die Erstattung der entsprechenden Kosten beschränkt. Gegen die Auffassung des Berufungsgerichts spreche aber vor allem auch ein sozialer Aspekt. Der Eintritt der Krankheit sei unvorhersehbar. Wenn die Auffassung des Berufungsgerichts zuträfe, würde der Versicherte nicht nur den Anspruch auf Geldleistungen, sondern auch auf Sachleistungen verlieren. Der Erkrankte müßte dann am Ende des Dreimonatszeitraums die Kosten der ärztlichen Behandlung im Aufenthaltsstaat selbst bezahlen (zB auch die oft ganz erheblichen Kosten eines Krankenhausaufenthalts). Die aufgezeigten Probleme ließen sich am besten lösen, wenn man Art 25 EWGV 1408/71 dahin auslege, daß er auch einen sogenannten nachgehenden Leistungszeitraum erfasse, wenn dieser vom innerstaatlichen Recht vorgesehen sei. Dies könne für das deutsche Recht angenommen werden. Der Kläger sei gemäß § 155 Abs 1 AFG, solange er Arbeitslosengeld bezogen habe, krankenversichert gewesen. Dieser Krankenversicherungsschutz habe bis zum Ende der Dreimonatsfrist gedauert. Trete aber – wie im vorliegenden Fall – der Versicherungsfall der Krankheit vor Ende des Versicherungsverhältnisses ein, so bestehe gemäß § 183 Abs 2 RVO aF bis zur Höchstdauer von 78 Wochen ein Krankengeldanspruch auch für die Zeit, in der der Betreffende über das Ende des Versicherungsverhältnisses hinaus arbeitsunfähig sei. Damit bestehe im deutschen Recht eine Regelung, die – entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts – über Art 25 Abs 4 2. Halbsatz EWGV 1408/71 auch bei Erkrankung eines Arbeitslosen, der nach Art 69 EWGV 1408/71 Leistungen aus der Arbeitslosenversicherung im Ausland bezogen habe. Aber selbst wenn der geltend gemachte Anspruch nicht aus Art 25 Abs 1 oder Art 25 Abs 4 2. Halbsatz EWGV 1408/71 herzuleiten sein sollte, so wäre die Beklagte jedenfalls zu verpflichten, erneut über die Verlängerung des Dreimonatszeitraums nach Art 25 Abs 4 1. Halbsatz EWGV 1408/71 zu entscheiden. Denn sie habe den Begriff der höheren Gewalt verkannt. Die Voraussetzungen für eine Verlängerung nach der genannten Vorschrift lägen auch dann vor, wenn eine Krankheit den Versicherten nicht reiseunfähig mache. Der Begriff der „höheren Gewalt” sei jedenfalls, wenn man der Auffassung des Berufungsgerichts zum Verhältnis von Art 69 und 25 EWGV 1408/71 folge, weit auszulegen. Es müsse nicht auf die Reisefähigkeit, sondern auf die Rückreisezumutbarkeit abgestellt werden. Das ergebe sich zwingend aus der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) in der Rechtssache „Rindone” zu Art 18 Abs 5 EWGV 574/72. In dieser Entscheidung habe der EuGH zum Ausdruck gebracht, daß die Verpflichtung zur Rückreise, um sich einer ärztlichen Kontrolle zu unterziehen, unvereinbar wäre mit der gebotenen Rücksichtnahme auf den Gesundheitszustand des Arbeitnehmers.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 13. Februar 1992 und das Urteil des Sozialgerichts München vom 16. März 1988 sowie den Bescheid der Beklagten vom 29. April 1985 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29. April 1986 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, dem Kläger für die Zeit vom 20. März bis 19. Juni 1985 Krankengeld zu gewähren,
hilfsweise,
die Beklagte zu verurteilen, über den Antrag des Klägers auf Krankengeld für die Zeit vom 20. März 1985 bis 19. Juni 1985 unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut zu entscheiden.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend.
Der Senat konnte nach Lage der Akten entscheiden, weil in der Ladung auf diese Möglichkeit hingewiesen worden ist und keiner der Beteiligten zur mündlichen Verhandlung erschienen war (§ 126 des Sozialgerichtsgesetzes ≪SGG≫).
Entscheidungsgründe
II
Der Senat ruft den EuGH gemäß Art 177 des Vertrages zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG-Vertrag) zur Vorabentscheidung über die Auslegung von Art 25 Abs 4 EWGV 1408/71 an. Die Anwendung und Auslegung des Art 25 Abs 4 EWGV 1408/71 ist für die Entscheidung über die Revision des Klägers erheblich. Das Rechtsmittel hätte Erfolg, wenn die genannte Vorschrift dahin auszulegen wäre, daß ein unmittelbar vor Fristablauf gestellter Antrag auf Geldleistungen wegen Arbeitsunfähigkeit gleichzeitig als Antrag auf Verlängerung des in Art 25 Abs 1 iVm Art 69 Abs 1 Buchst c EWGV 1408/71 bestimmten Zeitraums behandelt werden müßte oder ein solcher Verlängerungsantrag noch nach Fristablauf gestellt werden könnte und ein Fall höherer Gewalt stets dann angenommen werden müßte, wenn der arbeitsunfähige Arbeitslose wegen der bei ihm bestehenden Krankheit nicht innerhalb der Dreimonatsfrist in den zuständigen Staat zurückgekehrt ist, obwohl er reisefähig war. Die Revision wäre aber auch dann begründet, wenn beim Vorliegen einer krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit nicht immer angenommen werden könnte, daß der Arbeitnehmer an der Rückkehr in den zuständigen Staat durch die Krankheit gehindert ist, jedoch im Rahmen der von dem zuständigen Träger nach Art 25 Abs 4 EWGV 1408/71 zu treffenden Ermessensentscheidung „kann”) auch andere Umstände in die Erwägungen einbezogen werden müßten. Sollte das zu bejahen sein, so wären die angefochtenen Bescheide und die vorinstanzlichen Entscheidungen aufzuheben, weil die Beklagte dann von dem ihr in Art 25 Abs 4 EWGV 1408/71 eingeräumten Ermessen fehlerhaft bzw keinen Gebrauch gemacht hätte. Sind die zur Vorabentscheidung gestellten Fragen hingegen zu verneinen, dann wäre die Revision zurückzuweisen.
Einer Sachentscheidung im Revisionsverfahren stehen prozeßrechtlich keine Hindernisse entgegen. Die Revision ist form- und fristgerecht eingelegt und begründet (§ 164 SGG) und mithin zulässig. Eine Sachentscheidung ist auch nicht durch die hier noch anwendbaren Vorschriften der §§ 144 ff SGG idF vor Änderung durch Art 8 Nr 5 des am 1. März 1993 in Kraft getretenen Gesetzes zur Entlastung der Rechtspflege vom 11. Januar 1993 (BGBl I, 50) ausgeschlossen. Das Berufungsgericht hat zu Recht angenommen, daß insbesondere § 144 Abs 1 Nr 2 SGG aF nicht eingreift. Danach war die Berufung nicht zulässig bei Ansprüchen auf wiederkehrende Leistungen für einen Zeitraum bis zu 13 Wochen. Die Beteiligten streiten um die Gewährung von Krankengeld für die Zeit vom 20. März bis 19. Juni 1985. Es geht damit um Leistungen für 13 Wochen und einen Tag.
Die Klage läßt sich nicht mit Erfolg allein auf das nationale Recht stützen. Nach den hier noch anwendbaren Vorschriften der RVO, die durch Art 5 des Gesetzes zur Strukturreform im Gesundheitswesen (Gesundheits-Reformgesetz ≪GRG≫) vom 20. Dezember 1988 (BGBl I, 2477) mit Wirkung vom 1. Januar 1989 (Art 79 Abs 1 GRG) durch das Fünfte Buch des Sozialgesetzbuchs (SGB V) ersetzt worden sind, konnte – abgesehen von dem nachgehenden Anspruch des § 214 RVO aF – nur ein Versicherter Anspruch auf Krankengeld erwerben (vgl § 179 Abs 1 Nr 2 und § 182 Abs 1 Nr 2 RVO aF). Arbeitslose Arbeitnehmer sind zwar gemäß § 155 Abs 1 AFG für den Fall der Krankheit versichert, wenn sie ua Arbeitslosengeld oder Arbeitslosenhilfe „beziehen”. Derartige Leistungsansprüche setzen indessen voraus, daß der Arbeitslose der Arbeitsvermittlung zur Verfügung steht, insbesondere das Arbeitsamt täglich aufsuchen kann (vgl dazu § 100 Abs 1 iVm § 103 Abs 1 Nr 3 sowie § 134 Abs 1 Nr 1 AFG). Ein Arbeitsloser, der sich außerhalb des Geltungsbereichs des AFG aufhält, kann nach nationalem Recht nur ausnahmsweise die in § 155 Abs 1 AFG genannten Leistungen für eine kurze Zeit (zB während eines vom Arbeitsamt genehmigten Auslandsurlaubs) weiterbeziehen und damit gegen Krankheit versichert bleiben. Selbst der nachgehende Krankenversicherungsschutz fiel gemäß § 214 Abs 3 2. Halbsatz RVO aF weg, wenn sich der Erwerbslose im Ausland aufhielt.
Für die Frage, ob der Kläger – nach Eintritt der Arbeitsunfähigkeit und nach dem Ablauf des ihm für die Arbeitsuche bewilligten Zeitraums – allein nach nationalem Recht zum Weiterbezug von Krankenversicherungsleistungen berechtigt gewesen wäre, darf hier nicht auf den tatsächlichen Bezug des Arbeitslosengeldes und die damit verbundene Rechtsfolge des § 155 Abs 1 AFG abgestellt werden. Denn der Leistungsbezug aus der Arbeitslosenversicherung beruhte auf der Sonderregelung des Art 69 Abs 1 EWGV 1408/71. Ohne diese Regelung hätte der Kläger kein Arbeitslosengeld während seines Italienaufenthalts erhalten und wäre auch nicht über § 155 Abs 1 AFG krankenversichert gewesen.
Es kommt deshalb ein Krankengeldanspruch für den Kläger nur in Betracht, wenn er die Voraussetzungen der Sonderregelungen der EWGV 1408/71 erfüllt, die es einem arbeitslosen Arbeitnehmer ermöglichen, sich zur Suche eines Arbeitsplatzes unter Aufrechterhaltung des Krankenversicherungsschutzes in einen anderen Mitgliedstaat als den für die Leistungen zuständigen Staat zu begeben.
Auf den Kläger ist die EWGV 1408/71 nach ihrem Art 2 Abs 1 anwendbar. Er gehört zum Personenkreis der Arbeitnehmer iS von Art 1 Buchst a) i). Denn er war – jedenfalls als er sich nach Italien begab – über § 155 Abs 1 AFG pflichtversichert. Ferner hat er als Italiener die Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaats.
Der Kläger erfüllte nach den unangegriffenen Tatsachenfeststellungen des LSG, an die der Senat gemäß § 163 SGG gebunden ist, bei Beginn seines Italienaufenthalts im Januar 1985 auch die speziellen Voraussetzungen des Art 25 Abs 1 iVm Art 69 Abs 1 Buchst c EWGV 1408/71 für die Aufrechterhaltung des Krankenversicherungsschutzes einschließlich des Anspruchs auf Krankengeld. Danach erhält ua ein arbeitsloser Arbeitnehmer, auf den Art 69 Abs 1 EWGV 1408/71 Anwendung findet und der die nach den Rechtsvorschriften des zuständigen Staates erforderlichen Voraussetzungen für den Anspruch auf Sach- und Geldleistungen erfüllt, während des in Art 69 Abs 1 Buchst c EWGV 1408/71 vorgesehenen Zeitraums Geldleistungen vom zuständigen Träger nach den für diesen Träger geltenden Rechtsvorschriften. Als Bezieher von Arbeitslosengeld und damit nach § 155 Abs 1 AFG Versicherter war der Kläger bei Eintritt einer behandlungsbedürftigen Krankheit und Arbeitsunfähigkeit zum Bezug von Sach- und Geldleistungen aus der deutschen gesetzlichen Krankenversicherung berechtigt.
Ohne Verlängerung des in Art 25 Abs 1 iVm Art 69 Abs 1 Buchst c EWGV 1408/71 vorgesehenen Zeitraums der Arbeitsuche ist eine Weitergewährung des Krankengelds für die hier streitige Zeit vom 20. März bis 19. Juni 1985 nicht möglich. Der Kläger meint zwar, ein solcher Anspruch lasse sich aus Art 25 Abs 1 und Abs 4 2. Halbsatz EWGV 1408/71 und § 183 Abs 2 RVO aF herleiten. Das ist aber nicht der Fall. Art 25 Abs 1 beschränkt die Leistungspflicht des zuständigen Krankenversicherungsträgers ausdrücklich auf den in Art 69 Abs 1 Buchst c EWGV 1408/71 vorgesehenen Zeitraum von drei Monaten. Mit den „innerstaatlichen Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaates” in Art 25 Abs 4 EWGV 1408/71 sind – anders als der Kläger annimmt – nicht die für den zuständigen Träger geltenden Rechtsvorschriften, sondern diejenigen des Aufenthaltsstaats gemeint. Nur wenn die nationalen Rechtsvorschriften des Staates, in den sich der Arbeitslose zur Arbeitsuche begeben hat, also hier Italien, einen über den Zeitraum des Art 25 Abs 1 iVm Art 69 Abs 1 Buchst c EWGV 1408/71 hinausgehenden Krankenversicherungsschutz gewähren, bleibt dieser Schutz dem Arbeitslosen erhalten. Deshalb geht der Hinweis des Klägers auf § 183 Abs 2 RVO aF iVm Art 25 Abs 4 2. Halbsatz EWGV 1408/71 fehl.
Zur Frage 1a):
Der am 15. März 1985 arbeitsunfähig erkrankte Kläger hat am 19. März 1985 bei dem Träger der Krankenversicherung des Ortes, an den er sich begeben hatte, Geldleistungen wegen Arbeitsunfähigkeit beantragt. Dieser Antrag ist an den zuständigen Träger der Krankenversicherung in der Bundesrepublik Deutschland weitergeleitet worden und dort am 28. März 1985 eingegangen. Da die Arbeitsunfähigkeit des Klägers wenige Tage vor Ablauf der ihm für die Arbeitsuche in seinem Heimatland nach Art 69 Abs 1 Buchst c EWGV 1408/71 eingeräumten Frist – sie lief bis zum 19. März 1985 – eintrat, ist zunächst zu prüfen, ob der zuständige Träger der Krankenversicherung in einem solchen Falle zugunsten des Arbeitslosen davon ausgehen muß, daß er mit dem Antrag auf Geldleistungen stillschweigend auch die Verlängerung des Zeitraums nach Art 25 Abs 4 EWGV 1408/71 beantragt. Diese Frage ist zweifelhaft. Der vorlegende Senat neigt dazu, sie – auch im Hinblick auf die Regelung des Art 26 Abs 6 EWGV 574/72 – zu bejahen. Denn ohne Verlängerung des Zeitraums wäre der Bezug von Leistungen der Krankenversicherung im Aufenthaltsstaat nur für wenige Tage möglich. Das Interesse eines erkrankten Arbeitslosen geht aber offensichtlich darüber hinaus. Er will während der Krankheit in der Regel an dem Ort bleiben, an den er sich zur Arbeitsuche begeben hat. Daß später – nachdem der zuständige Krankenversicherungsträger die Gewährung von Leistungen abgelehnt hat – der Verlängerungsantrag ausdrücklich gestellt wird, steht der Annahme eines zunächst stillschweigend gestellten Verlängerungsantrags nicht unbedingt entgegen. Zu einem solchen ausdrücklichen Antrag wird der Arbeitslose ja geradezu veranlaßt, wenn der zuständige Krankenversicherungsträger – wie hier – in der ablehnenden Entscheidung über den Leistungsantrag nicht auch die Frage entschieden hat, ob der Zeitraum für den Krankenversicherungsschutz (Art 25 Abs 1 EWGV 1408/71) zu verlängern ist.
Zur Frage 1b):
Die angefochtenen Verwaltungsentscheidungen der Beklagten sind dann rechtens, wenn nur der vom Kläger im Widerspruchsverfahren ausdrücklich gestellte Verlängerungsantrag maßgeblich sein sollte und der Versicherte einen solchen Antrag nach Ablauf der Frist nicht mehr mit Aussicht auf Erfolg stellen könnte. Art 25 Abs 4 EWGV 1408/71 bestimmt jedoch nicht, daß der Verlängerungsantrag vor Fristablauf eingehen muß. Es ist deshalb zu prüfen, ob – vor allem im Hinblick auf die Besonderheiten des Krankenversicherungsschutzes – eine nachträgliche Antragstellung generell ausgeschlossen ist oder ob ein solcher Antrag jedenfalls dann als zulässig angesehen werden kann, wenn der arbeitslose Arbeitnehmer durch höhere Gewalt an einer rechtzeitigen Antragstellung gehindert war. Der EuGH hat in seinem Urteil vom 20. März 1979 – Rs 139/78 – (EuGHE 1979, 991, 998 = SozR 6050 Art 69 Nr 3) die Möglichkeit der Stellung eines Verlängerungsantrags nach Maßgabe des Art 69 Abs 2 EWGV 1408/71 nach Fristablauf bejaht und ausgeführt: Ein „Ausnahmefall” iS der genannten Vorschrift könne auch vorliegen, wenn der Arbeitslose nicht nur an der fristgerechten Rückkehr in den zuständigen Staat, sondern auch an der Stellung eines Verlängerungsantrags vor Ablauf der vorgeschriebenen Frist gehindert gewesen sei. Ob sich dieser Gedanke auf den nach Art 25 Abs 4 EWGV 1408/71 zu stellenden Verlängerungsantrag übertragen läßt, ist wegen der andersartigen Fassung dieser Vorschrift „in Fällen höherer Gewalt” statt „in Ausnahmefällen”) zweifelhaft.
Zur Frage 2.:
In den Entscheidungen des EuGH vom 20. März 1979 – Rs 139/78 – (EuGHE 1979, 991, 998 = SozR 6050 Art 69 Nr 3) und vom 19. Juni 1980 – Rs 41, 121 und 796/79 – (EuGHE 1980, 1979, 1997 f = SozR 6050 Art 69 Nr 6) wird hervorgehoben, daß dem Versicherungsträger bei seiner Entscheidung über einen Verlängerungsantrag nach Art 69 Abs 2 EWGV 1408/71 ein weiter Ermessensspielraum zustehe und daß er bei der Ausübung des Ermessens den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu beachten und in jedem Einzelfalle die Dauer der Fristüberschreitung, den Grund für die verspätete Rückkehr sowie die Schwere der an die verspätete Rückkehr geknüpften Rechtsfolgen und die Gesichtspunkte zu berücksichtigen habe, die sich auf die persönliche Lage des Arbeitnehmers und auf die Durchführung einer wirksamen Kontrolle bezögen. Nach der Rechtsprechung des EuGH kann damit die Annahme eines Ausnahmefalles iS von Art 69 Abs 2 EWGV 1408/71 offensichtlich auch von diesen Umständen abhängen. Das ist aber nur möglich, wenn die Entscheidung über das Vorliegen eines Ausnahmefalles selbst als Teil der Ermessensentscheidung angesehen wird. Im Hinblick auf die gravierenden Folgen der Ablehnung eines Verlängerungsantrags durch den Krankenversicherungsträger stellt sich deshalb die Frage: Müssen auch bei der Entscheidung nach Art 25 Abs 4 EWGV 1408/71 derartige Gesichtspunkte berücksichtigt werden oder hängt die Annahme eines Falles höherer Gewalt allein vom Grund der verspäteten Rückkehr ab? Für eine Berücksichtigung aller auch im Rahmen des Art 69 Abs 2 EWGV 1408/71 bedeutsamen Umstände könnte sprechen, daß dem zuständigen Träger nach einer Verlängerung des Dreimonatszeitraums die gleichen Kontrollmöglichkeiten zur Verfügung stehen wie bisher (vgl dazu Art 26 iVm Art 18 EWGV 574/72 vom 27. März 1972 – ABl L 74, S 1), seine Position sich also nicht verschlechtert, und daß er auch bei rechtzeitiger Rückkehr eines arbeitsunfähigen Arbeitslosen weiter die in Art 25 Abs 1 EWGV 1408/71 genannten Leistungen erbringen müßte. Gegen die Einbeziehung ließe sich anführen, daß die EWGV in Art 69 Abs 2 von „Ausnahmefällen” und in Art 25 Abs 4 von „Fällen höherer Gewalt” spricht. Letzteres deutet jedenfalls darauf hin, daß der Verordnungsgeber die Verlängerungsmöglichkeiten gegenüber der Regelung in Art 69 Abs 2 EWGV 1408/71 enger fassen wollte.
Zur Frage 3.:
Ist die in Art 25 Abs 4 EWGV 1408/71 vorgesehene Ermessensentscheidung über einen Verlängerungsantrag nur unter der Voraussetzung möglich, daß ein Fall höherer Gewalt vorliegt, dann beschränkt sich die Prüfung zunächst auf die Umstände, die den Arbeitslosen nach seinen Angaben gehindert haben, in den für die Leistungen zuständigen Staat zurückzukehren. Der EuGH hat sich – soweit ersichtlich – bisher nicht mit dem Begriff der höheren Gewalt iS von Art 25 Abs 4 EWGV 1408/71 befaßt. Allerdings liegt eine Reihe von Entscheidungen des EuGH zu Vorschriften anderer Verordnungen vor. Nach diesen Entscheidungen (vgl Urteil vom 22. Januar 1986 – Rs 266/84 – EuGH 1986, 164, 170; Urteil vom 5. Februar 1987 – Rs 145/85 – EuGHE 1987, 582, 586; Urteil vom 17. September 1987 – Rs 70/86 – EuGHE 1987, 3558, 3560 f) sind unter höherer Gewalt ungewöhnliche und unvorhersehbare Ereignisse zu verstehen, auf die der Leistungsempfänger keinen Einfluß hat und deren Folgen trotz Anwendung der gebotenen Sorgfalt nicht hätten vermieden werden können. Der Begriff setzt zwar keine absolute Unmöglichkeit voraus, verlangt jedoch, daß es sich um außergewöhnliche, vom Willen des Betroffenen unabhängige Schwierigkeiten handelt, die bei Beachtung aller erforderlichen Sorgfalt unvermeidbar erscheinen (vgl dazu auch Urteil vom 27. Oktober 1987 – Rs 109/86 – HFR 1988, 483). Die Urteile des EuGH deuten aber gleichzeitig an, daß der Begriff „höhere Gewalt” für die spezifischen Bereiche unterschiedlich auszulegen ist. Dies führt zu der Frage, ob bei der Anwendung der Vorschrift des Art 25 Abs 4 EWGV 1408/71 ein Fall höherer Gewalt auch dann angenommen werden kann, wenn der arbeitsunfähige Arbeitslose trotz Reisefähigkeit nicht rechtzeitig in den zuständigen Staat zurückgekehrt ist. Hierbei wird man in die Überlegungen die Entscheidung des EuGH vom 12. März 1987 – Rs 22/86 – (EuGHE 1987, 1359, 1365) zu Art 18 Abs 5 der EWGV 574/72 mit einbeziehen müssen, einer Vorschrift, die über Art 26 Abs 7 EWGV 574/72 auch auf diejenigen arbeitsunfähigen Arbeitslosen entsprechend anzuwenden ist, die sich mit Einwilligung des Arbeitsamts auf Arbeitsuche in einen anderen Mitgliedstaat der EG begeben. Nach dem genannten Urteil des EuGH wäre die Pflicht eines arbeitsunfähig Kranken, zur Durchführung einer ärztlichen Kontrolluntersuchung zurückzukehren, mit der gebotenen Rücksichtnahme auf seinen Gesundheitszustand unvereinbar. Dieser Rechtssatz läßt es jedenfalls vertretbar erscheinen, auch bei der Entscheidung nach Art 25 Abs 4 EWGV 1408/71 – unabhängig vom Vorliegen der Reisefähigkeit – Zumutbarkeitsgesichtspunkte (Art und Schwere der Erkrankung, Dauer einer Rückreise usw) zu berücksichtigen. Zwingend ist das jedoch nicht.
Fundstellen