Beteiligte
Landesversorgungsamt Nordrhein-Westfalen |
Tenor
I. Das Verfahren wird ausgesetzt.
II. Dem Europäischen Gerichtshof werden gemäß Art 177 des Vertrages zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:
- Ist die Verordnung (EWG) Nr 1408/71 des Rates vom 14. Juni 1971 zur Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer, Selbständige und deren Familienangehörige, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern, auf Flüchtlinge und deren Familienangehörige, die einem Drittstaat angehören, anwendbar, wenn diese nach dem Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft vom 25. März 1957 in der Fassung des Vertrages über die Europäische Union vom 7. Februar 1992 kein Recht auf Freizügigkeit haben?
Wenn die Frage 1 zu bejahen ist:
Ist die Verordnung (EWG) Nr 1408/71 auch dann anwendbar, wenn ein als Arbeitnehmer tätiger Flüchtling und dessen Familienangehörige unmittelbar aus einem Drittstaat in einen Mitgliedstaat eingereist und innerhalb der Gemeinschaft nicht gewandert sind?
Wenn die Frage 2 zu bejahen ist:
Ist eine Familienleistung wie das Erziehungsgeld nach dem Bundeserziehungsgeldgesetz auch dem Ehegatten eines solchen Arbeitnehmers zu gewähren, der ebenfalls nicht die Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaats besitzt und weder selbst Arbeitnehmer noch als Flüchtling anerkannt ist?
Gründe
I
Streitig ist ein Anspruch der Klägerin auf Erziehungsgeld (Erzg) nach dem Bundeserziehungsgeldgesetz (BErzGG) für ihre am 9. August 1993 in Deutschland geborene Tochter A., und zwar für die Zeit vom 13. Januar 1994 bis zum 8. August 1995.
Die 1966 geborene Klägerin ist verheiratet und hat drei Kinder; die Tochter A. ist das jüngste Kind. Die Klägerin ist algerische Staatsangehörige. Ihr 1959 geborener Ehemann und die Kinder besaßen im streitigen Zeitraum die marokkanische Staatsangehörigkeit. Inzwischen ist der Ehemann deutscher Staatsbürger. Die Eheleute sind im Jahre 1988 aus Algerien bzw Marokko nach Deutschland eingereist und leben seitdem ununterbrochen hier. Beide besaßen zunächst eine aufenthaltsrechtliche Gestattung zur Durchführung des Asylverfahrens. Im Februar 1994 bekamen sie eine Aufenthaltsbefugnis und im Mai 1996 eine Aufenthaltserlaubnis. Der Ehemann der Klägerin hat zudem seit 1991 eine Arbeitserlaubnis. Den Lebensunterhalt bestreitet die Familie aus dem Arbeitseinkommen des Ehemannes der Klägerin sowie Kindergeld (Kg) und Wohngeld.
Die von beiden Ehepartnern beantragte Anerkennung als Asylberechtigte wurde bestandskräftig abgelehnt. Jedoch hat das Verwaltungsgericht Köln durch Urteil vom 16. September 1993 festgestellt, daß der Ehemann der Klägerin nicht nach Marokko abgeschoben werden darf. Dieses Urteil ist seit dem 13. Januar 1994 rechtskräftig. Die Entscheidung beruht auf § 51 Abs 1 des Ausländergesetzes (AuslG). Danach darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Staatsangehörigkeit, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist. Die rechtskräftige Feststellung des Verwaltungsgerichts, daß dem Ehemann der Klägerin in seinem Heimatland Marokko eine derartige politische Verfolgung droht und er deswegen nicht abgeschoben werden darf, hat nach § 3 des Asylverfahrensgesetzes (AsylVfG) zur Folge, daß er seit dem 13. Januar 1994 als „sonstiger politisch Verfolgter” mit dem sog „kleinen Asyl” die Rechtsstellung als Flüchtling iS des Art 1 des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge vom 28. Juli 1951 (FlüAbk - Genfer Konvention, BGBl II 1953 S 560) genoß. Diese Rechtsstellung hatte er bis zu seiner Einbürgerung inne.
Der Beklagte lehnte den – auf die Zeit ab 13. Januar 1994 beschränkten – Antrag der Klägerin auf Gewährung von Erzg für ihre Tochter A. ab (Bescheid vom 26. Juli 1994, Widerspruchsbescheid vom 2. Januar 1995), weil die Klägerin nicht die erforderliche Aufenthaltserlaubnis oder Aufenthaltsberechtigung besitze. Das Sozialgericht (SG) hat die hiergegen gerichtete Klage abgewiesen (Urteil vom 19. März 1996), das Landessozialgericht (LSG) hat ihr hingegen stattgegeben (Urteil vom 22. August 1997). Zur Begründung hat das LSG ausgeführt, nach § 1 Abs 1a BErzGG idF durch Art 4 des Gesetzes zur Umsetzung des Föderalen Konsolidierungsprogramms (FKPG) vom 23. Juni 1993 (BGBl I, 944 ff) reiche zwar der Besitz einer Aufenthaltsbefugnis für die Begründung des Erzg-Anspruchs grundsätzlich nicht aus, jedoch komme es im vorliegenden Fall auf den Besitz eines Aufenthaltstitels nicht an, weil die Klägerin als Familienangehörige eines anerkannten Flüchtlings nach der Verordnung (EWG) 1408/71 des Rates vom 14. Juni 1971 zur Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer, Selbständige und deren Familienangehörige, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern (EWGV 1408/71), den Unionsbürgern, also deutschen Staatsangehörigen und anderen Bürgern der Mitgliedstaaten der Europäischen Union (EU), gleichzustellen sei.
Mit der Revision rügt der Beklagte eine Verletzung von § 1 Abs 1a BErzGG sowie der Art 2 Abs 1 und 3 Abs 1 EWGV 1408/71. Er hält § 1 Abs 1a BErzGG für verfassungsgemäß und sieht für eine Anwendung der EWGV 1408/71 auf Flüchtlinge aus Drittländern, die unmittelbar aus ihrer Heimat in einen EU-Mitgliedstaat eingereist und stets dort geblieben sind, also nicht innerhalb der EU von einem Mitgliedstaat in einen anderen gewechselt sind, keinen Raum. Zumindest aber könne der einem weiteren Drittstaat angehörende, selbst nicht als Flüchtling anerkannte und nicht die Eigenschaft als Arbeitnehmer besitzende Ehegatte eines solchen unmittelbar aus einem Drittstaat eingereisten Flüchtlings keinen Anspruch auf eine Gleichstellung mit Unionsbürgern ableiten.
Der Beklagte beantragt,
das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 22. August 1997 zu ändern und die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Aachen vom 19. März 1996 zurückzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie verteidigt das angefochtene Berufungsurteil.
II
Die dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) gemäß Art 177 des Vertrages zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft (EGV) zur Vorabentscheidung vorgelegten Rechtsfragen zur Anwendung des Gemeinschaftsrechts sind zweifelhaft und entscheidungserheblich. Allein nach den Regelungen des BErzGG steht der Klägerin der geltend gemachte Anspruch nicht zu. Er scheitert daran, daß die Klägerin in der fraglichen Zeit weder über eine Aufenthaltsberechtigung noch über eine Aufenthaltserlaubnis verfügte, sondern nur im Besitz einer Aufenthaltsgestattung bzw einer Aufenthaltsbefugnis war. Ein solcher Aufenthaltstitel reicht nach § 1 Abs 1a BErzGG für den Anspruch eines nicht die Staatsangehörigkeit eines EU-Mitgliedstaats besitzenden Ausländers auf Erzg nicht aus.
1. Nach nationalem Recht ist die ablehnende Verwaltungsentscheidung des Beklagten nicht zu beanstanden. Durch Art 4 Nr 1 FKPG wurde Abs 1 Satz 2 des § 1 BErzGG aufgehoben und statt dessen Abs 1a eingefügt. Die Neufassung schließt Ausländer, die nur eine Aufenthaltsgestattung oder eine Aufenthaltsbefugnis besitzen, vom Erzg aus. Während § 1 Abs 1 Satz 2 BErzGG idF des Art 10 des Gesetzes zur Neuregelung des Ausländerrechts (AuslRNG) vom 9. Juli 1990 (BGBl I, 1354) für den Anspruch eines Ausländers auf Erzg noch ausreichen ließ, daß er im Besitz einer „Aufenthaltsberechtigung, Aufenthaltserlaubnis oder Aufenthaltsbefugnis ist”, läßt § 1 Abs 1a BErzGG (idF des Art 4 Nr 1 FKPG) nur noch den Besitz einer Aufenthaltsberechtigung oder Aufenthaltserlaubnis ausreichen. Diese Neufassung ist nach Art 43 Abs 1 FKPG am Tag nach der Verkündung, also am 27. Juni 1993, in Kraft getreten und damit auf den hier geltend gemachten Erzg-Anspruch für die am 9. August 1993 geborene Tochter A. anzuwenden. Da die Klägerin im fraglichen Zeitraum nur über eine Aufenthaltsgestattung und später über eine Aufenthaltsbefugnis verfügte, konnte ihr nach dem BErzGG kein Erzg gewährt werden.
Die Neuregelung des § 1 Abs 1a BErzGG ist vom Wortlaut und Zweck her eindeutig. Die Begrenzung des Anspruchs auf Ausländer, die im Besitz einer Aufenthaltsberechtigung oder Aufenthaltserlaubnis sind, ist vom Gesetzgeber im FKPG bewußt vorgenommen worden (BT-Drucks 12/4401, S 74). Mit der Neuregelung bezweckte der Gesetzgeber, den Erzg-Anspruch auf solche Ausländer zu begrenzen, von denen im Regelfall zu erwarten ist, daß sie auf Dauer in Deutschland bleiben werden; dies hat er allein bei denjenigen angenommen, die im Besitz einer Aufenthaltsberechtigung oder Aufenthaltserlaubnis sind. Die Aufenthaltsbefugnis (§ 30 AuslG) ist nach der Systematik des AuslG gegenüber der Aufenthaltsberechtigung und der Aufenthaltserlaubnis ein Aufenthaltstitel minderen Ranges. Sie wurde erklärtermaßen vor allem für De-facto-Flüchtlinge geschaffen, also für Ausländer, deren Aufenthalt im Bundesgebiet nur aus humanitären Gründen (zB Bürgerkrieg im Heimatland) geduldet wird (§§ 54, 55 AuslG). Zu diesem Kreis von Ausländern gehören auch die Klägerin und ihre Familienangehörigen. Der Gesetzgeber konnte bei diesem Personenkreis davon ausgehen, daß seine Bindungen an Deutschland weniger ausgeprägt sind und die Erwartung, er werde dauernd hier verweilen, im Regelfall weniger begründet ist als beim Inhaber einer Aufenthaltserlaubnis, also eines Aufenthaltstitels, der – auch im Falle der Befristung (§ 12 Abs 2, § 24 AuslG) – ohne Bindung an einen begrenzten Aufenthaltszweck erteilt wird (§ 15 AuslG), oder gar beim Inhaber einer – zeitlich und räumlich unbeschränkten – Aufenthaltsberechtigung (§ 27 AuslG).
Eine ausdehnende Anwendung des § 1 Abs 1a BErzGG auf seit langer Zeit in Deutschland lebende Ausländer mit einer Aufenthaltsbefugnis scheidet bei diesem eindeutigen gesetzlichen Willen ebenso aus wie eine diesen Personenkreis einbeziehende „verfassungskonforme Auslegung” des § 1 Abs 1a BErzGG. Es besteht auch kein Anlaß, das Verfahren nach Art 100 Abs 1 Grundgesetz (GG) auszusetzen, um eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) einzuholen. Der Ausschluß der nur über eine Aufenthaltsbefugnis verfügenden Ausländer vom Bezug des Erzg ist verfassungsgemäß (so bereits Urteil des Senats vom 6. September 1995 - 14 REg 1/95 - SozR 3-7833 § 1 Nr 16; stRspr).
2. Die Klägerin kann den Erzg-Anspruch auch nicht unmittelbar aus dem FlüAbk ableiten. Die Gleichstellung mit Deutschen ist im FlüAbk angeordnet in Art 23 für Leistungen der öffentlichen Fürsorge und in Art 24 für Leistungen der sozialen Sicherheit, insoweit jedoch „vorbehaltlich besonderer Bestimmungen, die Leistungen oder Teilleistungen betreffen, die ausschließlich aus öffentlichen Mitteln bestritten werden, sowie für Zuwendungen an Personen, die nicht die für die Gewährung einer normalen Rente geforderten Bedingungen der Beitragsleistung erfüllen” (Art 24 Nr 1 Buchst b ii FlüAbk). Eine Gleichstellung mit Deutschen nach Art 23 FlüAbk scheidet aus. Das Erzg kennt zwar nunmehr auch für die ersten sechs Monate Einkommensgrenzen. Es ist mit seiner Zielsetzung, die Hinwendung zum Kind in der ersten Lebensphase zu fördern und zu erleichtern, gleichwohl keine Leistung der öffentlichen Fürsorge. Das Erzg führt nach § 8 BErzGG nicht zu einer Minderung der Sozialhilfe; es wird also zusätzlich gewährt (BT-Drucks 10/3792, S 18). Das Gesamteinkommen liegt damit stets über dem Sozialhilfeniveau. Es handelt sich beim ErzG somit um eine Leistung der Sozialen Sicherheit nach Art 24 Nr 1 Buchst b FlüAbk. Nach Art 24 FlüAbk sind bei Sozialleistungen, die zum einen ausschließlich aus Steuern finanziert werden, wie dies beim Erzg der Fall ist, und zum anderen nicht zum Bereich der von Art 23 FlüAbk erfaßten Sozialhilfe gehören, „besondere Bestimmungen” auch auf anerkannte Flüchtlinge anzuwenden. „Besondere Bestimmungen” iS dieser Vorschrift sind sowohl Vorschriften für anerkannte Flüchtlinge als auch Vorschriften für Ausländer. Das FlüAbk gewährleistet somit keinen vom Erfordernis eines der in § 1 BErzGG genannten Aufenthaltstitel unabhängigen Anspruch auf Erzg, wie vom Senat bereits entschieden (BSGE 70, 197, 203 = SozR 3-7833 § 1 Nr 7; BSG SozR 3-7833 § 1 Nr 10).
3. Für die begehrte Gleichstellung der Klägerin und ihrer Familienangehörigen mit Deutschen kommt auch das Kooperationsabkommen zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) und dem Königreich Marokko (vgl EWGV 2211/78 des Rates vom 26. September 1978, ABl EG, Ausgabe L, 1978, L 263, 1 ff) nicht in Betracht. Dieses Abkommen hat im Jahre 1998 mit dem Inkrafttreten des „Europa-Mittelmeer-Abkommens vom 26. Februar 1996 zur Gründung einer Assoziation zwischen den Europäischen Gemeinschaften und ihren Mitgliedstaaten einerseits und dem Königreich Marokko andererseits” (BGBl II 1998, S 1810) seine rechtliche Geltung verloren (Art 96), wäre aber für den hier streitigen Zeitraum noch anwendbar. Nach Art 40 Satz 1 des Kooperationsabkommens gewährt jeder Mitgliedstaat den Arbeitnehmern marokkanischer Staatsangehörigkeit, die in seinem Hoheitsgebiet beschäftigt sind, eine Behandlung, die hinsichtlich der Arbeits- und Entlohnungsbedingungen keine auf der Staatsangehörigkeit beruhende Benachteiligung gegenüber seinen eigenen Staatsangehörigen bewirkt. Nach Art 41 Abs 1 dieses Abkommens wird den Arbeitnehmern marokkanischer Staatsangehörigkeit und den mit ihnen zusammenlebenden Familienangehörigen auf dem Gebiet der sozialen Sicherheit vorbehaltlich seiner nachfolgenden Absätze auch eine Behandlung gewährt, die keine auf der Staatsangehörigkeit beruhende Benachteiligung gegenüber den Staatsangehörigen der Mitgliedstaaten, in denen sie beschäftigt sind, bewirkt. Gemäß Art 41 Abs 3 erhalten diese Arbeitnehmer ferner die Familienzulagen für ihre innerhalb der Gemeinschaft wohnenden Familienangehörigen. Der EuGH hat hierzu entschieden, daß die Gleichstellungsregelungen des Kooperationsabkommens unmittelbar anwendbares Recht darstellen und es insoweit keines weiteren Rechtsaktes, etwa Beschlüssen des Kooperationsrates (Art 42 ff), bedarf (EuGH-Urteile vom 31. Januar 1991 - Rs C-18/90 - Kziber, Slg I 1991, 199; vom 20. April 1994 - Rs C-58/93 - Yousfi, Slg I 1994, 1353 und vom 3. Oktober 1996 - Rs C-126/95 - Hallouzi-Choho, Slg I 1996, 4807 = SozR 3-6615 Art 41 Nrn 1, 2, 3). Der Senat hat auch keine Zweifel, daß es sich bei dem Erzg nach dem BErzGG um eine „Familienzulage” iS des Art 41 Abs 3 des Kooperationsabkommens handelt und daß es auch im Bereich dieses Abkommens unerheblich ist, daß der Anspruch nach dem BErzGG nicht von dem Arbeitnehmer selbst geltend gemacht wird, sondern von dessen nicht berufstätiger Ehefrau als Familienangehöriger (vgl EuGH, Urteil vom 10. Oktober 1996 - Rs C-245/94 Hoever und C-312/94 Zachow - Slg I 4895, 4941 zum Erzg-Anspruch nach Art 73 EWGV 1408/71). Da nach Art 41 des Kooperationsabkommens nur der Arbeitnehmer selbst, nicht aber sein Familienangehöriger die marokkanische Staatsangehörigkeit besitzen muß, stünde dem Anspruch der Klägerin auf Erzg nicht der Umstand entgegen, daß sie selbst die algerische Staatsangehörigkeit besitzt.
Nach dem Regelungsgegenstand des Abkommens kann es sich aber nicht auf solche Personen beziehen, die nicht als Arbeitnehmer nach Deutschland kommen, sondern als Flüchtling. Art 1 nennt als Ziel des Abkommens, eine globale Zusammenarbeit zwischen den Vertragsparteien zu fördern, um zur wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung Marokkos beizutragen und die Vertiefung der Beziehungen zu erleichtern. Bei verständiger Würdigung der vertraglichen Ausgangslage von Marokko konnte es einen Regelungsbedarf für die Frage, welche sozialen Rechte Personen einzuräumen sind, die nicht als Wanderarbeitnehmer, sondern als Flüchtling aus Marokko nach Europa kommen, von vornherein nicht geben. Der EuGH hat dazu zwar – soweit ersichtlich – noch nicht entschieden. Der erkennende Senat hat aber insoweit über die Auslegung des europäischen Vertragsrechts keinen Zweifel und deshalb davon abgesehen, den EuGH zu bitten, auch darüber zu entscheiden.
III
Nach Art 3 Abs 1 EWGV 1408/71 stehen in einem Mitgliedstaat der EU wohnende Flüchtlinge iS des FlüAbk sowie deren Familienangehörige und Hinterbliebene (Art 1 Buchst d und Art 2 Abs 1 EWGV 1408/71), soweit die Flüchtlinge Arbeitnehmer oder Selbständige sind, den Staatsangehörigen des Wohnstaates hinsichtlich des Anspruchs auf Familienleistungen (Art 4 Abs 1 Buchst h EWGV 1408/71), zu denen auch das Erzg gehört (EuGH, Urteil vom 10. Oktober 1996 - Rs C-245/94 Hoever und C-312/94 Zachow - Slg I 4895, 4941), grundsätzlich gleich. Der Anspruch wäre begründet, wenn alle im Tenor des Beschlusses genannten Fragen bejaht werden müßten, was der vorlegende Senat durch Auslegung der genannten Rechtsvorschriften unter Heranziehung der bisherigen Rechtsprechung des EuGH nicht ohne verbleibende Zweifel entscheiden könnte.
zu Frage 1:
Es kommt darauf an, ob die EWGV 1408/71 auf Flüchtlinge und deren Familienangehörige anwendbar ist, wenn diese nach dem Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft vom 25. März 1957 und dem Vertrag über die EU vom 7. Februar 1992 kein Recht auf Freizügigkeit haben.
Die EWGV 1408/71 sieht dem Wortlaut nach die uneingeschränkte Gleichbehandlung von Staatenlosen und Flüchtlingen mit Unionsbürgern im Bereich der sozialen Sicherheit vor (Art 1 Abs 1). Dieses Gleichstellungsgebot würde im vorliegenden Fall dazu führen, daß sich die Klägerin als Ehefrau eines anerkannten Flüchtlings darauf berufen könnte, der Status ihres Ehemannes verbiete für sie und ihre Familienangehörigen eine Schlechterstellung im Vergleich zu Unionsbürgern, deren Erzg-Anspruch nicht vom Besitz einer Aufenthaltsberechtigung oder Aufenthaltserlaubnis abhänge. Der Klägerin stünde ein Anspruch auf Erzg zu, da sie alle sonstigen materiellen Voraussetzungen dieses Anspruchs erfüllt (§ 1 BErzGG) und ihr Ehemann als Arbeitnehmer auch die Voraussetzungen des Vorbehalts der Bundesrepublik Deutschland zum Begriff des Arbeitnehmers nach Anhang I Teil C Deutschland der EWGV 1408/71 in der fraglichen Zeit erfüllte.
Es ist jedoch zweifelhaft, ob die Einbeziehung der Staatenlosen und Flüchtlinge in den persönlichen Geltungsbereich der Verordnung von einer Ermächtigungsgrundlage gedeckt ist. Davon hängt die Wirksamkeit dieser Gleichstellungsregelung ab. Die EWGV 1408/71 enthält die Vorschriften zur Koordinierung der innerstaatlichen Rechtsvorschriften über soziale Sicherheit; diese Vorschriften „gehören zur Freizügigkeit von Personen und sollen zur Verbesserung von deren Lebensstandard und Arbeitsbedingungen beitragen” (Präambel der EWGV 1408/71, „Gründe” Abs 1). Betroffen sind, wie aus dem Titel der EWGV 1408/71 ausdrücklich hervorgeht, die „Arbeitnehmer und Selbständigen sowie deren Familienangehörige, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern” und die „Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit” auf diesen Personenkreis. Es geht also um einen Personenkreis, dem das „Recht auf Freizügigkeit innerhalb der Gemeinschaft” zusteht. Dieses Recht auf Freizügigkeit genießen jedoch nur die Unionsbürger (Art 8, 8a, 48 EGV). Staatenlose und Flüchtlinge besaßen und besitzen ein solches ausdrückliches Recht nicht. Ihr Aufenthaltsrecht richtet sich – geht man vom ratifizierten Vertrag aus – allein nach den nationalen Ausländergesetzen und beschränkt sich auf das Gebiet ihres Aufenthalts- bzw Wohnstaats (zB Art 17 FlüAbk), reicht aber nicht über die Staatsgrenzen hinaus.
Der Rat der EU hat nach dem Vertrag grundsätzlich nicht das Recht, den persönlichen Anwendungsbereich der von ihm erlassenen Verordnungen über den von der jeweiligen Ermächtigungsgrundlage bestimmten und begrenzten Personenkreis hinaus auszuweiten. Die EWGV 1408/71 stützt sich laut Eingangssatz ihrer Präambel auf die Art 51 und 235 EGV als Ermächtigungsgrundlage.
Nach Art 51 Satz 1 EGV beschließt der Rat „die auf dem Gebiet der sozialen Sicherheit für die Herstellung der Freizügigkeit der Arbeitnehmer notwendigen Maßnahmen”. Er ist dem Wortlaut nach folglich auf den Erlaß von Koordinierungsregeln für als Wanderarbeitnehmer tätige Unionsbürger beschränkt, da sie allein das Recht auf Freizügigkeit genießen.
Gemäß Art 235 EGV erläßt der Rat allerdings ferner „geeignete Vorschriften”, wenn ein Tätigwerden der Gemeinschaft erforderlich ist, um im Rahmen des Gemeinsamen Marktes eines ihrer Ziele zu verwirklichen, und im EGV die hierfür erforderlichen Befugnisse nicht vorgesehen sind. Der EuGH wird zu entscheiden haben, ob diese Blankettermächtigung die in der EWGV getroffene Regelung legitimiert. Es mag vorkommen, daß eine Person, die nicht das Recht der Freizügigkeit innerhalb der EU für sich in Anspruch nehmen kann, von einem Mitgliedstaat in einen anderen wechselt, um dort zu arbeiten. Für diesen Personenkreis stellen sich dann im Bereich der sozialen Sicherheit ähnliche Fragen wie bei Wanderarbeitnehmern, die Unionsbürger sind. Es mag auch zweckmäßig sein, Regeln über die Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit beider betroffener Mitgliedstaaten auch zugunsten dieses Personenkreises aufzustellen. Bedenken ergeben sich jedoch sowohl hinsichtlich der in Art 235 EGV geforderten „Erforderlichkeit” solcher Regeln als auch insoweit, daß sie notwendig sein müssen, um eines der Ziele der Gemeinschaft im Rahmen des Gemeinsamen Marktes zu verwirklichen. Die Herstellung der Freizügigkeit von Staatenlosen und Flüchtlingen innerhalb der EU ist im Vertrag als Ziel nicht genannt. Ob der Erlaß von sonstigen, nicht vom Recht auf Freizügigkeit bestimmten Koordinierungsregeln im Bereich der sozialen Sicherheit zu solchen „Zielen der Gemeinschaft” gehört, erscheint zweifelhaft und ist klärungsbedürftig.
Sofern die Frage 1 vom EuGH bejaht wird, kommt es für den Anspruch der Klägerin auf Erzg auch auf die Frage 2 an. Es ist entscheidungserheblich, ob die Gleichstellungsregelung des Art 2 Abs 1 und Art 3 Abs 1 EWGV 1408/71 nicht nur dann gilt, wenn ein anerkannter Flüchtling aus einem EU-Mitgliedstaat in einen anderen Mitgliedstaat wechselt, sondern auch schon dann, wenn er – wie hier die Klägerin und ihr Ehemann – aus einem nicht zur EU gehörenden Staat (Drittstaat) in einen EU-Mitgliedstaat eingereist und seitdem dort geblieben ist, er also innerhalb der EU nicht gewandert ist (und dies auch nicht versucht hat) und deshalb kein EU-interner grenzüberschreitender Sachverhalt gegeben ist.
Koordinierungsregelungen der EU sind nur dort notwendig, wo sich die Frage nach der Anwendung von Vorschriften über die soziale Sicherheit von mindestens zwei Mitgliedstaaten stellt. Darauf sind die Vorschriften der EWGV 1408/71 zugeschnitten; sie gilt – wie erwähnt – ausweislich ihres Titels für „Arbeitnehmer und Selbständige sowie deren Familienangehörige, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern”. Daher ist es zweifelhaft, ob diese Verordnung auch für Sachverhalte gilt, in denen es mangels Wanderung des Arbeitnehmers nur auf die Vorschriften eines Mitgliedstaats ankommen kann, es also keiner Koordinierungsregeln bedarf.
In Anlehnung an die bisherige Rechtsprechung des EuGH hat der 10. Senat des BSG in seinem Urteil vom 3. Dezember 1996 - 10 RKg 8/96 - (SozR 3-5870 § 1 Nr 12) für den vergleichbaren Bereich des Kindergeldes die Frage verneint. Nach ständiger Rechtsprechung des EuGH gelten die gemeinschaftsrechtlichen Regelungen nicht für Sachverhalte, die keinerlei Berührungspunkte mit irgendeinem der Sachverhalte aufweisen, auf die das Gemeinschaftsrecht abstellt. An einem solchen Berührungspunkt iS der EWGV 1408/71 fehlt es, wenn ein Betroffener oder sein Familienangehöriger niemals das Recht der Freizügigkeit innerhalb der EU ausgeübt hat (EuGH, Urteil vom 27. Oktober 1982 - Rs 35/82 und 36/82 Morson/Jhanjan - Slg 1982, 3723, 3738; Urteil vom 28. Juni 1984 - Rs 180/83 Moser - Slg 1984, 2539, 2548; Urteil vom 17. Dezember 1987 - Rs 147/87 Zaoui - Slg 1987, 5511, 5528; Urteil vom 28. Januar 1992 - Rs C-332/90 Steen - Slg I 341, 358; Urteil vom 19. März 1992 - Rs C-60/91 Batista Morais - Slg I 2085, 2109; Urteil vom 22. September 1992 - Rs C-153/91 Petit - Slg I 4973, 4995; Urteil vom 10. Oktober 1996 - Rs C-245/94 Hoever und C-312/94 Zachow - Slg I 4895, 4941; Urteil vom 5. Juni 1997 - Rs C-64/96 Uecker und C-65/96 Jacquet - Slg I 3182, 3192). Gleiches muß dann gelten, wenn sich der Sachverhalt auf einen Mitgliedstaat beschränkt und der Arbeitnehmer nicht einmal das Recht auf Freizügigkeit besitzt. Die Notwendigkeit eines EU-internen „grenzüberschreitenden Elements” durch Wanderung eines Arbeitnehmers bzw Selbständigen oder zumindest eines Familienangehörigen hat der EuGH zuletzt durch sein Urteil vom 5. März 1998 - Rs C-194/96 Kulzer - (Slg I 921, 936) noch einmal bestätigt, wonach eine Person, die nur in dem Staat, dem sie angehört, gearbeitet hat, vom persönlichen Geltungsbereich der EWGV 1408/71 ausnahmsweise auch dann erfaßt wird, wenn ihr unterhaltsberechtigtes Kind, für das sie Familienleistungen beansprucht, mit ihrem früheren Ehegatten innerhalb der Gemeinschaft zu- oder abgewandert ist. An einem solchen EU-internen „grenzüberschreitenden Element” fehlt es hier. Allerdings betraf die bisherige Rechtsprechung des EuGH stets Fälle von Unionsbürgern oder Bürgern von Drittstaaten, die nicht zugleich Flüchtlinge iS des FlüAbk waren. Sachverhalte, in denen Flüchtlinge aus einem Drittstaat in einen EU-Mitgliedstaat eingereist und dort geblieben sind, waren, soweit ersichtlich ist, bisher nicht Gegenstand der Rechtsprechung des EuGH. Insoweit besteht Klärungsbedarf, zumal die für Fragen der EWGV 1408/71 zuständige Referatsleiterin der Europäischen Kommission – Generaldirektion V – in einem an den Prozeßbevollmächtigten des Klägers eines Parallelverfahrens gerichteten Schreiben vom 5. März 1998 ebenso wie das Berufungsgericht die – allerdings ausdrücklich als ihre persönliche Meinung gekennzeichnete – Auffassung vertreten hat, der Begriff des „Flüchtlings” iS der EWGV 1408/71 umfasse auch Personen, die nur Berührung mit dem Recht eines Mitgliedstaates haben.
Sofern auch die Frage 2 vom EuGH bejaht wird, kommt es für den Anspruch der Klägerin auf Erzg auch noch auf die Frage 3 an. Es ist entscheidungserheblich, ob eine Familienleistung wie das Erzg nach dem BErzGG auch dann zu gewähren ist, wenn nur der Ehegatte, von dem man das Recht ableitet, anerkannter Flüchtling und Arbeitnehmer ist, während der den Anspruch Erhebende dies nicht ist. Für den Personenkreis der Wanderarbeitnehmer, die Unionsbürger sind, hat der EuGH entschieden, der Umstand, daß nicht der Ehemann als Arbeitnehmer, sondern die nicht erwerbstätige Ehefrau als Familienangehörige den Anspruch auf eine Familienleistung geltend mache, sei in diesem Zusammenhang unschädlich, da es gemeinschaftsrechtlich nicht darauf ankomme, welcher Familienangehörige nach den nationalen Vorschriften die Familienleistungen beanspruchen könne (EuGH, Urteil vom 10. Oktober 1996 - Rs C-245/94 Hoever und C-312/94 Zachow - Slg I 4895, 4941). Es stellt sich die Frage, ob diese Rechtsprechung auf eine Fallkonstellation der vorliegenden Art zu übertragen ist, in der es nicht um Unionsbürger, sondern um ein Ehepaar geht, bei dem beide Partner die Staatsangehörigkeit eines Drittstaats besitzen und der Anspruch auf die Familienleistung von der Ehefrau geltend gemacht wird, die weder als Arbeitnehmerin tätig ist und selbst nicht zum begünstigten Kreis der anerkannten Flüchtlinge gehört.
Fundstellen
Haufe-Index 542788 |
SGb 1999, 26 |