Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialgerichtliches Verfahren. Nichtzulassungsbeschwerde. Verfahrensfehler. fehlerhafte Anhörung nach § 153 Abs 4 S 2 SGG
Orientierungssatz
Die nicht in jeder Hinsicht ordnungsgemäß durchgeführte Anhörung nach § 153 Abs 4 S 2 SGG stellt eine Gehörsverletzung dar, deren Kausalität für die angegriffene Entscheidung allerdings nicht zu unterstellen ist (vgl BSG vom 17.4.2012 - B 13 R 61/12 B = juris RdNr 8 sowie vom 18.7.2019 - B 13 R 259/17 B = juris RdNr 14). Denn die unvollkommen formulierte Anhörungsmitteilung lässt die in § 153 Abs 4 S 1 SGG festgelegten Voraussetzungen für die Befugnis des LSG, ohne mündliche Verhandlung zu entscheiden, nicht zwangsläufig entfallen. Davon könnte nur dann die Rede sein, wenn der Fehler den Betroffenen an Vorbringen gehindert hat, welches das LSG hätte veranlassen müssen, von einem Beschluss nach § 153 Abs 4 SGG Abstand zu nehmen (vgl BSG vom 12.2.2009 - B 5 R 386/07 B = SozR 4-1500 § 153 Nr 7 RdNr 19 sowie vom 18.7.2019 - B 13 R 259/17 B aaO).
Normenkette
SGG §§ 62, 73 Abs. 4, § 73a Abs. 1, § 153 Abs. 4 Sätze 1-2, § 160 Abs. 2 Nrn. 1-3, § 160a Abs. 2 S. 3; GG Art. 103 Abs. 1
Verfahrensgang
SG Köln (Urteil vom 14.01.2019; Aktenzeichen S 36 R 1801/15) |
LSG Nordrhein-Westfalen (Beschluss vom 17.03.2020; Aktenzeichen L 3 R 90/20) |
Tenor
Der Antrag des Klägers, ihm für das Verfahren der Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision im Beschluss des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 17. März 2020 Prozesskostenhilfe unter Beiordnung eines noch zu benennenden Prozessbevollmächtigten zu gewähren, wird abgelehnt.
Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision in diesem Beschluss wird als unzulässig verworfen.
Die Beteiligten haben einander für das Beschwerdeverfahren keine außergerichtlichen Kosten zu erstatten.
Gründe
I. Das LSG Nordrhein-Westfalen hat mit Beschluss vom 17.3.2020 festgestellt, dass der Rechtsstreit über die Berufung des Klägers gegen das Urteil des SG Köln vom 14.1.2019 durch Rücknahme der Berufung am 15.1.2020 erledigt ist. An diesem Tage habe der Kläger in nichtöffentlicher Sitzung nach Erörterung der Sach- und Rechtslage erklärt: "Ich nehme die Berufung zurück". Eine erneute Berufungseinlegung sei verfristet. Durch das mit der Berufung angefochtene Urteil hatte das SG Köln die auf eine günstigere Berücksichtigung von in Polen zurückgelegten rentenrechtlich relevanten Zeiten, eine günstigere Berechnung der Wartezeit für eine Altersrente für besonders langjährig Versicherte und die Berücksichtigung von Neuregelungen des Rentenrechts zum 1.7.2014 gerichtete Klage abgewiesen.
Gegen die Nichtzulassung der Revision in dem ihm am 20.3.2020 zugestellten Beschluss hat der Kläger mit Telefax vom 14.4.2020 Beschwerde beim BSG eingelegt. Er beruft sich unter anderem darauf, dass er die Berufungsrücknahme mit Telefax vom 16.1.2020 und nachfolgenden Schreiben revidiert bzw zurückgezogen habe. Die Berufung habe er am 14.3.2019 fristgerecht eingelegt. Darüber hinaus führt er - ergänzt durch umfangreiche Anlagen - aus, warum die mit der Klage geltend gemachten Ansprüche aus seiner Sicht begründet sind. Mit weiterem Telefax vom 18.4.2020 hat er zudem eine Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse bei Prozess- und Verfahrenskostenhilfe nebst Anlagen übersandt.
II. 1. Der Senat wertet die Übersendung der Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse durch den Kläger als Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe (PKH) unter Beiordnung eines noch zu benennenden Prozessbevollmächtigten. Das vom Kläger unterzeichnete Formular der Erklärung ist beim BSG vor Ablauf der am 20.4.2020 endenden Beschwerdefrist eingegangen. Insofern ist unerheblich, dass die per Telefax übersandte privatschriftliche Beschwerdeschrift des Klägers am 14.4.2020 beim BSG nur unvollständig und ohne Unterschrift des Klägers eingegangen ist.
Der PKH-Antrag des Klägers ist abzulehnen. Nach § 73a Abs 1 Satz 1 SGG iVm § 114 Abs 1 Satz 1 ZPO kann einem Beteiligten, der nach seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten für die Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, für das Verfahren vor dem BSG nur dann PKH bewilligt werden, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint.
Die Rechtsverfolgung des Klägers bietet keine hinreichende Aussicht auf Erfolg. Es ist nicht zu erkennen, dass ein zugelassener Prozessbevollmächtigter (§ 73 Abs 4 SGG) in der Lage wäre, eine Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers erfolgreich zu begründen.
Im Verfahren der als Rechtsmittel gegen die LSG-Entscheidung allein statthaften Nichtzulassungsbeschwerde (§§ 160, 160a SGG) geht es nicht darum, ob die Entscheidung des LSG richtig oder falsch ist. Vielmehr darf gemäß § 160 Abs 2 SGG die Revision nur zugelassen werden, wenn die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat (Nr 1), die Entscheidung des LSG von einer Entscheidung des BSG, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes (GmSOGB) oder des BVerfG abweicht und auf dieser Abweichung beruht (Nr 2) oder wenn ein Verfahrensmangel vorliegt, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann (Nr 3).
Ein solcher Zulassungsgrund ist nach Prüfung des Streitstoffs unter Berücksichtigung des Vorbringens des Klägers sowie des Inhalts der Gerichts- und Verwaltungsakten nicht gegeben.
Der Rechtssache kommt nach Aktenlage keine grundsätzliche Bedeutung zu (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG), denn sie wirft keine entscheidungserheblichen Rechtsfragen auf, die - über den Einzelfall hinaus - aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts einer Klärung durch das Revisionsgericht bedürftig sind. Soweit überhaupt eine Rechtsgrundlage für die unterschiedlichen Anliegen des Klägers bestehen könnte, handelt es sich im Wesentlichen um Wertungen im Einzelfall.
Anhaltspunkte dafür, dass eine Divergenzrüge (§ 160 Abs 2 Nr 2 SGG) Aussicht auf Erfolg versprechen könnte, bestehen nicht. Eine Divergenz kann nur dann zur Revisionszulassung führen, wenn das LSG einen tragenden abstrakten Rechtssatz in Abweichung von einem abstrakten Rechtssatz in einer Entscheidung des BSG, des GmSOGB oder des BVerfG aufgestellt hat (vgl BSG Beschluss vom 29.11.1989 - 7 BAr 130/88 - SozR 1500 § 160a Nr 67 S 89). Derartige Rechtssätze sind nicht auszumachen.
Die summarische Prüfung des Senats hat ebenso wenig einen Anhalt für das Vorliegen eines Verfahrensmangels (§ 160 Abs 2 Nr 3 SGG) ergeben, auf dem die Entscheidung des LSG beruhen kann.
Zwar kann ein Verfahrensmangel darin gesehen werden, dass das LSG in seiner Anhörungsmitteilung vom 31.1.2020 über das weitere Vorgehen nach § 153 Abs 4 SGG - Beschluss ohne mündliche Verhandlung - nicht ausdrücklich auf die beabsichtigte Entscheidung hingewiesen hat (zu diesem Erfordernis jedenfalls bei Naturalparteien vgl BSG Urteil vom 22.4.1998 - B 9 SB 19/97 R - SozR 3-1500 § 153 Nr 7 - juris RdNr 16; BSG Urteil vom 7.9.1998 - B 2 U 10/98 R - SozR 3-1500 § 193 Nr 10 - juris RdNr 9; Burkiczak in Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGG 2017, § 153 RdNr 105, Stand 7.9.2020). Darauf kann die Entscheidung des LSG unter Berücksichtigung der Aktenlage und des Verfahrensgangs jedoch nicht beruhen.
Die nicht in jeder Hinsicht ordnungsgemäß durchgeführte Anhörung nach § 153 Abs 4 Satz 2 SGG stellt eine Gehörsverletzung dar, deren Kausalität für die angegriffene Entscheidung allerdings nicht zu unterstellen ist (vgl BSG Beschluss vom 17.4.2012 - B 13 R 61/12 B - juris RdNr 8; BSG Beschluss vom 18.7.2019 - B 13 R 259/17 B - juris RdNr 14). Denn die unvollkommen formulierte Anhörungsmitteilung lässt die in § 153 Abs 4 Satz 1 SGG festgelegten Voraussetzungen für die Befugnis des LSG, ohne mündliche Verhandlung zu entscheiden, nicht zwangsläufig entfallen. Davon könnte nur dann die Rede sein, wenn der Fehler den Betroffenen an Vorbringen gehindert hat, welches das LSG hätte veranlassen müssen, von einem Beschluss nach § 153 Abs 4 SGG Abstand zu nehmen (vgl BSG Beschluss vom 12.2.2009 - B 5 R 386/07 B - SozR 4-1500 § 153 Nr 7 RdNr 19; BSG Beschluss vom 18.7.2019 - B 13 R 259/17 B - juris RdNr 14).
Dies ist jedoch nicht ersichtlich. Die Entscheidung des LSG ist erst über einen Monat nach Zustellung der Anhörungsmitteilung ergangen. Der Kläger war bereits durch Schreiben der Vorsitzenden des LSG-Senats vom 20.1.2020 darauf hingewiesen worden, dass diese das Berufungsverfahren als durch die Rücknahmeerklärung erledigt ansah. Sowohl hierauf als auch auf die Anhörungsmitteilung vom 31.1.2020 hat der Kläger seinen Vortrag ergänzt und deutlich gemacht, dass er an der Berufung festhalte. Eine weitere Stellungnahme war daher nach Lage der Dinge nicht zu erwarten (vgl BSG Beschluss vom 31.3.2017 - B 12 KR 28/16 B - juris RdNr 8; BSG Beschluss vom 18.7.2019 - B 13 R 259/17 B - juris RdNr 15). Auch die vom Kläger beim BSG eingereichten weiteren, nicht schon in den Akten des SG bzw LSG enthaltenen Unterlagen hätten zu keiner Änderung im Verfahrensgang beim LSG führen können, da sie in keinem unmittelbaren Zusammenhang mit der streitigen Erklärung über die Berufungsrücknahme stehen.
Da kein Anspruch auf Bewilligung von PKH besteht, ist auch der Antrag auf Beiordnung eines Rechtsanwalts abzulehnen (§ 73a Abs 1 Satz 1 SGG iVm § 121 Abs 1 ZPO).
2. Die vom Kläger persönlich eingelegte Beschwerde ist unzulässig. Unabhängig von der Würdigung des Fehlens der Unterschrift des Klägers und der unvollständigen Übermittlung des Telefaxes der Beschwerdeschrift vom 14.4.2020 leidet die Beschwerde an einem Formmangel. Sie ist - anders als § 73 Abs 4 SGG es vorschreibt - nicht durch einen vor dem BSG zugelassenen Prozessbevollmächtigten eingelegt worden. Die Verwerfung der Beschwerde erfolgt gemäß § 160a Abs 4 Satz 1 Halbsatz 2 iVm § 169 Satz 3 SGG durch Beschluss ohne Zuziehung der ehrenamtlichen Richter.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.
Fundstellen
Dokument-Index HI14206895 |