Entscheidungsstichwort (Thema)
Revisionsnichtzulassungsbeschwerde. Rüge der Verletzung von Verfahrensrecht. Widerruf der Zustimmung zur Entscheidung ohne mündliche Verhandlung. Wesentliche Änderung der Prozesslage
Leitsatz (redaktionell)
1. Wer die Zulassung der Revision wegen eines Verfahrensmangels begehrt, muss in der Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde die bundesrechtliche Verfahrensnorm, die das Berufungsgericht verletzt haben soll, hinreichend genau bezeichnen. Er muss zudem die tatsächlichen Umstände, die den Verstoß begründen sollen, substantiiert dartun und darüber hinaus darlegen, inwiefern die angefochtene Entscheidung auf diesem Verfahrensmangel beruht (stRspr; vgl. BSG SozR 4-1500 § 160a Nr. 3 RdNr. 4).
2. Die Zustimmung zu einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung kann jedenfalls dann, wenn die übrigen Prozessbeteiligten ebenfalls eine solche Erklärung abgegeben haben, nur noch widerrufen werden, wenn sich die Prozesslage wesentlich geändert hat (vgl. BSG, v. 14.10.2005, B 11a AL 45/05 B). In einer solchen Situation muss im Rahmen einer Rüge, das Recht auf eine mündliche Verhandlung sei verletzt worden, dargelegt werden, dass ein Widerruf der Einverständniserklärung zur Entscheidung ohne mündliche Verhandlung erfolgt ist und inwiefern die Voraussetzung hierfür – eine wesentliche Änderung der Prozesslage – vorgelegen hat.
Orientierungssatz
Die Zustimmung zu einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung kann jedenfalls dann, wenn die übrigen Prozessbeteiligten ebenfalls eine solche Erklärung abgegeben haben, nur noch widerrufen werden, wenn sich die Prozesslage wesentlich geändert hat (vgl BSG vom 14.10.2005 - B 11a AL 45/05 B). In einer solchen Situation muss im Rahmen einer Rüge, das Recht auf eine mündliche Verhandlung sei verletzt worden, dargelegt werden, dass ein Widerruf der Einverständniserklärung zur Entscheidung ohne mündliche Verhandlung erfolgt ist und inwiefern die Voraussetzung hierfür - eine wesentliche Änderung der Prozesslage - vorgelegen hat.
Normenkette
SGG § 124 Abs 2, § 160 Abs. 2 Nr. 3
Verfahrensgang
Tatbestand
Streitig ist die Höhe der Vergütung für Zahnersatz-Leistungen.
Der Kläger war im Bezirk der beklagten Kassenzahnärztlichen Vereinigung zur vertragszahnärztlichen Versorgung zugelassen. Er reichte im Februar 2001 bei der Beklagten ua fünf Zahnersatz-Behandlungsfälle zur Abrechnung ein, in denen er jeweils Leistungen nach Nr 98a des Einheitlichen Bewertungsmaßstabs für zahnärztliche Leistungen (Bema-Z) - Abdruck mit individuellem Löffel, mit 30 Punkten bewertet - zum Ansatz gebracht hatte. Die Beklagte verweigerte die Honorierung dieser Behandlungsfälle zunächst vollständig unter Hinweis darauf, dass in vier Fällen die Nr 98a Bema-Z unberechtigterweise neben der Leistung nach Nr 101b Bema-Z geltend gemacht und im fünften Fall Nr 98a Bema-Z unzutreffend neben einer Einzelkrone angesetzt worden sei.
Widerspruch und Klage sind ohne Erfolg geblieben. Im Verlauf des Berufungsverfahrens hat der Kläger zur Gewährleistung seiner Liquidität bei der Beklagten korrigierte (dh um die Leistung nach Nr 98a Bema-Z bereinigte) Abrechnungen dieser Behandlungsfälle vorgelegt, wobei er die Korrektur "unter dem Vorbehalt der gerichtlichen Überprüfung" vornahm. Die Beklagte sah einen solchen Vorbehalt als unzulässig an und verweigerte weiterhin eine Honorierung. Erst nachdem der Kläger den Vorbehalt gestrichen hatte, vergütete sie im Februar bzw April 2004 in den fünf Behandlungsfällen die nunmehr zum Ansatz gebrachten Zahnarzthonorare sowie die Labor- und Materialkosten, soweit diese nicht vom jeweiligen Patienten zu tragen waren. Hierdurch verminderte sich der streitbefangene Anspruch auf eine Restforderung für sechs nicht vergütete Leistungen nach Nr 98a Bema-Z in Höhe von insgesamt 74,18 €.
Das Landessozialgericht (LSG) hat im Juli 2006 ohne mündliche Verhandlung die Berufung des Klägers zurückgewiesen. Es hat die von der Beklagten vorgenommenen Richtigstellungen unter Bezugnahme auf die Entscheidung des Sozialgerichts (SG) für rechtmäßig erachtet (Urteil vom 5. Juli 2006).
Mit seiner Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des LSG macht der Kläger Verfahrensmängel (Zulassungsgrund gemäß § 160 Abs 2 Nr 3 Sozialgerichtsgesetz ≪SGG≫) geltend. Zu seinem Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwältin K aus Apolda hat der Kläger eine Erklärung über seine persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse sowie Nachweise hierzu bis zu dem vom Berichterstatter gesetzten Termin und auch nachfolgend nicht vorgelegt.
Entscheidungsgründe
Der Antrag des Klägers auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Verfahren der Nichtzulassungsbeschwerde unter Beiordnung seiner Prozessbevollmächtigten ist abzulehnen, da er trotz Aufforderung und Fristsetzung keinerlei Angaben über seine persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse gemacht und insbesondere das hierfür vorgeschriebene Formular nicht eingereicht hat(§ 73a Abs 1 Satz 1 SGG iVm § 114 Satz 1, § 117 Abs 2 bis 4, § 118 Abs 2 Satz 4 Zivilprozessordnung ). Zudem hat der Rechtsbehelf, wie sogleich ausgeführt wird, keine Aussicht auf Erfolg.
Die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision durch das LSG ist unzulässig, denn ihre Begründung entspricht nicht den aus § 160a Abs 2 Satz 3 SGG abzuleitenden Anforderungen. Sie ist somit gemäß § 160a Abs 4 Satz 2 Halbsatz 2 iVm § 169 Satz 2 und 3 SGG durch Beschluss ohne Zuziehung der ehrenamtlichen Richter zu verwerfen.
Wer die Zulassung der Revision wegen eines Verfahrensmangels begehrt, muss gemäß § 160a Abs 2 Satz 3 SGG in der Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde die bundesrechtliche Verfahrensnorm, die das Berufungsgericht verletzt haben soll, hinreichend genau bezeichnen. Zudem muss er die tatsächlichen Umstände, welche den Verstoß begründen sollen, substantiiert dartun und darüber hinaus darlegen, inwiefern die angefochtene Entscheidung auf diesem Verfahrensmangel beruht (vgl BSG SozR 4-1500 § 160a Nr 3 RdNr 4, mwN; Krasney/Udsching, Handbuch des sozialgerichtlichen Verfahrens, 4. Aufl 2005, Kapitel IX RdNr 202 ff). Dabei ist zu beachten, dass gemäß § 160 Abs 2 Nr 3 Halbsatz 2 SGG die Rüge einer Verletzung der Sachaufklärungspflicht nach § 103 SGG nur statthaft ist, wenn sie sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist. Diesen Anforderungen wird der Vortrag des Klägers nicht gerecht.
Soweit der Kläger eine Verletzung der Amtsermittlungspflicht geltend macht, weil das LSG "vor dem Hintergrund eines maroden Gesundheitssystems" keine Ermittlungen zu den Ursachen des Verfahrens und zu den Kosten möglicher Behandlungsalternativen angestellt habe, ist die Rüge unzulässig. Dies ergibt sich bereits daraus, dass der Kläger in der Beschwerdebegründung nicht darlegt, welche Beweisanträge er im Verlauf des Berufungsverfahrens gestellt hat, denen das Berufungsgericht auf der Grundlage seiner Rechtsansicht hätte näher nachgehen müssen (vgl BSG SozR 4-1500 § 160a Nr 3 RdNr 5 f).
Auch die weitere Rüge einer Verletzung des rechtlichen Gehörs (§ 62 SGG ) ist unzulässig. Der Kläger macht hierzu in der Beschwerdebegründung geltend, er habe zu keiner Zeit sein Einverständnis zu einer Entscheidung des LSG ohne mündliche Verhandlung erklärt, sondern vielmehr im Schreiben vom 9. April 2006 mitgeteilt, dass er krankheitsbedingt nicht verhandlungsfähig und auch zu einem schriftlichen Verfahren psychisch nicht in der Lage sei; alle Verfahren sollten deshalb ruhen. Der Kläger hatte aber mit Schreiben vom 26. April 2004 (Bl 110 SG-Akte), vom 8. Juli 2004 (Bl 160 SG-Akte) und erneut mit Schreiben vom 14. September 2004 (Bl 172 SG-Akte) gerade im Hinblick auf die von ihm empfundene Verhandlungsunfähigkeit aufgrund gesundheitlicher Beeinträchtigungen (psychosomatisches Schmerzsyndrom mit gesteigertem Schmerzempfinden und eingeschränkter Konzentration in Stress-Situationen) das Berufungsgericht um ein "schriftliches Verfahren" bzw um einen "schriftlichen Gerichtsbescheid ohne mündliche Verhandlung" gebeten. Die hierin liegende Zustimmung zu einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung (§ 124 Abs 2 SGG ) kann jedenfalls dann, wenn die übrigen Prozessbeteiligten - wie auch hier - ebenfalls eine solche Erklärung abgegeben haben, nur noch widerrufen werden, wenn sich die Prozesslage wesentlich geändert hat (BSG, Beschluss vom 14. Oktober 2005 - B 11a AL 45/05 B - juris, mwN). In einer solchen Situation muss im Rahmen einer Rüge, das Recht auf eine mündliche Verhandlung sei verletzt worden, dargelegt werden, dass ein Widerruf der Einverständniserklärung zur Entscheidung ohne mündliche Verhandlung erfolgt ist und inwiefern die Voraussetzung hierfür - eine wesentliche Änderung der Prozesslage - vorgelegen hat. Entsprechende Ausführungen enthält die Beschwerdebegründung des Klägers nicht. Zum einen wird dort nicht verdeutlicht, inwiefern die im Schreiben vom 9. April 2006 vorgetragene Bitte um ein "Ruhen aller meiner Verfahren gegen die Beklagte" überhaupt einen Widerruf der zuvor mehrfach und gerade wegen der empfundenen Verhandlungsunfähigkeit erteilten Zustimmung zu einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung enthält. Zum anderen werden weder in jenem Schreiben noch in der Beschwerdebegründung Umstände benannt, die eine wesentliche Änderung der Prozesslage seit Eingang der Zustimmungen aller Prozessbeteiligten zu einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung im September 2004 nahe legen. Solche Umstände ergeben sich auch nicht aus den beigezogenen Akten der Vorinstanz.
Von einer weiteren Begründung sieht der Senat gemäß § 160a Abs 4 Satz 3 Halbsatz 2 SGG ab. Die Frage, ob die Beklagte befugt gewesen sein kann, zunächst die Honorierung der vom Kläger eingereichten Abrechnungen vollumfänglich zu verweigern, obwohl nur die Richtigstellung einer einzelnen Leistungsposition im Streit stand, ist im Rahmen der Entscheidung über die Nichtzulassungsbeschwerde nicht mehr von Bedeutung.
Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung von § 193 Abs 1 und 4 SGG in der bis zum 1. Januar 2002 geltenden und hier - aufgrund Klageerhebung im Juni 2001 - noch maßgeblichen Fassung.
Fundstellen