Entscheidungsstichwort (Thema)
Arbeitslosenversicherung. Verfügbarkeit. Berufliche Weiterbildung. Vollzeitmaßnahme. Unterhaltsgeld
Orientierungssatz
Unter der Geltung des SGB 3 ist die Verfügbarkeit bei Teilnahme an einer in Vollzeit durchgeführten Weiterbildungsmaßnahme bei Bezug von Unterhaltsgeld ausgeschlossen. Dies gilt jedenfalls dann auch für Vollzeitmaßnahmen ohne Unterhaltsgeldbezug, wenn der Teilnehmer infolge der mit der Maßnahme verbundenen Belastung nicht mehr in der Lage ist, daneben noch eine mehr als kurzzeitige Beschäftigung unter den üblichen Bedingungen des Arbeitsmarktes auszuüben (Festhaltung an BSG vom 18.3.2004 - B 11 AL 59/03 R = SozR 4-4300 § 53 Nr 1).
Normenkette
SGB 3 § 118 Abs. 1 Nr. 2 Fassung: 1997-12-16; SGB 3 § 119 Abs. 1 Nr. 2 Fassung: 1997-12-16; SGB 3 § 120 Abs. 1 Fassung: 1997-12-16, Abs. 1 Fassung: 2001-12-10, Abs. 3 Fassung: 2003-12-23
Verfahrensgang
LSG Berlin (Urteil vom 10.06.2004; Aktenzeichen L 8 AL 20/02) |
SG Berlin (Urteil vom 28.11.2001; Aktenzeichen S 62 AL 1280/00) |
Tatbestand
Streitig ist die Rechtmäßigkeit der Aufhebung der Bewilligung von Arbeitslosengeld (Alg) wegen Teilnahme an einer Weiterbildungsmaßnahme.
Die Beklagte bewilligte der bis Ende Juni 1999 als Landschaftsarchitektin beschäftigten Klägerin ua für die Zeit ab 12. Oktober 1999 Alg für 349 Tage. Da die Klägerin ab 1. November 1999 an einem aus Mitteln des Landes Berlin finanzierten Praxisseminar in Vollzeit teilnahm, hob die Beklagte mit dem angefochtenen Bescheid die Alg-Bewilligung mit Wirkung ab 1. November 1999 auf. Widerspruch, Klage und Berufung der Klägerin blieben ohne Erfolg. Das Landessozialgericht (LSG) hat angenommen, bei der Klägerin sei im streitigen Zeitraum die für den Anspruch auf Alg erforderliche Voraussetzung der Arbeitslosigkeit nicht erfüllt gewesen; es fehle an dem Merkmal der Beschäftigungssuche iS der §§ 118 Abs 1 Nr 2, 119 Abs 1 Sozialgesetzbuch Drittes Buch (SGB III), nämlich der Verfügbarkeit. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) sei die objektive Verfügbarkeit zu verneinen, wenn eine Betätigung die Zeit des Arbeitslosen so in Anspruch nehme, dass gleichzeitig eine marktübliche versicherungspflichtige Beschäftigung ausgeschlossen sei; daran ändere auch die glaubhafte Bereitschaft des Arbeitslosen, die Betätigung jederzeit zwecks Arbeitsaufnahme abzubrechen, nichts. Auf einen Sonderfall der Verfügbarkeit - zB Kindererziehung oder Tagespflege - bzw auf die erst am 1. Januar 2004 in Kraft getretene Regelung in § 120 Abs 3 SGB III könne sich die Klägerin nicht berufen. Der in der Literatur geäußerten Kritik an der Rechtsprechung des BSG sei nicht zu folgen.
Gegen die Nichtzulassung der Revision wendet sich die Klägerin mit der Beschwerde und macht geltend, die Rechtssache habe grundsätzliche Bedeutung iS von § 160 Abs 2 Nr 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG). Zu klären sei die Rechtsfrage, ob die Teilnahme an einer (vollschichtigen) Bildungsmaßnahme die für den Anspruch auf Alg gemäß § 117 Abs 1 SGB III erforderliche Verfügbarkeit iS von § 119 Abs 1 Nr 2 SGB III ausschließe. Soweit es um die Teilnahme an Bildungsmaßnahmen bzw Eingliederungsmaßnahmen während der Arbeitslosigkeit gehe, sei eine Bedeutung für eine große Anzahl von Fällen zu bejahen. Der Umstand, dass der Gesetzgeber nunmehr mit § 120 Abs 3 SGB III eine Regelung für diese Fälle geschaffen habe, bestätige die über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung der Frage für die noch zu entscheidenden Altfälle; denn wäre nur eine zu vernachlässigende Zahl von Arbeitslosen betroffen, hätte kein Bedürfnis für eine gesonderte gesetzliche Regelung bestanden. Es müsse angesichts der Bedeutung des Begriffs der Verfügbarkeit für Fälle der Gewährung von Alg bei Teilnahme an Bildungsmaßnahmen davon ausgegangen werden, dass es noch zahlreiche nach alter Rechtslage zu beurteilende Fälle gebe. Zwar lägen zur aufgeworfenen Frage verschiedene - im Einzelnen zitierte - Entscheidungen des BSG vor; an dieser höchstrichterlichen Rechtsprechung sei jedoch sowohl von Instanzgerichten als auch im Schrifttum erhebliche Kritik geäußert worden (Hinweise ua auf: Steinmeyer in Gagel, SGB III; Hessisches LSG info also 1991, 183; Valgolio in Hauck/Noftz, SGB III). Da sich insbesondere die aktuelleren Urteile des BSG mit der Kritik in keiner Weise auseinander gesetzt hätten, bestehe eine ganz erhebliche Klärungsbedürftigkeit. Die vom LSG festgestellten Tatsachen reichten aus, um die Rechtsfrage revisionsrechtlich zu klären.
Entscheidungsgründe
Die Beschwerde ist zulässig. Der Senat geht davon aus, dass die Beschwerdebegründung den Anforderungen des § 160a Abs 2 Satz 3 SGG genügt.
Die Beschwerde ist jedoch unbegründet. Entgegen dem Vorbringen der Beschwerdebegründung kommt der Sache grundsätzliche Bedeutung iS des § 160 Abs 2 Nr 1 SGG nicht zu.
Die aufgeworfene Rechtsfrage, ob die Teilnahme an einer vollschichtigen Bildungsmaßnahme die für den Anspruch auf Alg erforderliche Verfügbarkeit ausschließt, ist durch die Rechtsprechung des BSG bereits geklärt. Das LSG hat diese Rechtsprechung (ua Urteile des BSG vom 27. Juli 1989, 11 RAr 7/88, SozR 4100 § 103 Nr 42, vom 29. November 1989, 7 RAr 8/89, SozR 4100 § 103 Nr 46, vom 24. April 1997, 11 RAr 39/96, DBlR 4386 zu § 103 AFG, vom 16. September 1999, B 7 AL 80/98 R, SozR 3-4100 § 101 Nr 10, und vom 8. Februar 2001, B 11 AL 111/99 R, DBlR 4671a zu § 103 AFG) zutreffend dargestellt und in nicht zu beanstandender Weise auf die vorliegende Fallgestaltung übertragen. Das LSG hat auch folgerichtig auf den aus § 120 Abs 3 SGB III idF des Dritten Gesetzes für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt vom 23. Dezember 2003 (BGBl I S 2848) und der hierzu vorliegenden Gesetzesbegründung (BT-Drucks 15/1515 S 83) abzuleitenden Gesichtspunkt hingewiesen, dass die nunmehr eröffneten Gestaltungsmöglichkeiten einer Begründung von Verfügbarkeit durch Zustimmung der Agentur für Arbeit - die im Falle der Klägerin nicht vorlag - bzw durch Bereiterklärung des Leistungsberechtigten zum Abbruch der Maßnahme bei in Betracht kommender beruflicher Eingliederung nach dem vor dem 1. Januar 2004 geltenden Recht nicht gegeben waren.
Zusätzlich hinzuweisen ist auf die Entscheidung vom 18. März 2004, B 11 AL 59/03 R, SozR 4-4300 § 53 Nr 1, in der der Senat klargestellt hat, dass unter Geltung des SGB III bei Teilnahme an einer in Vollzeit durchgeführten Weiterbildungsmaßnahme bei Bezug von Unterhaltsgeld die Verfügbarkeit ausgeschlossen ist. Wie aus der Entscheidung hervorgeht, muss dies auch für Vollzeitmaßnahmen ohne Bezug von Unterhaltsgeld jedenfalls dann gelten, wenn - wie im vorliegenden Fall vom LSG festgestellt - der Teilnehmer infolge der mit der Maßnahme verbundenen Belastung nicht mehr in der Lage ist, daneben noch eine mehr als kurzzeitige Beschäftigung unter den üblichen Bedingungen des Arbeitsmarktes auszuüben. Hieran ist festzuhalten, sodass der von der Beschwerde behauptete Klärungsbedarf nicht gegeben ist.
Eine Klärungsbedürftigkeit kann auch entgegen dem Beschwerdevorbringen nicht unter dem Gesichtspunkt angenommen werden, der höchstrichterlichen Rechtsprechung sei in nicht geringem Umfang widersprochen worden (BSG SozR 1500 § 160a Nr 13). Insoweit ist zu beachten, dass die von der Beschwerde vorwiegend angeführten Stimmen im Schrifttum (Steinmeyer in Gagel, SGB III, § 119 RdNr 104 ff, und Valgolio in Hauck/Noftz, SGB III, § 119 RdNr 66 ff) aus dem Jahr 1999 stammen und wie die angeführte Entscheidung des Hessischen LSG (info also 1991, 183) durch die zeitlich nachfolgende Rechtsprechung des BSG (ua die angegebenen Urteile vom 8. Februar 2001 und 18. März 2004) überholt sind. Das BSG hat bereits in Kenntnis vorliegender Einwendungen an früherer Rechtsprechung festgehalten und hat diese im Hinblick auf die Rechtslage nach dem SGB III präzisiert. Im Übrigen zeigen - worauf das LSG zutreffend hingewiesen hat - die ab 2004 geltenden gesetzlichen Regelungen, dass in Zukunft eine auf längere Dauer angelegte und planvoll gestaltete Betätigung nicht immer bei Nachweis des jederzeitigen Abbruchwillens verfügbarkeitsunschädlich ist, sondern dass der Gesetzgeber lediglich den Kreis der Betätigungen, die Verfügbarkeit nicht ausschließen, erweitert hat, weshalb die vom BSG herausgearbeiteten Grundsätze weiterhin zu beachten sind.
Die Beschwerde ist somit zurückzuweisen (§ 160a Abs 4 SGG).
Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.
Fundstellen