Verfahrensgang
Tenor
Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision im Beschluss des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen vom 16. November 2022 wird als unzulässig verworfen.
Die Beteiligten haben einander für das Beschwerdeverfahren keine außergerichtlichen Kosten zu erstatten.
Gründe
I
Die Beteiligten streiten in der Hauptsache über den Entzug der Merkzeichen B (Notwendigkeit ständiger Begleitung) und H (Hilflosigkeit).
Der im Januar 1999 geborene Kläger leidet ua an einem Asperger-Syndrom. Der Beklagte stellte bei ihm mit Bescheid vom 1.4.2016 aufgrund einer Entwicklungs-, seelischen und Verhaltensstörung einen Grad der Behinderung (GdB) von 70 fest und erkannte ihm die Merkzeichen H und B zu. Mit Wirkung ab dem 1.8.2019 entzog er dem Kläger die Merkzeichen (Bescheid vom 25.7.2019 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 3.12.2019).
Klage und Berufung sind ohne Erfolg geblieben. Das LSG hat ausgeführt, seit Eintritt der Volljährigkeit des Klägers seien die Voraussetzungen für die Zuerkennung der Merkzeichen nicht mehr erfüllt. Er sei nur gelegentlich und nicht in erheblichem Umfang auf Hilfestellungen angewiesen, wie ua sein Informatikstudium in der 30 km von seinem Elternhaus entfernten Hochschule B zeige. Zudem könne der Kläger auch andere Alltagsroutinen weitestgehend selbstständig bewältigen. Das auf seinen Antrag vom SG eingeholte Gutachten des Sachverständigen M überzeuge nicht, weil sich ua bereits die anamnestischen Angaben nicht klar dem Kläger zuordnen ließen (Beschluss vom 16.11.2022).
Gegen die Nichtzulassung der Revision in dieser Entscheidung hat der Kläger Beschwerde zum BSG eingelegt. Das LSG habe die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache verkannt und verfahrensfehlerhaft gehandelt.
II
Die Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers ist unzulässig. Die Begründung verfehlt die gesetzlichen Anforderungen, weil darin weder der behauptete Verfahrensmangel noch eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache ordnungsgemäß dargetan worden sind (vgl § 160a Abs 2 Satz 3 SGG).
1. Wird eine Nichtzulassungsbeschwerde wie im Fall des Klägers darauf gestützt, dass ein Verfahrensmangel vorliege, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen könne (§ 160 Abs 2 Nr 3 Halbsatz 1 SGG), so müssen bei der Bezeichnung des Verfahrensmangels (§ 160a Abs 2 Satz 3 SGG) zunächst die den Verfahrensmangel (vermeintlich) begründenden Tatsachen substantiiert dargetan werden. Gemäß § 160 Abs 2 Nr 3 Halbsatz 2 SGG kann der geltend gemachte Verfahrensmangel dabei auf eine Verletzung des § 103 SGG nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist. Will die Beschwerde demnach einen Verstoß gegen die tatrichterliche Sachaufklärungspflicht rügen (§ 103 SGG), so muss sie einen für das Revisionsgericht ohne Weiteres auffindbaren Beweisantrags bezeichnen, dem das LSG nicht gefolgt ist. Dafür muss nicht nur die Stellung des Antrags, sondern auch aufgezeigt werden, über welche im Einzelnen bezeichneten Punkte Beweis erhoben werden sollte. Denn Merkmal eines substantiierten Beweisantrags ist eine bestimmte Tatsachenbehauptung und die Angabe des Beweismittels für diese Tatsache. Diese ist möglichst präzise und bestimmt zu behaupten, und es ist zumindest hypothetisch zu umreißen, was die Beweisaufnahme ergeben hätte. Nur dies versetzt die Vorinstanz in die Lage, die Entscheidungserheblichkeit des Antrags zu prüfen und gegebenenfalls seine Ablehnung im Sinne des § 160 Abs 2 Nr 3 SGG ausreichend zu begründen. Unbestimmte bzw unsubstantiierte Beweisanträge brauchen dem Gericht dagegen keine Beweisaufnahme nahezulegen (stRspr; zB BSG Beschluss vom 1.7.2021 - B 9 SB 73/20 B - juris RdNr 11; BSG Beschluss vom 2.6.2017 - B 9 V 16/17 B - juris RdNr 6).
Solche Darlegungen enthält die Beschwerde nicht. Der Kläger meint, angesichts des Gutachtens des Sachverständigen M hätte der Sachverhalt zumindest weiter aufgeklärt werden müssen. Er legt aber nicht substantiiert - mit Angabe des Wortlauts und der Fundstelle in den Akten - dar, im Berufungsverfahren einen dahingehenden prozessordnungsgemäßen Beweisantrag gestellt zu haben (vgl BSG Beschluss vom 11.4.2022 - B 9 SB 59/21 B - juris RdNr 7; BSG Beschluss vom 22.3.2018 - B 12 KR 78/17 B - juris RdNr 13; BSG Beschluss vom 6.12.2017 - B 5 R 156/17 B - juris RdNr 11). Es ist nicht Aufgabe des Beschwerdegerichts, ein umfangreiches Aktenstudium durchzuführen, um einen solchen Beweisantrag zu identifizieren (BSG Beschluss vom 11.7.2013 - B 3 KR 6/13 B - juris RdNr 15). Allein der Vortrag des Klägers, er habe im Berufungsverfahren die Vernehmung seiner Mutter beantragt, genügt daher nicht.
Ohnehin kann ein - wie der Kläger - in der Berufungsinstanz anwaltlich vertretener Beteiligter nur dann mit der Rüge des Übergehens eines Beweisantrags gehört werden, wenn er diesen nicht nur gestellt, sondern auch bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung aufrechterhalten hat oder das Gericht den Beweisantrag in seinem Urteil wiedergibt (stRspr; vgl zB BSG Beschluss vom 3.4.2020 - B 9 SB 71/19 B - juris RdNr 11; BSG Beschluss vom 29.3.2007 - B 9a VJ 5/06 B - SozR 4-1500 § 160 Nr 13 RdNr 11). Diese Grundsätze gelten auch dann, wenn - wie hier - das LSG von der ihm durch § 153 Abs 4 SGG eingeräumten Möglichkeit Gebrauch gemacht hat, die Berufung ohne mündliche Verhandlung durch Beschluss zurückzuweisen, wenn es sie einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält. Der in einem solchen Fall den Beteiligten zugestellten Anhörungsmitteilung nach § 153 Abs 4 SGG muss jedenfalls ein anwaltlich vertretener Beteiligter auch entnehmen, dass das Berufungsgericht keine weitere Sachaufklärung mehr beabsichtigt und dass es etwaige schriftsätzlich gestellte Beweisanträge lediglich als Beweisanregungen, nicht aber als förmliche Beweisanträge im Sinne des § 160 Abs 2 Nr 3 SGG ansieht. Nach Zugang der Anhörungsmitteilung muss daher der Beteiligte, der schriftsätzlich bereits gestellte Beweisanträge aufrechterhalten will, dem LSG ausdrücklich die Aufrechterhaltung dieser Anträge mitteilen oder neue förmliche Beweisanträge stellen (stRspr; zB BSG Beschluss vom 30.8.2022 - B 9 SB 17/22 B - juris RdNr 7; BSG Beschluss vom 16.7.2019 - B 13 R 150/19 B - juris RdNr 14). Entsprechende Ausführungen enthält die Beschwerdebegründung nicht.
Soweit der Kläger darüber hinaus meint, die Erwägungen des LSG im Zusammenhang mit seinem Informatikstudium trügen den Beschluss nicht, und er auch nicht damit einverstanden ist, dass das LSG nicht den Ausführungen des Sachverständigen M gefolgt sei, wendet er sich gegen dessen Beweiswürdigung. Diese ist jedoch gemäß § 160 Abs 2 Nr 3 Halbsatz 2 SGG der Beurteilung durch das Revisionsgericht vollständig entzogen. Kraft der darin enthaltenen ausdrücklichen gesetzlichen Regelung kann die Beweiswürdigung des Berufungsgerichts (§ 128 Abs 1 Satz 1 SGG) mit der Nichtzulassungsbeschwerde weder unmittelbar noch mittelbar angegriffen werden (stRspr; zB BSG Beschluss vom 1.7.2020 - B 9 SB 5/20 B - juris RdNr 10 mwN).
2. Ebenfalls nicht dargelegt hat der Kläger eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache.
Grundsätzliche Bedeutung im Sinne des § 160 Abs 2 Nr 1 SGG hat eine Rechtssache nur dann, wenn sie eine Rechtsfrage aufwirft, die über den Einzelfall hinaus aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts einer Klärung durch das Revisionsgericht bedürftig und fähig ist. Der Beschwerdeführer muss daher anhand des anwendbaren Rechts und unter Berücksichtigung der höchstrichterlichen Rechtsprechung angeben, welche Fragen sich stellen, dass diese noch nicht geklärt sind, weshalb eine Klärung dieser Rechtsfragen aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts erforderlich ist und dass das angestrebte Revisionsverfahren eine Klärung erwarten lässt. Ein Beschwerdeführer muss mithin, um seiner Darlegungspflicht zu genügen, eine Rechtsfrage, ihre (abstrakte) Klärungsbedürftigkeit, ihre (konkrete) Klärungsfähigkeit (Entscheidungserheblichkeit) sowie die über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung der von ihm angestrebten Entscheidung (so genannte Breitenwirkung) darlegen (stRspr; zB BSG Beschluss vom 27.8.2020 - B 9 V 5/20 B - juris RdNr 6 mwN).
Klärungsbedürftig ist eine Rechtsfrage, wenn sie höchstrichterlich weder tragend entschieden noch präjudiziert ist und die Antwort nicht von vornherein praktisch außer Zweifel steht, so gut wie unbestritten ist oder sich unmittelbar aus dem Gesetz ergibt. Um die Klärungsbedürftigkeit ordnungsgemäß darzulegen, muss sich der Beschwerdeführer daher ua mit der einschlägigen Rechtsprechung des BSG auseinandersetzen (stRspr; zB BSG Beschluss vom 21.8.2017 - B 9 SB 11/17 B - juris RdNr 8 mwN).
Diese Anforderungen verfehlt die Beschwerdebegründung. Für grundsätzlich bedeutsam hält der Kläger die Frage nach der "Anwendung der versorgungsmedizinischen Grundsätze auf Fälle der vorliegenden Art bei diagnostizierter seelischer Behinderung".
Damit hat er indes schon keine hinreichend konkrete Rechtsfrage zur Auslegung, zum Anwendungsbereich oder zur Vereinbarkeit einer bestimmten, genau bezeichneten revisiblen Norm des Bundesrechts (vgl § 162 SGG) mit höherrangigem Recht bezeichnet (vgl hierzu BSG Beschluss vom 30.9.2021 - B 9 V 25/21 B - juris RdNr 7) und sich erst recht nicht damit auseinandergesetzt, ob sich diese Frage nicht bereits mithilfe des Wortlauts der (in Anlage zu § 2 Versorgungsmedizin-Verordnung geregelten) Versorgungsmedizinischen Grundsätze (VMG), einschlägiger Auskünfte oder Beschlüsse des Ärztlichen Sachverständigenbeirats Versorgungsmedizin beim Bundesministerium für Arbeit und Soziales (vgl hierzu BSG Urteil vom 27.10.2022 - B 9 SB 4/21 R - SozR 4 ≪vorgesehen≫ - juris RdNr 27 ff; BSG Beschluss vom 27.8.2020 - B 9 SB 4/20 B - juris RdNr 8) und/oder der höchstrichterlichen Rechtsprechung beantworten lässt (vgl hierzu BSG Beschluss vom 6.3.2020 - B 9 SB 86/19 B - juris RdNr 6). Insbesondere geht die Beschwerde auch nicht auf die Rechtsprechung des BSG zu den Besonderheiten der Beurteilung der Hilflosigkeit bei Kindern und Jugendlichen nach Teil A Nr 5 VMG sowie zur Änderung der tatsächlichen Verhältnisse ein, nach denen die Hilflosigkeit zu beurteilen ist, wenn der hilfsbedürftige Behinderte volljährig wird (vgl BSG Beschluss vom 8.6.2020 - B 9 SB 66/19 B - juris RdNr 14 mwN).
Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab (vgl § 160a Abs 4 Satz 2 Halbsatz 2 SGG).
3. Die Beschwerde ist somit ohne Zuziehung der ehrenamtlichen Richter als unzulässig zu verwerfen (§ 160a Abs 4 Satz 1 Halbsatz 2, § 169 Satz 2 und 3 SGG).
4. Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.
Fundstellen
Dokument-Index HI15741836 |