Entscheidungsstichwort (Thema)
Unmittelbare Anwendung des § 96 SGG. Ersetzen des vorläufigen Degressions- und Honorarbescheides. Unterlassen einer Verbindung mehrerer separat anhängig gemachter Streitsachen. kein Verfahrensmangel
Orientierungssatz
1. Ein Berufungsgericht geht ersichtlich und zutreffend von einem Fall unmittelbarer Anwendung des § 96 SGG aus, wenn es ausführt, dass ein Bescheid sowohl den vorläufigen Degressionsbescheid als auch den vorläufigen Honorarbescheid "ersetzt". Der Hinweis auf die "(Teil-)Identität" betrifft dabei nicht die Voraussetzung für ein "Ersetzen" iS von § 96 Abs 1 SGG - dh eine Identität des Regelungsgegenstands des früheren und des nachfolgenden Bescheids -, sondern den Umstand, dass die ursprünglich in getrennten Bescheiden geregelten Streitgegenstände "Degression" bzw "Honorarverteilung" nunmehr in einem einzigen Bescheid zusammengefasst wurden.
2. Das Unterlassen einer Verbindung mehrerer separat anhängig gemachter Streitsachen begründet keinen Verfahrensmangel, auf dem die Sachentscheidung zu den verschiedenen Streitgegenständen beruhen kann.
Normenkette
SGG § 96 Abs. 1 Fassung: 2008-03-26, § 113 Fassung: 1975-09-23; ZPO § 547 Fassung: 2005-12-05; SGG § 202 Fassung: 1975-09-23, § 160 Abs. 2 Nr. 3 Fassung: 2008-10-30
Verfahrensgang
Nachgehend
Tatbestand
Streitig ist die Rechtmäßigkeit der Festsetzung eines Degressionsabzugs für das Jahr 1999 und hier insbesondere die Zulässigkeit der Fortführung einer hiergegen isoliert erhobenen Klage nach Erlass eines kombinierten Honorar- und Degressionsbescheids während des Berufungsverfahrens.
Der Kläger ist seit Juli 1998 im Bezirk der beklagten Kassenzahnärztlichen Vereinigung zur vertragszahnärztlichen Versorgung zugelassen. Er brachte für das Jahr 1999 gegenüber der Beklagten Leistungen im Umfang von insgesamt 420.232 Punkten zur Abrechnung; dies entsprach einem Gesamtleistungsbedarf von 721.628,35 DM. Die Beklagte setzte zunächst mit Bescheid vom 29.3.2000 vorläufig einen Degressionsabzug für 1999 in Höhe von 13.567,60 DM fest und behielt diesen Betrag ein. Sodann erließ sie am 5.4.2000 einen vorläufigen Jahreshonorarbescheid für 1999 und setzte darin das Honorar des Klägers für die "budgetrelevanten Leistungen" (Leistungsbedarf 536.689,77 DM) nach den Regelungen des Honorarverteilungsmaßstabs (HVM) ohne Berücksichtigung der Degressionsabzüge auf 330.642,82 DM fest. Insgesamt ergab sich für den Kläger ein Jahreshonorar von 515.581,40 DM brutto bzw - unter Berücksichtigung aller Abzüge (Verwaltungskosten 8.298,72 DM, Sicherungs-Honorareinbehalt 3.306,43 DM, Degressionsabzug 13.567,60 DM) - von 490.408,65 DM netto.
Der Kläger hat nach erfolglosen Widerspruchsverfahren sowohl gegen den vorläufigen Jahreshonorarbescheid - am 17.4.2001 - (vgl Parallelverfahren B 6 KA 43/08 B) als auch gegen den vorläufigen Degressionsbescheid - am 11.6.2001 - Klage erhoben. Das Sozialgericht (SG) hat den Rechtsbehelf gegen den vorläufigen Degressionsbescheid aufgrund fehlender Beschwer des Klägers abgewiesen (Urteil vom 5.11.2003) , die Beklagte jedoch zur Neubescheidung des Jahreshonoraranspruchs verurteilt, weil die erforderliche Berücksichtigung des vorrangigen Degressionsabzugs bei der Budgetierung im Rahmen des HVM nicht ordnungsgemäß erfolgt sei (Urteil vom 30.6.2004) . Während der Berufungsverfahren hat die Beklagte am 26.2.2004 einen weiteren Bescheid erlassen, mit dem sie dem Kläger für 1999 Härtefallzahlungen in Höhe von 31.557,59 Euro (= 61.721,28 DM) bewilligt, hiervon jedoch einen weiteren Degressionsbetrag in Höhe von 1.972,78 DM in Abzug gebracht hat (Gesamtdegressionsbetrag damit 15.630,38 DM); dieser Härtefallbescheid ist Gegenstand eines gesonderten Verfahrens (Az des Landessozialgerichts ≪LSG≫: L 3 KA 82/07) .
Am 23.6.2005 haben die Beklagte und die beigeladenen Krankenkassen(verbände) zur Bereinigung längerer Auseinandersetzungen einen "Vertrag zur Degression 1999 bis 2003" mit näheren Regelungen zur Berücksichtigung der Degressionsabzüge im Rahmen der Honorarverteilung gemäß dem Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) vom 21.5.2003 (B 6 KA 25/02 R) vereinbart. Auf dessen Grundlage hat die Beklagte am 6.4.2006 einen neuen Jahreshonorar- und Degressionsbescheid für 1999 erlassen. Dieser sieht nach vorrangigem Abzug der Degressionsbeträge (insgesamt 20.382 DM) ein nach Budgetierung verbleibendes Jahreshonorar von 509.913,48 DM sowie einen Verwaltungskostenabzug von 5.864,01 DM vor, was insgesamt (netto) einen Betrag von 483.667,47 DM ergibt. Unter Berücksichtigung des Härtefallzuschlags von 61.721,28 DM abzüglich des darauf entfallenden Degressionsabzugs von 2.061,49 DM hat der Kläger für 1999 Honorar in Höhe von 543.327,26 DM ausgezahlt erhalten. Der Bescheid vom 6.4.2006 enthält den Hinweis, dass durch ihn der vorläufige Jahreshonorarbescheid vom 5.4.2004 ersetzt, der Härtefallbescheid vom 26.2.2004 hinsichtlich des darauf entfallenden Degressionsbetrags geändert und der (vorläufige) Degressionsbescheid vom 29.3.2000 in der Fassung des Härtefallbescheids aufgehoben werde; er werde mithin gemäß § 96 SGG Gegenstand der beim LSG anhängigen Verfahren L 3 KA 472/03 und L 3 KA 156/04.
Im weiteren Verfahren vor dem LSG hat die Beklagte eine Verbindung der Streitsachen zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung beantragt; dem ist der Prozessbevollmächtigte des Klägers (Schriftsatz vom 10.3.2006, Bl 199 SG-Akte) und auch der Kläger selbst (Schriftsatz vom 11.3.2006 im Verfahren L 3 KA 156/04, dort Bl 182 SG-Akte) entgegengetreten. Das LSG hat sodann beide Verfahren am 9.4.2008 mündlich verhandelt; es hat in getrennten Urteilen die Berufungen des Klägers gegen die SG-Urteile zurückgewiesen und jeweils die Klage gegen den Bescheid vom 6.4.2006 abgewiesen. Das LSG hat ausgeführt, die Klage gegen die Degressionsbescheide für das Jahr 1999 (Az: L 3 KA 472/03) sei im Verlauf des Berufungsverfahrens unzulässig geworden, weil ihr die Rechtshängigkeit der Klage gegen den Jahreshonorarbescheid (Az: L 3 KA 156/04) entgegenstehe. Da der Jahreshonorar- und Degressionsbescheid vom 6.4.2006 die in den jeweiligen Berufungsverfahren streitbefangenen Bescheide ersetzt habe, gehe es in beiden Verfahren nur noch um die Rechtmäßigkeit dieses Bescheids. Aufgrund der Verzahnung der Degressionsfestsetzung mit der Honorarfestsetzung in diesem Bescheid sei es nicht mehr möglich, isoliert über einzelne Teile zu befinden. Somit sei die später erhobene Klage - Verfahren L 3 KA 472/03 - wegen entgegenstehender Rechtshängigkeit des Verfahrens L 3 KA 156/04 unzulässig geworden, was von Amts wegen zu beachten sei. In dem Urteil zum Verfahren L 3 KA 156/04 (vgl Parallelverfahren B 6 KA 43/08 B) hat das LSG unter Nr 4 der Entscheidungsgründe (S 20 ff) ausführlich dargelegt, weshalb es die Degressionsabzüge im Bescheid vom 6.4.2004 als rechtmäßig bewertet hat.
Mit seiner Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des LSG zum Verfahren L 3 KA 472/03 macht der Kläger eine Abweichung von der Rechtsprechung des BSG sowie einen Verfahrensmangel geltend.
Entscheidungsgründe
Die Beschwerde des Klägers hat keinen Erfolg.
1. Soweit der Kläger eine Abweichung des Berufungsurteils von der Rechtsprechung des BSG geltend macht ( Zulassungsgrund gemäß § 160 Abs 2 Nr 2 SGG) , ist seine Beschwerde unzulässig, weil eine Divergenz nicht in der erforderlichen Weise dargetan ist.
Wer den Zulassungsgrund der Divergenz geltend machen will, muss gemäß § 160a Abs 2 Satz 3 iVm § 160 Abs 2 Nr 2 SGG in der Beschwerdebegründung entscheidungstragende Rechtssätze im Berufungsurteil und in einer höchstrichterlichen Entscheidung einander gegenüberstellen und näher darlegen, weshalb sie nicht miteinander vereinbar sind und inwiefern die Entscheidung des LSG auf dieser Abweichung beruht (vgl BSG SozR 4-1500 § 160 Nr 10 RdNr 4; Nr 13 RdNr 17). Diesen Anforderungen wird das Vorbringen des Klägers nicht gerecht.
Der Kläger rügt, das LSG habe es für eine Anwendung des § 96 SGG ausreichen lassen, dass die Verfahren L 3 KA 472/03 und L 3 KA 156/04 "(teil-)identische Streitgegenstände" hätten, während nach der Rechtsprechung des BSG (Urteil vom 7.2.1996 - 6 RKa 61/94 - BSGE 77, 279 = SozR 3-2500 § 85 Nr 10, sowie Urteil vom 8.5.2007 - B 2 U 14/06 R - BSGE 98, 229 = SozR 4-2700 § 153 Nr 2) eine Teilidentität gerade nicht genüge, vielmehr insbesondere bei zwischenzeitlich veränderter Rechtslage eine entsprechende Anwendung des § 96 SGG ausscheide. Damit hat er keinen Rechtssatz des LSG aufgezeigt, der einem vom BSG aufgestellten Rechtssatz widerspricht. Das Berufungsgericht ist ersichtlich und zutreffend von einem Fall unmittelbarer Anwendung des § 96 SGG (in der zum Zeitpunkt seiner Entscheidung maßgeblichen Fassung von Art 1 Nr 16 des Gesetzes zur Änderung des Sozialgerichtsgesetzes und des Arbeitsgerichtsgesetzes vom 26.3.2008, BGBl I 444) ausgegangen, wenn es ausgeführt hat, der Bescheid vom 6.4.2006 habe sowohl den vorläufigen Degressionsbescheid vom 29.3.2000 als auch den vorläufigen Honorarbescheid vom 5.4.2000 "ersetzt". Sein Hinweis auf die "(Teil-)Identität" betrifft dabei nicht die Voraussetzung für ein "Ersetzen" iS von § 96 Abs 1 SGG - dh eine Identität des Regelungsgegenstands des früheren und des nachfolgenden Bescheids (Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 9. Aufl 2008, § 96 RdNr 4a) -, sondern den Umstand, dass die ursprünglich in getrennten Bescheiden geregelten Streitgegenstände "Degression" bzw "Honorarverteilung" nunmehr in einem einzigen Bescheid zusammengefasst wurden. Dieser neue Bescheid ist somit im Verhältnis zu den vorangegangenen Bescheiden nur hinsichtlich je einer Teilregelung - insoweit aber vollständig - ersetzend bzw im Streitgegenstand identisch. Hingegen befassen sich die vom Kläger angeführten Aussagen zweier BSG-Entscheidungen mit den Voraussetzungen einer analogen Anwendung des § 96 SGG in Konstellationen, in denen ein Beitrags- bzw Honorarbescheid für einen bestimmten Zeitraum durch einen nachfolgenden Bescheid für einen späteren Zeitraum gerade nicht ersetzt, sondern in diesem lediglich in demselben Sinne auf derselben tatsächlichen und rechtlichen Grundlage fortgeführt wird. Einander widersprechende Aussagen zu derselben Rechtsfrage hat der Kläger damit nicht benannt.
Im Übrigen ist die frühere Rechtsprechung des BSG zu einer analogen Anwendung des § 96 SGG (vgl zuletzt BSG SozR 4-1500 § 96 Nr 4 RdNr 15 ff; BSG SozR 4-5671 Anl 1 Nr 4302 Nr 2 RdNr 13) infolge der zum 1.4.2008 wirksam gewordenen Änderung dieser Vorschrift hinfällig geworden (vgl Gesetzentwurf der Bundesregierung, BT-Drucks 16/7716, S 18 f - zu Nr 16 ≪§ 96≫; s auch Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, aaO, RdNr 5a); eine entscheidungserhebliche Abweichung zu dieser Rechtsprechung ist somit nicht mehr möglich.
2. Der vom Kläger außerdem gerügte Verfahrensmangel (Zulassungsgrund gemäß § 160 Abs 2 Nr 3 SGG) liegt nicht vor. Wegen eines Verfahrensmangels kann die Revision nach dieser Vorschrift grundsätzlich nur zugelassen werden, wenn auf ihm die angefochtene Entscheidung beruhen kann. Anderes gilt gemäß § 202 SGG iVm § 547 ZPO lediglich im Falle bestimmter Verfahrensmängel, bei denen eine Kausalität der Verletzung verfahrensrechtlicher Vorschriften für das abschließende Urteil gesetzlich vermutet wird (sog absolute Revisionsgründe).
Absolute Revisionsgründe iS von § 547 ZPO macht der Kläger nicht geltend. Dieser beanstandet vielmehr, das LSG habe bei pflichtgemäßer Ermessensausübung die drei von ihm betriebenen Berufungsverfahren im Zusammenhang mit seinem Honoraranspruch für das Jahr 1999 gemäß § 113 SGG verbinden müssen, um ihm wirkungsvollen Rechtsschutz zu gewähren. Das Unterlassen einer Verbindung mehrerer separat anhängig gemachter Streitsachen begründet jedoch keinen Verfahrensmangel, auf dem die Sachentscheidung zu den verschiedenen Streitgegenständen beruhen kann.
Die Entscheidung über eine Verbindung liegt gemäß § 113 Abs 1 SGG ("kann") im Ermessen des Gerichts (BSG, Beschluss vom 28.8.1989 - 2 BU 128/89 - juris RdNr 6) . Auch wenn es dieses Ermessen pflichtgemäß entsprechend dem Zweck der Regelung ausüben muss, rationellen und effektiven Rechtsschutz zu gewähren, darf es dabei doch berücksichtigen, dass der um Rechtsschutz nachsuchende Kläger einer Verbindung der Verfahren ausdrücklich widersprochen hat; in einem solchen Fall kann kein pflichtwidriges Unterlassen der Verbindung angenommen werden. So verhält es sich hier, denn sowohl der Kläger als auch sein Prozessbevollmächtigter haben sich ausdrücklich gegen den Antrag der Beklagten auf Verbindung der Verfahren gewandt. Da das LSG dieser Forderung des Klägers nachgekommen ist, erscheint eine von ihm anschließend hierauf gestützte Verfahrensrüge zudem als widersprüchlich bzw rechtsmissbräuchlich. Zudem ist nicht erkennbar, inwiefern die unterlassene Verfahrensverbindung Einfluss auf den Inhalt der Sachentscheidung in dem hier streitgegenständlichen Verfahren gehabt haben könnte. Wenn der Kläger in diesem Zusammenhang auf seine Argumente in Bezug auf die Rechtswidrigkeit eines Degressionseinbehalts von der nachträglichen Härtefallzahlung hinweist, so betrifft das nicht den hier gegenständlichen Rechtsstreit, sondern das Verfahren L 3 KA 156/04 (B 6 KA 43/08 B), in dem sich das LSG auf der Grundlage seiner Rechtsauffassung zu den verfahrensrechtlichen Folgen der Ersetzung zweier separater Bescheide durch einen einheitlichen Jahreshonorar- und Degressionsbescheid auch inhaltlich mit der Rechtmäßigkeit der Degressionsabzüge auseinandergesetzt hat.
Von einer weiteren Begründung sieht der Senat gemäß § 160a Abs 4 Satz 2 Halbsatz 2 SGG ab.
Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung von § 193 Abs 1 und 4 SGG in der bis zum 1.1.2002 geltenden - im Hinblick auf die Klageerhebung im Jahr 2001 hier noch anwendbaren - Fassung.
Fundstellen