Entscheidungsstichwort (Thema)
Kindererziehungszeit. Berücksichtigungszeit. Gleichzeitige. Feststellung zugunsten des Kindesvaters und der Kindesmutter. Gemeinsame Erziehung. Rechtsfrage. Klärungsbedürftigkeit. Verfassungsrechtliches Gebot, die Pflege- und Erziehungstätigkeit der Eltern zu unterstützen. Gleichheitsgrundsatz. Divergenz
Leitsatz (redaktionell)
1. Eine Rechtsfrage ist dann nicht klärungsbedürftig, wenn die Antwort praktisch außer Zweifel steht, sich z.B. unmittelbar aus dem Gesetz ergibt oder bereits höchstrichterlich geklärt ist.
2. Als höchstrichterlich geklärt ist eine Rechtsfrage auch dann anzusehen, wenn das Revisionsgericht bzw. das BVerfG diese zwar noch nicht ausdrücklich entschieden hat, jedoch schon eine oder mehrere höchstrichterliche Entscheidungen ergangen sind, die ausreichende Anhaltspunkte zur Beurteilung der von der Beschwerde als grundsätzlich herausgestellten Rechtsfrage geben.
3. Konkrete Ansprüche auf bestimmte staatliche Leistungen lassen sich aus dem allgemeinen verfassungsrechtlichen Gebot, die Pflege- und Erziehungstätigkeit der Eltern zu unterstützen, nicht herleiten.
4. Der Gleichheitsgrundsatz will ausschließen, dass eine Gruppe von Normadressaten im Vergleich zu anderen Normadressaten anders behandelt wird, obwohl zwischen beiden Gruppen keine Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht bestehen, dass sie die ungleiche Behandlung rechtfertigen können.
5. Eine Abweichung liegt folglich nicht schon dann vor, wenn die Entscheidung des LSG nicht den Kriterien entspricht, die das BSG aufgestellt hat, sondern erst, wenn das LSG diesen Kriterien widersprochen, also eigene rechtliche Maßstäbe entwickelt hat.
Normenkette
SGG § 160 Abs. 2 Nrn. 1-2, § 160a Abs. 2 S. 3, Abs. 4 S. 1, § 169 Sätze 2-3; GG Art. 3, 6 Abs. 2; SGB VI § 56 Abs. 2 S. 2
Verfahrensgang
SG Meiningen (Entscheidung vom 28.03.2017; Aktenzeichen S 20 R 2387/15) |
Thüringer LSG (Urteil vom 10.01.2019; Aktenzeichen L 9 2 R 760/17) |
Tenor
Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Thüringer Landessozialgerichts vom 10. Januar 2019 wird als unzulässig verworfen.
Die Beteiligten haben einander für das Beschwerdeverfahren keine Kosten zu erstatten.
Gründe
Mit Urteil vom 10.1.2019 hat das Thüringer LSG einen Anspruch des Klägers auf Feststellung der Zeit vom 27.6.2014 bis 26.8.2014 als Kindererziehungszeit und Berücksichtigungszeit verneint. Zur Begründung hat es darauf hingewiesen, dass die Zeit nach den gesetzlichen Regelungen der Beigeladenen als Kindesmutter zuzuordnen sei. Eine gleichzeitige Feststellung dieser Zeit auch zugunsten des Klägers als Kindesvater sei versicherungsrechtlich trotz der gemeinsamen Erziehung des Kindes durch beide Elternteile nicht möglich.
Gegen die Nichtzulassung der Revision in diesem Urteil hat der Kläger Beschwerde beim BSG eingelegt. Er beruft sich auf die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG) und Divergenz (§ 160 Abs 2 Nr 2 SGG).
Die Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers ist unzulässig, weil sie nicht formgerecht begründet ist.
Die Revision ist nur zuzulassen, wenn
- die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG),
- das Urteil von einer Entscheidung des BSG, des GmSOGB oder des BVerfG abweicht und auf dieser Abweichung beruht (aaO Nr 2) oder
- ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann (aaO Nr 3).
Derartige Gründe werden in der Beschwerdebegründung nicht nach Maßgabe der Erfordernisse des § 160a Abs 2 S 3 SGG dargetan. Die Beschwerde ist daher gemäß § 160a Abs 4 S 1 iVm § 169 SGG zu verwerfen.
1. Eine Rechtssache hat nur dann grundsätzliche Bedeutung, wenn sie eine Rechtsfrage aufwirft, die über den Einzelfall hinaus aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts einer Klärung durch das Revisionsgericht bedürftig und fähig ist. Der Beschwerdeführer muss daher anhand des anwendbaren Rechts und unter Berücksichtigung der höchstrichterlichen Rechtsprechung angeben, welche Fragen sich stellen, dass diese noch nicht geklärt sind, weshalb eine Klärung dieser Rechtsfragen aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts erforderlich ist und dass das angestrebte Revisionsverfahren eine Klärung erwarten lässt. Ein Beschwerdeführer muss mithin, um seiner Darlegungspflicht zu genügen, eine Rechtsfrage, ihre (abstrakte) Klärungsbedürftigkeit, ihre (konkrete) Klärungsfähigkeit (Entscheidungserheblichkeit) sowie die über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung der von ihm angestrebten Entscheidung (so genannte Breitenwirkung) darlegen (zum Ganzen vgl BSG SozR 3-1500 § 160a Nr 34 S 70 mwN). Diesen Anforderungen wird die vorliegende Beschwerdebegründung nicht gerecht.
Der Kläger vertritt die Rechtsansicht, dass die Regelung, nach der die Kindererziehungszeiten nur einem Elternteil zugeordnet würden, auch wenn beide Elternteile gemeinsam die elterliche Sorge wahrnähmen, gegen Art 3 GG verstoße, der eine gleichberechtigte Berücksichtigung der Elternerziehungszeiten grundsätzlich vorgebe, und auch Art 6 Abs 2 GG widerspreche. Nach dem Verständnis des Senats wirft der Kläger damit die Frage auf, ob § 56 Abs 2 S 2 SGB VI, nach dem die Erziehungszeit bei gemeinsamer Erziehung des Kindes durch mehrere Elternteile nur einem Elternteil zugeordnet wird, mit Art 3 Abs 1 GG und Art 6 Abs 2 GG vereinbar sei.
Der Kläger hat allerdings deren Klärungsbedürftigkeit nicht schlüssig dargetan.
Eine Rechtsfrage ist dann nicht klärungsbedürftig, wenn die Antwort praktisch außer Zweifel steht, sich zB unmittelbar aus dem Gesetz ergibt oder bereits höchstrichterlich geklärt ist. Als höchstrichterlich geklärt ist eine Rechtsfrage auch dann anzusehen, wenn das Revisionsgericht bzw das BVerfG diese zwar noch nicht ausdrücklich entschieden hat, jedoch schon eine oder mehrere höchstrichterliche Entscheidungen ergangen sind, die ausreichende Anhaltspunkte zur Beurteilung der von der Beschwerde als grundsätzlich herausgestellten Rechtsfrage geben (vgl BSG SozR 3-1500 § 160 Nr 8 S 17). Im Hinblick hierauf muss in der Beschwerdebegründung unter Auswertung der Rechtsprechung des BSG bzw des BVerfG zu dem Problemkreis substantiiert vorgetragen werden, dass zu diesem Fragenbereich noch keine höchstrichterliche Entscheidung gefällt worden oder durch die schon vorliegenden Urteile und Beschlüsse die hier maßgebende Frage von grundsätzlicher Bedeutung noch nicht beantwortet ist (Krasney/Udsching/Groth, Handbuch des sozialgerichtlichen Verfahrens, 7. Aufl 2016, Kap IX RdNr 183 mwN).
Hieran fehlt es. Die Beschwerdebegründung setzt sich nicht mit den einschlägigen verfassungsrechtlichen Entscheidungen auseinander. Soweit mit der Nichtzulassungsbeschwerde ein Verfassungsverstoß geltend gemacht wird, muss der Beschwerdeführer unter Auswertung der einschlägigen Rechtsprechung des BVerfG und des BSG zu der gerügten Verfassungsnorm und der ihr zugrunde liegenden Prinzipien und Grundsätze in substantieller Argumentation darlegen, woraus sich im konkreten Fall die Verfassungswidrigkeit ergeben soll. Entsprechender substantiierter Vortrag fehlt hier.
Insbesondere geht der Kläger nicht auf den Beschluss des BVerfG vom 7.2.2012 (1 BvL 14/07 - BVerfGE 130, 240 = SozR 4-7835 Art 1 Nr 1, Juris) ein. In dieser Entscheidung hat das BVerfG ausgeführt, dass sich aus der in Art 6 Abs 1 und 2 GG normierten Schutz- und Förderpflicht zwar die Aufgabe des Staates ergebe, die Pflege- und Erziehungstätigkeit der Eltern durch geeignete wirtschaftliche Maßnahmen zu unterstützen und zu fördern. Konkrete Ansprüche auf bestimmte staatliche Leistungen ließen sich aus dem allgemeinen verfassungsrechtlichen Gebot, die Pflege- und Erziehungstätigkeit der Eltern zu unterstützen, jedoch nicht herleiten (BVerfG aaO, Juris RdNr 38 mit Verweis auf BVerfGE 82, 60, 81 f; 87, 1, 36; 107, 205, 213; 110, 412, 445). Warum sich angesichts dieser Rechtsprechung aus Art 6 Abs 2 GG die Verpflichtung des Staates ergeben soll, beiden Elternteilen bei gemeinsamer Erziehung des Kindes einen Anspruch auf Zuerkennung der Kindererziehungszeit in vollem Umfang einzuräumen, legt die Beschwerdebegründung nicht dar.
Ebenso wenig geht der Kläger schlüssig auf die Rechtsprechung des BVerfG zu Art 3 Abs 1 GG ein. Nach der ständigen Rechtsprechung des BVerfG (vgl nur Beschluss vom 21.11.2001 - 1 BvL 19/93 ua - BVerfGE 104, 126 = SozR 3-8570 § 11 Nr 5, Juris RdNr 56), auf die die Beschwerdebegründung selbst hinweist, gebietet Art 3 Abs 1 GG, alle Menschen vor dem Gesetz gleich zu behandeln. Damit ist dem Gesetzgeber allerdings nicht jede Differenzierung verwehrt. Der Gleichheitsgrundsatz will vielmehr ausschließen, dass eine Gruppe von Normadressaten im Vergleich zu anderen Normadressaten anders behandelt wird, obwohl zwischen beiden Gruppen keine Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht bestehen, dass sie die ungleiche Behandlung rechtfertigen können.
Der Kläger zeigt schon nicht auf, im Verhältnis zu welcher Gruppe von Normadressaten er anders behandelt wird. Die von ihm sinngemäß benannte Gruppe der Kindesmütter erfährt durch § 56 Abs 2 S 2 SGB VI keine andere Behandlung als die der Kindesväter. Bestimmen die Eltern bei gemeinsamer Erziehung durch übereinstimmende Erklärung, dass dem Kindesvater die Erziehungszeit zuzuordnen ist (§ 56 Abs 2 S 3 SGB VI), erhält er die Zeit zuerkannt. Der Kindesmutter wird in diesem Fall nach der Regelung des § 56 Abs 2 S 2 SGB VI trotz geleisteter Erziehung keine Kindererziehungszeit zugeordnet, ebenso wie der Kindesvater trotz gemeinsamer Erziehung keine Kindererziehungszeit erhält, wenn beide Elternteile übereinstimmend erklären, dass die Zeit der Kindesmutter zugeordnet werden soll.
2. Divergenz iS von § 160 Abs 2 Nr 2 SGG liegt vor, wenn die tragenden abstrakten Rechtssätze, die zwei Entscheidungen zugrunde gelegt worden sind, nicht übereinstimmen. Sie kommt nur dann in Betracht, wenn das LSG einen tragenden abstrakten Rechtssatz in Abweichung von einem vorhandenen abstrakten Rechtssatz des BSG, des GmSOGB oder des BVerfG aufgestellt hat. Eine Abweichung liegt folglich nicht schon dann vor, wenn die Entscheidung des LSG nicht den Kriterien entspricht, die das BSG aufgestellt hat, sondern erst, wenn das LSG diesen Kriterien widersprochen, also eigene rechtliche Maßstäbe entwickelt hat. Nicht die Unrichtigkeit der Entscheidung im Einzelfall, sondern die Nichtübereinstimmung im Grundsätzlichen begründet die Zulassung der Revision wegen Abweichung. Darüber hinaus verlangt der Zulassungsgrund der Divergenz, dass das angefochtene Urteil auf der Abweichung beruht. Bezogen auf die Darlegungspflicht bedeutet das vorstehend Gesagte, dass die Beschwerdebegründung erkennen lassen muss, welcher abstrakte Rechtssatz in der höchstrichterlichen Entscheidung enthalten ist und welcher im Urteil des LSG enthaltene Rechtssatz dazu im Widerspruch steht; ferner muss aufgezeigt werden, dass auch das Revisionsgericht die oberstgerichtliche Rechtsprechung in einem künftigen Revisionsverfahren seiner Entscheidung zugrunde zu legen haben wird (zum Ganzen vgl BSG SozR 3-1500 § 160a Nr 34 S 72 mwN). Diesen Darlegungserfordernissen wird die Beschwerdebegründung ebenfalls nicht gerecht.
Der Kläger rügt eine Abweichung der angefochtenen Entscheidung von dem Urteil des BSG vom 10.10.2018 (B 13 R 20/15 R ≪richtig: B 13 R 20/16 R≫ - Juris RdNr 29, auch zu Veröffentlichung in BSGE und SozR 4-2600 § 56 Nr 9 vorgesehen), soweit dieses die Grundsätze des Gleichbehandlungsgebots aus Art 3 Abs 1 GG im Lichte der Rechtsprechung des BVerfG darstellt.
Der Kläger hat bereits keinen tragenden abstrakten Rechtssatz des LSG herausgestellt, mit dem dieses dem genannten Urteil des BSG widersprochen habe. Der Kläger sieht einen Widerspruch darin, dass in seinem Fall keine Rechts- und Sachgründe für eine unterschiedliche Behandlung der Beigeladenen als Kindesmutter und ihm als Kindesvater im Hinblick auf die Zuordnung der Kindererziehungszeit bestünden, weil beide das Kind gemeinsam erzogen hätten. Damit macht der Kläger lediglich geltend, das LSG habe die Grundsätze des Gleichbehandlungsgebots falsch angewendet. Eine Divergenz iS des § 160 Abs 2 Nr 2 SGG liegt jedoch nicht schon dann vor, wenn das Berufungsgericht einen höchstrichterlichen Rechtssatz vermeintlich falsch angewendet hat. Die Bezeichnung einer Abweichung im Sinne der Norm setzt vielmehr die Darlegung voraus, dass das Berufungsgericht die höchstrichterliche Rechtsprechung im angefochtenen Urteil in Frage stellt. Dies ist nicht der Fall, wenn es eine höchstrichterliche Entscheidung in ihrer Tragweite für den entschiedenen Fall lediglich missverstanden oder verkannt haben sollte (vgl BSG SozR 3-1500 § 160a Nr 34 S 73 mwN). Dass das LSG die vom BVerfG aufgestellten Grundsätze des Gleichbehandlungsgebots iS von Art 3 Abs 1 GG in Frage gestellt und abweichende eigene Maßstäbe entwickelt hat, lässt sich der Beschwerdebegründung nicht entnehmen.
Von einer weiteren Begründung wird abgesehen (vgl § 160a Abs 4 S 2 Halbs 2 SGG).
Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 Abs 1 und 4 SGG.
Fundstellen
Haufe-Index 13287164 |
NJW 2020, 10 |