Verfahrensgang

SG Münster (Entscheidung vom 26.08.2021; Aktenzeichen S 11 SO 28/17)

LSG Nordrhein-Westfalen (Beschluss vom 22.05.2022; Aktenzeichen L 9 SO 410/21)

 

Tenor

Der Antrag des Klägers, ihm für das Verfahren der Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision im Beschluss des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 20. Mai 2022 - L 9 SO 410/21 - Prozesskostenhilfe zu bewilligen und einen Rechtsanwalt beizuordnen, wird abgelehnt.

 

Gründe

I

Der Kläger begehrt höhere Grundsicherungsleistungen ua unter Berücksichtigung eines Mehrbedarfs wegen kostenaufwändiger Ernährung.

Der Kläger bezieht neben einer Rente wegen voller Erwerbsminderung von der Deutschen Rentenversicherung (DRV) Bund in Höhe von monatlich rund 230 Euro von der Beklagten seit dem 1.9.2016 ergänzend Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung (Grundsicherungsleistungen) nach dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch - Sozialhilfe (SGB XII), ua vom 1.9.2016 bis 31.8.2017 (Bescheid vom 5.9.2016; Änderungsbescheide vom 5.10.2016, 8.12.2016, 16.1.2017; Widerspruchsbescheid vom 24.1.2017; monatlicher Zahlbetrag rund 630 Euro). Die auf Bewilligung von höheren Leistungen für den genannten Bewilligungsabschnitt wegen kostenaufwändiger Ernährung und Leistungen auch für den Monat August 2016 gerichtete Klage hat keinen Erfolg gehabt (Urteil des Sozialgerichts ≪SG≫ Münster vom 26.8.2021; Beschluss des Landessozialgerichts ≪LSG≫ Nordrhein-Westfalen vom 20.5.2022).

Der Kläger hat Prozesskostenhilfe (PKH) für ein Verfahren der Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision im bezeichneten Beschluss sowie die Beiordnung eines Rechtsanwalts beantragt.

II

Der Antrag auf Bewilligung von PKH ist nicht begründet. PKH ist nur zu bewilligen, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint (§ 73a Abs 1 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz ≪SGG≫ iVm § 114 Zivilprozessordnung ≪ZPO≫); daran fehlt es hier. Hinreichende Aussicht auf Erfolg wäre nur zu bejahen, wenn einer der drei in § 160 Abs 2 SGG abschließend aufgeführten Zulassungsgründe durch einen zugelassenen Prozessbevollmächtigten (§ 73 Abs 4 SGG) mit Erfolg geltend gemacht werden könnte; denn nur diese Gründe können zur Zulassung der Revision führen.

Der Rechtssache kommt nach Aktenlage keine grundsätzliche Bedeutung zu (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG); denn sie wirft keine Rechtsfrage auf, die - über den Einzelfall hinaus - aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts einer Klärung durch das Revisionsgericht bedürftig und fähig ist. Die vom Kläger im Anschluss an das Verwaltungsverfahren aufgeworfenen Fragen sind in der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) allesamt geklärt. Es ist bereits geklärt, unter welchen Voraussetzungen ein Mehrbedarf für kostenaufwändige Ernährung nach § 30 Abs 5 SGB XII in Betracht kommt (vgl nur BSG vom 9.6.2011 - B 8 SO 11/10 R - FEVS 63, 294; BSG vom 27.2.2008 - B 14/7b AS 64/06 R - SozR 4-4200 § 21 Nr 2). Nach dieser Rechtsprechung ist insbesondere ein objektives Erfordernis einer besonderen Kostform aus physiologischen Gründen Voraussetzung; ein bestimmtes Ernährungsverhalten oder ein besonderer Umgang mit Lebensmitteln, dem keine spezifische, physiologisch bestimmte Kostform zugrunde liegt, löst dagegen keinen Anspruch auf Mehrbedarf aus (vgl BSG vom 20.1.2016 - B 14 AS 8/15 R - SozR 4-4200 § 21 Nr 25). Auch die Voraussetzungen für eine abweichende Bemessung des Regelsatzes auf Grundlage von § 27a Abs 4 SGB XII sind geklärt. Zu überprüfen ist, ob sich ein höherer Anspruch auf der Grundlage einer unabweisbaren, erheblich vom durchschnittlichen Bedarf abweichenden Bedarfslage ergibt (BSG vom 15.11.2012 - B 8 SO 6/11 R - BSGE 112, 188 = SozR 4-3500 § 49 Nr 1, RdNr 25; BSG vom 24.3.2015 - B 8 SO 22/13 R - RdNr 14 f), wobei ebenfalls geklärt ist, dass eine bestimmte Ernährungsweise, die nicht auf physiologische Gründe zurückgeht, aus dem Regelsatz zu bestreiten ist und ein ggf gegenüber dem statistisch ermittelten Durchschnittsbetrag höherer Bedarf in einem Lebensbereich regelmäßig durch geringere Ausgaben in einem anderen auszugleichen ist (BSG vom 10.5.2011 - B 4 AS 100/10 R - SozR 4-4200 § 21 Nr 12 zur sog Vollkost; ablehnend gegenüber einem religionsspezifischen Mehrbedarf bereits BSG vom 27.2.2008 - B 14/7b AS 32/06 R - BSGE 100, 83 = SozR 4-4200 § 20 Nr 6, RdNr 43). Schließlich hat das BSG auch bereits entschieden, unter welchen Voraussetzungen Kenntnis (§ 18 Abs 1 SGB XII) von einem Bedarfsfall vorliegt und die Verpflichtung des Sozialhilfeträgers zu weiteren Ermittlungen auslöst (vgl zuletzt BSG vom 5.9.2019 - B 8 SO 20/18 R - SozR 4-3500 § 18 Nr 5 RdNr 12 mwN). Anhaltspunkte dafür, dass eine Divergenzrüge (§ 160 Abs 2 Nr 2 SGG) Aussicht auf Erfolg versprechen könnte, bestehen nach dem Vorstehenden ebenso wenig.

Es ist auch nicht erkennbar, dass ein Verfahrensmangel (§ 160 Abs 2 Nr 3 SGG) mit Aussicht auf Erfolg geltend gemacht werden könnte, sodass auch aus diesem Grund die Gewährung von PKH ausscheidet. Die Auffassung des SG, die Klage sei nicht zulässig gewesen, ist zwar ebenso in Zweifel zu ziehen, wie die Auffassung des LSG, der Wert des Beschwerdegegenstands für eine Berufung sei nicht erreicht (§ 144 Abs 1 SGG). Es ist aber nicht erkennbar, dass der Verfahrensfehler eines Prozessurteils statt eines Sachurteils mit Erfolg geltend gemacht werden könnte; denn die beabsichtigte Rechtsverfolgung hat in der Sache keine hinreichende Aussicht auf Erfolg.

Unter Zugrundelegung der in der Rechtsprechung des BSG entwickelten Maßstäbe besteht kein Anspruch auf einen Mehrbedarf wegen kostenaufwändiger Ernährung (§ 30 Abs 5 SGB XII). Es ist nach dem vorliegenden Gutachten der DRV, dem vorgelegten Bericht des behandelnden Facharztes für Neurologie und der von der Beklagten veranlassten amtsärztlichen Stellungnahme nicht erkennbar, dass bei dem diagnostizierten Krankheitsbild ausschließlich auf psychiatrischem Fachgebiet eine besondere Kostform aus physiologischen Gründen notwendig wird. Soweit der Kläger geltend gemacht hat, aus religiösen Gründen einen besonderen Bedarf wegen kostenaufwändiger koscherer Ernährung zu haben, kommt ein solcher Bedarf als Mehrbedarf - wie aufgezeigt - nicht in Betracht. Auch für das Vorliegen der Voraussetzungen einer im Einzelfall vom Regelsatz abweichenden individuellen Bedarfsbemessung (§ 42 Nr 1 iVm § 27a Abs 4 Satz 1 SGB XII) ist nichts ersichtlich. Eine vollwertige Ernährung ist grundsätzlich aus dem Regelsatz zu bestreiten. Es ist nicht erkennbar, dass für eine vollwertige Ernährung entsprechend der jüdischen Speisevorschriften - die behauptete Zugehörigkeit zur jüdischen Religionsgemeinschaft unterstellt - anderes gelten könnte, insbesondere weil nach diesen Vorschriften pflanzliche Lebensmittel (Obst, Gemüse, Getreide) ebenso wie Kuhmilch sowie Hühnereier, die auch Grundlage einer Vollkost sind, nicht ausgeschlossen sind. Individuell verschiedene Ernährungsweisen oder -gewohnheiten sind überdies im Regelbedarf abgebildet, weshalb es zumutbar ist, gelegentlich auftretende höhere Aufwendungen etwa für Fleisch ebenfalls aus dem Regelsatz zu bestreiten (vgl zur Ermittlung der Regelbedarfe im Hinblick auf Ernährungsbedarfe BSG vom 10.5.2011 - B 4 AS 100/10 R - SozR 4-4200 § 21 Nr 12 RdNr 32 f).

Hinreichende Erfolgsaussicht besteht auch nicht, soweit der Kläger einen Leistungsanspruch für den Monat August 2016 geltend macht. Die Beklagte hatte schon keine Kenntnis von einem Bedarfsfall bereits im August 2016 (vgl § 18 SGB XII) und keine Veranlassung zu weiteren Ermittlungen; denn der Kläger hat bei persönlichen Vorsprachen am 8.8.2016 sowie am 24.8.2016 und mit E-Mail vom 31.8.2016 unter Hinweis auf den laufenden Bezug von Krankengeld erklärt, Hilfe zum Lebensunterhalt bzw Grundsicherungsleistungen erst ab dem 1.9.2016 in Anspruch nehmen zu wollen (vgl BSG vom 5.9.2019 - B 8 SO 20/18 R - SozR 4-3500 § 18 Nr 5 RdNr 12). Zudem ist für eine Bedürftigkeit nichts ersichtlich. Seinen Regelbedarf konnte der Kläger mit einem Krankengeldbezug in Höhe von monatlich rund 660 Euro bis jedenfalls einschließlich August 2016 decken. Bedarfe für Unterkunft und Heizung sind für August 2016 nicht angefallen; der Mietvertrag des Klägers mit seinen Eltern über die Anmietung einer Wohnung in deren Haus ist erst im Laufe des August 2016 für die Zeit ab dem 1.9.2016 abgeschlossen worden.

Da dem Kläger keine PKH zusteht, kommt auch die Beiordnung eines Rechtsanwalts gemäß § 73a Abs 1 Satz 1 SGG iVm § 121 ZPO nicht in Betracht.

Krauß 

Scholz

Richter am BSG Prof. Dr. Luik ist wegen … an der Signatur gehindert

gez. Krauß

 

Fundstellen

Dokument-Index HI16148660

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