Verfahrensgang

Schleswig-Holsteinisches LSG (Urteil vom 17.06.2022; Aktenzeichen L 3 AL 24/20)

SG Itzehoe (Entscheidung vom 19.02.2020; Aktenzeichen S 34 AL 12/17)

 

Tenor

Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Schleswig-Holsteinischen Landessozialgerichts vom 17. Juni 2022 wird als unzulässig verworfen.

Außergerichtliche Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.

 

Gründe

1. Die Nichtzulassungsbeschwerde ist unzulässig, weil ein Zulassungsgrund (§ 160 Abs 2 SGG) nicht in der erforderlichen Weise dargelegt bzw bezeichnet worden ist (§ 160a Abs 2 Satz 3 SGG). Die Beschwerde ist daher ohne Zuziehung ehrenamtlicher Richter zu verwerfen (§ 160a Abs 4 Satz 1 Halbsatz 2 SGG, § 169 SGG).

a) Grundsätzliche Bedeutung (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG) hat eine Rechtssache nur, wenn sie eine Rechtsfrage aufwirft, die über den Einzelfall hinaus aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts einer Klärung durch das Revisionsgericht bedürftig und fähig ist. Die Darlegung einer grundsätzlichen Bedeutung erfordert, dass eine konkrete Rechtsfrage klar formuliert wird. Weiter muss ihre (abstrakte) Klärungsbedürftigkeit, ihre (konkrete) Klärungsfähigkeit im jeweiligen Rechtsstreit (Entscheidungserheblichkeit) sowie die über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung der angestrebten Entscheidung (sog Breitenwirkung) aufgezeigt werden (stRspr; vgl etwa BSG vom 25.9.2002 - B 7 AL 142/02 B - SozR 3-1500 § 160a Nr 34 S 70 mwN).

In der Beschwerdebegründung ist aufzuzeigen, welche rechtliche Frage sich zu einer bestimmten Norm des Bundesrechts iS des § 162 SGG stellt (zuletzt BSG vom 20.10.2021 - B 12 R 2/21 B juris RdNr 16; BSG vom 4.1.2022 - B 11 AL 58/21 B - juris RdNr 3; BSG vom 14.4.2022 - B 4 AS 4/22 B - juris RdNr 3). Die Beschwerdebegründung muss daher eine aus sich heraus verständliche abstrakt-generelle Rechtsfrage zur Auslegung, zum Anwendungsbereich oder zur Vereinbarkeit einer konkreten revisiblen Norm des Bundesrechts mit höherrangigem Recht formulieren (zuletzt BSG vom 12.8.2021 - B 12 R 11/21 B - juris RdNr 8; BSG vom 8.9.2021 - B 11 AL 42/21 B - juris RdNr 3 mwN; BSG vom 18.10.2021 - B 9 V 29/21 B - juris RdNr 7; BSG vom 20.10.2021 - B 5 R 230/21 B - juris RdNr 3; BSG vom 4.1.2022 - B 11 AL 58/21 B - juris RdNr 3; BSG vom 14.4.2022 - B 4 AS 4/22 B - juris RdNr 3).

Diese Voraussetzungen sind hier nicht erfüllt. Der Kläger hält für klärungsbedürftig, "wie mit Arbeitnehmern umzugehen ist, die kurz vor Anordnung [...] eines vorläufigen Insolvenzverfahrens hinsichtlich des Insolvenzgelds zugehen ist". Hiermit wird weder eine nachvollziehbare Frage formuliert noch wird deutlich, zur Auslegung welcher Norm des Bundesrechts eine revisionsrechtliche Entscheidung herbeigeführt werden soll. Auch lässt sich der knappen Beschwerdebegründung nicht entnehmen, inwieweit die angedeutete Fragestellung für den vorliegenden Fall entscheidungserheblich ist. Soweit die Beschwerdebegründung im Folgenden auf § 142 Abs 2 Satz 2 InsO hinweist, wird der Fallbezug ebenfalls nicht deutlich. Auf den Vorwurf, das LSG habe § 142 Abs 2 Satz 2 InsO übersehen, kann die Grundsatzrüge zulässigerweise ohnehin nicht gestützt werden. Zudem deutet die Beschwerdebegründung an, dass es zu § 142 Abs 2 Satz 2 InsO bereits Rechtsprechung des BAG gebe. Der Kläger legt aber nicht dar, weswegen dann insoweit noch höchstrichterlicher Klärungsbedarf besteht. Die der Klärungsbedürftigkeit entgegenstehende bereits erfolgte Klärung einer Rechtsfrage kann auch durch einen anderen obersten Gerichtshof des Bundes erfolgt sein; sie steht dann der Klärung durch das BSG gleich (BSG vom 11.3.2021 - B 11 AL 47/20 B - juris RdNr 5; BSG vom 19.8.2021 - B 4 AS 181/21 B - juris RdNr 4; Voelzke in Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGG, 2. Aufl 2022, § 160 RdNr 96).

b) Eine Abweichung (Divergenz) iS von § 160 Abs 2 Nr 2 SGG ist nur dann hinreichend dargelegt, wenn aufgezeigt wird, mit welcher genau bestimmten entscheidungserheblichen rechtlichen Aussage die angegriffene Entscheidung des LSG von welcher ebenfalls genau bezeichneten rechtlichen Aussage des BSG, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes (GmSOGB) oder des BVerfG abweicht. Eine Abweichung liegt nicht schon vor, wenn die angefochtene Entscheidung nicht den Kriterien entsprechen sollte, die das BSG, der GmSOGB oder das BVerfG aufgestellt haben, weil die Unrichtigkeit einer Entscheidung im Einzelfall nicht die Zulassung einer Revision wegen Abweichung rechtfertigt. Erforderlich ist vielmehr, dass das LSG diesen Kriterien widersprochen und über den Einzelfall hinausgehende andere rechtliche Maßstäbe entwickelt hat. Nicht die - behauptete - Unrichtigkeit der Entscheidung im Einzelfall, sondern die fehlende Übereinstimmung im Grundsätzlichen kann die Zulassung wegen Abweichung begründen (stRspr; vgl etwa BSG vom 25.9.2002 - B 7 AL 142/02 B - SozR 3-1500 § 160a Nr 34; Voelzke in Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGG, 2. Aufl 2022, § 160 RdNr 121).

Diese Anforderungen sind nicht erfüllt. Zwar behauptet die Beschwerdebegründung eine Abweichung vom Urteil des Senats vom 3.11.2021 (B 11 AL 4/20 R - zur Veröffentlichung in BSGE 133, 76 und SozR 4-4300 § 165 Nr 4 vorgesehen). Sie legt aber weder einen Rechtssatz des BSG noch einen solchen des LSG dar. Der Hinweis auf den dem Urteil des Senats bei der Veröffentlichung beigefügten Leitsatz reicht zur Benennung eines Rechtssatzes des BSG im Übrigen schon deswegen nicht aus, weil Leitsätze nicht Bestandteil einer Gerichtsentscheidung sind (vgl § 136 Abs 1 SGG). Für die Frage, ob ein Gericht einen Rechtssatz im Sinne der Revisionszulassungsgründe aufgestellt hat, kommt es daher nur auf die Entscheidungsgründe selbst an (BSG vom 22.12.2021 - B 5 R 163/21 B - juris RdNr 10 mwN; BSG vom 27.4.2022 - B 11 AL 6/22 B - juris RdNr 4).

c) Nach § 160 Abs 2 Nr 3 SGG ist die Revision zuzulassen, wenn ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann; der geltend gemachte Verfahrensmangel kann nicht auf eine Verletzung der §§ 109 (Anhörung eines bestimmten Arztes) und 128 Abs 1 Satz 1 SGG (freie richterliche Beweiswürdigung) und auf eine Verletzung des § 103 SGG (Aufklärung des Sachverhalts von Amts wegen) nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist. Wer eine Nichtzulassungsbeschwerde auf diesen Zulassungsgrund stützt, muss zu seiner Bezeichnung (§ 160a Abs 2 Satz 3 SGG) die diesen Verfahrensmangel des LSG (vermeintlich) begründenden Tatsachen substantiiert dartun, also die Umstände schlüssig darlegen, die den entscheidungserheblichen Mangel ergeben sollen (stRspr; siehe bereits BSG vom 29.9.1975 - 8 BU 64/75 - SozR 1500 § 160a Nr 14; Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 13. Aufl 2020, § 160a RdNr 16 mwN). Darüber hinaus ist aufzuzeigen, dass und warum die Entscheidung - ausgehend von der Rechtsansicht des LSG - auf dem Mangel beruhen kann, also die Möglichkeit der Beeinflussung des Urteils besteht (stRspr; vgl bereits BSG vom 18.2.1980 - 10 BV 109/79 - SozR 1500 § 160a Nr 36).

Der Kläger bezeichnet indes auch einen Verfahrensfehler nicht hinreichend. Er rügt, dass das LSG den "falschen" Zeugen befragt habe, weil es nicht den Insolvenzverwalter selbst, sondern einen Sachbearbeiter vernommen und die Höhe der Aktiva nicht ermittelt habe. Soweit der Kläger damit einen Fehler im Verfahren der Beweisaufnahme (§ 118 SGG iVm §§ 373 ff ZPO) geltend machen will, begründet er nicht schlüssig, gegen welche Verfahrensregelung das Gericht verstoßen haben soll. Der Verweis darauf, dass das Amt des Insolvenzverwalters höchstpersönlich vorzunehmen sei, begründet nicht die grundsätzliche Fehlerhaftigkeit der Vernehmung eines Sachbearbeiters als Zeugen. Auf die Rüge fehlerhafter Würdigung der Zeugenaussage kann die Beschwerde indes nicht gestützt werden. Soweit der Kläger damit eine unterlassene Beweiserhebung durch das LSG rügt, behauptet er nicht einmal, hierauf bezogene Beweisanträge in der mündlichen Verhandlung aufrechterhalten zu haben; dies aber ist erforderlich (stRspr; BSG vom 9.9.2019 - B 14 AS 114/18 B - juris RdNr 7 mwN; BSG vom 11.12.2019 - B 13 R 164/18 B - juris RdNr 11; BSG vom 22.2.2022 - B 4 AS 288/21 B - juris RdNr 7).

Soweit der Kläger schließlich kurz die Fragen der Häufigkeit der von ihm gestellten Insolvenzgeldanträge und der Sittenwidrigkeit seines Arbeitsvertrags anspricht, möchte er damit wohl rügen, dass das LSG (nach seiner Auffassung) falsch entschieden habe. Mit diesem Vorwurf als solchem kann aber weder ein Verfahrensmangel noch ein sonstiger Revisionszulassungsgrund zulässigerweise geltend gemacht werden.

2. Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 Abs 1 Satz 1, Abs 4 SGG.

Meßling

B. Schmidt

Burkiczak

 

Fundstellen

Dokument-Index HI15523864

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