Entscheidungsstichwort (Thema)
Darlegungspflicht bei Nichtzulassungsbeschwerde wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache bzw. Divergenz
Orientierungssatz
1. Die Revision ist nach § 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG nur zuzulassen, wenn die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat. Die Darlegung des Beschwerdeführers erfordert die Formulierung einer bestimmten abstrakten Rechtsfrage, welcher in dem Rechtstreit eine grundsätzliche, über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung beigemessen wird.
2. Wird vom Beschwerdeführer keine abstrakte Rechtsfrage formuliert, sondern stellt dieser ausschließlich auf den vom LSG entschiedenen Einzelfall ab, so ist die Beschwerde als unzulässig zu verwerfen.
3. Bei nach § 160 Abs. 2 Nr. 2 SGG geltend gemachter Divergenz liegt die hierzu erforderliche Abweichung von einer Entscheidung des BSG dann vor, wenn das LSG den vom BSG aufgestellten Kriterien widersprochen und über den Einzelfall hinausgehende andere rechtliche Maßstäbe entwickelt hat.
Normenkette
SGG § 160 Abs. 2, § 160a
Verfahrensgang
Tenor
Die Beschwerden des Klägers und des Beigeladenen gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg vom 8. Juni 2016 werden als unzulässig verworfen.
Kosten sind nicht zu erstatten.
Gründe
Die Beschwerden gegen die Nichtzulassung der Revision im bezeichneten Urteil des LSG sind als unzulässig zu verwerfen (§ 160a Abs 4 Satz 1 iVm § 169 Satz 2 SGG).
Nach § 160 Abs 2 SGG ist die Revision ua zuzulassen, wenn die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat (Nr 1) oder das Urteil des LSG von einer Entscheidung des BSG abweicht und auf dieser Abweichung beruht (Nr 2). Eine allgemeine Überprüfung des Rechtsstreits in dem Sinne, ob das LSG in der Sache richtig entschieden hat, ist nicht zulässig. Beide hier allein geltend gemachten Zulassungsgründe haben weder der Kläger noch der Beigeladene in den Begründungen ihrer Beschwerden schlüssig dargelegt oder bezeichnet (§ 160a Abs 2 Satz 3 SGG).
Die Darlegung einer grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG) erfordert die Formulierung einer bestimmten abstrakten Rechtsfrage, der in dem Rechtsstreit eine grundsätzliche, über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung beigemessen wird (vgl BSGE 40, 158 = SozR 1500 § 160a Nr 11). Eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache ist gegeben, wenn zu erwarten ist, dass die Revisionsentscheidung die Rechtseinheit in ihrem Bestand erhalten oder die Weiterentwicklung des Rechts fördern wird. Daher ist aufzuzeigen, ob und inwieweit zu der aufgeworfenen Frage bereits Rechtsgrundsätze herausgearbeitet sind und in welchem Rahmen noch eine weitere Ausgestaltung, Erweiterung oder Änderung derselben durch das Revisionsgericht zur Entscheidung des vorliegenden Rechtsstreits erforderlich erscheint (vgl Krasney/Udsching, Handbuch des sozialgerichtlichen Verfahrens, 7. Aufl 2016, IX. Kap, RdNr 65 f). Es ist aufzuzeigen, dass die Klärung der Rechtsfrage im allgemeinen Interesse erforderlich (Klärungsbedürftigkeit) und die Klärung durch das Revisionsgericht zu erwarten (Klärungsfähigkeit) ist (vgl BSG SozR 3-1500 § 160a Nr 16). Hierfür ist eine substantielle Auseinandersetzung mit den einschlägigen oberstgerichtlichen Entscheidungen ebenso erforderlich wie die Darlegung, dass sich aus diesen keine ausreichenden Anhaltspunkte für die Beantwortung der aufgeworfenen Rechtsfrage ergeben (vgl BSG SozR 3-1500 § 160 Nr 8).
Diesen Darlegungsanforderungen werden die Beschwerdebegründungen nicht gerecht. Als grundsätzlich klärungsbedürftig erachtet der Kläger die Frage:
"Erfüllt ein (erwerbsfähiger) suchtabhängiger Bewohner in einer Selbsthilfegemeinschaft (S ) das Tatbestandsmerkmal 'untergebracht' in einer Einrichtung im Sinne von § 13 II SGB XII, 7 IV SGB II, wenn zwar die sächlichen Mittel für den Aufenthalt von einem Träger (hier: Stiftung) zur Verfügung gestellt werden, der Suchtabhängige aber - abgesehen von einem Mietvertrag - keinen Behandlungs-, Therapie- oder sonstigen Vertrag bzw. Hilfeplan vereinbart oder unterzeichnet und das Erlernen des Ziels eines drogenfreien Lebens als Selbsthilfe der suchtabhängigen Bewohner in der Wohngruppe oder bei der Arbeit (in den Zweckbetrieben) untereinander erfolgt, professionelle Betreuer, Ärzte, Therapeuten oder sonstige Fach- und Leitungskräfte für das Erlernen eines drogenfreien Lebens bei der Stiftung nicht tätig sind."
Hiermit ist schon keine abstrakte Rechtsfrage formuliert, vielmehr stellt diese Frage ganz auf den vom LSG entschiedenen Einzelfall ab. Dem entspricht, dass die Beschwerdebegründung des Klägers im Wesentlichen die Subsumtion des LSG unter die vom LSG herangezogenen Maßstäbe in der Rechtsprechung des BSG (BSG Urteil vom 5.6.2014 - B 4 AS 32/13 R - BSGE 116, 112 = SozR 4-4200 § 7 Nr 36) angreift, aber nicht eigens darlegt, dass und warum sich aus dieser Rechtsprechung - der sich der Senat angeschlossen hat (BSG Urteil vom 2.12.2014 - B 14 AS 35/13 R - juris) - keine ausreichenden Anhaltspunkte für die Beantwortung der aufgeworfenen Rechtsfrage ergeben und weshalb deshalb eine weitere Ausgestaltung, Erweiterung oder Änderung dieser Rechtsprechung durch das Revisionsgericht zur Entscheidung des vorliegenden Rechtsstreits erforderlich erscheint. Hierfür genügen nicht die Hinweise auf eine Vielzahl anhängiger Verfahren, auf eine Rechtserheblichkeit der Rechtsfrage für den zu entscheidenden Streitfall und auf frühere Rechtsprechung des BVerwG.
Als grundsätzlich klärungsbedürftig erachtet der Beigeladene die "Rechtsfrage der Einordnung von Institutionen, bei denen der Abschluss von Leistungs- und Vergütungsvereinbarungen nach §§ 75 ff SGB XII nicht möglich ist" bzw die "Rechtsfrage, ob die Einordnung als Einrichtung i.S.v. § 13 Abs. 2 SGB XII / § 7 Abs. 4 SGB II zwingend die Möglichkeit zum Abschluss von Vereinbarungen nach §§ 75 ff SGB XII voraussetzt". Darlegungen dazu, dass und warum diese Frage klärungsbedürftig ist, insbesondere dass und warum sich aus der bereits vorliegenden Rechtsprechung der für die Grundsicherung für Arbeitsuchende zuständigen Senate des BSG keine ausreichenden Anhaltspunkte für die Beantwortung der aufgeworfenen Rechtsfrage ergeben, enthält die Beschwerdebegründung nicht. Auch Darlegungen zur Klärungsfähigkeit lassen sich ihr nicht entnehmen.
Soweit der Beigeladene eine Abweichung (Divergenz) geltend gemacht hat, genügt die Beschwerdebegründung auch insoweit nicht den Anforderungen. Für die Bezeichnung einer Abweichung ist aufzuzeigen, mit welcher genau bezeichneten entscheidungserheblichen rechtlichen Aussage die angefochtene Entscheidung des LSG von welcher ebenfalls genau bezeichneten entscheidungserheblichen rechtlichen Aussage des BSG abweicht. Eine Abweichung liegt nicht schon vor, wenn die angefochtene Entscheidung nicht den Kriterien entsprechen sollte, die das BSG aufgestellt hat, weil die Unrichtigkeit einer Entscheidung im Einzelfall nicht die Zulassung einer Revision wegen Abweichung rechtfertigt. Erforderlich ist vielmehr, dass das LSG diesen Kriterien widersprochen und über den Einzelfall hinausgehende andere rechtliche Maßstäbe entwickelt hat. Nicht die - behauptete - Unrichtigkeit der Entscheidung im Einzelfall, sondern die fehlende Übereinstimmung im Grundsätzlichen vermag die Zulassung der Revision wegen Abweichung zu begründen. Die Beschwerdebegründung muss deshalb erkennen lassen, dass das LSG dem BSG widersprochen und von den bezeichneten rechtlichen Aussagen des BSG abweichende, dh mit diesen unvereinbare eigene rechtliche Maßstäbe entwickelt hat (vgl BSG SozR 1500 § 160a Nr 14, 21, 29, 54 und 67; BSG SozR 3-1500 § 160a Nr 34; Krasney/Udsching, Handbuch des sozialgerichtlichen Verfahrens, 7. Aufl 2016, IX. Kap, RdNr 196 mwN).
Dies lässt sich der Beschwerdebegründung nicht entnehmen. Es wird schon keine entscheidungserhebliche rechtliche Aussage in der angefochtenen Entscheidung des LSG bezeichnet, mit der dieses dem BSG widersprochen haben könnte. Die Begründung beschränkt sich vielmehr auf das Vorbringen, das Urteil des LSG "weicht in den tragenden Urteilsgründen ab S 10 ff von der genannten Entscheidung des BSG vom 5.6.2014 ab und beruht auf dieser Abweichung, indem die Stiftung S zu Unrecht dem Einrichtungsbegriff nach § 7 Abs. 4 SGB II zugeordnet und dem Kläger Sozialleistungen nach SGB II abgesprochen werden" bzw weiche "ab, indem die Stiftung S als leistungserbringende Stelle und damit als Einrichtung definiert wird, obwohl keine Leistungen nach Kap. 5-9 SGB XII erbracht werden und damit die Voraussetzungen des § 13 Abs. 2 SGB XII nicht erfüllt sind". Gerügt wird damit lediglich die Unrichtigkeit der Entscheidung des LSG, nicht aber ergibt sich hieraus, dass das LSG dem BSG widersprochen und von bezeichneten entscheidungserheblichen rechtlichen Aussagen des BSG abweichende, dh mit diesen unvereinbare rechtliche Maßstäbe entwickelt hat.
Die Verwerfung der Beschwerden erfolgt in entsprechender Anwendung des § 169 Satz 3 SGG ohne Zuziehung der ehrenamtlichen Richter.
Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung der §§ 183, 193 SGG.
Fundstellen
Dokument-Index HI10448735 |