Entscheidungsstichwort (Thema)
Nichtzulassungsbeschwerde. Anspruch auf Feststellung der Schwerbehinderteneigenschaft. Einordnung als höchstpersönlichen und nicht vererblichen Anspruch. keine Divergenz zur BSG-Rechtsprechung
Orientierungssatz
1. Nach der Rechtsprechung des Senats ist die formelle Feststellung der Schwerbehinderteneigenschaft durch Verwaltungsakt keine Sozialleistung iS von § 11 SGB 1 (vgl BSG vom 16.12.2014 - B 9 SB 3/13 R = SozR 4-1200 § 66 Nr 7) und stellt erst recht keinen Geldleistungsanspruch dar.
2. Das Urteil des BSG vom 16.2.2012 - B 9 SB 1/11 R = SozR 4-3250 § 69 Nr 15 betrifft die Anforderungen an Klagebefugnis und allgemeines Rechtsschutzbedürfnis, wenn der Schwerbehinderte selber die Feststellung seiner Schwerbehinderteneigenschaft für die Vergangenheit begehrt. Dagegen trifft es keine Aussage zu der vorgelagerten Frage, ob ein Anspruch auf (rückwirkende) Feststellung der Schwerbehinderteneigenschaft trotz § 59 SGB 1 auch über den Tod des behinderten Menschen hinaus fortbesteht.
Normenkette
SGB 9 § 69 Abs. 1 S. 1; SGB 1 § 59 Sätze 1-2, §§ 58, 56, 11; SchwbAwV § 6 Abs. 1 S. 2 Fassung: 1991-07-25; SGG § 160a Abs. 2 S. 3, § 160 Abs. 2 Nr. 2
Verfahrensgang
Tenor
Die Beschwerde der Kläger gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen vom 19. November 2015 wird als unzulässig verworfen.
Die Beteiligten haben einander für das Beschwerdeverfahren keine außergerichtlichen Kosten zu erstatten.
Gründe
I. Die Kläger begehren die rückwirkende Feststellung der Schwerbehinderung ihres verstorbenen Sohnes.
Der Sohn der Kläger wurde am 22.1.1995 geboren und verstarb am 13.5.2012. Im Jahr 2009 beantragten der Sohn und damalige Kläger ua die Feststellung der Schwerbehinderteneigenschaft wegen Asperger-Autismus rückwirkend ab Geburt.
Dagegen stellte das beklagte Land den beantragten Grad der Behinderung (GdB) von 50 erst ab April 2007 fest (Bescheid vom 27.1.2010). Der Widerspruch der Kläger blieb ebenso erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 17.6.2010) wie die anschließende Klage auf Feststellung eines GdB von 50 ab dem dritten Lebensjahr (Urteil vom 23.11.2012).
Das LSG hat die Berufung mit derselben Begründung wie das SG zurückgewiesen. Nachdem der Sohn der Kläger während des Klageverfahrens verstorben war, seien die Kläger nicht mehr berechtigt gewesen, den höchstpersönlichen Anspruch ihres Kindes auf rückwirkende Feststellung der Schwerbehinderteneigenschaft weiter geltend zu machen (Urteil vom 19.11.2015).
Gegen die Nichtzulassung der Revision in dieser Entscheidung haben die Kläger Beschwerde zum BSG eingelegt, weil das LSG von der Rechtsprechung des BSG abgewichen sei. Danach könne auch die beabsichtigte Inanspruchnahme von Steuervorteilen ein besonderes Interesse an einer Feststellung des GdB für Zeiten vor Antragstellung begründen. Zudem könne ein Feststellungsanspruch nach § 69 Abs 1 SGB IX einen laufenden Geldleistungsanspruch nach § 59 S 2 SGB I begründen, was das LSG verkannt habe.
II. Die Nichtzulassungsbeschwerde der Kläger ist unzulässig. Die Begründung genügt nicht den gesetzlichen Anforderungen, weil sie den allein geltend gemachten Zulassungsgrund der Divergenz nicht ordnungsgemäß dargetan hat (vgl § 160a Abs 2 S 3 SGG).
Divergenz iS von § 160 Abs 2 Nr 2 SGG liegt vor, wenn die tragenden abstrakten Rechtssätze, die zwei Entscheidungen zugrunde gelegt worden sind, nicht übereinstimmen. Sie kommt nur dann in Betracht, wenn das LSG einen tragenden abstrakten Rechtssatz in Abweichung von einem vorhandenen abstrakten Rechtssatz des BSG, des GmSOGB oder des BVerfG aufgestellt hat. Wer eine Rechtsprechungsdivergenz entsprechend den gesetzlichen Anforderungen darlegen will, muss entscheidungstragende abstrakte Rechtssätze in der Entscheidung des Berufungsgerichts einerseits und in der herangezogenen höchstrichterlichen Entscheidung des BSG, des GmSOGB oder des BVerfG andererseits gegenüberstellen und dazu ausführen, weshalb beide miteinander unvereinbar sein sollen (vgl zB BSG Beschluss vom 28.7.2009 - B 1 KR 31/09 B - RdNr 4; BSG Beschluss vom 28.6.2010 - B 1 KR 26/10 B - RdNr 4; BSG Beschluss vom 22.12.2010 - B 1 KR 100/10 B - Juris RdNr 4 mwN). Erforderlich ist, dass das LSG bewusst einen abweichenden Rechtssatz aufgestellt hat und nicht etwa lediglich fehlerhaft das Recht angewendet hat (vgl zB BSG Beschluss vom 15.1.2007 - B 1 KR 149/06 B - RdNr 4; BSG SozR 3-1500 § 160 Nr 26 S 44 f mwN).
Zwar trifft es zu, dass die angefochtene Entscheidung den Rechtssatz formuliert, Ansprüche aus § 69 SGB IX seien keine Ansprüche auf Geldleistungen iS von §§ 58, 59 SGB I. Indes legt die Beschwerde nicht dar, warum dieser Rechtssatz der Aussage des von ihr zitierten Urteils B 9 SB 1/11 R widersprechen sollte, die beabsichtigte Inanspruchnahme von Steuervorteilen könne ein besonderes Interesse an der Feststellung des GdB für Zeiten vor der Antragstellung begründen. Das von der Beschwerde zitierte Urteil betrifft die Anwendung von § 6 Abs 1 S 2 Schwerbehindertenausweisverordnung und die daraus resultierenden Anforderungen an Klagebefugnis und allgemeines Rechtsschutzbedürfnis, wenn der Schwerbehinderte selber die Feststellung seiner Schwerbehinderteneigenschaft für die Vergangenheit begehrt. Dagegen trifft es keine Aussage zu der vorgelagerten, für das LSG-Urteil indes maßgeblichen Frage, ob ein Anspruch auf (rückwirkende) Feststellung der Schwerbehinderteneigenschaft trotz § 59 SGB I auch über den Tod des behinderten Menschen hinaus fortbesteht. Zudem setzt sich die Beschwerde nicht mit dem vom LSG zutreffend in Bezug genommenen Senatsurteil auseinander, das ihrer Rechtsansicht von der Vererblichkeit des Feststellungsanspruchs aus § 69 Abs 1 S 1 SGB IX widerspricht (vgl BSGE 66, 120 bis 124 = SozR 3870 § 4 Nr 4).
Soweit die Beschwerde geltend macht, der Anspruch auf Feststellung nach § 69 Abs 1 S 1 SGB IX könne "höchstrichterlich" auch einen laufenden Geldleistungsanspruch gemäß § 59 S 2 SGB IX (richtig wohl SGB I) begründen, so legt sie schon nicht substantiiert dar, welcher Entscheidung des BSG sie diesen Rechtssatz entnehmen will. Vielmehr ist nach der Rechtsprechung des Senats die formelle Feststellung der Schwerbehinderteneigenschaft durch Verwaltungsakt keine Sozialleistung iS von § 11 SGB I und stellt erst recht keinen Geldleistungsanspruch dar. Insoweit ist zwischen dem - hier auch von den Klägern geltend gemachten - Anspruch auf abstrakte Feststellung, den die Behörde durch Erlass des Verwaltungsakts erfüllt, und den verschiedenen konkreten Leistungsansprüchen aus der Feststellung zu unterscheiden. Erst die zur Befriedigung dieser Ansprüche gewährten Leistungen sind Sozialleistungen im Sinne des Gesetzes, weil erst sie für den behinderten Menschen konkrete, zumeist vermögenswerte Vorteile begründen (vgl BSG SozR 4-1200 § 66 Nr 7).
Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab (vgl § 160a Abs 4 S 2 Halbs 2 SGG).
Die Beschwerde ist somit ohne Zuziehung der ehrenamtlichen Richter zu verwerfen (§ 160a Abs 4 S 1 Halbs 2, § 169 SGG).
Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung des § 193 Abs 1 SGG iVm § 183 S 1 und 3 SGG.
Fundstellen