Verfahrensgang

LSG Nordrhein-Westfalen (Urteil vom 30.09.2021; Aktenzeichen L 9 AL 132/19)

SG Detmold (Gerichtsbescheid vom 19.07.2019; Aktenzeichen S 4 AL 446/17)

 

Tenor

Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 30. September 2021 wird als unzulässig verworfen.

Außergerichtliche Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.

 

Gründe

Die Nichtzulassungsbeschwerde ist unzulässig, weil der allein geltend gemachte Zulassungsgrund eines Verfahrensmangels (§ 160 Abs 2 Nr 3 SGG) nicht in der erforderlichen Weise bezeichnet worden ist (§ 160a Abs 2 Satz 3 SGG). Die Beschwerde ist daher ohne Zuziehung ehrenamtlicher Richter zu verwerfen (§ 160a Abs 4 Satz 1 Halbsatz 2, § 169 SGG).

Nach § 160 Abs 2 Nr 3 SGG ist die Revision zuzulassen, wenn ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann; der geltend gemachte Verfahrensmangel kann nicht auf eine Verletzung der §§ 109 SGG (Anhörung eines bestimmten Arztes) und 128 Abs 1 Satz 1 SGG (freie richterliche Beweiswürdigung) und auf eine Verletzung des § 103 SGG (Aufklärung des Sachverhalts von Amts wegen) nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist. Wer eine Nichtzulassungsbeschwerde auf diesen Zulassungsgrund stützt, muss zu seiner Bezeichnung (§ 160a Abs 2 Satz 3 SGG) die diesen Verfahrensmangel des LSG (vermeintlich) begründenden Tatsachen substantiiert dartun, also die Umstände schlüssig darlegen, die den entscheidungserheblichen Mangel ergeben sollen (stRspr; siehe bereits BSG vom 29.9.1975 - 8 BU 64/75 - SozR 1500 § 160a Nr 14; Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 20. Aufl 2020, § 160a RdNr 16 mwN). Darüber hinaus ist aufzuzeigen, dass und warum die Entscheidung - ausgehend von der Rechtsansicht des LSG - auf dem Mangel beruhen kann, also die Möglichkeit der Beeinflussung des Urteils besteht (stRspr; vgl bereits BSG vom 18.2.1980 - 10 BV 109/79 - SozR 1500 § 160a Nr 36).

Der Kläger macht geltend, dass das LSG seinen Anspruch auf rechtliches Gehör (Art 103 Abs 1 GG, § 62 Halbsatz 1 SGG) durch eine Überraschungsentscheidung verletzt habe. Eine Überraschungsentscheidung liegt indes nur vor, wenn das Gericht ohne vorherigen Hinweis Anforderungen an den Sachvortrag stellt oder auf einen rechtlichen Gesichtspunkt abstellt, mit denen auch ein gewissenhafter und kundiger Prozessbeteiligter selbst unter Berücksichtigung der Vielfalt vertretbarer Rechtsauffassungen nach dem bisherigen Prozessverlauf nicht zu rechnen brauchte (stRspr; siehe nur BVerfG vom 7.10.2003 - 1 BvR 10/99 - BVerfGE 108, 341 [345 f] = juris RdNr 14 mwN; BSG vom 4.7.2018 - B 11 AL 22/18 B - juris RdNr 4 mwN; BSG vom 14.12.2020 - B 11 AL 11/20 BH - juris RdNr 5). Jenseits dessen besteht keine allgemeine Hinweispflicht des Gerichts (BVerfG vom 14.7.1998 - 1 BvR 1640/97 - BVerfGE 98, 218 [263] = juris RdNr 162; BSG vom 12.3.2021 - B 4 AS 378/20 B - juris RdNr 6 mwN). Der Verfahrensmangel einer Überraschungsentscheidung ist deshalb nur dann schlüssig bezeichnet, wenn im Einzelnen vorgetragen wird, aus welchen Gründen auch ein gewissenhafter Prozessbeteiligter aufgrund des bisherigen Prozessverlaufs nicht damit rechnen musste, dass das Gericht seine Entscheidung auf einen bestimmten Gesichtspunkt stützt (BSG vom 7.6.2016 - B 13 R 40/16 B - juris RdNr 9; BSG vom 4.7.2018 - B 11 AL 22/18 B - juris RdNr 4; BSG vom 12.3.2021 - B 4 AS 378/20 B - juris RdNr 6). Keine Überraschungsentscheidung liegt etwa vor, wenn die Problematik bereits Gegenstand von Äußerungen der Beteiligten des streitigen Verfahrens war (BSG vom 10.10.2017 - B 12 KR 119/16 B - juris RdNr 41).

Gemessen daran hat der Kläger eine Gehörsverletzung in Form einer Überraschungsentscheidung nicht hinreichend dargelegt. Der Kläger macht geltend, dass das LSG seinen Anspruch auf rechtliches Gehör (Art 103 Abs 1 GG, § 62 Halbsatz 1 SGG) durch eine Überraschungsentscheidung verletzt habe, weil es (unter anderem) darauf abgestellt habe, dass dem Kläger die fachliche Eignung für eine Tätigkeit als Schichtleiter fehle. Er habe darauf vertrauen dürfen, dass das LSG seine Entscheidung allein auf die gesundheitlichen Einschränkungen stützt und keinen neuen Aspekt in das Verfahren einführt, der ihm bislang nicht zur Kenntnis gegeben worden sei und zu dem er sich dementsprechend nicht habe äußern können. Der Kläger legt aber nicht hinreichend dar, weswegen er mit einer solchen Argumentation nicht hätte rechnen müssen. Er zitiert vielmehr selbst aus dem Schriftsatz der Beklagten vom 8.12.2020, in dem diese unter anderem ausführt, dass sich die Vermittlungsbemühungen - unabhängig von den gesundheitlichen Einschränkungen - deswegen nicht auf eine Tätigkeit als Schichtleiter hätten richten können, weil es dem Kläger an der hierfür erforderlichen Ausbildung fehle.

Mit den weiteren Ausführungen macht der Kläger lediglich geltend, dass das LSG im konkreten Fall das Recht unrichtig angewandt und insbesondere eine unzutreffende Beweiswürdigung vorgenommen habe. Indessen können mögliche Fehler bei der Rechtsanwendung im Einzelfall die Zulassung einer Revision nicht rechtfertigen (stRspr; zuletzt etwa BSG vom 8.2.2022 - B 4 AS 268/21 B, B 4 AS 269/21 B - juris RdNr 6 mwN).

Soweit der Kläger in diesem Zusammenhang schließlich moniert, dass das LSG nicht berechtigt gewesen sei, berufskundliche Fragen ohne Einschaltung eines Sachverständigen zu bewerten, ist ebenfalls ein Verfahrensmangel nicht hinreichend bezeichnet. Insofern greift die Einschränkung des § 160 Abs 2 Nr 3 Halbsatz 2 SGG ein, wonach ein Verfahrensmangel auf eine Verletzung des § 103 SGG nur gestützt werden kann, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist. Der Kläger trägt nicht einmal vor, einen entsprechenden Beweisantrag gestellt und in der mündlichen Verhandlung vor dem LSG aufrechterhalten zu haben (vgl nur BSG vom 22.2.2022 - B 4 AS 288/21 B - juris RdNr 7 mwN). Jedenfalls weil - wie oben ausgeführt - eine Überraschungsentscheidung nicht hinreichend dargelegt ist, kann insofern auch nicht zugunsten des Klägers von diesem Erfordernis abgesehen werden.

Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 Abs 1 Satz 1, Abs 4 SGG.

Meßling                                                      B. Schmidt                                                   Burkiczak

 

Fundstellen

Dokument-Index HI15285391

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