Verfahrensgang
Tenor
Die Beschwerde der Beklagten gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen vom 12. Dezember 2017 wird als unzulässig verworfen.
Die Beklagte hat die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen.
Der Streitwert wird auf 4805 Euro festgesetzt.
Gründe
Die Nichtzulassungsbeschwerde ist unzulässig, weil die Beklagte weder den Zulassungsgrund eines Verfahrensmangels, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann, noch den der Divergenz in der gebotenen Weise bezeichnet hat (§ 160a Abs 2 Satz 3 SGG). Die Beschwerde ist daher ohne Zuziehung ehrenamtlicher Richter zu verwerfen (§ 160a Abs 4 Satz 1 Halbsatz 2 SGG, § 169 SGG).
Wird das Vorliegen eines Verfahrensmangels nach § 160 Abs 2 Nr 3 SGG geltend gemacht, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann, so müssen bei der Bezeichnung des Verfahrensmangels wie bei einer Verfahrensrüge innerhalb einer zugelassenen Revision zunächst die diesen Verfahrensmangel des LSG (vermeintlich) begründenden Tatsachen substantiiert dargelegt werden (vgl nur BSG SozR 1500 § 160a Nr 14 und 36; Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 12. Aufl 2017, § 160a RdNr 16 mwN). Darüber hinaus ist die Darlegung zu verlangen, dass und warum die Entscheidung - ausgehend von der Rechtsansicht des LSG - auf dem Mangel beruhen kann, also die Möglichkeit der Beeinflussung des Urteils besteht (BSG SozR 1500 § 160a Nr 36).
Die Beschwerdebegründung der Beklagten, die in der Sache durch einen "Haftungsbescheid" gegenüber der Klägerin als früherer Ehefrau und Rechtsnachfolgerin des verstorbenen A. Y. einen diesem gegenüber festgesetzten Erstattungsanspruch geltend gemacht hat, wird diesen Darlegungserfordernissen nicht gerecht. Die Beklagte rügt, das LSG habe die richterliche Hinweispflicht gemäß § 106 Abs 1 und Abs 2 SGG verletzt, weil es keinen Hinweis auf die aus seiner Sicht Ermessensfehlerhaftigkeit des angefochtenen Bescheides gegeben habe. Gemäß § 62 Halbsatz 1 SGG, der dem schon in Art 103 Abs 1 GG verankerten prozessualen Grundrecht entspricht (vgl Neumann in Hennig, SGG, § 62 RdNr 6 ff, Stand Juni 2015), ist den Beteiligten vor jeder Entscheidung des Gerichts rechtliches Gehör zu gewähren. Die richterliche Hinweispflicht (§ 106 Abs 1 SGG) konkretisiert den Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs (Hauck in Hennig, SGG, § 106 RdNr 10, Stand September 2010) und zielt mit dieser Funktion insbesondere auf die Vermeidung von Überraschungsentscheidungen (vgl BSG vom 26.7.2016 - B 4 AS 47/15 R - BSGE 122, 25 = SozR 4-1500 § 114 Nr 2, RdNr 34). Eine den Anspruch auf rechtliches Gehör verletzende Überraschungsentscheidung liegt allerdings nur vor, wenn das Urteil auf Gesichtspunkte gestützt wird, die bisher nicht erörtert worden sind, und dadurch der Rechtsstreit eine unerwartete Wendung nimmt, mit der auch ein gewissenhafter Prozessbeteiligter nach dem bisherigen Verfahrensverlauf selbst unter Berücksichtigung der Vielzahl vertretbarer Rechtsauffassungen nicht zu rechnen braucht (vgl nur BSG vom 22.4.2015 - B 3 P 8/13 R - BSGE 118, 239 = SozR 4-3300 § 23 Nr 7, RdNr 37; Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 12. Aufl 2017, § 62 RdNr 8b). Der Verfahrensmangel einer Überraschungsentscheidung ist deshalb nur dann schlüssig bezeichnet, wenn im Einzelnen vorgetragen wird, aus welchen Gründen auch ein gewissenhafter Prozessbeteiligter aufgrund des bisherigen Prozessverlaufs nicht damit rechnen musste, dass das Gericht seine Entscheidung auf einen bestimmten Gesichtspunkt stützt (BSG vom 7.6.2016 - B 13 R 40/16 B - juris RdNr 9).
Eine solche unerwartete Verfahrenswendung ist hier nicht nachvollziehbar dargelegt, weil die Beklagte selbst bereits in ihrer Berufungsbegründung auf ihr Ermessen hingewiesen hat, einen von mehreren Gesamtschuldnern auszuwählen und von diesem die Leistung zu fordern. Warum vor diesem Hintergrund die Überprüfung dieser Ermessensausübung durch das LSG für die Beklagte überraschend gewesen sein soll, erschließt sich nicht. Daneben fehlt eine Auseinandersetzung damit, dass Hinweispflichten tatsächliche und rechtliche Würdigungen voraussetzen, die sich regelmäßig erst aufgrund einer abschließenden Beratung des Gerichts ergeben können (vgl BSG vom 26.7.2016 - B 4 AS 47/15 R - BSGE 122, 25 = SozR 4-1500 § 114 Nr 2, RdNr 35 mwN), sodass aufklärende Hinweise zu allen Detailfragen nicht zu verlangen sind.
Soweit die Beschwerde eine fehlende Beiladung der als Erben in Betracht kommenden Kinder des verstorbenen Schuldners als Verfahrensfehler rügt, zeigt sie schon nicht schlüssig auf, warum hier die Voraussetzungen einer notwendigen Beiladung gemäß § 75 Abs 2 Alt 1 SGG überhaupt vorgelegen haben sollen. Die gesamtschuldnerische Haftung trifft jeden Erben gesondert und bewirkt gerade nicht, dass das streitige Rechtsverhältnis ihnen gegenüber nur einheitlich festgestellt werden könnte (so BSG vom 23.8.2013 - B 8 SO 7/12 R - SozR 4-5910 § 92c Nr 2 RdNr 10 mwN). Wenn die Beklagte, die auf dieses Urteil des BSG ausdrücklich hinweist, sinngemäß meint, das LSG vertrete eine hiervon abweichende Rechtsauffassung und hätte deshalb beiladen müssen, ist dies nicht nachvollziehbar. Das LSG hat sich mit der Frage der Beiladung ausführlich befasst und auf die genannte Entscheidung des BSG zur Begründung seiner Auffassung ausdrücklich Bezug genommen.
Eine Divergenz iS des § 160 Abs 2 Nr 2 SGG hat die Beklagte ebenfalls nicht formgerecht dargelegt. Hierzu ist aufzuzeigen, mit welcher genau bestimmten entscheidungserheblichen rechtlichen Aussage die angegriffene Entscheidung des LSG von welcher ebenfalls genau bezeichneten rechtlichen Aussage des BSG, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des BVerfG abweicht (BSG SozR 1500 § 160a Nr 21, 29 und 54). Soweit die Beklagte eine Divergenz in der Antwort auf die Rechtsfrage sieht, ob überhaupt eine Rechtsgrundlage für einen Haftungsbescheid besteht, ist diese nicht entscheidungserheblich. Das LSG hat - wie die Beklagte selbst zutreffend auf Seite 5 ihrer Beschwerdebegründung ausführt - diese Frage offen gelassen und seine Entscheidung allein auf den Gesichtspunkt eines Ermessensfehlers gestützt.
Die damit verbundene, nach Auffassung der Beklagten ebenfalls von BSG-Rechtsprechung abweichende rechtliche Aussage des LSG, dass der Gläubiger Ermessen auszuüben hat bei seiner Entscheidung, ob er seine Forderung gegen einen einzigen oder gegen alle Gesamtschuldner zusammen geltend macht, ist zwar entscheidungserheblich. Doch hat die Beklagte nicht nachvollziehbar dargelegt, dass sich aus dem von ihr genannten Urteil des BSG vom 19.1.1978 (4 RJ 47/77 - BSGE 45, 271 = SozR 1200 § 51 Nr 3) ein hiervon abweichender Rechtssatz ergibt. Denn diese Entscheidung des BSG, die im Übrigen einen Fall der Aufrechnung betraf, war - wie auf Seite 15 der Beschwerdebegründung zutreffend ausgeführt - von der vom BSG berücksichtigten Besonderheit geprägt, dass eine umfassendere Haftung eines einzelnen Gesamtschuldners für Beitragsschulden gesetzlich geregelt ist. Vor diesem Hintergrund erscheint es fraglich und hätte weiterer Darlegungen bedurft, ob die von der Beklagten aus dieser Entscheidung des BSG herausgelesene rechtliche Aussage tatsächlich so getroffen wurde.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a SGG iVm § 154 Abs 2 VwGO, denn, wie das LSG zutreffend erkannt hat, gehören weder die Klägerin noch die Beklagte dem in § 183 SGG genannten Personenkreis an, für den das Verfahren kostenfrei ist.
Die Festsetzung des Streitwerts folgt aus § 197a SGG iVm § 52 Abs 3, § 47 Abs 1 und 3 GKG.
Fundstellen
Dokument-Index HI11956918 |