Entscheidungsstichwort (Thema)
Nichtzulassungsbeschwerde. Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung. Arbeitslosengeld. Erweiterter Bemessungsrahmen. Bemessungszeitraum. Verfassungsmäßigkeit. Substantiierte Darlegung eines Grundrechtseingriffs. Mögliche Rechtfertigung. Verfassungswidrige Ausgestaltung
Leitsatz (redaktionell)
Wird im Rahmen einer Nichtzulassungsbeschwerde die Verfassungsmäßigkeit einer Rechtsnorm infrage gestellt, ist eine substantiierte Darlegung eines Grundrechtseingriffs und sind Überlegungen zu dessen möglicher Rechtfertigung oder einer verfassungswidrigen Ausgestaltung des Leistungsrechts im Übrigen erforderlich.
Normenkette
SGG § 160 Abs. 2 Nr. 1, § 160a Abs. 2 S. 3, Abs. 4 S. 1; SGB III § 152 Abs. 1 S. 1
Verfahrensgang
SG Landshut (Entscheidung vom 07.12.2020; Aktenzeichen S 13 AL 110/19) |
Bayerisches LSG (Urteil vom 23.02.2023; Aktenzeichen L 9 AL 2/21) |
Tenor
Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 23. Februar 2023 wird als unzulässig verworfen.
Außergerichtliche Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.
Gründe
Die Nichtzulassungsbeschwerde ist unzulässig, weil der Kläger den von ihm allein geltend gemachten Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung nicht in der gebotenen Weise dargelegt hat (§ 160a Abs 2 Satz 3 SGG). Die Beschwerde ist daher ohne Zuziehung ehrenamtlicher Richter zu verwerfen (§ 160a Abs 4 Satz 1 Halbsatz 2, § 169 SGG).
Grundsätzliche Bedeutung (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG) hat eine Rechtssache nur, wenn sie eine Rechtsfrage aufwirft, die über den Einzelfall hinaus aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts einer Klärung durch das Revisionsgericht bedürftig und fähig ist. Die Darlegung einer grundsätzlichen Bedeutung erfordert, dass eine konkrete Rechtsfrage klar formuliert wird. Weiter muss ihre (abstrakte) Klärungsbedürftigkeit, ihre (konkrete) Klärungsfähigkeit im jeweiligen Rechtsstreit (Entscheidungserheblichkeit) sowie die über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung der angestrebten Entscheidung (sog Breitenwirkung) aufgezeigt werden (stRspr; vgl etwa BSG vom 25.9.2002 - B 7 AL 142/02 B - SozR 3-1500 § 160a Nr 34 S 70 mwN).
Diesen Darlegungsanforderungen wird die Beschwerdebegründung nicht gerecht.
Der Kläger, der in der Sache höheres Arbeitslosengeld (Alg) begehrt und sich gegen die Festsetzung eines fiktiven Arbeitsentgelts als Grundlage der Bemessung seines Anspruchs durch die Beklagte wendet, misst folgender Frage grundsätzliche Bedeutung bei:
"Kann ein arbeitslos gewordener Mensch, wie die Person des Beschwerdeführers, sein Arbeitslosengeld nur noch auf Basis einer fiktiven, wesentlich geringer entlohnten Vergütung, wie im Fall des Beschwerdeführers als Pförtner oder Hilfsarbeiter, mit einem derart dramatischen Verlust des Arbeitslosengelds der Höhe nach erhalten, weil innerhalb des auf zwei Jahre erweiterten Bemessungsrahmens ein Bemessungszeitraum von mindestens 150 Tagen mit Anspruch auf Arbeitsentgelt nicht festgestellt werden kann?"
Der Senat lässt dahinstehen, ob sich diese Frage ungeachtet ihres Einzelfallbezugs noch als allgemeine Rechtsfrage ansehen lässt. Jedenfalls wird weder ihre Klärungsbedürftigkeit noch ihre Klärungsfähigkeit hinreichend dargelegt.
Die Beschwerdebegründung lässt nicht erkennen, ob der Kläger nicht selbst die gesetzliche Regelung des § 152 Abs 1 Satz 1 SGB III ("Kann ein Bemessungszeitraum von mindestens 150 Tagen mit Anspruch auf Arbeitsentgelt innerhalb des auf zwei Jahre erweiterten Bemessungsrahmens nicht festgestellt werden, ist als Bemessungsentgelt ein fiktives Arbeitsentgelt zugrunde zu legen.") für eindeutig hält. Zumindest setzt er sich in keiner Weise mit Rechtsprechung und Schrifttum zur fiktiven Bemessung des Alg-Anspruchs auseinander. Soweit der Kläger deren Verfassungsmäßigkeit infrage stellt, fehlt es an der substantiierten Darlegung eines Grundrechtseingriffs und an jeder Überlegung zu dessen möglicher Rechtfertigung oder einer verfassungswidrigen Ausgestaltung des Leistungsrechts im Übrigen (siehe zu den diesbezüglichen Darlegungsanforderungen zuletzt BSG vom 4.5.2023 - B 5 R 30/23 B - juris RdNr 16). Nicht nachvollziehbar ist zudem, welche genaue Bedeutung der Kläger dem Urteil des Senats vom 30.8.2018 (B 11 AL 15/17 R - BSGE 126, 217 = SozR 4-4300 § 150 Nr 5) für den vorliegenden Fall zumessen will. In dem entschiedenen Fall ging es um die versicherungs- und beitragsrechtliche Einordnung von während einer unwiderruflichen Freistellung gezahltem und abgerechnetem Arbeitsentgelt.
Der Senat ist auf der Grundlage der Beschwerdebegründung darüber hinaus auch nicht in der Lage, die Entscheidungserheblichkeit der vom Kläger aufgeworfenen Frage zu beurteilen. Denn es fehlt schon an der Darstellung, für welchen Zeitraum dem Kläger Alg bewilligt worden ist, sodass auch die zeitliche Lage des Bemessungsrahmens unklar bleibt. Auch die weiteren Tatsachenfeststellungen des LSG, die für die fiktive Bemessung von Bedeutung sind, lassen sich dem klägerischen Vortrag nicht entnehmen.
Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.
Söhngen |
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Burkiczak |
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B. Schmidt |
Fundstellen
Dokument-Index HI15825232 |