Verfahrensgang

SG Reutlingen (Entscheidung vom 21.07.2021; Aktenzeichen S 4 AS 230/20)

LSG Baden-Württemberg (Beschluss vom 16.12.2021; Aktenzeichen L 13 AS 2798/21)

 

Tenor

Die Beschwerden der Kläger gegen die Nichtzulassung der Revision im Beschluss des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 16. Dezember 2021 werden als unzulässig verworfen.

Kosten sind nicht zu erstatten.

 

Gründe

Die Beschwerden gegen die Nichtzulassung der Revision in der bezeichneten Entscheidung des LSG sind unzulässig (§ 160a Abs 4 Satz 1 iVm § 169 Satz 2 SGG).

Nach § 160 Abs 2 SGG ist die Revision nur zuzulassen, wenn die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat (Nr 1), die Entscheidung des LSG von einer Entscheidung des BSG, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des BVerfG abweicht und auf dieser Abweichung beruht (Nr 2) oder wenn ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann (Nr 3). Eine allgemeine Überprüfung des Rechtsstreits in dem Sinne, ob das LSG in der Sache richtig entschieden hat, ist nicht zulässig. Keinen der in § 160 Abs 2 SGG abschließend aufgeführten Zulassungsgründe haben die Kläger in der Begründung der Beschwerden schlüssig dargelegt oder bezeichnet (§ 160a Abs 2 Satz 3 SGG).

1. Die Kläger haben eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache nicht hinreichend dargelegt. Die Darlegung einer grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG) erfordert die Formulierung einer bestimmten abstrakten Rechtsfrage, der in dem Rechtsstreit eine grundsätzliche, über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung beigemessen wird (vgl BSG vom 22.8.1975 - 11 BA 8/75 - BSGE 40, 158 = SozR 1500 § 160a Nr 11). Es ist aufzuzeigen, dass die Klärung der Rechtsfrage im allgemeinen Interesse erforderlich (Klärungsbedürftigkeit) und die Klärung durch das Revisionsgericht zu erwarten (Klärungsfähigkeit) ist (vgl BSG vom 16.12.1993 - 7 BAr 126/93 - SozR 3-1500 § 160a Nr 16 S 27). Hierfür ist eine Auseinandersetzung mit den einschlägigen höchstrichterlichen Entscheidungen ebenso erforderlich wie die Darlegung, dass sich aus diesen keine ausreichenden Anhaltspunkte für die Beantwortung der aufgeworfenen Rechtsfrage ergeben (vgl BSG vom 21.1.1993 - 13 BJ 207/92 - SozR 3-1500 § 160 Nr 8).

Diesen Darlegungsanforderungen wird die Beschwerdebegründung nicht gerecht. Als grundsätzlich klärungsbedürftig erachten die Kläger die Frage: "Ist bei der rechtlichen Beurteilung der offensichtlichen Unwirtschaftlichkeit oder besonderen Härte der Verwertbarkeit einer von einer Bedarfsgemeinschaft selbst bewohnten Immobilie durch das Tatsachengericht als Abwägungskriterium zu berücksichtigen, ob bei einer Langzeitarbeitslosigkeit des Hauptverdieners mit der Verwertung zwar für den streitbefangenen Zeitabschnitt kurzfristig die Hilfebedürftigkeit der Bedarfsgemeinschaft beseitigt werden kann, sie prognostisch aber - insbesondere in Zeiten einer Pandemie - eher zunehmen wird?"

Die Kläger haben weder eine Klärungsbedürftigkeit noch eine Klärungsfähigkeit dieser Frage hinreichend dargelegt. Soweit sie Bezug nehmen auf Rechtsprechung des BSG zur Frage der Verwertbarkeit von Vermögen (BSG vom 18.9.2014 - B 14 AS 58/13 R - SozR 4-4200 § 12 Nr 24 RdNr 15) und deren offensichtlicher Unwirtschaftlichkeit (ua BSG vom 12.10.2016 - B 4 AS 4/16 R - SozR 4-4200 § 12 Nr 27 RdNr 37 mwN) legen sie nicht dar, inwieweit gleichwohl Klärungsbedarf besteht. Der Hinweis darauf, die bisherige Rechtsprechung verhalte sich nicht dazu, ob ein Verwertungshindernis auch dann vorliege, wenn mit Hilfe der Immobilienverwertung Hilfebedürftigkeit nur "kurzfristig" beseitigt werden könne, weil sich die Einkommens- und Vermögenssituation - zumal unter den Voraussetzungen der "Corona-Pandemie" - prognostisch eher verschlechtere, genügt insoweit nicht. Ohnehin wird nicht klar, warum die Verwertung eines unangemessen großen Hausgrundstücks deshalb eine besondere Härte bedeuten soll, weil die Hilfebedürftigkeit noch länger andauert (vgl zum umgekehrten Fall - unmittelbar und sicher bevorstehendes Ausscheiden aus dem Leistungsbezug - BSG vom 12.10.2016 - B 4 AS 4/16 R - SozR 4-4200 § 12 Nr 27 RdNr 41). Die Kläger legen darüber hinaus auch eine Klärungsfähigkeit der Frage nicht hinreichend dar. Der Beschwerdebegründung lässt sich bereits nicht entnehmen, warum mit Hilfe der Verwertung des vom beklagten Jobcenter als unangemessen groß eingestuften Hausgrundstücks nur "kurzfristig" Hilfebedürftigkeit beseitigt werden könnte.

2. Die Kläger haben daneben die Voraussetzungen für eine Divergenzzulassung nicht hinreichend dargelegt. Für die Bezeichnung einer Abweichung (Divergenz) ist aufzuzeigen, mit welcher genau bezeichneten entscheidungserheblichen rechtlichen Aussage die angefochtene Entscheidung des LSG von welcher ebenfalls genau bezeichneten entscheidungserheblichen rechtlichen Aussage des BSG abweicht. Eine Abweichung liegt nicht schon vor, wenn die angefochtene Entscheidung nicht den Kriterien entsprechen sollte, die das BSG aufgestellt hat, weil die Unrichtigkeit einer Entscheidung im Einzelfall nicht die Zulassung einer Revision wegen Abweichung rechtfertigt. Nicht die - behauptete - Unrichtigkeit der Entscheidung im Einzelfall, sondern die fehlende Übereinstimmung im Grundsätzlichen vermag die Zulassung der Revision wegen Abweichung zu begründen. Die Beschwerdebegründung muss deshalb erkennen lassen, dass das LSG dem BSG widersprochen und von den bezeichneten rechtlichen Aussagen des BSG abweichende, dh mit diesen unvereinbare eigene rechtliche Maßstäbe entwickelt hat (vgl BSG vom 25.9.2002 - B 7 AL 142/02 B - SozR 3-1500 § 160a Nr 34 S 72; Meßling in Krasney/Udsching/Groth/Meßling, Handbuch des sozialgerichtlichen Verfahrens, 8. Aufl 2022, IX. Kap RdNr 300 ff mwN).

Diese Voraussetzungen erfüllt die Beschwerdebegründung nicht. Selbst wenn das LSG die von den Klägern dargelegten Aussagen zum möglichen Verwertungszeitraum und zum erzielbaren Verwertungserlös getroffen haben sollte, lässt sich der Beschwerdebegründung nicht entnehmen, dass das BSG einer- und das LSG andererseits eine Rechtsfrage unterschiedlich beantwortet haben. Im Hinblick auf den Verwertungszeitraum legen die Kläger keine Abweichung zur Rechtsprechung des BSG (vgl BSG vom 6.12.2007 - B 14/7b AS 46/06 R - BSGE 99, 248 = SozR 4-4200 § 12 Nr 6, RdNr 15) dar. Die Anforderungen an ausreichende tatrichterliche Feststellungen im Hinblick auf den erzielbaren Verwertungserlös (vgl die ua von den Klägern in Bezug genommenen Entscheidungen BSG vom 23.5.2012 - B 14 AS 100/11 R - SozR 4-4200 § 12 Nr 19 RdNr 21; BSG vom 18.9.2014 - B 14 AS 58/13 R - SozR 4-4200 § 12 Nr 24 RdNr 27; ferner BSG vom 27.1.2009 - B 14 AS 42/07 R - SozR 4-4200 § 12 Nr 12 RdNr 39 f) beinhalten darüber hinaus keinen Rechtssatz, von dem das LSG abgewichen sein könnte. Soweit die Kläger abschließend rügen, das LSG hätte den Sachverhalt weiter aufklären müssen (vgl § 103 SGG), können sie den damit der Sache nach behaupteten Verfahrensmangel nicht mit der Divergenzrüge geltend machen.

3. Zuletzt haben die Kläger einen Verfahrensmangel, auf dem die angegriffene Entscheidung beruhen kann, nicht hinreichend bezeichnet. Soweit sie rügen, das LSG habe zu Unrecht durch Beschluss ohne ehrenamtliche Richter entschieden, indem es dem SG "ohne eine eigene Rechtsprüfung" gefolgt sei, haben sie eine Verletzung des § 153 Abs 4 Satz 1 SGG nicht hinreichend bezeichnet. Soweit sie rügen, das LSG habe einen Teil des Streitgegenstands unberücksichtigt gelassen, indem es sich mit der Rechtsstellung und dem Bedarf der Kläger zu 3 und 4, der Kinder der Kläger zu 1 und 2, nicht auseinandergesetzt habe, ist ein Verfahrensmangel schon deshalb nicht hinreichend bezeichnet, weil sich anhand der Beschwerdebegründung nicht überprüfen lässt, ob die Ansprüche der Kläger im Hinblick auf die streitige Frage, ob Leistungen statt als Darlehen als Zuschuss zu erbringen sind, unterschiedlich zu beurteilen sind. Soweit die Kläger abschließend rügen, das LSG habe gegen Denkgesetze bzw allgemeine Erfahrungssätze verstoßen, machen sie sinngemäß geltend, das LSG habe § 128 Abs 1 Satz 1 SGG verletzt, indem es die Grenzen der freien Beweiswürdigung überschritten habe. Hierauf kann die Nichtzulassungsbeschwerde nicht gestützt werden (§ 160 Abs 2 Nr 3 Halbsatz 2 SGG).

Die Verwerfung der Beschwerde erfolgt in entsprechender Anwendung des § 169 Satz 3 SGG ohne Zuziehung der ehrenamtlichen Richter.

Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung der §§ 183, 193 SGG.

Siefert                              Neumann                           Harich

 

Fundstellen

Dokument-Index HI15365056

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