Verfahrensgang

LSG Nordrhein-Westfalen (Urteil vom 19.10.2016; Aktenzeichen L 8 R 880/15)

SG Dortmund (Entscheidung vom 11.09.2015; Aktenzeichen S 34 R 1135/14)

 

Tenor

Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 19. Oktober 2016 wird als unzulässig verworfen.

Die Klägerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens mit Ausnahme der Kosten der Beigeladenen.

Der Streitwert wird auf 39 384,93 Euro festgesetzt.

 

Gründe

I

In dem der Nichtzulassungsbeschwerde zugrundeliegenden Rechtsstreit streiten die Beteiligten darüber, ob die Klägerin für die Zeit vom 25.8.2009 bis zum 31.12.2012 Sozialversicherungsbeiträge und Säumniszuschläge in Höhe von insgesamt 39 384,93 Euro zu zahlen hat, weil die Beigeladene zu 2. in ihrer Eigenschaft als Gesellschafterin-Geschäftsführerin der Klägerin aufgrund einer Beschäftigung der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung und nach dem Recht der Arbeitsförderung unterlag (Bescheid vom 26.11.2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 6.6.2014). Das SG Dortmund hat die Klage abgewiesen (Urteil vom 11.9.2015), das LSG Nordrhein-Westfalen hat die Berufung zurückgewiesen (Urteil vom 19.10.2016). Gegen die Nichtzulassung der Revision wendet sich die Klägerin mit ihrer Beschwerde.

II

Die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision in der angefochtenen Entscheidung des LSG ist als unzulässig zu verwerfen (§ 160a Abs 4 S 1 Halbs 2 iVm § 169 SGG). Die Klägerin hat entgegen § 160a Abs 2 S 3 SGG die geltend gemachten Zulassungsgründe der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG) und der Divergenz (§ 160 Abs 2 Nr 2 SGG) nicht hinreichend dargelegt oder bezeichnet.

Der Zulassungsgrund der Divergenz setzt voraus, dass das angefochtene Urteil des LSG von einer Entscheidung des BSG, des GmSOGB oder des BVerfG abweicht und auf dieser Abweichung beruht. Eine solche Abweichung ist nur dann hinreichend bezeichnet, wenn aufgezeigt wird, mit welcher genau bestimmten entscheidungserheblichen rechtlichen Aussage zum Bundesrecht die angegriffene Entscheidung des LSG von welcher ebenfalls genau bezeichneten rechtlichen Aussage des BSG, des GmSOGB oder des BVerfG abweicht. Insoweit genügt es nicht darauf hinzuweisen, dass das LSG seiner Entscheidung nicht die höchstrichterliche Rechtsprechung zugrunde gelegt hätte. Nicht die Unrichtigkeit der Entscheidung im Einzelfall, sondern die Nichtübereinstimmung im Grundsätzlichen begründet die Zulassung der Revision wegen Divergenz. Sie liegt daher nicht schon dann vor, wenn das angefochtene Urteil nicht den Kriterien entsprechen sollte, die das BSG, der GmSOGB oder das BVerfG entwickelt hat, sondern erst dann, wenn das LSG diesen Kriterien auch widersprochen, also andere rechtliche Maßstäbe bei seiner Entscheidung herangezogen hat (vgl BSG Beschluss vom 12.5.2005 - B 3 P 13/04 B - SozR 4-1500 § 160 Nr 6 RdNr 5 und vom 16.7.2004 - B 2 U 41/04 B - SozR 4-1500 § 160a Nr 4 RdNr 6, jeweils mwN). Sich widersprechende Rechtssätze sind mit der Beschwerde aber nicht dargelegt worden.

Die Klägerin entnimmt dem angegriffenen Urteil des LSG den Rechtssatz, es sei "von besonderer Bedeutung, ob ein Geschäftsführer gleichzeitig Gesellschafter ist und aufgrund seiner Gesellschafterstellung maßgeblichen Einfluss auf die Willensbildung der GmbH hat und damit Beschlüsse und Einzelweisungen an sich jederzeit verhindern kann". Dem stellt sie als widersprechende Rechtssätze zitierte Aussagen aus den Urteilen des BSG vom 11.11.2015 (B 12 KR 10/14 R - SozR 4-2400 § 7 Nr 28) und 19.8.2015 (B 12 KR 9/14 R - Juris) gegenüber. Danach komme es bei einem Gesellschafter-Geschäftsführer "ausschließlich darauf an, ob dieser ihm nicht genehme Weisungen jederzeit abzuwenden vermag", wobei "auf die im Betrieb konkret ausgeübten Tätigkeiten" abzustellen sei. Damit ist die Unvereinbarkeit von Rechtssätzen nicht aufgezeigt worden. Aus der Beschwerdebegründung wird nicht hinreichend deutlich, inwiefern der den Entscheidungsgründen des LSG entnommene Rechtssatz im Widerspruch zu den formulierten Rechtssätzen des BSG stehen soll. Dass sich die rechtliche Möglichkeit, nicht genehme Weisungen abzuwenden, einerseits und eine Einflussnahme auf die Willensbildung der Gesellschaft andererseits ausschließen sollen, ist nicht aufgezeigt worden. Hierzu hat allerdings besondere Veranlassung bestanden, zumal das BSG in seinem - vom LSG auch zitierten - Urteil vom 8.8.1990 (11 RAr 77/89 - SozR 3-2400 § 7 Nr 4) ausgeführt hat, dass bei einem GmbH-Geschäftsführer, der zugleich Mitgesellschafter ist, eine persönliche Abhängigkeit ausscheidet, "wenn er aufgrund seiner Gesellschafterstellung maßgeblichen Einfluss auf die Willensbildung der GmbH hatte".

Die Klägerin hat auch die geltend gemachte Abweichung zu den Beschlüssen des BVerfG vom 5.11.2015 (1 BvR 1667/15) und 16.5.2011 (2 BvR 1230/10) nicht dargetan. Danach könne schutzwürdiges Vertrauen in eine bestimmte Rechtslage aufgrund höchstrichterlicher Entscheidungen "in der Regel nur bei Hinzutreten weiterer Umstände, insbesondere bei einer gefestigten und langjährigen Rechtsprechung entstehen". Demgegenüber habe das LSG den Rechtssatz aufgestellt, dass "ein Schutz eines Vertrauens in das Ergebnis einer vorangegangenen Betriebsprüfung, in der der am Geschäftsleben Beteiligte als versicherungsfrei beurteilt worden ist, nicht in Betracht" komme, "wenn mit Bescheid über das Ergebnis der Betriebsprüfung der Hinweis erteilt worden ist, dass er aufgrund der geänderten Gesellschafterverhältnisse der Gesellschaft, für die er tätig ist, nunmehr bei der Einzugsstelle anzumelden ist". Allein mit dem Hinweis darauf, das BSG habe seine gefestigte und langjährige Rechtsprechung zur sozialversicherungsrechtlichen Beurteilung von in einer GmbH tätigen Personen geändert und das LSG habe die Vorgaben des BVerfG außer Acht gelassen, wird nicht hinreichend deutlich, dass mit der angegriffenen Entscheidung die Rechtsprechung des BVerfG in Frage gestellt worden wäre. Das LSG hat sich nach dem Beschwerdevorbringen nicht mit dem Vertrauensschutz nach einer geänderten höchstrichterlichen Rechtsprechung, sondern mit einer abweichenden sozialversicherungsrechtlichen Beurteilung aufgrund veränderter Gesellschafterverhältnisse auseinandergesetzt.

Schließlich hat die Klägerin die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache nicht hinreichend dargelegt. Bei Geltendmachung dieses Zulassungsgrundes muss die Beschwerdebegründung ausführen, welche Rechtsfrage sich ernsthaft stellt, deren Klärung über den zu entscheidenden Einzelfall hinaus aus Gründen der Rechtseinheit oder Rechtsfortbildung im allgemeinen Interesse erforderlich (Klärungsbedürftigkeit) und durch das Revisionsgericht zu erwarten (Klärungsfähigkeit) ist (stRspr, vgl nur BSG Beschluss vom 17.4.2012 - B 13 R 347/11 B - SozR 4-2600 § 72 Nr 5 RdNr 17 mwN). Die Beschwerdebegründung hat deshalb auszuführen, inwiefern die Rechtsfrage nach dem Stand von Rechtsprechung und Lehre nicht ohne Weiteres zu beantworten ist, und den Schritt darzustellen, den das Revisionsgericht zur Klärung der Rechtsfrage im allgemeinen Interesse vornehmen soll (vgl BSG Beschluss vom 25.10.1978 - 8/3 RK 28/77 - SozR 1500 § 160a Nr 31 S 48). Diesen Anforderungen genügt die Beschwerdebegründung nicht.

Die Klägerin misst folgender Frage eine grundsätzliche Bedeutung bei:

"Kann in Ansehung des Postulats der Vorhersehbarkeit, welches das Recht der Pflichtversicherung in der Sozialversicherung prägt, für vorhersehbar erachtet werden, dass eine Beteiligungs-GmbH, welche in ihrer Eigenschaft als Investor einen Geschäftsanteil an einer GmbH von 50 % hält, sich nicht in die im Betrieb der GmbH konkret auszuübenden Tätigkeiten einmischt und insoweit keine Weisungen erteilt?".

Es kann dahingestellt bleiben, ob damit schon keine Rechtsfrage zur Auslegung, zum Anwendungsbereich oder zur Vereinbarkeit einer konkreten revisiblen Norm des Bundesrechts (§ 162 SGG) mit höherrangigem Recht (BSG Beschluss vom 23.12.2015 - B 12 KR 51/15 B - Juris RdNr 11 mwN) formuliert worden ist. Die Bezeichnung einer abstrakten, aus sich heraus verständlichen Rechtsfrage ist jedoch unverzichtbar, damit das Beschwerdegericht an ihr die weiteren Voraussetzungen der Grundsatzrüge prüfen kann (BSG Beschluss vom 10.9.2014 - B 10 ÜG 3/14 B - Juris RdNr 11 mwN). Jedenfalls ist die Klärungsbedürftigkeit der aufgeworfenen Frage nicht dargelegt worden.

Eine Rechtsfrage ist dann als höchstrichterlich geklärt und damit als nicht (mehr) klärungsbedürftig anzusehen, wenn diese bereits beantwortet ist. Ist sie noch nicht ausdrücklich entschieden, genügt es, dass schon eine oder mehrere höchstrichterliche Entscheidungen ergangen sind, die ausreichende Anhaltspunkte zur Beantwortung der von der Beschwerde als grundsätzlich herausgestellten Rechtsfrage geben (BSG Beschluss vom 30.8.2016 - B 2 U 40/16 B - SozR 4-1500 § 183 Nr 12 RdNr 7 mwN). Der Senat hat sich wiederholt mit dem Gesichtspunkt der "Vorhersehbarkeit" im Zusammenhang mit einer Versicherungspflicht aufgrund Beschäftigung befasst. Die Klägerin weist zwar auf entsprechende Entscheidungen hin, setzt sich mit diesen in der Beschwerdebegründung aber nicht hinreichend auseinander. Sie hätte unter Auswertung dieser Rechtsprechung vortragen müssen, weshalb gleichwohl noch keine einschlägige Entscheidung vorliegen oder durch schon vorliegende Rechtsprechung die für klärungsbedürftig erachtete Frage nicht oder nicht umfassend beantwortet sein soll (vgl BSG Beschluss vom 19.4.2012 - B 2 U 348/11 B - Juris RdNr 29). Daran fehlt es hier. Allein mit dem Hinweis darauf, dass den bisherigen Entscheidungen des BSG andere Sachverhalte zugrunde gelegen hätten, wird die Klärungsbedürftigkeit noch nicht aufgezeigt. Maßgebend ist nicht die Vergleichbarkeit von Sachverhalten, sondern vielmehr, ob sich der bisherigen Rechtsprechung ausreichende Anhaltspunkte zur Beantwortung der aufgeworfenen Frage entnehmen lassen.

Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab, weil sie nicht geeignet ist, zur Klärung der Voraussetzungen der Revisionszulassung beizutragen (§ 160a Abs 4 S 2 Halbs 2 SGG).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs 1 S 1 SGG iVm § 154 Abs 2 VwGO.

Die Streitwertfestsetzung folgt aus § 197a Abs 1 S 1 Teils 1 SGG iVm § 52 Abs 1 und 3 S 1, § 47 Abs 1 S 1 und Abs 3 sowie § 63 Abs 2 S 1 GKG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI11295196

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