Entscheidungsstichwort (Thema)
Nichtzulassungsbeschwerde. grundsätzliche Bedeutung einer Rechtssache. Schwerbehindertenrecht. Merkzeichen H. Hilflosigkeit. Hörbehinderung. weiter bestehender Hilfebedarf nach Abschluss der Erstausbildung. Abschluss des Medizinstudiums und Approbation. Weiterbildung zum Facharzt bzw zur Fachärztin. Würdigung der besonderen Umstände des Einzelfalls durch das LSG. Rechtsanwendung. Versorgungsmedizinische Grundsätze. Diskriminierungsverbot. Verfassungsrecht. Völkerrecht. Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers. sozialgerichtliches Verfahren. Verfahrensmangel. Verletzung der Pflicht des Gerichts zum Hinweis auf das Wahlrecht zu geeigneten Kommunikationshilfen für hörbehinderte Beteiligte. kein absoluter Revisionsgrund. spezielle Form der Gewährung rechtlichen Gehörs. Darlegungsanforderungen
Orientierungssatz
1. Das BSG hat stets betont, dass Hilflosigkeit im Sinne des Schwerbehindertenrechts bei hörgeschädigten Personen im Einzelfall auch nach Abschluss einer Erstausbildung vorliegen kann, wenn besonderen Umstände (zB langzeitige berufliche Weiterbildung, Minderbegabung, geistige Behinderung oder zusätzliche Gesundheitsstörungen) einen zeitlich erheblichen weiteren Hilfebedarf begründen (vgl BSG vom 24.11.2005 - B 9a SB 1/05 R = SozR 4-3250 § 69 Nr 3, vom 10.12.2003 - B 9 SB 4/02 R = VersorgVerw 2004, 65 und vom 12.11.1996 - 9 RVs 9/95 = BSGE 79, 231 = SozR 3-3870 § 4 Nr 15).
2. Wenn das LSG solche besonderen Umstände nach dem Abschluss eines Medizinstudiums und der Erlangung der Approbation in Würdigung der Umstände des Einzelfalls bezogen auf die Aus- bzw Weiterbildung zum Facharzt oder zur Fachärztin verneint, kann diese (aus Sicht des Beschwerdeführers unrichtige) Rechtsanwendung des Berufungsgerichts im Einzelfall nicht über eine Grundsatzbeschwerde zur revisionsgerichtlichen Überprüfung gestellt werden.
3. Sofern der Beschwerdeführer die Regelung in Teil A Nr 5 Buchst d DBuchst ee VMG im Lichte des Art 3 Abs 3 S 2 GG nicht für verfassungsgemäß hält, muss er substantiiert darlegen, ob dem Verordnungsgeber - auch unter Berücksichtigung der UN-Behindertenrechtskonvention (juris: UNBehRÜbk) - bei der Ausgestaltung des streitigen Nachteilsausgleichs nicht auch der bei Sozialleistungen übliche weite Gestaltungsspielraum zusteht und - bejahendenfalls - ob er diesen überschritten haben könnte (vgl BVerfG vom 5.3.2018 - 1 BvR 2926/14).
4. Eine Verletzung von § 202 S 1 SGG iVm § 186 GVG (hier: Pflicht des Gerichts, Menschen mit Hörbehinderungen auf ihr Wahlrecht im Hinblick auf geeignete Kommunikationshilfen hinzuweisen) stellt keinen absoluten Revisionsgrund iS von § 202 S 1 SGG iVm § 547 ZPO dar, sondern einen Verstoß gegen eine spezielle Form der Gewährung rechtlichen Gehörs (vgl BSG vom 28.9.2017 - B 3 KR 7/17 B = SozR 4-1720 § 186 Nr 1).
5. Daher muss die Begründung einer hierauf gestützten Nichtzulassungsbeschwerde den Anforderungen an die Darlegung einer Gehörsverletzung genügen, dh es muss vom Beschwerdeführer dargelegt werden, welches Vorbringen verhindert worden ist und inwiefern die angefochtene Entscheidung darauf beruhen kann (vgl BSG vom 17.8.2009 - B 11 AL 11/09 B).
Normenkette
VersMedV Anlage Teil A Nr. 5 Buchst. d DBuchst ee; SchwbAwV § 3 Abs. 1 Nr. 2; SGB IX § 152 Abs. 4; SGB 9 2018 § 152 Abs. 4; SGB X § 48; EStG § 33b Abs. 3 S. 4; GG Art. 3 Abs. 3 S. 2; UNBehRÜbk; GVG § 186 Abs. 1; SGG §§ 62, 160 Abs. 2 Nrn. 1, 3, § 160a Abs. 2 S. 3, § 202 S. 1; ZPO § 547
Verfahrensgang
Tenor
Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 16. März 2023 wird als unzulässig verworfen.
Die Beteiligten haben einander für das Beschwerdeverfahren keine außergerichtlichen Kosten zu erstatten.
Gründe
I. Die Klägerin wendet sich in der Hauptsache gegen die Aberkennung des Merkzeichens H (Hilflosigkeit).
Das LSG hat wie zuvor bereits das SG entschieden, dass der Beklagte das Merkzeichen H bei der 1984 geborenen und seit dem Kleinkindalter an einer schwerwiegenden Beeinträchtigung des Hörvermögens leidenden Klägerin zu Recht nicht mehr festgestellt hat, weil diese mit dem Abschluss des Studiums der Humanmedizin die Erstausbildung im Jahr 2020 im Alter von 36 Jahren abgeschlossen habe. Damit sei eine wesentliche Änderung der Verhältnisse iS des § 48 Abs 1 Satz 1 SGB X eingetreten. Die Klägerin benötige zum Ausgleich ihrer Hörstörung hauptsächlich im beruflichen Bereich Unterstützung, was eine Hilflosigkeit in Sinne des Schwerbehindertenrechts in ihrem Fall aber nicht begründen könne. Nichts anderes ergebe sich aus Teil A Nr 5 Buchst d Doppelbuchst ee der (in der Anlage zu § 2 Versorgungsmedizin-Verordnung geregelten) Versorgungsmedizinischen Grundsätze (VMG). Danach sei bei Taubheit und an Taubheit grenzender Schwerhörigkeit Hilflosigkeit ab Beginn der Frühförderung und dann - insbesondere wegen des in dieser Zeit erhöhten Kommunikationsbedarfs - in der Regel bis zur Beendigung der Ausbildung anzunehmen. Zur Ausbildung zählten der Schul-, Fachschul- und Hochschulbesuch, eine berufliche Erstausbildung und Weiterbildung sowie vergleichbare Maßnahmen der beruflichen Bildung. Der Abschluss einer berufsqualifizierenden Ausbildung markiere das Ende der seit "Beginn der Frühförderung" bestehenden Hilflosigkeit. Von diesem Zeitpunkt an lasse sich Hilflosigkeit nicht mehr allgemein annehmen, sondern nur noch aufgrund besonderer Umstände im Einzelfall feststellen. Letztere lägen im Fall der Klägerin, bei der auch nur geringgradige Störungen in der Sprachentwicklung bestünden, nicht vor. Vielmehr unterfalle sie nach dem Abschluss ihres Medizinstudiums und der Approbation als Ärztin nicht mehr dem Anwendungsbereich von Teil A Nr 5 Buchst d Doppelbuchst ee VMG. Denn die berufsqualifizierende Ausbildung sei damit abgeschlossen. Die Klägerin könne als Ärztin arbeiten. Dem stehe nicht entgegen, dass die Klägerin mit der Aus- bzw Weiterbildung zur Fachärztin eine weitere Qualifizierung anstrebe (Urteil vom 16.3.2023).
Gegen die Nichtzulassung der Revision in dieser Entscheidung hat die Klägerin Beschwerde zum BSG eingelegt. Sie macht als Zulassungsgründe die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache und einen Verfahrensmangel geltend.
II. Die Nichtzulassungsbeschwerde der Klägerin ist unzulässig. Die Begründung verfehlt die gesetzlichen Anforderungen, weil die geltend gemachten Zulassungsgründe der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache und eines Verfahrensmangels nicht ordnungsgemäß dargetan worden sind (vgl § 160a Abs 2 Satz 3 SGG).
1. Grundsätzliche Bedeutung iS des § 160 Abs 2 Nr 1 SGG hat eine Rechtssache nur dann, wenn sie eine Rechtsfrage aufwirft, die über den Einzelfall hinaus aus Gründen der Rechtseinheit oder Fortbildung des Rechts einer Klärung durch das Revisionsgericht bedürftig und fähig ist. Der Beschwerdeführer muss daher anhand des anwendbaren Rechts und unter Berücksichtigung der höchstrichterlichen Rechtsprechung angeben, welche Fragen sich stellen, dass diese noch nicht geklärt sind, weshalb eine Klärung dieser Rechtsfragen aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts erforderlich ist und dass das angestrebte Revisionsverfahren eine Klärung erwarten lässt. Ein Beschwerdeführer muss mithin, um seiner Darlegungspflicht zu genügen, eine Rechtsfrage, ihre (abstrakte) Klärungsbedürftigkeit, ihre (konkrete) Klärungsfähigkeit (Entscheidungserheblichkeit) sowie die über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung in der von ihm angestrebten Entscheidung (sogenannte Breitenwirkung) darlegen (stRspr; zB BSG Beschluss vom 2.3.2023 - B 9 SB 37/22 B - juris RdNr 9; BSG Beschluss vom 8.3.2021 - B 9 BL 3/20 B - juris RdNr 14; BSG Beschluss vom 27.8.2020 - B 9 V 5/20 B - juris RdNr 6).
Die Klägerin misst der Frage grundsätzliche Bedeutung zu,
ob die in Teil A Nr 5 Buchst d Doppelbuchst ee VMG geregelten Voraussetzungen zur Zuerkennung des Merkzeichens H (Besonderheiten der Beurteilung der Hilflosigkeit bei Kindern und Jugendlichen) im Lichte des Art 3 Abs 3 Satz 2 GG und der UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK) dahingehend ausgelegt werden müssen, dass auch eine mehrgliedrige Ausbildung (hier Facharztausbildung) noch zur beruflichen Erstausbildung zu rechnen ist.
Die Beschwerdebegründung verfehlt jedoch die Darlegungsanforderungen an eine Grundsatzrüge. Sie zeigt bereits die Klärungsbedürftigkeit der aufgeworfenen Fragestellung nicht hinreichend auf.
Eine Rechtsfrage ist dann nicht klärungsbedürftig, wenn die Antwort praktisch außer Zweifel steht, sich zB unmittelbar aus dem Gesetz ergibt oder bereits höchstrichterlich geklärt ist. Als höchstrichterlich geklärt ist eine Rechtsfrage auch dann anzusehen, wenn das BSG diese zwar noch nicht ausdrücklich entschieden hat, jedoch schon eine oder mehrere höchstrichterliche Entscheidungen ergangen sind, die ausreichende Anhaltspunkte zur Beantwortung der von der Beschwerde als grundsätzlich bedeutsam herausgestellten Rechtsfrage ergeben (stRspr; zB BSG Beschluss vom 1.7.2022 - B 9 SB 6/22 B - juris RdNr 9; BSG Beschluss vom 25.10.2018 - B 9 V 27/18 B - juris RdNr 6; BSG Beschluss vom 27.8.2018 - B 9 SB 24/18 B - juris RdNr 6; BSG Beschluss vom 29.5.2018 - B 8 SO 5/18 B - juris RdNr 9 mwN). Deshalb muss in der Beschwerdebegründung unter Auswertung der Rechtsprechung des BSG zu dem geltend gemachten Problemkreis substantiiert vorgetragen werden, dass das BSG zu diesem Fragenbereich noch keine Entscheidungen gefällt oder durch die schon vorliegenden Urteile die hier maßgebende Frage von grundsätzlicher Bedeutung noch nicht beantwortet hat (vgl stRspr; zB BSG Beschluss vom 1.7.2022 - B 9 SB 6/22 B - juris RdNr 9; BSG Beschluss vom 14.9.2017 - B 5 R 258/17 B - juris RdNr 10, jeweils mwN).
Dies ist hier nicht in dem gebotenen Maße geschehen. Die Klägerin setzt sich in ihrer Beschwerdebegründung bezogen auf die aufgeworfene Fragestellung nicht mit der bislang ergangenen Rechtsprechung des BSG zur Feststellung des Merkzeichens H auseinander (ua Urteil vom 24.11.2005 - B 9a SB 1/05 R - SozR 4-3250 § 69 Nr 3; Urteil vom 10.12.2003 - B 9 SB 4/02 R - juris; Urteil vom 12.11.1996 - 9 RVs 9/95 - BSGE 79, 231 = SozR 3-3870 § 4 Nr 15). Sie versäumt es deshalb auch substantiiert zu prüfen, ob sich aus dieser Rechtsprechung schon ausreichende Anhaltspunkte zur Beantwortung der von ihr gestellten Frage ergeben. Allein die Darstellung der eigenen Rechtsansicht mit dem Hinweis, Teil A Nr 5 Buchst d Doppelbuchst ee VMG sei im Lichte des Art 3 Abs 3 Satz 2 GG und der UN-BRK dahingehend erweiternd auszulegen, dass auch eine Facharztausbildung noch zur beruflichen Erstausbildung zuzurechnen sei, reicht zur Darlegung eines weiteren Klärungsbedarfs nicht aus. So weist die Klägerin in ihrer Beschwerdebegründung (S 13 und 17) selbst auf das Urteil des BSG vom 12.11.1996 (9 RVs 9/95 - BSGE 79, 231 = SozR 3-3870 § 4 Nr 15) zur möglichen (weiteren) Zuerkennung des Merkzeichens H bei einer beruflichen Weiterbildung von hörgeschädigten Personen hin und führt aus, dass hiernach "bei der Prüfung des Endes der Ausbildung nicht nur auf die Erstausbildung abzustellen" sei, "sondern ggf. im Einzelfall weitere Ausbildungsschritte mit gewisser Dauer zu berücksichtigen" seien.
Auch im Weiteren fehlt es an hinreichenden Ausführungen zum Inhalt und Bedeutungsgehalt der hier infrage stehenden Regelung in den VMG und zu der in diesem Kontext ergangenen Rechtsprechung des BSG einschließlich der Prüfung, ob diese bereits ausreichende Anhaltspunkte zur Beantwortung der problematisierten Fragestellung enthält. Dass die Klägerin nach dem erfolgreichen Abschluss ihres Medizinstudiums und der Erlangung der Approbation nicht als Ärztin arbeiten kann, behauptet sie nicht. Allerdings hat das BSG stets betont, dass Hilflosigkeit im Sinne des Schwerbehindertenrechts bei hörgeschädigten Personen im Einzelfall auch nach Abschluss einer Erstausbildung vorliegen kann, wenn besonderen Umstände (zB langzeitige berufliche Weiterbildung, Minderbegabung, geistige Behinderung oder zusätzliche Gesundheitsstörungen) einen zeitlich erheblichen weiteren Hilfebedarf begründen (BSG Urteil vom 24.11.2005 - B 9a SB 1/05 R - SozR 4-3250 § 69 Nr 3 RdNr 18; BSG Urteil vom 10.12.2003 - B 9 SB 4/02 R - juris RdNr 17; BSG Urteil vom 12.11.1996 - 9 RVs 9/95 - BSGE 79, 231 = SozR 3-3870 § 4 Nr 15 - juris RdNr 13 f). Solche besonderen Umstände hat das LSG im Fall der Klägerin nach dem Abschluss ihres Medizinstudiums und der Erlangung der Approbation in Würdigung der Umstände des Einzelfalls bezogen auf die Aus- bzw Weiterbildung zur Fachärztin jedoch gerade verneint. Dass die Klägerin diese Entscheidung des Berufungsgerichts für unrichtig hält, reicht zur Darlegung einer Grundsatzrüge aber nicht aus. § 160 Abs 2 Nr 1 SGG ermöglicht es nicht, dass im Gewand einer Grundsatzrüge eine aus Sicht der Beschwerdeführerin unrichtige Rechtsanwendung des Berufungsgerichts in ihrem Einzelfall zur Überprüfung gestellt werden kann (vgl stRspr; zB BSG Beschluss vom 30.3.2023 - B 10 ÜG 2/22 B - juris RdNr 16; BSG Beschluss vom 2.3.2023 - B 9 SB 37/22 B - juris RdNr 11).
Weshalb darüber hinaus weiterer Klärungsbedarf bestehen soll, zeigt die Klägerin nicht auf. Sie benennt zwar Entscheidungen des BVerfG zu Art 3 Abs 3 Satz 2 GG und der UN-BRK mit dem Hinweis, dass aus diesen deutlich werde, dass die UN-BRK Einfluss auf die Rechtsprechung zu Art 3 Abs 3 Satz 2 GG habe und diese bei der Auslegung des Ausbildungsbegriffs iS von Teil A Nr 5 Buchst d Doppelbuchst ee VMG heranzuziehen sei. In der höchstrichterlichen Rechtsprechung ist aber bereits geklärt, dass die UN-BRK als Auslegungshilfe des Gesetzesrechts orientierend heranzuziehen ist. Ebenso ist auch schon entschieden, dass sie in ihrem Bedeutungsgehalt nicht über das in Art 3 Abs 3 Satz 2 GG enthaltene Benachteiligungsverbot hinausgeht (BVerfG Beschluss vom 16.12.2021 - 1 BvR 1541/20 - BVerfGE 160, 79 - juris RdNr 102; BSG Beschluss vom 18.11.2021 - B 9 SB 34/21 B - juris RdNr 7 mwN). Im Übrigen ist insoweit ohnehin entsprechend Art 1 UN-BRK, wie auch in § 1 und § 2 Abs 1 Satz 1 SGB IX vorgesehen, die individuelle Beeinträchtigung des behinderten Menschen an der Teilhabe am Leben in der Gesellschaft zu berücksichtigen (vgl stRspr; zB BSG Urteil vom 11.8.2015 - B 9 SB 2/14 R - SozR 4-3250 § 69 Nr 19 RdNr 23).
Sofern die Klägerin die Regelung in Teil A Nr 5 Buchst d Doppelbuchst ee VMG im Lichte des Art 3 Abs 3 Satz 2 GG nicht für verfassungsgemäß halten sollte, fehlt es an einer substantiierten Darlegung, ob dem Verordnungsgeber - auch unter Berücksichtigung der UN-BRK - bei der Ausgestaltung des streitigen Nachteilsausgleichs nicht auch der bei Sozialleistungen übliche weite Gestaltungsspielraum zusteht und - bejahendenfalls - ob er diesen überschritten haben könnte (vgl BVerfG ≪Kammer≫ Beschluss vom 5.3.2018 - 1 BvR 2926/14 - juris RdNr 23). Soweit die Klägerin darüber hinaus die Auslegung von Teil A Nr 5 Buchst d Doppelbuchst ee VMG durch das LSG in ihrem konkreten Einzelfall kritisiert und damit die inhaltliche Richtigkeit der Entscheidung rügt, kann sie - wie oben bereits ausgeführt - keine Zulassung der Revision erreichen. Eine allgemeine Überprüfung des Rechtsstreits in dem Sinne, ob das LSG in der Sache richtig entschieden hat, ist im Rahmen einer Nichtzulassungsbeschwerde nicht zulässig und kann daher auch nicht deren Erfolgsaussichten begründen.
2. Die Klägerin hat den gerügten Verfahrensmangel des LSG in Gestalt einer Verletzung des § 202 Satz 1 SGG iVm § 186 GVG nicht hinreichend bezeichnet.
Wird eine Nichtzulassungsbeschwerde darauf gestützt, dass ein Verfahrensmangel iS des § 160 Abs 2 Nr 3 SGG vorliege, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen könne, müssen zur Bezeichnung des Verfahrensmangels zunächst die diesen (vermeintlich) begründenden Tatsachen substantiiert und schlüssig dargetan werden. Darüber hinaus ist die Darlegung erforderlich, dass und warum die Entscheidung des LSG - ausgehend von dessen materieller Rechtsansicht - auf dem Mangel beruhen kann, dass also die Möglichkeit einer Beeinflussung des Urteils bestehe (BSG Beschluss vom 18.11.2021 - B 9 SB 34/21 B - juris RdNr 11 mwN). Gemäß § 160 Abs 2 Nr 3 Halbsatz 2 SGG kann der geltend gemachte Verfahrensmangel nicht auf eine Verletzung der §§ 109 und 128 Abs 1 Satz 1 SGG und auf eine Verletzung des § 103 SGG nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist. Diesen Anforderungen wird die Beschwerdebegründung der Klägerin ebenfalls nicht gerecht.
Die Klägerin rügt insbesondere unter Hinweis auf einen Beschluss des BSG vom 28.9.2017 (B 3 KR 7/17 B - SozR 4-1720 § 186 Nr 1) die Unterlassung eines Hinweises des LSG nach § 186 GVG vor oder im Termin zur mündlichen Verhandlung am 16.3.2023 als Verfahrensmangel. Die während der mündlichen Verhandlung zunächst eingeschalteten Lautsprecher und Mikrofone hätten die Hörgeräte der Klägerin gestört, sodass sie bis zu deren Abschaltung "zunächst" nicht verstanden habe, was gesprochen worden sei. Nach § 202 Satz 1 SGG iVm § 186 Abs 1 GVG seien hör- und sprachbehinderte Personen vom Gericht auf ihr Wahlrecht hinzuweisen, dass die Verständigung in der mündlichen Verhandlung mündlich, schriftlich oder mithilfe einer die Verständigung ermöglichenden Person, die vom Gericht hinzuzuziehen sei, erfolgen könne. Für die mündliche und schriftliche Verständigung habe das Gericht die geeigneten technischen Hilfsmittel bereitzustellen.
Ob das LSG im Rahmen der Prozessordnung alle geeigneten Hilfestellungen der Klägerin angeboten oder ihr aufgezeigt hat, kann hier jedoch bei der vor dem LSG anwaltlich vertretenen Klägerin dahinstehen. Zutreffend ist zwar, dass die in § 186 GVG geregelte Fürsorgepflicht, in der mündlichen Verhandlung ausreichende Verständnismöglichkeiten mit einer hör- oder sprachbehinderten Person sicherzustellen, in vollem Umfang dem Gericht zugewiesen ist. Eine Verletzung von § 202 Satz 1 SGG iVm § 186 GVG stellt aber keinen absoluten Revisionsgrund iS von § 202 Satz 1 SGG iVm § 547 ZPO dar, sondern einen Verstoß gegen eine spezielle Form der Gewährung rechtlichen Gehörs (BSG Beschluss vom 28.9.2017 - B 3 KR 7/17 B - SozR 4-1720 § 186 Nr 1 RdNr 9 mwN). Daher muss die Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde den Anforderungen an die Darlegung einer Gehörsverletzung genügen, dh es muss von der Beschwerdeführerin dargelegt werden, welches Vorbringen verhindert worden ist und inwiefern die angefochtene Entscheidung darauf beruhen kann (BSG Beschluss vom 17.8.2009 - B 11 AL 11/09 B - juris RdNr 4).
Entsprechende substantiierte Ausführungen lässt die Beschwerdebegründung jedoch vermissen. Die Klägerin behauptet nicht, dass es ihr aufgrund von (fort-)bestehenden Verständnisschwierigkeiten in der mündlichen Verhandlung vor dem LSG selbst nicht möglich gewesen wäre, zur Sache Stellung zu nehmen oder auf das Vorbringen der Beklagten oder auf Hinweise und Fragen des Gerichts angemessen zu reagieren (vgl BSG Beschluss vom 17.8.2009 - B 11 AL 11/09 B - juris RdNr 4). Gegenteiliges erschließt sich auch nicht aus dem von der Klägerin vorgelegten Protokoll über die mündliche Verhandlung vom 16.3.2023. Dort ist vielmehr protokolliert, dass sie vom LSG "ausführlich zu ihrem augenblicklichen Stand der Weiterbildung zur Chirurgin und ihren konkreten Problemen am Arbeitsplatz gehört" worden ist. Kommunikations- oder Verständnisprobleme zwischen der Klägerin und dem Gericht sind dort nicht vermerkt. Überdies trägt die Klägerin nicht vor, welche "ergänzende oder weiter erläuternde Ausführungen" sie denn konkret gemacht hätte, "wenn sie den Ausführungen des Gerichts hätte besser folgen können" oder wenn sie eine anderweitige Verständigungshilfe gehabt hätte. Ihre bloße Behauptung in der Beschwerdebegründung, es sei "nicht auszuschließen", dass das LSG "bei hinreichender Gewährung rechtlichen Gehörs zu einem anderen Ergebnis gekommen wäre", reicht nicht aus.
3. Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab (vgl § 160a Abs 4 Satz 2 Halbsatz 2 SGG).
4. Die Beschwerde ist somit ohne Zuziehung der ehrenamtlichen Richter als unzulässig zu verwerfen (§ 160a Abs 4 Satz 1 Halbsatz 2, § 169 Satz 2 und 3 SGG).
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5. Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung von § 193 SGG. |
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Fundstellen
Dokument-Index HI16148646 |