Verfahrensgang

LSG Sachsen-Anhalt (Urteil vom 27.06.2019; Aktenzeichen L 3 R 86/18)

SG Magdeburg (Entscheidung vom 16.02.2018; Aktenzeichen S 42 R 1185/14)

 

Tenor

Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Landessozialgerichts Sachsen-Anhalt vom 27. Juni 2019 wird als unzulässig verworfen.

Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.

 

Gründe

I

Mit Urteil vom 27.6.2019 hat das LSG Sachsen-Anhalt einen Anspruch der Klägerin auf Rente wegen voller, hilfsweise wegen teilweiser Erwerbsminderung verneint.

Gegen die Nichtzulassung der Revision in dieser Entscheidung hat die Klägerin Beschwerde beim BSG eingelegt. Sie beruft sich ausschließlich auf Verfahrensmängel (Zulassungsgrund nach § 160 Abs 2 Nr 3 SGG).

II

Die Beschwerde der Klägerin ist als unzulässig zu verwerfen. Die Klägerin hat in der Begründung des Rechtsmittels entgegen § 160a Abs 2 Satz 3 SGG den allein geltend gemachten Zulassungsgrund nicht hinreichend bezeichnet.

Ein Verfahrensmangel iS von § 160 Abs 2 Nr 3 SGG ist der Verstoß des Gerichts im Rahmen des prozessualen Vorgehens im unmittelbar vorangehenden Rechtszug (vgl zB BSG Urteil vom 29.11.1955 - 1 RA 15/54 - BSGE 2, 81 - juris RdNr 4; BSG Beschluss vom 30.10.2018 - B 13 R 59/18 B - juris RdNr 7). Neben der Geltendmachung des Vorliegens eines Verstoßes gegen das Verfahrensrecht ist mit der Beschwerdebegründung darzulegen, dass die angefochtene Entscheidung auf diesem Verstoß beruhen kann. Zugrunde zu legen ist die materiell-rechtliche Rechtsauffassung des LSG (BSG Urteil vom 28.5.1957 - 3 RJ 219/56 - SozR Nr 79 zu § 162 SGG; BSG Beschluss vom 31.1.1979 - 11 BA 166/78 - SozR 1500 § 160 Nr 33; BSG Beschluss vom 16.11.2000 - B 4 RA 122/99 B - SozR 3-1500 § 160 Nr 33 - juris RdNr 23). Gemäß § 160 Abs 2 Nr 3 Halbsatz 2 SGG kann der geltend gemachte Verfahrensmangel allerdings nicht auf eine Verletzung der §§ 109 und 128 Abs 1 Satz 1 SGG und auf eine Verletzung des § 103 SGG nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist. Ein entscheidungserheblicher Mangel des Berufungsverfahrens wird nur dann substantiiert bezeichnet, wenn der Beschwerdeführer diesen hinsichtlich aller ihn (vermeintlich) begründenden Tatsachen darlegt, sodass das Beschwerdegericht allein anhand dieser Begründung darüber befinden kann, ob die angegriffene Entscheidung des LSG möglicherweise auf dem geltend gemachten Verfahrensmangel beruht (vgl zB BSG Beschluss vom 16.11.2000 - B 4 RA 122/99 B - SozR 3-1500 § 160 Nr 33 - juris RdNr 16 mwN; BSG Beschluss vom 31.7.2017 - B 1 KR 47/16 B - SozR 4-1500 § 160 Nr 30 RdNr 16 mwN). Daran fehlt es.

Ausdrücklich sieht sich die Klägerin durch das angegriffene Urteil des LSG in ihrem Anspruch auf rechtliches Gehör (§ 62 SGG, Art 103 Abs 1 GG) verletzt. Allerdings führt sie in der Beschwerdebegründung zunächst aus, dass die auf § 153 Abs 2 SGG gestützte Verweisung des LSG auf die Gründe des SG-Urteils das angegriffene Urteil nicht zu tragen vermöge, weil das LSG zusätzlich eigene Sachverhaltsaufklärung ua durch Einholen ergänzender Stellungnahmen zweier Sachverständiger angestellt habe. Mit diesen habe sich das Gericht aber nicht befasst. Inwiefern dies eine Verletzung rechtlichen Gehörs darstellen könnte, wird jedoch nicht erkennbar. Allenfalls kann diesen Ausführungen die sinngemäße Rüge eines Verstoßes gegen § 153 Abs 2 iVm §§ 128 Abs 1 Satz 2, 136 Abs 1 Nr 6 SGG wegen fehlender Entscheidungsgründe entnommen werden. Jedoch wird auch diese nicht schlüssig bezeichnet, weil die Klägerin wenige Zeilen später mitteilt, dass LSG habe "völlig überraschend" ausgeführt, dass es so scheine, als habe sie dem Sachverständigen Dr. L. ihre Arbeit an den Tagen vor der Begutachtung nicht offengelegt. Im Übrigen gilt, dass nach § 128 Abs 1 Satz 2 SGG in dem Urteil die Gründe anzugeben sind, die für die richterliche Überzeugung leitend gewesen sind. Das bedeutet, aus den Entscheidungsgründen muss ersichtlich sein, auf welchen Erwägungen in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht die Entscheidung beruht. Dafür muss das Gericht aber nicht jeden Gesichtspunkt, der erwähnt werden könnte, abhandeln (vgl BVerfG Beschluss vom 1.8.1984 - 1 BvR 1387/83 - SozR 1500 § 62 Nr 16; BVerfG ≪Kammer≫ Beschluss vom 25.3.2010 - 1 BvR 2446/09 - juris RdNr 11). Auch braucht es nicht zu Fragen Stellung nehmen, auf die es nach seiner Auffassung nicht ankommt. Eine Entscheidung ist deshalb nicht schon dann nicht mit Gründen versehen, wenn das Gericht sich unter Beschränkung auf den Gegenstand der Entscheidung kurz gefasst und nicht jeden Gesichtspunkt, der möglicherweise hätte erwähnt werden können, behandelt hat. Zugleich wäre die Begründungspflicht selbst dann nicht verletzt, wenn die Ausführungen des Gerichts zu den rechtlichen Voraussetzungen und tatsächlichen Gegebenheiten falsch, oberflächlich oder wenig überzeugend sein sollten (BSG Beschluss vom 22.1.2008 - B 13 R 144/07 B - juris RdNr 7 mwN). Dass die hierdurch definierten Grenzen vorliegend nicht gewahrt sein könnten, wird aus der Beschwerdebegründung nicht erkennbar.

Eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör wird auch nicht anforderungsgerecht bezeichnet, wenn die Klägerin einerseits rügt, Stundenzettel ihres Arbeitgebers seien nicht zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemacht worden und das Gericht setze sich mit diesen nicht in den Entscheidungsgründen auseinander, andererseits aber vorträgt, das LSG stütze die Zurückweisung der Berufung auf diese Stundenzettel. Der hierin liegende Widerspruch wird in der Beschwerdebegründung nicht aufgelöst.

Nicht hinreichend bezeichnet wird eine Gehörsverletzung auch durch den Vortrag, das LSG habe Hinweise der Klägerin zu den Stundenzetteln im Urteil und der mündlichen Verhandlung berücksichtigen müssen. Insoweit fehlt es schon an konkreten Angaben, wann und in welcher Form diese Hinweise erfolgt sind. Zudem wird nicht erkennbar, wieso diese Hinweise - ausgehend von der Rechtsauffassung des LSG - für dessen Entscheidung erheblich gewesen sein könnten, wenn es sich mit diesen nicht einmal auseinandergesetzt haben soll.

Den Vortrag der Klägerin zu den überraschenden Ausführungen des LSG bezüglich eines scheinbaren Verschweigens ihrer Erwerbstätigkeit gegenüber dem Sachverständigen Dr. L. würdigt der Senat als sinngemäße Rüge einer Überraschungsentscheidung. Jedoch genügt auch diese nicht den Anforderungen an die Bezeichnung eines Verfahrensmangels. Zum einen wird auf Grundlage der knappen Beschwerdebegründung schon nicht erkennbar, inwieweit dies für die Beurteilung der Frage einer Erwerbsminderung durch das LSG entscheidungserheblich gewesen sein könnte. Zum anderen fehlt aber auch eine konkrete Darstellung des Prozessgeschehens, anhand derer nachzuvollziehen wäre, dass sich das Gericht damit auf einen Gesichtspunkt gestützt hat, mit dem auch ein gewissenhafter und kundiger Prozessbeteiligter nach dem bisherigen Prozessverlauf nicht zu rechnen brauchte (vgl zB BVerfG ≪Kammer≫ Beschluss vom 5.4.2012 - 2 BvR 2126/11 - NJW 2012, 2262 - juris RdNr 18 mwN). Darüber hinaus gibt es auch keine allgemeine Verpflichtung des Gerichts, die Beteiligten vor einer Entscheidung auf eine in Aussicht genommene Tatsachen- und Beweiswürdigung hinzuweisen oder die für die richterliche Überzeugungsbildung möglicherweise leitenden Gründe zuvor mit den Beteiligten zu erörtern. Diese wird weder durch den allgemeinen Anspruch auf rechtliches Gehör aus § 62 SGG bzw Art 103 Abs 1 GG noch durch die Regelungen zu richterlichen Hinweispflichten (§ 106 Abs 1 bzw § 112 Abs 2 Satz 2 SGG) begründet. Denn die tatsächliche und rechtliche Würdigung ergibt sich regelmäßig erst aufgrund der abschließenden Beratung (vgl BSG Beschluss vom 24.1.2018 - B 13 R 377/15 B - juris RdNr 19; BSG Urteil vom 17.4.2013 - B 9 SB 3/12 R - juris RdNr 44; Kummer, Die Nichtzulassungsbeschwerde, 2. Aufl 2010, RdNr 590 mwN).

Schließlich ist die Beschwerde schon von vornherein unzulässig, wenn sie zu Ziff 2 der Begründung auf einen "schweren Beweiswürdigungsfehler" gestützt wird. Wie bereits oben ausgeführt, kann der geltend gemachte Verfahrensmangel nicht auf eine Verletzung des Grundsatzes der freien Beweiswürdigung (§ 128 Abs 1 Satz 1 SGG) gestützt werden. Dies wird durch § 160 Abs 2 Nr 3 Halbsatz 2 SGG ausdrücklich ausgeschlossen.

Dass die Klägerin das Berufungsurteil inhaltlich für unrichtig hält, kann dagegen nicht zur Zulassung der Revision führen (stRspr; vgl zB BSG Beschluss vom 25.7.2011 - B 12 KR 114/10 B - SozR 4-1500 § 160 Nr 22 RdNr 4; BVerfG Beschluss vom 6.5.2010 - 1 BvR 96/10 - SozR 4-1500 § 178a Nr 11 RdNr 28 mwN).

Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab, weil sie nicht geeignet ist, zur Klärung der Voraussetzungen der Revisionszulassung beizutragen (§ 160a Abs 4 Satz 2 Halbsatz 2 SGG).

Die Verwerfung der unzulässigen Beschwerde erfolgt gemäß § 160a Abs 4 Satz 1 Halbsatz 2 iVm § 169 Satz 2 und 3 SGG durch Beschluss ohne Zuziehung der ehrenamtlichen Richter.

Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung von § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI14263614

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