Entscheidungsstichwort (Thema)
Vereinbarungen zur Gesamtvergütung in der Kassenärztlichen Versorgung sind kein i. S. von § 162 SGG revisibles Recht
Orientierungssatz
1. Für die Geltendmachung der grundsätzlichen Bedeutung einer Rechtssache zur Zulässigkeit der Revision nach § 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG muss in der Beschwerdebegründung eine konkrete Rechtsfrage in klarer Formulierung bezeichnet und ausgeführt werden, inwiefern diese Rechtsfrage in dem mit der Beschwerde angestrebten Revisionsverfahren entscheidungserheblich und klärungsbedürftig ist.
2. Grundsätzliche Bedeutung für eine Zulassung der Revision kann nur solchen Fragen zukommen, zu deren Klärung das Revisionsgericht berufen ist. Bei Regelungen zur Gesamtvergütung in der vertragsärztlichen Versorgung ist dies nicht grundsätzlich nicht der Fall, weil derartige auf Bezirksebene der Kassenärztlichen Vereinigung geschlossene Vereinbarungen kein i. S. des § 162 SGG revisibles Recht darstellen.
3. Es handelt sich vielmehr um Landesrecht, dessen Auslegung grundsätzlich den Gerichten des Landes vorbehalten ist und dem Bsg nicht zugänglich ist.
Normenkette
SGG § 160 Abs. 2 Nr. 1, § 160a Abs. 2 S. 3
Verfahrensgang
LSG Berlin-Brandenburg (Urteil vom 18.03.2016; Aktenzeichen L 24 KA 63/13) |
SG Potsdam (Aktenzeichen S 1 KA 31/11) |
Tenor
Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg vom 18. März 2016 wird verworfen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 12 281 Euro festgesetzt.
Gründe
I
Im Streit steht die Höhe der der Klägerin für die Quartale I/2009 und II/2009 gezahlten vertragsärztlichen Vergütung. Die Klägerin nimmt als Chirurgin in N. im Bezirk der beklagten KÄV an der vertragsärztlichen Versorgung teil. Die Beklagte wies der Klägerin mit Bescheiden vom 17.12.2008 (Quartal I/2009) und vom 24.2.2009 (Quartal II/2009) jeweils ein Regelleistungsvolumen (RLV) zu und setzte mit Bescheiden vom 23.7.2009 (I/2009) bzw vom 22.10.2009 (II/2009) ihr Honorar für diese Quartale fest. Für qualitätsgebundene Leistungen aus dem Leistungsbereich Diagnostische Radiologie wurde jeweils ein Fallwertzuschlag von 5 Euro je Behandlungsfall gewährt. Die hiergegen erhobenen Widersprüche wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheiden vom 1.3.2011 zurück. Klagen und Berufung, mit denen die Klägerin geltend gemacht hat, sie erbringe als einzige Chirurgin im Bezirk der Beklagten auch Leistungen auf dem Gebiet der Mammographie und erhalte für diese lediglich eine nicht kostendeckende Vergütung von 5 Euro, sind erfolglos geblieben (Urteil des SG vom 12.6.2013, Urteil des LSG vom 18.3.2016).
Das LSG hat ausgeführt, das auf die Klägerin entfallende RLV sei zutreffend festgesetzt worden. Die Beklagte habe die Klägerin zutreffend der Arztgruppe der Chirurgen zugeordnet. Zutreffend habe die Beklagte auch einen Fallwertzuschlag für Ärzte des fachärztlichen Versorgungsbereiches, die nicht Fachärzte für Nuklearmedizin, Radiologie oder Strahlentherapie sind, für qualitätsgebundene Leistungen innerhalb des Leistungsbereichs Diagnostische Radiologie berücksichtigt. Das RLV sei auch nicht wegen Praxisbesonderheiten anzupassen, weil die hierfür erforderlichen Voraussetzungen nach § 16 der Vereinbarung zur Gesamtvergütung und zu arzt- und praxisbezogenen RLV im Jahr 2009 nicht erfüllt seien. Es sei weder zu einer erheblichen Erhöhung der Fallzahl gekommen (Abs 1 aaO), noch liege eine für die Versorgung bedeutsame fachliche Spezialisierung im Sinne des § 16 Abs 2 aaO vor. Ebenfalls nicht einschlägig sei die Fallgruppe, dass der tatsächliche Fallwert der Arztgruppe aufgrund einer für die Versorgung bedeutsamen Spezialisierung um mehr als 30 % überschritten werde (Abs 3 aaO). Auch eine Härtefallregelung (§ 16 Abs 4 aaO) komme nicht in Betracht, weil keine Verwerfungen der regionalen Versorgungsstruktur zu befürchten seien, da neben der Klägerin noch ein Radiologe in N. Mammographie-Leistungen anbiete. Ein Recht auf eine abweichende Berechnung des RLV ergebe sich auch nicht aus dem Umstand, dass die Klägerin teilweise andere Leistungen als ihre Arztgruppe anbiete, weil ohne eine relevante Ausprägung dieser Besonderheit in der Vergütungsstruktur keine Notwendigkeit bestehe, beim Zuschnitt der RLV steuernd einzugreifen. Die Klägerin benötige ein höheres RLV nur dann, wenn sie mehr oder höherwertige Leistungen als der Durchschnitt ihrer Fachgruppe erbringe, nicht hingegen, wenn sie lediglich andere, aber ansonsten gleichwertige Leistungen erbringe.
Mit ihrer Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision in diesem Urteil macht die Klägerin die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache (Zulassungsgrund gemäß § 160 Abs 2 Nr 1 SGG) geltend.
II
Die Beschwerde der Klägerin hat keinen Erfolg. Sie ist unzulässig, denn ihre Begründung entspricht nicht den aus § 160a Abs 2 Satz 3 SGG abzuleitenden Darlegungsanforderungen.
Für die Geltendmachung der grundsätzlichen Bedeutung einer Rechtssache muss danach in der Beschwerdebegründung eine konkrete Rechtsfrage in klarer Formulierung bezeichnet (vgl BVerfGE 91, 93, 107 = SozR 3-5870 § 10 Nr 5 S 31; BSG SozR 3-1500 § 160a Nr 21 S 37 f) und ausgeführt werden, inwiefern diese Rechtsfrage in dem mit der Beschwerde angestrebten Revisionsverfahren entscheidungserheblich (klärungsfähig) sowie klärungsbedürftig ist. Es muss ersichtlich sein, dass sich die Antwort nicht ohne Weiteres aus der bisherigen Rechtsprechung ergibt. Bei einer Revisions-Nichtzulassungsbeschwerde ist es Aufgabe des Prozessbevollmächtigten, die einschlägige Rechtsprechung aufzuführen und sich damit zu befassen; eine Beschwerdebegründung, die es dem Gericht überlässt, die relevanten Entscheidungen zusammenzusuchen, wird den Darlegungserfordernissen des § 160a Abs 2 Satz 3 SGG nicht gerecht. Auch lediglich kursorische Hinweise ohne Durchdringung des Prozessstoffs reichen nicht aus (vgl BVerfG ≪Kammer≫, DVBl 1995, 35). Diese Anforderungen sind verfassungsrechtlich unbedenklich (s die zitierte BVerfG-Rspr und zB BVerfG ≪Kammer≫ SozR 3-1500 § 160a Nr 7 S 14). Dem wird die Beschwerde der Klägerin nicht gerecht.
Die Klägerin hat die - "summarisch wie folgt zusammenfassend" dargestellte Frage aufgeworfen:
"Sind nach dem Grundsatz der sich aus dem Erfordernis der Honorarverteilungsgerechtigkeit ergebenden Erfordernisse leistungsproportionaler Vergütung bedeutsame fachliche Spezialisierungen als Praxisbesonderheiten auch dann anzuerkennen, wenn diese in versorgungsrelevantem Umfang durch eine einzige Praxis im KV-Bezirk innerhalb einer Fachgruppe erbracht werden, eine hieraus resultierende Überschreitung des durchschnittlichen Fallwertes der Arztgruppe von mindestens 30 % jedoch nicht vorliegt. Ist also § 16 der Vereinbarung der gesetzlichen Gesamtvergütung und zu Arzt- und Praxisbezogenen Regelleistungsvolumina der Beklagten im Jahr 2009 insoweit rechtswidrig, als dort Praxisbesonderheiten für die Versorgung, auch mit einer bedeutsamen fachlichen Spezialisierung, ausschließlich anerkannt werden, bei den eine hieraus resultierende Überschreitung des durchschnittlichen Fallwertes der Arztgruppe von mindestens 30 % vorliegt - und zwar auch dann, wenn keine andere Praxis im KV-Bezirk diese Leistung anbietet, weil sie nicht zum spezifischen Leistungsbild der Fachgruppe gehört." Insbesondere hält sie die Frage für klärungsbedürftig, "ob dem Grundsatz der Honorarverteilungsgerechtigkeit und leistungsproportionalen Vergütung die hier von der Beklagten in § 16 Abs. 4 letztlich abschließend geregelte Normierung von Praxisbesonderheiten zulässig ist, ob es also im Ermessen einer Kassenärztlichen Vereinigung steht, solcher Art einen numerus clausus von Praxisbesonderheiten zu schaffen."
Die Klägerin legt bereits nicht dar, dass den von ihr aufgeworfenen Fragen Bedeutung über den Einzelfall hinaus zukommt. Sie selbst trägt vor, es sei "zumindest in Brandenburg, wenn nicht sogar bundesweit ein absoluter Einzelfall", dass in einer chirurgischen Facharztpraxis Mammographie-Leistungen erbracht würden. Die bloße Behauptung, es ließen sich "auch weitere Praxen finden …, die berechtigter Maßen ärztliche Leistungen erbringen, die von ihrer Fachgruppe ansonsten nicht erbracht werden", genügt den Darlegungsanforderungen nicht. Damit ist nicht dargetan, dass die Rechtsfrage das Interesse der Allgemeinheit an einer einheitlichen Entwicklung und Handhabung des Rechts berührt (stRspr des BSG, vgl zB BSG SozR 1500 § 160a Nr 7; Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 11. Aufl 2014, § 160 RdNr 7a). Streitigkeiten, die ausschließlich die Interessen der unmittelbar oder mittelbar am Rechtsstreit Beteiligten berühren, sind von einer Zulassung wegen grundsätzlicher Bedeutung ausgeschlossen (Leitherer aaO).
Darüber hinaus fehlt es in der Beschwerdebegründung an den gebotenen Darlegungen zur Klärungsfähigkeit der aufgeworfenen Fragen. Grundsätzliche Bedeutung für eine Zulassung der Revision kann nur solchen Fragen zukommen, zu deren Klärung das Revisionsgericht berufen ist. Dies ist in Bezug auf die vorliegend strittigen Regelungen des § 16 der Vereinbarung über die Gesamtvergütung und die RLV grundsätzlich nicht der Fall, weil derartige auf KÄV-Bezirksebene geschlossene Vereinbarungen kein im Sinne des § 162 SGG revisibles Recht darstellen (vgl BSG Beschluss vom 31.5.2006 - B 6 KA 10/06 B - RdNr 9 - Juris, zu Sprechstundenbedarfsvereinbarungen; BSG Beschluss vom 3.8.2016 - B 6 KA 12/16 B - RdNr 11 - Juris, zu Bestimmungen des Honorarverteilungsvertrages). Es handelt sich vielmehr um Landesrecht, dessen Auslegung grundsätzlich den Gerichten des Landes vorbehalten und dem BSG nicht zugänglich ist. Dass ein Umstand vorliegt, der die Bindungswirkung ausnahmsweise entfallen lässt (s hierzu BSG Beschluss vom 23.3.2011 - B 6 KA 74/10 B - RdNr 11 - Juris), hat die Klägerin nicht dargelegt. Insbesondere ist von der Klägerin nicht geltend gemacht worden, dass identische Vorschriften in anderen regionalen Vereinbarungen enthalten sind und diese Übereinstimmung auf einer bewussten Angleichung der Regelungen durch den jeweiligen Normgeber beruht.
Wenn man die Fragen der Klägerin dahingehend interpretiert, dass sie - ungeachtet des Umstandes, dass sie keine derartige Norm benannt hat - zugleich auch eine Verletzung von Bundesrecht rügen will, fehlt es zum einen an konkreten Darlegungen dazu, welche bundesrechtlichen Normen die Klägerin als verletzt ansieht. Zum anderen bezögen sich die Fragen dann auf ausgelaufenes Recht, sodass es ergänzender Darlegungen dazu bedurft hätte, weshalb ungeachtet dessen ein Bedürfnis für eine grundsätzliche Klärung bestehen soll (s hierzu zB BSG SozR 1500 § 160a Nr 19; BSG SozR 4-1500 § 160a Nr 32 RdNr 10 mwN). Die vorliegend in Frage kommenden bundesrechtlichen Rechtsgrundlagen - § 87b Abs 4 Satz 1 SGB V aF sowie der auf dieser Grundlage ergangene Beschluss des Erweiterten Bewertungsausschusses vom 27./28.8.2008 (unter Teil F) - gelten nicht fort (s hierzu BSG Beschluss vom 3.8.2016 - B 6 KA 12/16 B - RdNr 10 - Juris).
Die Beschwerdebegründung enthält schließlich keine ausreichenden Darlegungen zur Klärungsbedürftigkeit der aufgeworfenen Fragen. Soweit die Klägerin sich als "Härtefall" sieht, hätte es einer Auseinandersetzung mit der Rechtsprechung des Senats bedurft, wonach die Annahme eines Härtefalls dann, wenn die besonderen Versorgungsstrukturen bereits grundsätzlich berücksichtigt werden, nur noch in seltenen Ausnahmefällen in Betracht kommt (vgl BSG SozR 4-2500 § 85 Nr 84 RdNr 26).
Soweit sie die Frage aufwirft, ob KÄVen zur "abschließenden Normierung von Praxisbesonderheiten" berechtigt sind oder ob dies den Grundsätzen der Honorarverteilungsgerechtigkeit und der leistungsproportionalen Verteilung zuwiderläuft, macht die Klägerin schon nicht deutlich, worin der Verstoß gegen die genannten Grundsätze bestehen soll. Der Grundsatz der leistungsproportionalen Verteilung besagt, dass die ärztlichen Leistungen prinzipiell gleichmäßig zu vergüten sind. Da es sich jedoch allein um einen Grundsatz handelt, verbleibt den KÄVen im Rahmen ihrer Satzungsautonomie (bzw zwischenzeitlich den Partnern der Honorarverteilungsverträge) ein Spielraum für sachlich gerechtfertigte Abweichungen (stRspr, vgl etwa BSGE 83, 205, 211 f = SozR 3-2500 § 85 Nr 29 S 218; BSG SozR 3-2500 § 85 Nr 45 S 370; BSG SozR 4-2500 § 85 Nr 82 RdNr 36-37). Nichts anderes gilt für das aus Art 12 Abs 1 iVm Art 3 Abs 1 GG folgende Gebot der Honorarverteilungsgerechtigkeit. Es gebietet, dass die normativen Regelungen des Vertragsarztrechts die Unterschiede berücksichtigen, die typischerweise innerhalb der betroffenen Berufsgruppe bestehen (vgl zB BSGE 83, 205, 212 = SozR 3-2500 § 85 Nr 29 S 218 f; BSG SozR 4-2500 § 85 Nr 63 RdNr 25); auch insoweit bestehen Gestaltungsspielräume des Normgebers. Angesichts der bestehenden Gestaltungsspielräume des Normgebers hätte es einer näheren Auseinandersetzung mit der einschlägigen Senatsrechtsprechung und näherer Darlegungen dazu bedurft, wieso die Beklagte diese Spielräume überschritten haben soll.
Im Übrigen spricht viel dafür, dass die angefochtene Entscheidung nicht zu beanstanden ist. Die von der Klägerin geltend gemachte "Besonderheit" besteht allein darin, dass sie Leistungen erbringt, die zum Kerngebiet eines anderen Fachgebietes gehören und - naheliegender Weise - von den anderen Ärzten ihrer Fachgruppe nicht erbracht werden. Dies könnte etwa dann relevant sein, wenn der Leistungserbringung zugrunde läge, dass die Ärzte der hierfür "zuständigen" Arztgruppe die Versorgung nicht sicherstellten. Dies ist aber offensichtlich nicht der Fall, da derartige Leistungen in N. von einem Radiologen angeboten werden. Die Klägerin trägt selbst vor, dass die Erbringung von Mammographie-Leistungen durch sie "historisch gewachsen" ist.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs 1 Satz 1 Teilsatz 3 SGG iVm §§ 154 ff VwGO. Danach hat die Klägerin auch die Kosten des von ihr ohne Erfolg durchgeführten Rechtsmittels zu tragen (§ 154 Abs 2 VwGO).
Die Festsetzung des Streitwerts entspricht der Festsetzung der Vorinstanz vom 18.3.2016, die von keinem der Beteiligten in Frage gestellt worden ist (§ 197a Abs 1 Satz 1 Halbsatz 1 SGG iVm § 63 Abs 2 Satz 1, § 52 Abs 1, § 47 Abs 1 und 3 GKG).
Fundstellen
Dokument-Index HI10448752 |