Verfahrensgang
LSG Rheinland-Pfalz (Urteil vom 06.08.1996) |
Tenor
Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 6. August 1996 wird als unzulässig verworfen.
Kosten sind nicht zu erstatten.
Gründe
Die Klägerin ist mit dem Begehren, eine Berufskrankheit (BK) der Nr 2106 der Anlage 1 zur Berufskrankheitenverordnung (BKVO) anzuerkennen und ihr wegen der Folgen der anerkannten BK der Nr 2101 der Anlage 1 zur BKVO eine Verletztenrente in Höhe von insgesamt 30 vH, mindestens aber in Höhe von 20 vH der Vollrente zu gewähren, ohne Erfolg geblieben (Bescheide vom 26. April 1994 und 13. Juni 1995; Urteile des Sozialgerichts vom 14. Juli 1994 und des Landessozialgerichts ≪LSG≫ vom 6. August 1996). Das LSG ist zu dem Ergebnis gelangt, eine BK der Nr 2106 der Anlage 1 zur BKVO liege nicht vor. Die Klägerin habe auch keinen Anspruch auf Zahlung einer Verletztenrente aus Anlaß der BK der Nr 2101 der Anlage 1 zur BKVO, weil die dadurch bedingte Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) nur 10 vH betrage. Eine Erhöhung der MdE nach § 581 Abs 2 der Reichsversicherungsordnung (RVO) komme nicht in Betracht, da die Voraussetzungen dieser Vorschrift, insbesondere unter Beachtung der für sie von der Rechtsprechung aufgestellten Maßstäbe, nicht vorlägen. Hinzu komme, daß der Klägerin ein Minderverdienstausgleich nach § 3 BKVO gewährt worden sei.
Die hiergegen gerichtete Nichtzulassungsbeschwerde, mit der die Beschwerdeführerin die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache geltend macht, ist unzulässig. Die dazu gegebene Begründung entspricht nicht der in § 160 Abs 2 und § 160a Abs 2 Satz 3 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) festgelegten Form. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) erfordern diese Vorschriften, daß die Zulassungsgründe schlüssig dargetan werden (BSG SozR 1500 § 160a Nrn 34, 47 und 58; vgl auch Krasney/Udsching, Handbuch des sozialgerichtlichen Verfahrens, 1991, IX, RdNrn 177 und 179 mwN). Daran fehlt es der Beschwerdebegründung.
Nach § 160 Abs 2 Nr 1 SGG ist die Revision zuzulassen, wenn die Sache grundsätzliche Bedeutung hat. In der Beschwerdebegründung muß nach § 160a Abs 2 Satz 3 SGG die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache dargelegt werden. Die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache ist gegeben, wenn zu erwarten ist, daß die Revisionsentscheidung die Rechtseinheit in ihrem Bestand erhalten oder die Weiterentwicklung des Rechts fördern wird. Es muß eine klärungsbedürftige Rechtsfrage aufgeworfen sein, welche bisher revisionsgerichtlich noch nicht – ausreichend – geklärt ist (siehe ua BSG SozR 1500 § 160 Nr 17). Demgemäß muß der Beschwerdeführer, der die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache darzulegen hat, aufzeigen, inwieweit zu der aufgeworfenen Frage bereits Rechtsgrundsätze herausgearbeitet sind und in welchem Rahmen noch eine weitere Ausgestaltung, Erweiterung oder Änderung derselben durch das Revisionsgericht erforderlich erscheint (vgl Krasney/Udsching, aaO IX RdNrn 65, 66; Kummer, Die Nichtzulassungsbeschwerde, 1990, RdNrn 116 ff). Diesen Anforderungen wird die Beschwerdebegründung nicht gerecht.
Die Beschwerdeführerin hält die Rechtsfrage wieder für klärungsbedürftig, was unter „erworbene besondere berufliche Kenntnisse und Erfahrungen” iSv § 581 Abs 2 RVO zu verstehen sei. Es existierten dazu zwar mehrere einschlägige Entscheidungen des BSG. Die ihnen zugrunde liegenden Sachverhalte hätten sich aber durch den nachträglich eingetretenen sozialen Wandel geändert, so daß die Rechtsfrage wieder klärungsbedürftig sei. Die Beschwerdeführerin setzt sich nicht mit der – auch vom LSG beachteten – ständigen Rechtsprechung des BSG zur Erhöhung der MdE wegen unbilliger Härte gemäß § 581 Abs 2 RVO auseinander (vgl BSGE 39, 31; BSG SozR Nrn 10 und 12 zu § 581 RVO; BSG SozR 2200 § 581 Nrn 18 und 27; BSG SozR 3-2200 § 581 Nr 1; Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, 11. Aufl, S 568k ff; Lauterbach/Watermann, Unfallversicherung, § 581 RVO, Anm 9 bis 12; M. Ruppelt in Schulin, Handbuch des Sozialversicherungsrechts, Bd 2, Unfallversicherung, 1996, § 48 RdNrn 39 ff, jeweils mwN aus Rechtsprechung und Literatur). Sie legt insbesondere nicht schlüssig dar, wieso trotz der vorliegenden eingehenden höchstrichterlichen Rechtsprechung – wieder – eine Klärungsbedürftigkeit bestehen soll. Die pauschale Behauptung eines eingetretenen sozialen Wandels stellt keine schlüssige substantiierte Begründung dar, zumal die Entscheidung des BSG SozR 3-2200 § 581 Nr 1 erst vom Dezember 1991 stammt. Dazu hätte die Darlegung gehört, inwiefern und seit wann ein sozialer Wandel eingetreten ist und wie sich dieser auf die bisherige Rechtsprechung auswirkt, so daß die Rechtssache doch wieder grundsätzliche Bedeutung hat, weil die vorliegende Rechtsprechung die hier maßgebende Frage grundsätzlicher Bedeutung nicht mehr beantwortet. Hinzu kommt, daß die von der Beschwerdeführerin angesprochenen Merkmale, wie das Alter des Verletzten und die erfolgte Dauer der Ausbildung sowie der Ausübung der beruflichen Tätigkeit, lediglich einzelne von mehreren Kriterien (vgl Lauterbach/Watermann, aaO, Anm 11; Brackmann, aaO, S 569a) für die Beurteilung der Frage darstellen, ob eine höhere Bewertung der MdE zur Vermeidung unbilliger Härten gerechtfertigt ist. Neben diesen Merkmalen sind außerdem die besonderen sonstigen Umstände des Einzelfalles bei der Entscheidung über eine höhere Bewertung der MdE nach § 581 Abs 2 RVO jeweils zu berücksichtigen (vgl BSG SozR 3-2200 § 581 Nr 1). Nach der Rechtsprechung des BSG sind schließlich die einzelnen Merkmale und Umstände des jeweiligen Falles nicht isoliert, sondern in ihrer Gesamtheit zu beurteilen (BSG aaO). Daß für die Berücksichtigung dieser in der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze zur Anwendung des § 581 Abs 2 RVO doch noch/wieder eine Klärungsbedürftigkeit iS des § 160 Abs 2 Nr 1 SGG bestehen soll, hat die Beschwerdeführerin nicht schlüssig dargelegt.
Gleiches gilt auch für die von der Beschwerdeführerin geltend gemachte Klärungsbedürftigkeit der weiteren Rechtsfrage, ob § 581 Abs 2 RVO mit Art 3 Abs 1 des Grundgesetzes (GG) vereinbar ist. Die Beschwerdeführerin hat hierzu die Klärungsbedürftigkeit dieser Rechtsfrage nicht schlüssig dargelegt. Auch hier kann die bloße Behauptung der Verfassungswidrigkeit einer Vorschrift nicht ausreichen; vielmehr muß dargetan sein, aus welchen Gründen. Insbesondere bei behaupteten Verstößen gegen den Gleichheitsgrundsatz ist zu erläutern, worin Ungleichbehandlung und Willkür erblickt werden (BSG SozR 1500 § 160a Nr 11).
Die Beschwerdeführerin sieht einen Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz des Art 3 Abs 1 GG in der fehlenden Verweisung in § 581 Abs 2 RVO auf § 30 Abs 2 des Bundesversorgungsgesetzes (BVG), wie dies in anderen Gesetzen, zB dem Opferentschädigungsgesetz (OEG) geschehen sei. Insbesondere die unterschiedliche gesetzliche Behandlung von Arbeitsopfern und den Opfern von Gewalttaten zeige die verfassungswidrige Lücke in der RVO. Das Grundrecht des Art 3 Abs 1 GG ist dann verletzt, wenn eine Gruppe von Normadressaten im Vergleich zu anderen Normadressaten ungleich behandelt wird, obwohl zwischen beiden Gruppen keine Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht bestehen, daß sie die ungleiche Behandlung rechtfertigen könnten (BVerfGE 75, 78 ff). Bei der Prüfung, ob ein Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz vorliegt, ist daher ein Vergleich der Verhältnisse erforderlich. Für eine schlüssige Darlegung der Klärungsbedürftigkeit der aufgeworfenen Rechtsfrage wäre daher darzulegen gewesen, daß trotz der gegenüber dem Versorgungsrecht anders gearteten Systematik des Unfallversicherungsrechts (vgl BSG SozR 3-2200 § 581 Nr 1), trotz der unterschiedlichen Ermittlung der Renten – nicht nach Pauschalsätzen ohne Rücksicht auf das Einkommen, sondern auf der Grundlage des vom Verletzten während des letzten Jahres vor dem Arbeitsunfall verdienten Arbeitsentgelts –, trotz des im Unfallversicherungsrecht geltenden Grundsatzes der abstrakten Schadensbemessung für den Gesetzgeber keine die unterschiedliche gesetzliche Handhabung in § 581 RVO Abs 2 und § 30 Abs 2 BVG rechtfertigenden Gründe vorgelegen hätten. Dabei wäre auch darzulegen gewesen, daß dabei der Umstand unerheblich ist, daß im Falle einer allgemeinen Berücksichtigung des „besonderen beruflichen Betroffenseins” entsprechend § 30 Abs 2 BVG in der gesetzlichen Unfallversicherung es häufig zu einer doppelten Berücksichtigung des Berufes kommen würde, weil dieser durch den vom Beruf mitbestimmten Jahresarbeitsverdienst bereits berücksichtigt worden ist (vgl Brackmann, aaO, S 568m). Damit fehlt eine schlüssige Darlegung der Klärungsbedürftigkeit des geltend gemachten Verstoßes gegen den Gleichheitsgrundsatz.
Die Beschwerde war daher als unzulässig zu verwerfen (§ 169 SGG).
Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.
Fundstellen