Verfahrensgang
Thüringer LSG (Urteil vom 27.02.2018; Aktenzeichen L 9 VE 1/15) |
SG Dresden (Entscheidung vom 19.12.2014; Aktenzeichen S 39 VE 17/10) |
Tenor
Der Antrag des Klägers, ihm für das Beschwerdeverfahren gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Sächsischen Landessozialgerichts vom 27.2.2018 Prozesskostenhilfe zu gewähren und einen Rechtsanwalt beizuordnen, wird abgelehnt.
Gründe
I
Die Beteiligten streiten um das Ausmaß der Entschädigung für die vom Kläger erlittene rechtsstaatswidrige Haft in der ehemaligen DDR nach dem Strafrechtlichen Rehabilitierungsgesetz.
Der Kläger ist für mehrere rechtsstaatswidrige Haftzeiten in der ehemaligen DDR, die er ua als Jugendlicher in so genannten Jugendwerkhöfen erdulden musste, strafrechtlich rehabilitiert worden. Als gesundheitliche Schädigungen durch diese Freiheitsentziehungen waren bei ihm zunächst eine Persönlichkeitsstörung und eine Posttraumatische Belastungsstörung (PTBS) mit einem Grad der Schädigungsfolgen (GdS) von 40 festgestellt. Beschädigtenversorgung wurde dem Kläger ab dem 1.5.2006 als dem Antragsmonat zuerkannt (Bescheid vom 22.8.2007).
Anträge des Klägers auf Anerkennung weiterer - körperlicher - Haftschäden und eine Höherbewertung des GdS wegen besonderer beruflicher Betroffenheit sowie die Gewährung eines Berufsschadensausgleichs blieben ebenso erfolglos wie seine Forderung nach einem früheren Leistungsbeginn für die Entschädigungszahlungen (Bescheide vom 7.5.2010 und vom 27.7.2010, Widerspruchsbescheid vom 9.8.2010). Gleichfalls abgelehnt wurde der Antrag des Klägers auf Gewährung von Zahnersatz nach dem Bundesversorgungsgesetz (Bescheid vom 4.11.2010, Widerspruchsbescheid vom 13.1.2011).
Das SG hat dagegen eine Reihe von Zahnschäden als weitere Schädigungsfolgen anerkannt. Der Kläger habe aber keinen Anspruch auf Höherbewertung wegen besonderer beruflicher Betroffenheit oder eines Berufsschadensausgleichs (Gerichtsbescheid vom 19.12.2014).
Das LSG hat den Beklagten nach medizinischer Beweiserhebung auf orthopädischem und psychiatrischem Gebiet verpflichtet, den Kläger ab dem 1.10.1997 nach einem GdS von 50 zu entschädigen. Im Übrigen hat es die Berufung zurückgewiesen. Die haftbedingte PTBS des Klägers verursache einen GdS von 50. Für den vom Kläger begehrten Leistungsbeginn vor dem 1.10.1997 fehle es dagegen an einem Antrag. Seine Beschwerden auf orthopädischem Fachgebiet, speziell im Bereich der Wirbelsäule, seien nicht durch die schädigenden Ereignisse verursacht worden. Der Kläger habe auch keinen Anspruch auf Höherbewertung der Schädigungsfolgen wegen besonderer beruflicher Betroffenheit. Bei seiner Berentung hätten die Schmerzen des Bewegungsapparates im Vordergrund gestanden. Ein schädigungsbedingter Minderverdienst sei aufgrund seines Berufsverlaufs ebenfalls nicht festzustellen.
Mit seinem Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe (PKH) für eine Nichtzulassungsbeschwerde macht der Kläger insbesondere geltend, das LSG habe den Sachverhalt nicht ausreichend aufgeklärt und dadurch seine Grundrechte verletzt.
II
Der PKH-Antrag des Klägers ist unbegründet. PKH ist nur zu bewilligen, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet (§ 73a Abs 1 S 1 SGG iVm § 114 Abs 1 S 1 ZPO). An der erforderlichen Erfolgsaussicht fehlt es hier. Es ist nicht zu erkennen, dass ein zugelassener Prozessbevollmächtigter (§ 73 Abs 4 SGG) in der Lage wäre, die von dem Kläger angestrebte Nichtzulassungsbeschwerde erfolgreich zu begründen.
Hinreichende Erfolgsaussicht hätte die Nichtzulassungsbeschwerde nur, wenn einer der in § 160 Abs 2 SGG abschließend aufgeführten Zulassungsgründe mit Erfolg geltend gemacht werden könnte. Die Revision darf danach zugelassen werden, wenn die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG), das Urteil von einer Entscheidung des BSG, des Gemeinsamen Senats der Obersten Gerichtshöfe des Bundes (GmSOGB) oder des BVerfG abweicht und auf dieser Abweichung beruht (§ 160 Abs 2 Nr 2 SGG) oder ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann (§ 160 Abs 2 Nr 3 SGG).
Nach Durchsicht der Akten fehlen - auch unter Würdigung des Vorbringens des Klägers - Anhaltspunkte dafür, dass ein vor dem BSG zugelassener Prozessbevollmächtigter einen der in § 160 Abs 2 Nr 1 bis 3 SGG abschließend aufgeführten Zulassungsgründe darlegen könnte. Die Sache bietet keine Hinweise für eine über seinen Einzelfall hinausgehende, grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache (Zulassungsgrund gemäß § 160 Abs 2 Nr 1 SGG). Auch ist nicht ersichtlich, dass das LSG entscheidungstragend von Rechtsprechung des BSG, des GmSOGB oder des BVerfG abgewichen sein könnte (Zulassungsgrund gemäß § 160 Abs 2 Nr 2 SGG).
Schließlich fehlt ein ausreichender Anhalt dafür, dass ein die Revisionszulassung rechtfertigender Verfahrensfehler des LSG vorliegen könnte (Zulassungsgrund des § 160 Abs 2 Nr 3 SGG). Nach § 160 Abs 2 Nr 3 SGG ist die Revision zuzulassen, wenn ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann; der Verfahrensmangel kann nicht auf eine Verletzung von § 109 SGG und § 128 Abs 1 S 1 SGG (Grundsatz der freien richterlichen Beweiswürdigung) und auf eine Verletzung des § 103 SGG (Amtsermittlungsgrundsatz) nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist.
Für einen solchen Verfahrensfehler ist nichts ersichtlich. Der Kläger wendet sich ausführlich gegen die Tatsachenermittlung und Beweiswürdigung des LSG. Insbesondere vertritt er die Ansicht, das LSG habe wesentliche Tatsachen unberücksichtigt gelassen und ihm deshalb die Möglichkeit genommen, eine Kausalität zwischen der von ihm geleisteten Zwangsarbeit und den körperlichen Folgeschäden zu beweisen. Der Kläger hat in dem von ihm übersandten Schreiben aus dem Berufungsverfahren zuletzt ua noch verlangt, zahlreiche Unterlagen aus den Verfahren über die Feststellung seiner Schwerbehinderung und seiner Erwerbsunfähigkeit beizuziehen sowie wissenschaftliche Arbeiten über die Heimeinrichtungen der DDR zu verwenden. Unabhängig von der Frage, ob er damit einen prozessordnungsgemäßen Beweisantrag gestellt und insbesondere ein hinreichend konkretes Beweisthema benannt hat (vgl Senatsbeschluss vom 2.6.2017 - B 9 V 16/17 B - Juris RdNr 6 mwN), erschließt sich nicht, warum der Vortrag des Klägers das LSG zu weiteren Ermittlungen hätte drängen sollen (vgl Senatsbeschluss vom 16.2.2017 - B 9 V 48/16 B - Juris RdNr 13 mwN). Das Berufungsgericht hat jeweils ein Sachverständigengutachten zum Zusammenhang zwischen der vom Kläger erlittenen rechtsstaatswidrigen Haft und den seelischen sowie möglichen körperlichen Folgen eingeholt. Liegen aber bereits mehrere Gutachten (oder fachkundige Angaben) vor, ist das Tatsachengericht nur dann zu weiteren Beweiserhebungen verpflichtet, wenn die vorhandenen Gutachten (oder fachkundigen Angaben) grobe Mängel oder unlösbare Widersprüche enthalten, von unzutreffenden sachlichen Voraussetzungen ausgehen oder Anlass zu Zweifeln an der Sachkunde des Gutachters geben (Senatsbeschluss vom 1.4.2014 - B 9 V 54/13 B - Juris RdNr 11 mwN). Dafür ist hier nichts ersichtlich. Die vom Kläger erwähnten Befunde aus anderen Verfahren waren Gegenstand der Begutachtung. Soweit er darauf hinweist, im erstinstanzlichen Verfahren sei der GdS auf psychischem Gebiet von einem anderen Gutachter höher veranschlagt worden, so hat die im Berufungsverfahren gehörte Sachverständige diese Einschätzung berücksichtigt und in ihre abschließende Bewertung einbezogen.
Die Behauptung des Klägers, der orthopädische Gutachter habe wissenschaftliche Arbeiten zu den Verfolgungsmethoden in der DDR ignoriert und sei deshalb zu einem falschen Ergebnis gekommen, verkennt den Inhalt des Gutachtens. Ihm liegt ua eine ausführliche, mit dem Kläger besprochene Schilderung seiner Lebensumstände in den Jahren 1961 bis 1975 zugrunde, insbesondere der körperlichen Belastungen durch schwere körperliche Arbeit und stundenlangen Strafsport. Diese Schilderungen hat der Gutachter nach den anerkannten wissenschaftlichen Erkenntnissen verwertet. Grobe Mängel des Gutachtens sind deshalb nicht ersichtlich.
Darüber hinaus kritisiert der Kläger, die Tatsacheninstanzen hätten von einer Antragstellung auf Versorgung bereits im Jahr 1993 ausgehen müssen. Der Kläger bezieht sich auf das von ihm im Verfahren mehrfach vorgelegte Schreiben des Landkreises H. vom 5.8.1993, das den Eingang eines Antrags des Klägers bestätigt. Indes weist ihn dieses Schreiben auf die Unzuständigkeit des Landkreises hin und teilt ihm die Adresse der zuständigen Versorgungsverwaltung mit. Der Zeitpunkt der erstmaligen Antragstellung dort war ua Gegenstand von Ermittlungen des SG. Sie haben zur Einschätzung der Tatsacheninstanzen geführt, den Akten sei kein konkreter Antrag des Klägers auf Versorgung nach dem strafrechtlichen Rehabilitierungsgesetz für das Jahr 1993 zu entnehmen.
Letztlich wendet sich der Kläger in vielfacher Weise gegen die Beweiswürdigung der Tatsacheninstanzen - insbesondere auch bei der Auswertung der vorliegenden Gutachten -, die § 160 Abs 2 Nr 3 Halbs 2 SGG der Beurteilung durch das Revisionsgericht vollständig entzieht. Kraft der darin enthaltenen ausdrücklichen gesetzlichen Anordnung kann die Beweiswürdigung des Berufungsgerichts mit der Nichtzulassungsbeschwerde weder unmittelbar noch mittelbar angegriffen werden (Senatsbeschluss vom 23.5.2017 - B 9 SB 76/16 B - Juris RdNr 9). Nichts anderes gilt für die Verneinung eines Kausalzusammenhangs zwischen der vom Kläger erlittenen rechtsstaatswidrigen Haft und seinen Beschwerden auf orthopädischem Gebiet. Die Behauptung des Klägers, er habe sehr wohl einen schädigungsbedingten Minderverdienst erlitten und ihm stehe deshalb eine höhere Entschädigung zu, könnte einer Beschwerde deshalb ebenfalls nicht zum Erfolg verhelfen.
Ebenfalls nicht ersichtlich ist die vom Kläger geltend gemachte Verletzung rechtlichen Gehörs (§ 62 SGG, Art 103 Abs 1 GG). Dieser Anspruch soll verhindern, dass die Beteiligten durch eine Entscheidung überrascht werden, die auf Rechtsauffassungen, Tatsachen oder Beweisergebnissen beruht, zu denen sie sich nicht äußern konnten (s § 128 Abs 2 SGG; vgl Urteil vom 23.5.1996 - 13 RJ 75/95 - Juris RdNr 24 mwN), und sicherstellen, dass ihr Vorbringen vom Gericht zur Kenntnis genommen und in seine Erwägungen miteinbezogen wird (BVerfG Urteil vom 8.7.1997 - 1 BvR 1621/94 - Juris RdNr 43 mwN). Das Gericht muss jedoch nicht ausdrücklich jedes Vorbringen der Beteiligten bescheiden. Ein Verstoß gegen die Pflicht zur Berücksichtigung von Vorbringen ist nur dann anzunehmen, wenn sich dies aus den besonderen Umständen des Falles ergibt (BVerfG, aaO), zB wenn ein Gericht das Gegenteil des Vorgebrachten - ohne entsprechende Beweisaufnahme - annimmt, oder den Vortrag eines Beteiligten als nichtexistent behandelt (vgl BVerfG Beschluss vom 19.7.1967 - 2 BvR 639/66 = BVerfGE 22, 267, 274 - Juris RdNr 25), oder wenn das Gericht auf den wesentlichen Kern des Tatsachenvortrags zu einer Frage, die für das Verfahren von zentraler Bedeutung ist, nicht eingeht, sofern der Tatsachenvortrag nach der Rechtsauffassung des Gerichts nicht unerheblich ist (BVerfG Beschluss vom 19.5.1992 - 1 BvR 986/91 = BVerfGE 86, 133, 146 - Juris RdNr 39). Art 103 Abs 1 GG schützt indessen nicht davor, dass ein Gericht die Rechtsansicht eines Beteiligten nicht teilt.
Das LSG war deshalb nicht verpflichtet, dem gesamten tatsächlichen und rechtlichen Vortrag des Klägers zu folgen, nachdem dieser Vortrag das Gericht bereits zu weiteren Ermittlungen von Amts wegen insbesondere durch zwei weitere Sachverständigengutachten und zu einer Erhöhung des GdS bewogen hat. Damit ist zugleich auch die vom Kläger behauptete Verletzung seines Anspruchs auf ein faires Verfahren nach Art 6 Abs 1 Europäische Menschenrechtskonvention nicht ersichtlich.
Schließlich könnte auch eine unzutreffende Rechtsanwendung des LSG nicht mit Erfolg als Revisionszulassungsgrund gerügt werden (vgl hierzu Senatsbeschluss vom 16.11.2018 - B 9 V 26/18 B - RdNr 10 mwN). Die vom Kläger geltend gemachten Grundrechtsverletzungen erschließen sich nicht; ebenso wenig sein Vorwurf einer willkürlichen Entscheidung des LSG oder gar der Rechtsbeugung.
Da dem Kläger keine PKH zusteht, kann er auch nicht die Beiordnung eines Rechtsanwalts beanspruchen (§ 73a Abs 1 S 1 SGG iVm § 121 Abs 1 ZPO).
Fundstellen
Dokument-Index HI13004212 |