Verfahrensgang

Bayerisches LSG (Urteil vom 20.11.1997; Aktenzeichen L 14 Kg 3/95)

 

Tenor

Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 20. November 1997 wird als unzulässig verworfen.

Der Antrag des Klägers auf Gewährung von Prozeßkostenhilfe wird abgelehnt.

Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.

 

Gründe

Die Nichtzulassungsbeschwerde ist nicht in der durch die §§ 160 Abs 2 und 160a Abs 2 Satz 3 Sozialgerichtsgesetz (SGG) festgelegten Form begründet worden. Sie ist deshalb entsprechend § 169 SGG ohne Zuziehung der ehrenamtlichen Richter zu verwerfen (vgl BSG SozR 1500 § 160a Nrn 1 und 5; BVerfG SozR 1500 § 160a Nr 30).

1. Die Beschwerde ist unzulässig, soweit sich der Kläger auf einen Mangel des Berufungsverfahrens (§ 160 Abs 2 Nr 3 SGG) beruft. Der Verfahrensmangel ist nicht hinreichend dargelegt worden.

Der Kläger ist der Ansicht, die Einlegung der Berufung durch die Beklagte sei „rechtsmißbräuchlich” gewesen und „verstoße gegen den Grundsatz von Treu und Glauben”. In der mündlichen Verhandlung vor dem Sozialgericht (SG) am 17. November 1994 habe die Beklagte „eine Bereitschaft zu einer entstehenden Ermessensausübung hinsichtlich der Kindergeldzahlung für den Zeitraum Mai 1991 bis Mai 1993 signalisiert”. Es sei rechtsmißbräuchlich, wenn die Beklagte später für den gleichen Zeitraum, für den sie sich zahlungsbereit gezeigt habe, Berufung eingelegt habe. Damit rügt der Kläger einen Verfahrensverstoß des Landessozialgerichts (LSG) dahingehend, es habe die Berufung bereits als unzulässig verwerfen müssen und nicht in der Sache entscheiden dürfen. Diese Rüge ist nicht schlüssig vorgetragen. Da die Beklagte die Möglichkeit des Entgegenkommens im Rahmen eines Vergleichsgesprächs angedeutet hat, hätte der Kläger darlegen müssen, aus welchen Umständen zu entnehmen ist, daß die Bereitschaft zum Entgegenkommen fortbestanden und darüber hinaus die Beklagte in prozessual bindender Form erklärt hat, sie werde die Verurteilung zur Kindergeldzahlung für den genannten Zeitraum nicht anfechten, obgleich die Vergleichsverhandlung gescheitert war, sich damit also das Vergleichsangebot der Beklagten erledigt hatte, und die Beklagte anschließend ausdrücklich einen uneingeschränkten Klageabweisungsantrag gestellt hat.

Die weitere Verfahrensrüge, das LSG habe die Berufung auch deshalb als unzulässig verwerfen müssen, weil die Beklagte die Berufungsfrist versäumt habe, ist als gegenstandslos anzusehen. Sie beruht auf einem Irrtum des Klägers über den zeitlichen Ablauf (vgl Schreiben des Berichterstatters vom 8. April 1998).

2. Die Beschwerde ist ferner unzulässig, soweit sich der Kläger auf die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache iS des § 160 Abs 2 Nr 1 SGG beruft. Dieser Zulassungsgrund ist nicht so dargelegt und bezeichnet worden, wie § 160a Abs 2 Satz 3 SGG dies verlangt.

Zur Begründung der Grundsätzlichkeit der Rechtssache muß erläutert werden, daß und warum in dem angestrebten Revisionsverfahren eine Rechtsfrage erheblich sein würde, die über den Einzelfall hinaus allgemeine Bedeutung hat (BVerfG SozR 1500 § 160a Nr 44; BSG SozR 1500 § 160a Nr 39) und klärungsbedürftig ist (BSG SozR 1500 § 160a Nr 13). Dieses Erfordernis betrifft die gesetzliche Form iS des § 169 Satz 1 SGG (BVerfG SozR 1500 § 160a Nr 48). Die Beschwerde ist in diesem Sinn nicht formgerecht begründet. Die von dem Kläger formulierten Fragen sind nicht hinreichend als klärungsbedürftig dargelegt worden.

Der Kläger mißt den Rechtsfragen eine grundsätzliche Bedeutung zu,

  1. ob sich aus Art 1 und 2 des Europäischen Fürsorgeabkommens vom 11. Dezember 1953 (BGBl 1956 II S 564) in Verbindung mit Art 1 und 2 des Zusatzprotokolls zum Europäischen Fürsorgeabkommen die Verpflichtung der Bundesrepublik Deutschland ergibt, daß Flüchtlingen im Sinne des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (Genfer Konvention) vom 28. Juli 1951 (FlüAbk, BGBl 1953 II S 559) Kindergeld (Kg) im gleichen Maße wie deutschen Staatsangehörigen zu gewähren ist, und
  2. ob mit der Anerkennung als Flüchtling gemäß dem FlüAbk feststeht, daß die Voraussetzungen des FlüAbk im Zeitpunkt der Einreise in die Bundesrepublik Deutschland vorgelegen haben und aus diesem Grund Kg rückwirkend ab der Einreise gezahlt werden muß.

Da sich das Europäische Fürsorgeabkommen allein auf „Leistungen der sozialen und Gesundheitsfürsorge” bezieht (Art 1) und diese „Fürsorge” nur Leistungen aufgrund solcher Rechtsvorschriften erfaßt, nach denen „Personen ohne ausreichende Mittel die Mittel für ihren Lebensbedarf sowie die Betreuung erhalten, die ihre Lage erfordert” (Art 2 Buchst a ii), hätte der Beschwerdeführer den rechtlichen Weg aufzeigen müssen, wie die Regelungen des Europäischen Fürsorgeabkommens auf andere als die nach dem Bundessozialhilfegesetz (BSHG) vorgesehenen Leistungen (vgl dazu auch den Vorbehalt der Regierung der Bundesrepublik Deutschland gemäß Anhang II Nr 2 dieses Abkommens, BGBl II 1991 S 686) und insbesondere auf das Kg zu erstrecken sind. An dieser Darlegung fehlt es. Sie ist auch nicht entbehrlich, da das Kg nach dem Bundeskindergeldgesetz (BKGG) gerade nicht auf Eltern „ohne ausreichende Mittel” beschränkt ist und deshalb die Einstufung des Kg als „Fürsorgeleistung” im vorstehenden Sinne eher fern liegt. Hinsichtlich der zweiten Frage hätte der Kläger zudem darlegen müssen, aus welchem Grunde sie klärungsbedürftig ist, obgleich die Regelungen des Asylverfahrensgesetzes (AsylVfg) vom 9. April 1991 (§ 3 Abs 1, BGBl I S 689) und vom 27. Juli 1993 (§ 2 Abs 1, BGBl I S 1361) nur Asylberechtigten, nicht aber Asylbewerbern die Rechtsstellung nach dem FlüAbk einräumen und eine rückwirkende Gleichstellung für Zeiträume vor der unanfechtbaren Anerkennung des Asylrechts vom Gesetzgeber nicht vorgesehen und von der Rechtsprechung abgelehnt worden ist (BSGE 72, 8 = SozR 3-5870 § 1 Nr 2).

3. Der Kläger hat die grundsätzliche Bedeutung der Sache auch nicht hinreichend dargelegt, soweit er sich mit Blick auf das Verhalten zweier Arbeitsämter in nach seiner Behauptung parallel gelagerten Fällen auf den Gleichheitssatz des Art 3 Grundgesetz (GG) sowie auf den Grundsatz der Selbstbindung der Verwaltung stützt. Damit hat der Kläger lediglich die Frage der Ermessensausübung der Beklagten nach § 20 Abs 5 BKGG aF bezüglich der rückwirkenden Aufhebung eines rechtswidrigen belastenden Verwaltungsaktes im Kg-Recht angesprochen, nicht aber dargelegt, auf welchem rechtlichen Weg diese Rechtsgrundsätze dazu führen können, bereits den – der Ermessensfrage vorgeschalteten und diese erst auslösenden – Anspruch auf Kg für die Zeit ab Mai 1991 zu begründen, wenn dessen Tatbestandsvoraussetzungen ansonsten nicht erfüllt sind.

4. Die Nichtzulassungsbeschwerde ist ebenfalls unzulässig, soweit sich der Kläger darauf beruft, das angegriffene Urteil weiche von Entscheidungen des Bundessozialgerichts (BSG) und des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) ab (§ 160 Abs 2 Nr 2 SGG). Auch dieser Zulassungsgrund ist nicht so dargelegt, wie dies § 160a Abs 2 Satz 3 SGG verlangt.

Der Zulassungsgrund der Abweichung ist nur dann hinreichend dargelegt (§ 160a Abs 2 Satz 3 SGG), wenn der Beschwerdeführer geltend macht, das LSG habe einen tragenden Rechtssatz in Abweichung von einem Rechtssatz aufgestellt, den das BSG, das BVerfG oder der Gemeinsame Senat der obersten Gerichtshöfe des Bundes entwickelt und angewendet hat. Dazu ist es notwendig, den von der höchstrichterlichen Rechtsprechung abweichenden Rechtssatz des LSG herauszuarbeiten und die Unvereinbarkeit aufzuzeigen. Eine Abweichung liegt nicht schon dann vor, wenn das Urteil des LSG einen Rechtssatz nicht beachtet hat, den das BSG bzw das BVerfG aufgestellt hat, sondern erst dann, wenn es diesem Rechtssatz widersprochen, also einen anderen Rechtssatz entwickelt hat. Eine Abweichung iS des § 160 Abs 2 Nr 2 SGG liegt ferner nicht vor, wenn das LSG eine höchstrichterliche Entscheidung unrichtig ausgelegt oder angewendet hat. Auch dann fehlt es an der Entwicklung eines eigenen abweichenden Rechtssatzes.

Nach diesem Maßstab enthält das Vorbringen des Klägers keine hinreichende Darlegung der behaupteten Abweichungen.

a) Im Hinblick auf die auf einen Zeitrum von vier Jahren vor der Rücknahme beschränkte rückwirkende Korrektur rechtswidriger Verwaltungsakte nach § 44 Abs 4 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) legt der Beschwerdeführer nicht dar, welchen Rechtssatz das LSG aufgestellt hat, mit dem es vom Urteil des BSG vom 15. Dezember 1992 – 10 RKg 11/92 – (BSGE 72,8 = SozR 3-5870 § 1 Nr 2) abgewichen sein soll. Vielmehr trägt der Kläger selbst vor, das LSG habe sich ausdrücklich auf diese Entscheidung des BSG gestützt (S 24 des LSG-Urteils), sie aber „verkannt” und ihr einen Rechtssatz entnommen, den das BSG gar nicht aufgestellt habe. Zudem hat der Kläger nicht vorgetragen, woraus sich ergibt, daß die Ausführungen des LSG zur Bedeutung dieses Urteils im Zusammenhang mit § 44 Abs 4 SGB X tragend sind, nachdem das LSG in Übereinstimmung mit der Prognoseentscheidung der Beklagten einen gewöhnlichen Aufenthalt des Klägers in Deutschland bis Anfang Juni 1993 verneint, die Rechtmäßigkeit der Versagung des Kg damit bestätigt und daher schon die Voraussetzungen des § 44 Abs 1 und 2 SGB X als nicht erfüllt angesehen hat.

b) Eine Abweichung zum Urteil des BSG vom 17. Mai 1989 – 10 RKg 19/88 – (BSGE 65, 84 = SozR 1200 § 30 Nr 17) ist ebenfalls nicht hinreichend dargetan. Der Kläger trägt nicht – wie erforderlich – vor, das LSG habe einen divergierenden Rechtssatz zur Verfahrensweise bei der Feststellung des Wohnsitzes oder gewöhnlichen Aufenthalts eines Asylbewerbers in der Bundesrepublik Deutschland aufgestellt, sondern er legt lediglich dar, es habe bei Beachtung aller maßgebenden Umstände zu einer anderen Prognoseentscheidung, nämlich der Begründung des gewöhnlichen Aufenthalts des Klägers spätestens seit dem Erlaß des Beschlusses des BVerfG vom 15. Mai 1991 – 2 BvR 1716/90 –, gelangen müssen.

Soweit der Kläger mit dem gegen die Beweiswürdigung des LSG gerichteten Vorwurf einer „verfahrensfehlerhaften Prognose” zugleich einen Verfahrensmangel iS des § 160 Abs 2 Nr 3 SGG rügen will, kommt eine Zulassung der Revision gleichfalls nicht in Betracht. Eine Verfahrensrüge kann nach dieser Vorschrift nicht auf eine Verletzung des § 128 Abs 1 Satz 1 SGG gestützt werden, wonach das Gericht nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung entscheidet. Eine Verletzung der Pflicht zur Amtsermittlung nach § 103 SGG kann eine Verfahrensrüge nur dann tragen, wenn sich der Verfahrensmangel auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist. Dabei muß es sich um einen Beweisantrag handeln, der in der mündlichen Verhandlung vor dem LSG erstmals gestellt oder vom Betroffenen wiederholt bzw aufrechterhalten worden ist. Die Nichtbeachtung eines solchen Beweisantrages ist vom Kläger weder vorgetragen worden noch aus den Akten ersichtlich.

c) Die Beschwerdebegründung enthält ferner keine hinreichende Darlegung einer Abweichung vom Beschluß des BVerfG vom 15. Mai 1991 – 2 BvR 1716/90 –. Der Kläger formuliert auch hier keinen von dieser Entscheidung abweichenden Rechtssatz durch das LSG, sondern wirft ihm vor, es habe nicht alle Vorgaben aus dem Beschluß des BVerfG beachtet, den Beschluß also nur unzureichend umgesetzt und sei so zu einer unrichtigen Prognoseentscheidung über den gewöhnlichen Aufenthalt des Klägers gelangt.

d) Schließlich fehlt es auch an der hinreichenden Darlegung einer Abweichung zum – den Anspruch auf Erziehungsgeld betreffenden – Beschluß des BSG vom 30. September 1991 – 4 REg 12/91 –, den er dahingehend interpretiert, aus der bestandskräftigen Anerkennung eines Flüchtlings als Asylberechtigter sei zu folgern, daß der Flüchtling mit seiner Einreise seinen gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland begründet habe und daher rückwirkend zum Zeitpunkt der Einreise die an den gewöhnlichen Aufenthalt anknüpfenden Sozialleistungen wie Erziehungsgeld und Kg beanspruchen könne. Der Beschwerdeführer trägt nicht vor, das LSG habe einen hiervon abweichenden Rechtssatz aufgestellt, sondern er bemängelt, das LSG habe diesen Beschluß nicht beachtet. Das reicht für eine Divergenzrüge, wie ausgeführt, nicht aus. Unabhängig davon bleibt anzumerken, daß die Rechtsprechung des damals für den Bereich des Erziehungsgeldes zuständigen 4. Senats zur Frage des gewöhnlichen Aufenthalts von Asylberechtigten vor der Anerkennung ihres Asylrechts für die „Prognose-Rechtsprechung” im Bereich des Kg nicht übernommen worden ist (BSGE 72,8 = SozR 3-5870 § 1 Nr 2).

Da die Nichtzulassungsbeschwerde unzulässig ist, konnte auch dem Antrag des Klägers auf Bewilligung von Prozeßkostenhilfe mangels Erfolgsaussicht nicht stattgegeben werden.

Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1175359

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