Entscheidungsstichwort (Thema)

Sozialgerichtliches Verfahren. Nichtzulassungsbeschwerde. Darlegung der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache. Klärungsfähigkeit. Erteilung einer Arbeitsgenehmigung-EU. bevorrechtigte Arbeitnehmer

 

Orientierungssatz

Da bei der Erteilung der Arbeitsgenehmigung-EU gem § 284 Abs 3 SGB 3 iVm § 39 Abs 2 AufenthG 2004 von einer Einzelfallprüfung auszugehen ist, können aufgeworfene Fragestellungen zum Vorhandensein bevorrechtigter Arbeitnehmer jeweils nur beantwortet werden, wenn durch Darstellung der Inhalte eines ggf vorliegenden Vermittlungsauftrags oder evtl Besonderheiten eines Ausbildungsplatzes erkennbar ist, für welche Beschäftigung bzw Ausbildung der Vorrang zu prüfen ist. Nur wenn hierüber Ausführungen des Beschwerdeführers vorliegen, hat er die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache ausreichend dargelegt.

 

Normenkette

SGG § 160 Abs. 2 Nr. 1, § 160a Abs. 2 S. 3; SGB 3 § 284 Abs. 3 Fassung: 2006-12-07; AufenthG § 39 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 Buchst. b Fassung: 2008-02-25; AufenthG 2004 § 39 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 Buchst. b Fassung: 2008-02-25

 

Verfahrensgang

LSG Baden-Württemberg (Urteil vom 06.02.2009; Aktenzeichen L 8 AL 2827/08)

SG Stuttgart (Urteil vom 29.05.2008; Aktenzeichen S 14 AL 7305/07)

 

Tatbestand

Streitig im Rahmen einer Fortsetzungsfeststellungsklage ist, ob die im Jahre 1985 geborene Klägerin rumänischer Staatsangehörigkeit zum 1.10.2007 einen Anspruch auf Erteilung einer Arbeitsgenehmigung-EU nach § 284 Sozialgesetzbuch - Arbeitsförderung - (SGB III) für eine Ausbildung zur Gesundheits- und Krankenpflegerin am Klinikum E: (SKE) hatte. Das Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg hat die ablehnenden Bescheide der Beklagten (Bescheid vom 28.9.2007, Widerspruchsbescheid vom 4.10.2007 ) sowie das klageabweisende Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 29.5.2008 bestätigt (Urteil vom 6.2.2009) .

Mit ihrer Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision rügt die Klägerin das Vorliegen von Verfahrensmängeln und macht eine grundsätzliche Bedeutung der Sache geltend. Zu den Verfahrensmängeln führt sie aus, das LSG stütze sich für seine ablehnende Entscheidung maßgeblich auf eine schriftliche Auskunft der Personalleitung der SKE und eine Stellungnahme der Beklagten. Diesen Unterlagen habe das LSG entnommen, dass es bevorrechtigte Bewerber gegeben habe. Mit ihren Schriftsätzen vom 16.10.2008, 4.11.2008 und 26.1.2009 habe sie (die Klägerin) beantragt, den Personalleiter der SKE, Herrn G., in der mündlichen Verhandlung als Zeugen zu den Gründen für die Einstellungszusagen an sie zum 1.10.2007/1.10.2008 sowie zu den Anforderungen an die Bewerberinnen angesichts der veränderten Situation in den Pflegeberufen der Krankenhäuser zu hören. Das LSG habe ihre Beweisanträge ohne hinreichende Begründung übergangen, worin eine vorweggenommene Beweiswürdigung liege. Insofern sei ein Verstoß gegen den Grundsatz des rechtlichen Gehörs gegeben. Ein Verstoß gegen § 103 Sozialgerichtsgesetz (SGG) liege vor, weil das LSG keine Schritte unternommen habe, um die widersprüchlichen Arbeitsmarktdaten zu angeblich bevorrechtigten Bewerbern aufzuklären.

Zur grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache trägt die Klägerin vor, es stellten sich folgende Fragen:

"Stehen bevorrechtigte Bewerber/innen für eine Ausbildungsstelle im Sinne des § 39 AufenthG 'dann zur Verfügung', wenn diese Personen

1. nur die generellen und gesetzlich formelle beschriebenen schulischen Mindesterfordernisse für die Aufnahme der Ausbildung erfüllen? - oder 2. zusätzlich deren Eignung für die konkrete Aufgabe / Ausbildung entweder von der Bundesagentur oder dem Arbeitgeber konkret festgestellt ist? oder 3. zusätzlich alle höhere Anforderungen erfüllt sind, die der Arbeitgeber im Hinblick auf bereits im Auswahlzeitpunkt bekannte höhere Anforderungen an die ausgebildeten Arbeitnehmer aufgestellt hatte? oder 4. zusätzlich höhere Anforderungen erfüllt sind, damit die Auszubildenden ihr glaubhaft gemachtes Berufsziel über ein anschließendes Hochschulstudium, das eine entsprechende Zulassungsbeschränkung kennt, erreichen können, wobei im angestrebten akademischen Beruf ein akuter Mangel besteht?"

Diese Frage sei klärungsbedürftig, weil in der Rechtsprechung - abgesehen von einer Entscheidung zu einer vorübergehenden Beschäftigung eines Praktikanten im Zahntechnik-Labor (vgl BSG vom 10.10.1978 - 7/12 RAr 39/77) - diese den Ausbildungsbereich betreffende Frage bisher nicht entschieden worden sei. Ein gerechtfertigter Grund für eine bevorzugte Vermittlung sei - entgegen der Ansicht des LSG - darin zu sehen, dass sie die Ausbildung als Krankenschwester durchlaufen wolle und müsse, um die für alle EU-Bürger an sich unproblematische Zulassung zum Studium an der Hochschule Esslingen im Fach "Pflege-Pflegemanagement" zu erhalten. In diesem neuen Berufsfeld bestehe ein großer Bedarf an Fachkräften.

 

Entscheidungsgründe

Die Nichtzulassungsbeschwerde ist unzulässig, weil die geltend gemachten Zulassungsgründe der grundsätzlichen Bedeutung (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG) und des Verfahrensmangels, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann (§ 160 Abs 2 Nr 3 SGG) , nicht in der erforderlichen Weise dargelegt bzw bezeichnet sind (§ 160a Abs 2 Satz 3 SGG) . Die Nichtzulassungsbeschwerde konnte deshalb ohne Hinzuziehung der ehrenamtlichen Richter gemäß § 160a Abs 4 Satz 1 2. Halbsatz SGG iVm § 169 SGG verworfen werden.

Soweit die Klägerin unter Hinweis auf ihre Beweisanträge in den Schriftsätzen vom 16.10., 4.11.2008 und 26.1.2009 das Vorliegen eines Verfahrensmangels rügt, genügen diese Ausführungen nicht den Begründungsanforderungen. Der geltend gemachte Verfahrensmangel kann nach § 160 Abs 2 Nr 3 2. Halbsatz SGG nicht auf eine Verletzung der §§ 109 und 128 Satz 1 SGG und auf eine Verletzung des § 103 SGG nur gestützt werden, wenn er sich auf Beweisanträge bezieht, denen das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist. Nach Sinn und Zweck der Regelung kann das Übergehen von Beweisanträgen die Revisionsinstanz nur eröffnen, wenn das LSG vor der Entscheidung durch förmlichen Beweisantrag ausdrücklich darauf hingewiesen worden ist, dass der Beteiligte die Sachaufklärungspflicht noch nicht als erfüllt ansieht (sog Warnfunktion; vgl BSG SozR 3-1500 § 160 Nr 29) . Nach ständiger Rechtsprechung des BSG kann ein anwaltlich vertretener Beteiligter daher nur dann mit der Rüge des Übergehens eines Beweisantrags nach § 160 Abs 2 Nr 3 2. Halbsatz SGG iVm § 103 SGG gehört werden, wenn er diesen bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung durch entsprechenden Hinweis zu Protokoll aufrechterhalten hat oder das Gericht den Beweisantrag in seinem Urteil wiedergibt (BSG SozR 4-1500 § 160 Nr 13 RdNr 11 mwN; BSG, Beschluss vom 29.6.2009 - B 11 AL 51/09 B) . Zwar hat die Klägerin solche Beweisanträge in der Beschwerdeschrift in ausreichender Weise bezeichnet, indem sie auf die Anträge in ihren Schriftsätzen Bezug genommen hat. Sie hat aber nicht behauptet, einen förmlichen Beweisantrag in der abschließenden Verhandlung vor dem LSG aufrecht erhalten zu haben, was bei anwaltlicher Vertretung erforderlich gewesen wäre (vgl § 202 SGG iVm § 295 ZPO) .

Bezogen auf die behauptete Verletzung des rechtlichen Gehörs im Zusammenhang mit den schriftsätzlichen Beweisanträgen der Klägerin ist das Beschwerdevorbringen nicht ausreichend, weil nicht schlüssig dargelegt ist, worin die Verletzung des rechtlichen Gehörs liegen soll. Zielt nämlich ein Vortrag ausschließlich auf eine weitere Beweiserhebung, so hat eine anwaltlich vertretene Klägerin nur dann alles getan, um die Berücksichtigung ihres Vorbringens zu sichern, wenn sie auch einen prozessordnungsgemäßen Beweisantrag ausdrücklich aufrechterhalten hat (BSG SozR 3-1500 § 160 Nr 22 S 35; BSG, Beschluss vom 6.7.2009 - B 11 AL 134/08 B) . Hinsichtlich der von der Klägerin gerügten fehlenden Sachaufklärung des LSG zu "widersprüchlichen Arbeitsmarktdaten" genügt die Beschwerdebegründung schon deshalb nicht den Begründungserfordernissen, weil ein Beweisantrag nicht behauptet wird (vgl § 160 Abs 2 Nr 3 2. Halbsatz SGG) .

Auch in Bezug auf die geltend gemachte grundsätzliche Bedeutung genügen die Ausführungen nicht den Begründungsanforderungen. Grundsätzliche Bedeutung hat eine Rechtssache nur dann, wenn sie eine Rechtsfrage aufwirft, die über den Einzelfall hinaus aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts einer Klärung durch das Revisionsgericht bedürftig und fähig ist. Der Beschwerdeführer muss an Hand des anwendbaren Rechts unter Berücksichtigung der höchstrichterlichen Rechtsprechung darlegen, welche Rechtsfrage sich stellt, dass diese Rechtsfrage noch nicht geklärt ist, dass eine Klärung dieser Rechtsfrage aus Gründen der Einheit oder Fortbildung des Rechts erforderlich ist und dass das angestrebte Revisionsverfahren eine Klärung erwarten lässt (BSG SozR 1500 § 160 Nr 17; SozR 1500 § 160a Nr 7, 11, 13, 31, 59 und 65) . Um seiner Darlegungspflicht zu genügen, muss ein Beschwerdeführer mithin eine konkrete Rechtsfrage, ihre (abstrakte) Klärungsbedürftigkeit, ihre (konkrete) Klärungsfähigkeit (= Entscheidungserheblichkeit) sowie die über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung der angestrebten Entscheidung (so genannte Breitenwirkung) darlegen (BSG SozR 1500 § 160a Nr 60; SozR 3-1500 § 160a Nr 16) .

Es ist schon fraglich, ob die Klägerin eine die Rechtsanwendung betreffende Frage hinreichend klar formuliert hat oder nicht vielmehr tatrichterliche Würdigungen und Rechtsfragen vermengt hat. Offen bleiben kann auch, ob die Klägerin die abstrakte Klärungsbedürftigkeit der Rechtsfrage ausreichend belegt hat. Jedenfalls ist die Klärungsfähigkeit von ihr nicht in der erforderlichen Weise dargelegt (§ 160a Abs 2 Satz 3 SGG) . Klärungsfähig ist eine Rechtsfrage nämlich nur dann, wenn sie für den zu entscheidenden Fall rechtserheblich ist (BSG SozR 1500 § 160a Nr 31) . Über die aufgeworfene Rechtsfrage hinaus müsste das Revisionsgericht also - in Ergänzung zur abstrakten Klärungsbedürftigkeit - konkret in der Sache entscheiden können (BSG SozR 1500 § 160 Nr 39 und 53) .

Erforderlich für die Darlegung der Klärungsfähigkeit ist insofern, dass der Beschwerdeführer den nach seiner Auffassung von dem Revisionsgericht einzuschlagenden Weg der Nachprüfung des angefochtenen Urteils und damit den Schritt darstellt, der die Entscheidung der als grundsätzlich bezeichneten Rechtsfrage notwendig macht. Insofern enthält die Beschwerdebegründung zu mehreren, für den Anspruch auf Erteilung einer Arbeitsgenehmigung-EU notwendigen Faktoren, keine ausreichenden Ausführungen. Ausgehend von § 284 Abs 3 SGB III iVm § 39 Abs 2 des Gesetzes über den Aufenthalt, die Erwerbstätigkeit und die Integration von Ausländern im Bundesgebiet (AufenthG) setzt die Zustimmung der Bundesagentur für Arbeit zur Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis zur Ausübung einer Beschäftigung ua voraus, dass für die Ausbildung bzw Beschäftigung deutsche Arbeitnehmer sowie Ausländer, die diesen hinsichtlich der Arbeitsaufnahme rechtlich gleichgestellt sind oder andere Ausländer, die nach dem Recht der Europäischen Union einen Anspruch auf vorrangigen Zugang zum Arbeitsmarkt haben, nicht zur Verfügung stehen (§ 39 Abs 2 Satz 1 Nr 1 Buchst b AufenthG) . Ausgehend von einer Einzelfallprüfung (vgl hierzu Söhngen in Eicher/Schlegel, SGB III, Anlage 1 zu § 284 RdNr 11, Stand Juli 2005) können die von der Klägerin aufgeworfenen Fragestellungen zum Vorhandensein bevorrechtigter Arbeitnehmer jeweils nur beantwortet werden, wenn durch Darstellung der Inhalte eines ggf vorliegenden Vermittlungsauftrags oder evtl Besonderheiten eines Ausbildungsplatzes erkennbar ist, für welche Beschäftigung bzw Ausbildung der Vorrang zu prüfen ist. Schon zu dieser Frage hat die Klägerin die vom LSG festgestellten Tatsachen nicht ausreichend dargelegt und auch nichts dazu vorgetragen, ob und ggf in welcher Anzahl bevorrechtigte Arbeitnehmer vorhanden waren.

Die Beschwerdebegründung zur geltend gemachten grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache enthält insofern keine geordnete und verständliche Darlegung des entscheidungserheblichen Sachverhalts auf der Grundlage der Feststellungen des LSG. Vielmehr besteht die 37 Seiten umfassende Beschwerdebegründung im wesentlichen aus in die Beschwerdeschrift hineinkopierte Schriftsätze des Berufungsverfahrens ohne Darstellung des Sach- und Streitstandes. Es ist nicht Aufgabe des Bundessozialgerichts, sich aus diesen in die Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde wörtlich übernommenen Schriftsätzen das Passende herauszusuchen ( vgl BSG SozR 3-1500 § 160a Nr 26 mwN ).

Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI2245082

Dieser Inhalt ist unter anderem im TVöD Office Professional enthalten. Sie wollen mehr?


Meistgelesene beiträge