Verfahrensgang
SG Trier (Entscheidung vom 03.03.2020; Aktenzeichen S 5 KR 179/19) |
LSG Rheinland-Pfalz (Urteil vom 05.11.2020; Aktenzeichen L 5 KR 68/20) |
Tenor
Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 5. November 2020 wird als unzulässig verworfen.
Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.
Gründe
I
Der bei der beklagten Krankenkasse versicherte Kläger, der als Parkettleger tätig ist, leidet an Adrenomyeloneuropathie (AMN), einer milden Form der Stoffwechselerkrankung Adrenoleukodystrophie (ALD), die progredient verläuft und für die es keine kausale kurative Behandlung gibt. Die Erkrankung beeinträchtigt ua seine Gehfähigkeit. Die Leitende Oberärztin S des Universitätsklinikums T befürwortete die Behandlung mit dem zur Verbesserung der Gehfähigkeit bei Multipler Sklerose zugelassenen Fertigarzneimittel Fampyra, das in Einzelfällen positive Effekte gezeigt habe. Der Kläger ist mit seinem Begehren, ihm die Kosten für das privatärztlich verordnete Arzneimittel Fampyra seit dem 26.9.2017 zu erstatten und ihn zukünftig mit diesem Arzneimittel zu versorgen, bei der Beklagten und in den Vorinstanzen ohne Erfolg geblieben. Das LSG hat zur Begründung - auch unter Bezugnahme auf die Gründe des SG-Urteils - insbesondere ausgeführt, dass der Kläger keinen Anspruch auf Versorgung mit dem Arzneimittel habe und daher auch ein Kostenerstattungsanspruch ausgeschlossen sei. Die Voraussetzungen eines Off-Label-Use seien nicht erfüllt. Weder die Voraussetzungen des § 35c Abs 1 SGB V noch die des § 35c Abs 2 SGB V lägen vor. Eine Versorgung mit dem Arzneimittel Fampyra im Off-Label-Use könne der Kläger auch nicht nach den Grundsätzen der Rechtsprechung des BSG (Hinweis auf BSG vom 13.12.2016 - B 1 KR 1/16 R - BSGE 122, 170 = SozR 4-2500 § 31 Nr 28) beanspruchen. Aufgrund der Datenlage bestehe nicht die begründete Aussicht, dass mit dem Präparat ein kurativer oder palliativer Behandlungserfolg erzielt werden könne. Mangels Umständen, die eine notstandsähnliche Situation begründen würden, seien auch die Voraussetzungen des § 2 Abs 1a SGB V nicht erfüllt. Schließlich könne der Kläger die begehrte Versorgung auch nicht nach den vom BSG entwickelten Grundsätzen eines Seltenheitsfalls beanspruchen (Hinweis ua auf BSG vom 19.10.2004 - B 1 KR 27/02 R - BSGE 93, 236 = SozR 4-2500 § 27 Nr 1; BSG vom 8.11.2011 - B 1 KR 20/10 R - BSGE 109, 218 = SozR 4-2500 § 31 Nr 20). Denn trotz ihres seltenen Vorkommens werde die ALD wissenschaftlich intensiv erforscht (Urteil vom 5.11.2020).
Der Kläger wendet sich mit seiner Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision im LSG-Urteil.
II
Die Beschwerde ist unzulässig und daher gemäß § 160a Abs 4 Satz 1 Halbsatz 2 iVm § 169 Satz 3 SGG zu verwerfen. Ihre Begründung entspricht nicht den aus § 160a Abs 2 Satz 3 SGG abzuleitenden Anforderungen an die Darlegung der geltend gemachten Revisionszulassungsgründe der grundsätzlichen Bedeutung (dazu 1.) und des Verfahrensmangels (dazu 2.).
1. Wer sich auf den Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG) beruft, muss eine Rechtsfrage klar formulieren und ausführen, inwiefern diese Frage im angestrebten Revisionsverfahren klärungsfähig (entscheidungserheblich) sowie klärungsbedürftig und über den Einzelfall hinaus von Bedeutung ist (vgl zB BSG vom 26.5.2020 - B 1 KR 14/19 B - juris RdNr 4 mwN; zur verfassungsrechtlichen Unbedenklichkeit dieses Maßstabs BVerfG vom 14.4.2010 - 1 BvR 2856/07 - SozR 4-1500 § 160a Nr 24 RdNr 5 f mwN). Dem wird das Beschwerdevorbringen nicht gerecht.
Der Kläger formuliert sinngemäß als Rechtsfrage,
ob Patienten, die unter einer schwerwiegenden Erkrankung leiden, für die keine andere Therapie verfügbar ist, von der gesetzlichen Krankenversicherung im Off-Label-Use ein für diese Erkrankung nicht zugelassenes Arzneimittel beanspruchen können, wenn auf Grund der Datenlage zum Zeitpunkt der Behandlung Gründe für die Aussicht bestanden haben und bestehen, dass mit dem Wirkstoff ein kurativer Behandlungserfolg erzielt werden kann.
a) Er legt bereits die Klärungsbedürftigkeit dieser Rechtsfrage nicht dar. Eine Rechtsfrage ist dann nicht klärungsbedürftig, wenn sie bereits höchstrichterlich entschieden ist. Die Beschwerdebegründung hat deshalb auszuführen, inwiefern die Rechtsfrage nach dem Stand von Rechtsprechung und Lehre nicht ohne Weiteres zu beantworten ist, und den Schritt darzustellen, den das Revisionsgericht zur Klärung der Rechtsfrage im allgemeinen Interesse vornehmen soll (vgl BSG vom 22.2.2017 - B 1 KR 73/16 B - juris RdNr 8 mwN; vgl zur verfassungsrechtlichen Unbedenklichkeit eines entsprechenden Maßstabs BVerfG ≪Kammer≫ vom 12.9.1991 - 1 BvR 765/91 - SozR 3-1500 § 160a Nr 6 S 10 f = juris RdNr 4). Eine Rechtsfrage, über die bereits höchstrichterlich entschieden worden ist, kann wieder klärungsbedürftig werden, wenn der Rechtsprechung in nicht geringfügigem Umfang widersprochen wird und gegen sie nicht von vornherein abwegige Einwendungen vorgebracht werden, was im Rahmen der Beschwerdebegründung ebenfalls darzulegen ist (vgl zB BSG vom 19.7.2012 - B 1 KR 65/11 B - SozR 4-1500 § 160a Nr 32; BSG vom 22.12.2010 - B 1 KR 100/10 B - juris RdNr 7). Erneute Klärungsbedürftigkeit ist darüber hinaus auch gegeben, wenn neue erhebliche Gesichtspunkte gegen die bisherige Rechtsprechung vorgebracht werden, die zu einer über die bisherige Erörterung hinausgehenden Betrachtung der aufgeworfenen Fragestellung führen können und die Möglichkeit einer anderweitigen Entscheidung nicht offensichtlich ausschließen (vgl BSG vom 30.9.1992 - 11 BAr 47/92 - SozR 3-4100 § 111 Nr 1 S 2; BSG vom 11.2.2020 - B 10 EG 14/19 B - juris RdNr 6, jeweils mwN). Diesen Anforderungen entspricht die Beschwerdebegründung nicht.
Nach ständiger Rechtsprechung des erkennenden Senats haben Versicherte nach allgemeinen Grundsätzen Anspruch auf Versorgung mit einem vertragsärztlich verordneten verschreibungspflichtigen Fertigarzneimittel als Krankenbehandlung (§ 27 Abs 1 Satz 2 Nr 3 Fall 1 iVm § 31 Abs 1 Satz 1 SGB V), wenn sie notwendig ist, um eine Krankheit zu erkennen, zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern. Hierzu muss grundsätzlich eine arzneimittelrechtliche Zulassung für das Indikationsgebiet bestehen, in dem es angewendet werden soll (vgl nur BSG vom 13.12.2016 - B 1 KR 1/16 R - BSGE 122, 170 = SozR 4-2500 § 31 Nr 28, RdNr 11 mwN). Ohne die arzneimittelrechtliche Zulassung fehlt es an der krankenversicherungsrechtlichen Zweckmäßigkeit und Wirtschaftlichkeit einer Pharmakotherapie (vgl nur BSG vom 4.4.2006 - B 1 KR 12/04 R - BSGE 96, 153 = SozR 4-2500 § 27 Nr 7, RdNr 22 mwN). Diese Anknüpfung ist verfassungsrechtlich unbedenklich (vgl BVerfG vom 5.3.1997 - 1 BvR 1071/95 - NJW 1997, 3085). Ausnahmsweise besteht aber ein Anspruch auf Versorgung mit einem Arzneimittel in einem Anwendungsgebiet, auf das sich die Zulassung nicht erstreckt, wenn es 1. um die Behandlung einer schwerwiegenden (lebensbedrohlichen oder die Lebensqualität auf Dauer nachhaltig beeinträchtigenden) Erkrankung geht, wenn 2. keine andere Therapie verfügbar ist und wenn 3. aufgrund der Datenlage die begründete Aussicht besteht, dass mit dem betreffenden Präparat ein Behandlungserfolg (kurativ oder palliativ) erzielt werden kann. Dies kann nur angenommen werden, wenn entweder die Erweiterung der Zulassung bereits beantragt ist und die Ergebnisse einer kontrollierten klinischen Prüfung der Phase III (gegenüber Standard oder Placebo) veröffentlicht sind und eine klinisch relevante Wirksamkeit respektive einen klinisch relevanten Nutzen bei vertretbaren Risiken belegen oder außerhalb eines Zulassungsverfahrens gewonnene Erkenntnisse von gleicher Qualität veröffentlicht sind. Abzustellen ist auf die im jeweiligen Zeitpunkt der Behandlung vorliegenden Erkenntnisse (vgl nur BSG vom 26.5.2020 - B 1 KR 9/18 R - BSGE 130, 200 = SozR 4-2500 § 13 Nr 53, RdNr 33 f mwN).
Mit dieser Rechtsprechung setzt sich der Kläger nicht auseinander. Er geht nicht darauf ein, weshalb die aufgeworfene Frage vor dem Hintergrund der dargestellten höchstrichterlichen Rechtsprechung nicht bereits beantwortet worden ist.
b) Im Übrigen legt der Kläger auch die Klärungsfähigkeit der Rechtsfrage nicht dar. Insoweit wäre darzustellen gewesen, dass das BSG im angestrebten Revisionsverfahren überhaupt über die aufgeworfene Frage entscheiden müsste, die Frage also entscheidungserheblich ist (vgl BSG vom 13.1.2017 - B 12 R 23/16 B - juris RdNr 20; vgl zur verfassungsrechtlichen Unbedenklichkeit dieses Maßstabs BVerfG vom 18.12.1991 - 1 BvR 1411/91 - SozR 3-1500 § 160a Nr 7 S 14 = juris RdNr 8). Die Beschwerdebegründung setzt sich nicht hinreichend damit auseinander, dass das LSG einen Anspruch auf Versorgung mit dem Arzneimittel Fampyra im Off-Label-Use daran scheitern lässt, weil aufgrund der Datenlage keine begründete Aussicht bestehe, hiermit einen kurativen oder palliativen Behandlungserfolg zu erzielen. Diese Feststellungen hat der Kläger nicht mit einer zulässigen Verfahrensrüge angegriffen (dazu 2.). Der Kläger legt nicht dar, weshalb es auf die Beantwortung der aufgeworfenen Rechtsfrage vor diesem Hintergrund überhaupt noch ankommen soll.
2. Nach § 160 Abs 2 Nr 3 SGG ist die Revision zuzulassen, wenn ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann; der Verfahrensmangel kann nicht auf eine Verletzung von § 109 SGG und § 128 Abs 1 Satz 1 SGG (Grundsatz der freien richterlichen Beweiswürdigung) und auf eine Verletzung des § 103 SGG (Amtsermittlungsgrundsatz) nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist. Um einen Verfahrensmangel in diesem Sinne geltend zu machen, müssen die Umstände bezeichnet werden, die den entscheidungserheblichen Mangel ergeben sollen (vgl zB BSG vom 18.2.1980 - 10 BV 109/79 - SozR 1500 § 160a Nr 36 mwN; BSG vom 31.7.2017 - B 1 KR 47/16 B - SozR 4-1500 § 160 Nr 30 RdNr 16 mwN). Daran fehlt es.
Die Anforderungen an die Darlegung der gerügten Verletzung der Amtsermittlungspflicht nach § 103 SGG sind schon deshalb nicht erfüllt, weil der Kläger keinen ohne Weiteres auffindbaren Beweisantrag bezeichnet (stRspr; vgl zB BSG vom 20.7.2010 - B 1 KR 29/10 B - RdNr 5 mwN; BSG vom 1.3.2011 - B 1 KR 112/10 B - juris RdNr 3 mwN; BSG vom 14.10.2016 - B 1 KR 59/16 B - juris RdNr 5). Ein solcher ergibt sich auch weder aus dem Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 5.11.2020 noch wird ein solcher Antrag im angegriffenen LSG-Urteil wiedergegeben.
3. Soweit der Kläger im Übrigen darzulegen versucht, dass das LSG im Hinblick auf die aufgeworfene Rechtsfrage aus seiner Sicht anders hätte entscheiden müssen, behauptet er lediglich eine fehlerhafte Rechtsanwendung durch das LSG, die nicht zur Zulassung der Revision führt. Gegenstand der Nichtzulassungsbeschwerde ist nicht, ob das Berufungsgericht in der Sache richtig entschieden hat (vgl nur BSG vom 26.6.1975 - 12 BJ 12/75 - SozR 1500 § 160a Nr 7).
4. Der Senat sieht von einer weiteren Begründung ab (§ 160a Abs 4 Satz 2 Halbsatz 2 SGG).
5. Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.
Fundstellen
Dokument-Index HI14813572 |